Ein Gespräch mit dem Magdeburger Bischof Gerhard Feige„Wir spielen in einer anderen Liga“

Im Zentrum der „Zukunftsbilder 2019“, die gerade im Bistum Magdeburg diskutiert werden, steht der Anspruch, dass sich Katholiken und Katholikinnen immer mehr als „schöpferische Minderheit“ verstehen wollen. Wie hat sich die religiös-pastorale Situation in den Bistümern Ostdeutschlands in den letzten 25 Jahren seit der Wende verändert und wo stehen die ostdeutschen Bistümer innerhalb der deutschen Ortskirche überhaupt? Darüber sprachen wir mit dem Bischof von Magdeburg, Gerhard Feige, der auch Ökumene-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist. Die Fragen stellte Alexander Foitzik.

Ein Gespräch mit dem Magdeburger Bischof Gerhard Feige: „Wir spielen in einer anderen Liga“
© Bistum Magdeburg

HK: Herr Bischof Dr. Feige, das Jahr 2014 ist für das „moderne“ Bistum Magdeburg ein besonderes Jahr, Sie feiern 20-jähriges Bestehen. Zugleich hält man in Deutschland Rückblick auf die Wende oder die „friedliche Revolution“ vor 25 Jahren. Wie hat sich die religiös-pastorale Situation in den Bistümern Ostdeutschlands in den letzten 25 Jahren verändert, welche Erwartungen haben sich erfüllt, welche Befürchtungen bewahrheitet?

Feige: Die ersten Jahre nach der friedlichen Revolution habe ich noch in Erfurt zugebracht, zuletzt als Professor am „Philosophisch-Theologischen Studium“, der heutigen Theologischen Fakultät. 1999 kam ich nach Magdeburg, erst als Weihbischof, dann war ich Diözesanadministrator und seit 2005 bin ich Bischof. Es gab nach der Wende einige, die erwartet haben, dass sich jetzt wieder viele in unserer Gegend dem Christentum zuwenden würden. Im Laufe der Zeit aber breitete sich Ernüchterung aus, weil man mitbekam, wie klein die Zahl der Christen hier geworden war. Das hat auch die evangelische Kirche in dieser Dimension nicht im Blick gehabt. Dazu kam nach Wende und Wiedervereinigung noch einmal eine große Austrittswelle: Viele wurden über die Kirchensteuer und die offiziellen Meldeämter plötzlich damit konfrontiert, dass sie eigentlich getauft sind, und haben schnell unter ihre Kirchenzugehörigkeit einen Schlussstrich gezogen, weil sie sich mit der Kirche überhaupt nicht verbunden fühlten. Heute leben hier in der Region über 80 Prozent Konfessions- beziehungsweise Religionslose, die mit den unterschiedlichsten Begriffen bedacht werden: religiös unmusikalisch, religionsresistent, religiös naturbelassen oder auch gottlos glücklich. In jedem Fall ist es schon eine eigenartige Situation.

HK: Haben Sie persönlich keine solchen Erwartungen gehabt, dass es zu einer religiösen Renaissance, womöglich einer Rechristianisierung des Ostens kommen könnte?

Feige: Nein, daran konnte ich schon 1989 nicht glauben, dass wir beispielsweise eine Bekehrungswelle im Osten erleben werden. Dafür waren die Jahrzehnte davor zu prägend. Und diese Religionslosigkeit hier lässt sich auch nicht nur monokausal durch die kommunistische Phase erklären.

HK: Es gab Erwartungen, aber umgekehrt auch Befürchtungen, dass man die neuen Chancen für die Kirche übersieht, nicht angemessen nutzt. Haben sich denn diese Befürchtungen bewahrheitet?

