In österreichischen Kirchenkreisen muss man Paul M. Zulehner mit Sicherheit nicht vorstellen. Aber auch in Deutschland ist der seit 2008 emeritierte Wiener Pastoraltheologe und Kirchensoziologe als umtriebiger Akteur und Impulsgeber im Leben der katholischen Kirche vielfach bekannt. Jetzt hat er, fast 75-jährig, eine Autobiographie vorgelegt, die die Lektüre durchweg lohnt. Zulehner nimmt in dem Buch kein Blatt vor dem Mund, weder was seine Kirche noch was sein privates Leben anbelangt, lässt die Jahrzehnte von der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer kinderreichen katholischen Familie über das Zweite Vatikanische Konzil (Zulehner wurde 1964 zum Priester geweiht) bis zum erhofften Neuaufbruch unter Papst Franziskus Revue passieren.
Für den Insider ist natürlich besonders Zulehners Blick auf die Irrungen und Wirrungen der katholischen Kirche in seinem Heimatland Österreich von Interesse, in die er oft an vorderster Front beratend und analysierend involviert war; durch seine Lehrtätigkeit in Passau war er auch mit diesem deutschen Bistum eng verbunden (er spricht vom „Passauer Pastoralbiotop“, 122). Darüber hinaus begleitete der begabte Netzwerker Zulehner auch die Entwicklung der katholischen Kirche in den ehemals kommunistischen Ländern (durch den zusammen mit Kardinal Franz König gegründeten Verein „Pastorales Forum“). Aber lesenswert sind auch seine ehrlichen Überlegungen dazu, wie ein dem Zölibat verpflichteter Priester mit Freundschaft und Liebe umgehen kann. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „freigebenden Lieben“: Nur in der eigenen erlittenen Erfahrung erschließe sich nach und nach, in einem Wechselspiel von Abstieg und Aufstehen, „dass es ein gangbarer Weg sein kann, der Frieden bringt und die Liebe weiterreifen lässt“ (260).
In seiner Autobiographie kommt auch Zulehners künstlerische Ader zum Vorschein. So gibt der Theologe, der auch gern einmal Dirigent geworden wäre, den Kapiteln des Buchs musikalische Bezeichnungen („Ouvertüre“, „Presto“, „Menuett“, „Lento“ und „Coda“), präsentiert an wichtigen Stellen eigene Gedichte und meditiert über Bilder. Das Buch, in dem Zulehner auch Einblick in seine eigene spirituelle Praxis gewährt, schließt mit „Orientierungen für den Kirchenumbau“ einerseits und einem Plädoyer für den „Respekt vor dem Reichtum an Lebensformen“ andererseits. Zum ersten Punkt formuliert er zusammenfassend: „Am Umbau der Kirchengestalt führt kein Weg vorbei. Wenn die Kirchengestalt bleibt, wie sie ist, wird die Kirche in unserer Kultur nicht bleiben“ (265). So ist es!