Es dürfte gegenwärtig wenig theologische Denker geben, die gleichermaßen wie Tomáš Halík kirchlich verwurzelt sind, dennoch radikal denken und dabei in der Lage sind, offene Fragen auszuhalten, ja geradezu die Unbehaustheit suchen.
Das hat nicht zuletzt mit der Biographie des tschechischen Priesters zu tun, der sich als Mitglied der Untergrundkirche seinerzeit in der DDR von Bischof Hugo Aufderbeck weihen ließ. Er arbeitete als Psychotherapeut; nicht einmal seine Mutter, mit der er zusammenlebte, durfte wissen, dass er Priester war.
In seiner Autobiographie berichtet er von seiner Kindheit in einem liberal-katholischen, bildungsbürgerlichen Elternhaus, seiner Annäherung an den Glauben und die Erfahrungen der unterdrückten Kirchen in den Zeiten des Kommunismus, sowie vor allem über die vielen Begegnungen mit anderen prominenten Figuren (nicht zuletzt mit Václav Havel) im heutigen Tschechien, in westeuropäischen Universitätsstädten oder in Rom. In der Folge wurde er neben seinen kirchlichen Aufgaben, etwa als Sekretär der Bischofskonferenz oder als Präsident der Christlichen Akademie in Prag, selbst zu einem der wichtigsten Intellektuellen des Landes. Im Mai dieses Jahres hat er den renommierten und mit 1,3 Millionen Euro dotierten Preis der Londoner Templeton-Stiftung für das Jahr 2014 für seine Verdienste im Dialog zwischen den Religionen mit den Nichtgläubigen erhalten.
Der Band liest sich stellenweise geradezu spannend, erst im letzten Teil wirken die Berichte jüngerer Reisen hier und da aufgelistet. In jedem Fall aber wird durch dieses Buch die Kirchen- wie die Zeitgeschichte an der Grenze zwischen Ost und West plastisch, angefangen mit der unmittelbaren Nachkriegszeit, vor allem aber natürlich in der Zeit in den Jahren vor und nach der Wende. Viel wird deutlich über das „Experiment einer totalen Atheisierung der Gesellschaft“ in der damaligen Tschechoslowakei, das Tschechien auch heute prägt – wobei der Antiklerikalismus oft genug Äußerung einer bestimmten „Hassliebe“ ist. Das sei die Folge hoher Ansprüche an die Kirche, unbewusst gebliebener Ausdruck einer fast schon unrealistischen Erwartung, die enttäuscht werden musste, kommentiert Halík.
Zugleich ist der Band ein bewegendes Zeugnis dafür, wie es gelingen kann, auch angesichts denkbar widriger Umstände, den christlichen Glauben zu leben – in großer innerer Freiheit und ohne alle Verhärtungen. Halík gibt unumwunden zu, dass er sich weder in einem traditionellen katholischen Umfeld, in dem Religion eine Selbstverständlichkeit ist, nicht wohlfühlen würde. „Gottes Handschrift erkennen wir an seiner unendlichen Großzügigkeit, an seinem unbegreiflichen Vertrauen in unsere Freiheit“, lautet einer der Schlüsselsätze. Die Konsequenz, mit der er diese Überzeugung lebt, macht den Reiz dieser Autobiographie aus.