Feige: In der ersten Zeit konnte man gar nicht so viele grundsätzliche Überlegungen anstellen, weil wir durch die ganzen Umstellungen enorm herausgefordert waren. Ich bezeichne diese Zeit im Nachhinein als Aufbau- und Abenteuerphase. Wir mussten unser Leben völlig umstellen, persönlich und in der Kirche auch. Da sind am Anfang sicher auch manche Entscheidungen sehr schnell getroffen worden, die uns heute zum Teil auch zu schaffen machen. Wichtig war es, uns rasch in den Regelungen der alten Bundesrepublik zurechtzufinden. Für die Magdeburger Ortskirche galt es außerdem zu entscheiden, ob wir wieder direkt zum Erzbistum Paderborn, das für uns seit 1821 zuständig war, dazugehören oder ob wir ein eigenständiges Bistum werden wollen. Am Ende eines intensiven Kommunikations- und Entscheidungsprozesses hat sich eine deutliche Mehrheit für die Eigenständigkeit entschieden. 1994 wurde dann Magdeburg als neues Bistum errichtet. Ähnliches geschah mit Erfurt und – etwas anders begründet – auch mit Görlitz.

HK: War das im Rückblick die richtige Entscheidung?

Feige: Ich meine schon. Es war keine Entscheidung gegen Paderborn, sondern für Magdeburg. Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall und 20 Jahre nach Errichtung des Bistums ist unsere Situation immer noch so besonders, dass es gut ist, wenn wir auch pastoral eigene Entscheidungen treffen können. Andererseits haben wir sofort mit Paderborn einen Partnerschaftsvertrag geschlossen und bleiben auch weiterhin im Gespräch. Aber es zeigt sich eben, dass wir uns immer noch oder heute womöglich noch stärker in einer sehr eigenen Situation befinden.

„Wir haben in der DDR wie in einer Parallelgesellschaft gelebt“

HK: Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke hat einmal gesagt, man müsse in den Bistümern Ostdeutschlands lernen, das „Evangelium auf Mitteldeutsch“ zu buchstabieren. Ist das gelungen?

Feige: Einfache Lösungen gibt es nicht, aber wir versuchen, unsere Rolle in dieser Gesellschaft zu finden. Im Bistum Magdeburg hat es schon unter meinem Vorgänger Leo Nowak dazu ein Pastorales Zukunftsgespräch gegeben, von 2000 bis 2004: Welche Aufgabe haben wir als katholische Kirche, nicht in Bayern, nicht im Rheinland, sondern hier in dieser Region? Gerade diskutieren wir bei uns über so genannte „Zukunftsbilder 2019“; in diesem Jahr wird unser Bistum 25 Jahre alt. Im Zentrum dieser Zukunftsbilder steht der Anspruch, dass wir uns immer mehr als „schöpferische Minderheit“ verstehen, in ökumenischem Geist und in Kooperation mit anderen. Das ist eine Vorstellung, die in westlichen Diözesen nicht ohne weiteres übernommen werden könnte, denn schon der Begriff der Minderheit ist ja dort falsch.

HK: Minderheit klingt im Westen auch eher nach Schreckensszenario als nach Zukunftsbild…

Feige: Für uns ist Minderheit ein hoffnungsvoller Begriff, der bereits mit Wirklichkeit angefüllt ist. Wir erfahren jetzt schon, dass das Selbstverständnis als „schöpferische Minderheit“ die Möglichkeit eröffnet, unverkrampft das Evangelium zu leben und zu verkündigen.

HK: Haben Sie dabei auch mit so etwas wie DDR-Nostalgie auf katholisch zu kämpfen? Stößt man noch auf Mentalitäten, die eher das zurückgezogene Katakomben-Christentum leben möchten?

Feige: Wir kommen aus einer Zeit, in der die katholische Kirche kaum öffentlich wirken konnte. Mit einem aktuellen Begriff würde ich sagen, dass wir in der DDR wie in einer Parallelgesellschaft gelebt haben. Aus dieser Rolle müssen wir heraus, und teilweise ist das schon gelungen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, und das stellt für uns eine Herausforderung dar. Wir dürfen uns nicht zurückziehen und abkapseln, wir haben einen Auftrag für die Welt. Für mich kommt dieses besonders gut in zwei Bildern zum Ausdruck. Karl Rahner hat gemahnt, Kirche ist kein Ofen, der sich selber wärmt. Von dem evangelischen Theologen Heinz Zahrnt stammt das Diktum, Kirche ist keine Thermoskanne, nach innen warm, nach außen kalt.

HK: Wo ist dieser Weg in die Öffentlichkeit seit 1989/90 am besten gelungen?

