KommentarKorrektiv

Hans Küng erklärt noch einmal seine Position zu einem selbstbestimmten Sterben.

Hans Küng, Theologe und Konzilsberater während eines Vortrags
"Das Ereignis des II. Vatikanischen Konzils und die heutigen Zeichen der Zeit" - Eröffnungs-Veranstaltung am 18. Oktober 2012 in der Paulskirche. Bild: Hans Küng, Theologe und Konzilsberater, während seines Vortrags.© KNA-Bild

Es sind nicht wenige, die enttäuscht sind, sich provoziert, gar persönlich verletzt fühlen. Warum vertritt ausgerechnet Hans Küng in einer so existenziellen Frage eine so radikale und kompromiss­lose Position, vermeintlich unvereinbar mit dem christlichen Bekenntnis, der Lehre der Kirche? Warum ausgerechnet er, der mit seiner lebensnahen und menschenfreundlichen Theologie, vermittelt durch eine auch im breiten Kirchenvolk zu verstehenden Sprache, für viele Katholikinnen und Katholiken zu einem wichtigen Interpreten, ja Zeugen der Frohbotschaft geworden ist? Unzählige sind ihm stets gerne gefolgt in seiner ebenso selbstbewussten wie unermüdlichen Auseinandersetzung mit dem Lehramt, in seiner unbestechlichen Kritik etwa an dem für ihn unberechtigten Machtanspruch von Papst und Bischöfen.

An einem Punkt konnten und können viele dem Schweizer Theologen jedoch nicht folgen. Seiner Vorstellung von einem selbstbestimmten „guten“ Sterben, verbunden mit einer harschen Kritik an allen, die vor allem im Namen des Glaubens und christlich-ethischer Prinzipien jede weitere Diskussion über Sterbehilfe oder den (assistierten) Suizid unterbinden, ja tabuisieren wollen. Zuletzt hatte Küng diese Position noch einmal im dritten Band seiner Lebenserinnerungen ausgeführt („Erlebte Menschlichkeit“, München 2013). In zahlreichen Veröffentlichungen, Vorträgen und Interviews hat Küng aber lange schon seine Überzeugung dargelegt, dass jedem Menschen gleichermaßen das Recht und die Verantwortung zukommen, über Leben und Sterben selbst zu entscheiden.

Jetzt hat Küng Anfang September noch einmal einen schmalen Band zum Thema veröffentlicht, in dem er die unterschiedlichen Kritiken an seiner Position noch einmal aufgreift – wohl auch mit Blick auf die aktuelle politische Diskussion über Sterbehilfe beziehungsweise konkret über eine im Bundestag diskutierte Gesetzesinitiative zum Verbot des so genannten assistierten Suizids (vgl. HK, September 2014, 439 ff.); das Buch trägt den eher unglücklichen Titel „Glücklich Sterben?“ (Piper Verlag, München 2014).

Küng betont darin nicht nur, wie sehr er doch offenbar vielen und darunter auch Christinnen und Christen aus der Seele spricht, die „in ihrem Sterben nach verantwortungsvoller Hilfe suchen“. Er gibt auch einige Kostproben wieder von der mitunter sehr heftigen Kritik an seiner Position; etwa von Seiten des Gerontologen Thomas Klie, der ihm vorwirft, „herauszuposaunen“, dass ein Leben in Abhängigkeit – etwa aufgrund einer fortschreitenden Demenz – kein Leben mehr sei (vgl. HK, Mai 2014, 231 ff.).

Ein ehrliches Herzensanliegen aber scheint Küng in diesem Band besonders die Auseinandersetzung mit Freunden, Kollegen, den ausgesprochenen Anhängern seiner Theologie zu sein – solchen, die ihm eben nur in der Haltung gegenüber Tod und Sterben nicht folgen können, wollen, ihn ihrerseits zu überzeugen versuchen:

„Sie gefährden Ihr ganzes großes Lebenswerk durch ihr dezidiertes Eintreten für Selbstverantwortung im Sterben“, so oder ähnlich hätten sich nicht wenige Freunde und Leser geäußert, schreibt Küng gleich zu Beginn.

Ein Paar, das dem eigenen Bekunden nach Küng entscheidende Orientierung in ihrem Leben und Glauben verdankt, mahnt in einem gleichfalls zitierten Brief: Küng möge doch bitte an all die Menschen, die Kranken, Behinderten, Todkranken denken, die ihrerseits bis zum letzen Atemzug ausgehalten hätten, weil sie Gott getraut hätten. „Ein Tod durch aktive Sterbehilfe, gar in einem kommerziellen Schweizer Institut – das ist eines Hans Küng, den wir wegen seines Mutes und seiner Gradlinigkeit lieben, unwürdig“ (147).

Selbstredend bekräftig Küng in der Auseinandersetzung mit solchen Stimmen, er wolle niemanden enttäuschen. Auch betont er mehrfach, dass es ihm um einen von jedem Einzelnen zu verantwortenden Weg gehe, er seine Auffassung niemand anderem aufdrängen möchte, sich nicht als „Modell“ sozusagen für alle versteht.

Ebenso entschieden beharrt er aber immer wieder darauf, dass seine Einstellung zum Sterben auf einem „durchaus vernunftgemäßen Vertrauen auf Gott begründet“ ist. Es gehöre für ihn zur Lebenskunst und zu seinem Glauben an ein ewiges Leben, „mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern“. Hinter seinem Eintreten für ein selbstbestimmtes Sterben stehe das „tiefe Vertrauen auf Gottes Wirklichkeit“.

Unbestritten ist die Kirche aufgefordert, in der jetzt wieder einmal anstehenden öffentlichen Debatte über Sterbehilfe oder konkret den assistierten Suizid, selbstbewusst und kraftvoll ihre Stimme zu erheben – im Namen eines uneingeschränkten Schutzes des Lebens am Anfang wie am Ende, eines Lebens und Sterbens in Würde. Leidende und behinderte Menschen dürfen etwa durch gesetzliche Regelungen nicht unter Druck geraten, ihrem Umfeld nicht mehr zur Last fallen zu wollen. Und zurecht kritisiert man kirchlicherseits auch bestimmte Autonomievorstellungen, die in solchen Debatten eine wichtige Rolle spielen.

Unabhängig aber davon, wie man im Einzelnen zu der Position Küngs stehen mag, gerade auch bezüglich seiner Einlassungen gegenüber einem Leben mit Demenz – für die geforderte kirchliche Positionierung in dieser Debatte stellt Küng wertvolle Fragen, sollte seine theologisch gut begründete Argumentation zum intensiven Nachdenken anregen, auch als wichtiges Korrektiv angenommen werden:

Etwa seine Aversion gegenüber einem bestimmten christlichen Leidenspathos, sein tiefes Misstrauen gegenüber der Rede von einem gottgegebenen, gottverfügten Leiden. Zurecht setzt er auch Fragezeichen hinter eine allzu floskelhafte Rede vom Leben als einem für den Menschen unverfügbaren Geschenk Gottes. Selbstredend ist auch für Küng das Leben „Gnade Gottes“, dem Menschen geschenkt. „Aber zugleich ist das Leben – nach Gottes Willen – auch des Menschen Aufgabe. Es ist in unsere eigene (nicht in ein fremde!) verantwortliche Verfügung gegeben“ (109). Und das Dogma von der „Heiligkeit des Lebens“ dürfe nicht bis zur Unmenschlichkeit strapaziert werden.

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