Feige: Einmal gab es die vielen Katholiken, die sich sofort nach der Wende in der Politik engagiert haben. Zum anderen war mein Vorgänger Leo Nowak beispielsweise so mutig, drei katholische Gymnasien und vier katholische Grundschulen zu gründen, später kam noch eine Sekundarschule dazu. Im Bereich der Bildung erreichen wir so etwa 3000 Schülerinnen und Schüler. Dabei versuchen wir nicht, aggressiv zu missionieren, sondern mühen uns, das christliche Menschenbild zu vermitteln und zu leben. Dazu kommen viele sozialkaritative Einrichtungen, die das Bistum unterhält. Die Akademie des Bistums kooperiert mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen. Anfang des Jahres haben wir die Flüchtlingshilfe Sachsen-Anhalt gegründet, eine offene Initiative der katholischen Kirche, in Absprache mit dem Innenministerium, der Landes-Integrationsbeauftragten und dem Landesnetzwerk für Migranten.

„Wir gelten als katholische Kirche immer noch als Exoten“

HK: Bedeutet, schöpferische Minderheit sein zu wollen, nicht doch auch eine hohe Belastung oder auch Überlastung bei so knappen finanziellen Mitteln, wenigen Haupt- und Ehrenamtlichen?

Feige: Für mich steht dieser Begriff eher für die Überzeugung, unter sehr unterschiedlichen Bedingungen Christsein leben zu können. Auch wenn wir uns zukünftig noch mehr einschränken müssen als heute, können wir trotzdem – im Bild des Evangeliums gesprochen – Sauerteig sein oder Salz der Erde. Das ist keine Überforderung. Es geht darum, mit unseren geringen Möglichkeiten zu wirken und diese nicht für uns zurückzubehalten.

HK: Wie hat sich in den letzten 25 Jahren der Blick von außen auf die Kirche verändert?

Feige: Da lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden. In der Anfangszeit gab es Befürchtungen nach dem Motto: Erst haben uns die Roten beherrscht und jetzt kommen die Schwarzen – gerade im Zusammenhang mit den Schulgründungen oder auch dem Versuch katholischer Verbände aus dem Westen, im Osten wieder Fuß zu fassen. Zeitweise gab es ja sogar drei katholische Ministerpräsidenten in Ostdeutschland, und auch in den Landesministerien kamen viele katholische Mitarbeiter aus dem Rheinland oder anderen westlichen Gebieten. All das hat im Übrigen auch ökumenische Irritationen ausgelöst. Es klingt kurios und ist heute nicht mehr vorstellbar, aber manche glaubten tatsächlich, dass eine Art katholische Gegenreformation im Gange ist, womöglich sogar gesteuert aus Rom.

HK: Wie stellt sich die Lage heute dar?

Feige: Wir gelten als katholische Kirche zwar immer noch als Exoten und leben in dieser Region gewissermaßen in einer doppelten Diaspora: als Christen insgesamt schon in der Minderheit und darunter als Katholiken dann noch einmal in einer Minderheit. Aber ich glaube, dass wir heute vielfach auch als eine kreative Körperschaft wahrgenommen werden. Dabei kommen wir jedoch verhältnismäßig wenig in der Öffentlichkeit vor, spielen wir vor allem medial keine große Rolle. Die hiesigen Medien gehen zumeist davon aus, dass es bei 80 Prozent Nichtchristen kein größeres Interesse an den Kirchen geben kann. Aber auch die katholischen Medien im Westen inter­essieren sich kaum für uns, weil wir offenbar zu unbedeutend, zu klein, zu wenige sind.

HK: Worin unterscheiden sich die Herausforderungen, vor denen die Bistümer im Osten Deutschlands stehen, von denen der westlichen Diözesen? Gibt es da selbst zu anderen westlichen Diaspora-Bistümern Unterschiede?

Feige: Der Hauptunterschied liegt eben in dieser speziellen gesellschaftlichen Situation der Konfessions- und Religionslosigkeit. Kürzlich hat ein renommiertes religionssoziologisches Institut in den USA eine Studie veröffentlicht, in der es hieß, im weltweiten Vergleich finde sich in Ostdeutschland am wenigsten Glaube und Religion. Innerhalb der Bischofskonferenz mache ich oft die Erfahrung, dass viele meiner Mitbrüder um unsere besondere Lage durchaus wissen, sich auch wirklich für unsere Situation interessieren. Letztlich aber können sie doch nur sehr schwer abschätzen, welche Folgen sich daraus für die einzelnen Bereiche des kirchlichen Lebens ergeben.

HK: Wo sind diese Folgen am deutlichsten spürbar?

Feige: Nehmen Sie das Beispiel des katholischen Religionsunterrichts in der Schule. Im Prinzip ist dieser bei uns mehr oder weniger zusammengebrochen. Es gibt ihn nur noch an wenigen Schulen, außer natürlich an katholischen Schulen. Wir können zumeist gar nicht mehr die Zahl an Schülern aufbringen, die vom Ministerium vorgeschrieben ist, damit ein eigenständiger Unterricht erfolgen kann. Entsprechend gibt es jetzt in Sachsen-Anhalt die auch rechtlich abgeklärte Regelung, dass neben Ethik das Angebot eines christlichen Religionsunterrichts pro Schule reicht, damit dem Gesetz genüge getan wird. Die katholischen Kinder und Jugendlichen müssen sich dann oftmals entscheiden, ob sie am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen oder am Ethikunterricht. Einen deutlichen Unterschied zwischen Ost und West gibt es auch bei der demographischen Entwicklung.

HK: Mit dieser ringt man doch auch in einigen Regionen in Westdeutschland…

Feige: Sicherlich, aber hier im Osten ist noch kein Ende abzusehen, trotz aller politischen Versuche, die Entwicklung zu stoppen. Die Überalterung schreitet massiv voran und die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen verlassen ohne jedes Zögern Sachsen-Anhalt, gehen nach Westdeutschland oder auch ins Ausland und kommen oftmals nicht mehr zurück. Egal, wo ich im Bistum mit Eltern, aber auch Jugendlichen spreche, bekomme ich dies sehr häufig zu hören.

„Wir wollen nicht als Unglücksfall der Geschichte betrachtet werden“

HK: Was würden Sie sich in dieser besonderen Situation von Ihren Mitbrüdern im Westen wünschen?

Feige: Mehr Verständnis dafür, dass wir in einer anderen Liga spielen, in einer niedrigeren Klasse als die anderen Bistümer. Was sich viele westliche Diözesen ganz selbstverständlich leisten können, personell wie finanziell, ist hier einfach nicht möglich. Wir haben im Bistum Magdeburg mit der Zusammenlegung von Pfarreien massive Umstrukturierungen hinter uns. 2010 habe ich nach einem intensiven Kommunikationsprozess 44 neue Pfarreien errichtet; das ist immer noch viel für unsere Verhältnisse. Nun aber wollen wir nicht einfach nur die nächste Reform vornehmen, in der die Pfarreigrenzen noch weiter gezogen werden. Die Pfarrei Stendal ist ja beispielsweise schon so groß wie das ganze Saarland. Wenn wir aber bei den 44 Pfarreien bleiben wollen, können wir jetzt schon die erste Pfarrei nicht mehr mit einem kanonischen Pfarrer besetzen. Da sind wir den anderen Diözesen in Deutschland wohl schon ein paar Schritte voraus. Und es wird nicht bei der einen Pfarrei bleiben. Entsprechend suchen wir intensiv nach Lösungen, wie wir trotzdem vor allem das Leben in den Pfarreien erhalten können.

HK: Planen Sie konkret Gemeindeleitung durch Laien?

Feige: Das Bistum Magdeburg unterhält sehr gute Kontakte zu seiner französischen Partnerdiözese Châlons in der Champagne. Wir besuchen einander und lernen voneinander. Die ostdeutsche und die französische Situation gleichen sich viel eher als die ostdeutsche und die süddeutsche. Natürlich können wir nicht alles einfach eins zu eins übernehmen, und uns geht es im Vergleich zur Diözese Châlons auch noch wesentlich besser. So haben wir beispielsweise deutlich mehr Hauptamtliche. Aber inspiriert von dort, überlegen wir, wie die Leitung einer Pfarrei auf mehrere Schultern verteilt werden kann. Wir wollen nicht einfach einen Laien in die Rolle des Pfarrers drängen. Aber vor uns liegt da noch ein langer Prozess, im intensiven Austausch mit der betroffenen Pfarrei.

HK: Sollte man entsprechend in den westdeutschen Bistümern von den ostdeutschen Diözesen ebenso lernen wie diese von den Erfahrungen in Frankreich profitieren können?

Feige: Da bin ich sehr zurückhaltend, vielleicht können wir uns gegenseitig bereichern, anregen – das spüre ich etwa in den Kontakten zu unserem Nachbarbistum Hildesheim. Dieses lebt ja auch in einer Diasporasituation, verglichen mit uns ist diese allerdings noch etwas luxuriöser. Aber die ostdeutsche Kirche ist kein Ideal, kein Vorbild, das man anderen vorhalten muss. Ich wünsche mir nur, dass wir umgekehrt nicht als Unglücksfall der Geschichte betrachtet werden, sondern als eine Form von Normalität innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Weltweit gesehen befinden sich die Ortskirchen ja allesamt in sehr unterschiedlichen Situationen, und es lässt sich eigentlich keine Form benennen, wie katholische Kirche überall zu sein hat. Tatsache aber ist auch, dass es künftig immer schwieriger werden wird, gemeinsame Regelungen zu finden, die für die Kirche in ganz Deutschland passen.

HK: Nach fast zweijähriger Vakanz ist jetzt der Mainzer Weihbischof Ulrich Neymeyr als Bischof für die Diözese Erfurt ernannt. Als vor wenigen Monaten der Berliner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woekli nach nur drei Amtsjahren das Erzbistum wieder verließ, um nach einer nur halbjährigen Vakanz das Erzbistum Köln zu übernehmen, haben Sie öffentlich einen gewissen Unmut geäußert…

Feige: Damit war ich nicht allein. Auch bei anderen entstand der Eindruck, dass es offenbar wichtige und unwichtige Bistümer in Deutschland gibt. Wir sind nicht in ostalgisches Jammern verfallen, aber es herrschte schon ein gewisses Unverständnis. Und für die Diözese Erfurt war die Vakanz ziemlich belastend, auch wenn der Diözesanadministrator, Weihbischof Reinhard Hauke, diese Zeit sehr gut überbrückt hat.

HK: Was bedeutete die lange Vakanz und der rasche Wechsel in Berlin für die anderen Bischöfe in Ostdeutschland?

Feige: Zu DDR-Zeiten waren die ostdeutschen Bischöfe sehr aufeinander verwiesen. Inzwischen gehört das östliche Gebiet nun zu drei verschiedenen Kirchenprovinzen: Dresden-Meißen und Görlitz zu Berlin, Magdeburg und Erfurt zu Paderborn, das Schweriner Gebiet zum Erzbistum Hamburg. Dadurch sind auch die Interessen der ostdeutschen Bistümer unterschiedlich ausgerichtet. Aber wir – das heißt die jeweiligen Verantwortlichen – sind im Gespräch geblieben, weil wir eben doch auch gemeinsame Probleme haben und beispielsweise auch gemeinsam Träger von einigen kirchlichen Einrichtungen sind. Solange die alten Bischöfe da waren, die in der DDR groß geworden sind und den ganzen Hintergrund kannten, war das noch eine andere Art, miteinander zu überlegen und zu entscheiden. Binnen kurzer Zeit wurde ich dann vom dienstjüngsten zum dienstältesten Bischof in Ostdeutschland. Wenn dann auch noch zeitweise zwei Bischofsstühle gar nicht besetzt sind, neue Bischöfe kommen, dauert es eine Weile, bis man sich wieder gefunden hat. Es ist eine gewisse Unruhe und Unsicherheit entstanden, auch was längerfristige strategische Überlegungen für die Kirche in Ostdeutschland angeht.

„Wir sind durch die spezielle gesellschaftliche Situation gemeinsam herausgefordert“

HK: Sie sind der Ökumene-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz. Prädestinieren die Erfahrungen in der doppelten Diaspora besonders für dieses Amt?

Feige: Schon seit meiner Jugendzeit habe ich sehr intensive ökumenische Erfahrungen gemacht. Das hängt entscheidend mit dem Zweiten Vatikanum und dem Aufbruch der Ökumenischen Bewegung innerhalb der katholischen Kirche zusammen. Aber auch meine theologische Ausbildung in Erfurt hat mich hier sehr geprägt, denn interessanterweise gehörten schon damals, von 1971 bis 1976, zum Diplomstudiengang zwei Semesterpflichtstunden in Ökumenischer Theologie, eine davon durch evangelische Gastprofessoren abgedeckt; das gibt es an vielen universitären Einrichtungen in Westdeutschland bis heute nicht. Auch im Bistum Magdeburg selbst leben wir schon jahrzehntelang eine recht intensive und gute Ökumene, und das nicht nur an der so genannten Basis. Wir haben auch ein vertrauensvolles Verhältnis auf der Leitungsebene. Dazu gehört zum Beispiel, dass seit einigen Jahren alle katholischen Gemeinden Magdeburgs das Fronleichnamsfest im evangelischen Dom feiern können. Und auch in anderen Gemeinden gibt es manche wechselseitige ökumenische Amtshilfe.

HK: Was ist das Besondere dieser ostdeutschen Ökumene?

Feige: Wir sind durch die spezielle gesellschaftliche Situation gemeinsam herausgefordert. Darum lautet unsere Frage nicht, wie können wir uns profilieren, womöglich noch gegeneinander, sondern, wie kann es gelingen, das Evangelium den religiös Unmusikalischen und Suchenden nahezubringen. Natürlich gibt es auch Probleme, nicht alles ist ideal, aber wir befinden uns in einem konstruktiven und wohlwollenden Gespräch.

HK: Die evangelische Kirche in Deutschland feiert in drei Jahren das Reformationsjubiläum. Wie soll sich die katholische Kirche an diesem beteiligen, und wie bereiten Sie sich in Sachsen-Anhalt auf das Jahr 2017 vor?

Feige: Verschiedene Vorbereitungen laufen ja schon: Vor wenigen Wochen hat zum Beispiel in Erfurt ein katholisches Luther-Symposion unter Beteiligung evangelischer Partner stattgefunden. Zudem bereitet die Ökumene-Kommission eine Publikation vor, in der noch einmal wesentliche Aussagen zur Ökumene gesammelt werden: vom Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanums bis zur Enzyklika „Ut unum sint“ von Johannes Paul II., auch bedenkenswerte Texte aus dem katholisch-lutherischen Dialog sind dabei. In Sachsen-Anhalt hat die evangelische Seite signalisiert, dass sie an der Beteiligung von Katholiken schon bei der Vorbereitung sehr interessiert ist. Und auch wir haben bekräftigt, dass wir uns konstruktiv an diesem Ereignis beteiligen wollen. Auf der Ebene zwischen der EKD und der Bischofskonferenz müssen wir noch die grundsätzliche Frage klären, was eigentlich gefeiert wird. Das klingt harmlos, ist aber wichtig. Schließlich feiert man ja wohl nicht den 500. Geburtstag der evangelischen Kirche, auch nicht die Spaltung, und der Thesenanschlag bietet historisch nur einen kleinen Anlass.

HK: Wo sehen Sie einen gemeinsamen Zugang zu dem Reformationsgedenken?

Feige: Mir ist dabei dreierlei wichtig: Erstens verbindet uns mehr als uns voneinander trennt. Über diese Erkenntnis als Frucht tiefschürfender Dialoge dürfen wir uns freuen. Dann ist es die Besinnung auf Christus. So gibt es ja den Vorschlag, man könnte gemeinsam ein „Christusfest“ begehen – das würde sicher auch dem Anliegen Luthers gerecht. Drittens erinnert uns die Reformation daran, dass die Kirche „semper reformanda“ ist. Weder die katholische noch die evangelische Kirche stellt gegenwärtig das Ideal dar. Wir müssen uns alle ändern, uns neu auf den Weg machen, um eine sichtbare Einheit zu suchen und zu finden. In diesen drei Aspekten sehe ich eine gute Grundlage, um auch miteinander feiern zu können.

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