Benedikt von Nursia hat keinen Orden gegründet. Ihm würde es auch schwer fallen, sich als Vertreter einer bestimmten Richtung von Spiritualität definieren zu müssen. Sein Lebenswerk bestand schlicht darin, die christliche Lebenstradition der ersten fünf Jahrhunderte für sein eigenes Leben fruchtbar zu machen und an andere weiterzugeben. Die von ihm gesammelten und auf eigene Weise transponierten Anleitungen zum geistlichen Leben in Gemeinschaft entfalteten über die Jahrhunderte eine solche Wirkung, dass Benedikt als Vater des abendländischen Mönchtums gilt und von Papst Paul VI. 1964 zum Patron Europas ernannt wurde.
Weltweit leben derzeit ungefähr 13 800 Benediktinerinnen in 800 Gemeinschaften und 6600 Benediktiner in 400 Klöstern. In Deutschland gibt es über 800 Benediktinerinnen und 750 Benediktiner, in der Schweiz jeweils rund 200 Benediktinerinnen und Benediktiner, in Österreich 320 Benediktiner und 160 Benediktinerinnen.
Die Benediktinerinnen sind in 62 Kongregationen beziehungsweise Föderationen zusammengefasst; die Benediktiner vereinen sich in der Benediktinischen Konföderation, die aus 19 Kongregationen besteht. Der Abtprimas wird von den Benediktineräbten bei ihrem alle vier Jahre abgehaltenen Kongress in Rom gewählt. Er hat seinen Sitz in der Primatialabtei Sant’Anselmo auf dem römischen Aventin, wo sich auch die Benediktinerhochschule befindet und über 100 Professoren und Studenten eine internationale Gemeinschaft aus 40 Nationen bilden. Die Benediktinerinnenklöster sind in einer Vereinigung zusammengeschlossen, die seit 2001 CIB (Communio Internationalis Benedictinarum) genannt und ebenfalls vom Abtprimas vertreten wird.
Weltweit unterschiedliche Entwicklungen
Die Konföderation der männlichen Benediktinerklöster wurde 1893 von Papst Leo XIII. ins Dasein gerufen, daraufhin entstand erst Sant’Anselmo. In der Geschichte schlossen sich immer wieder Abteien zusammen, vor allem regional. Von einem Orden kann man aber erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sprechen – und selbst dadurch ist die Unabhängigkeit der einzelnen Klöster unantastbar geblieben. Es dürfte bezeichnend für die weltkirchliche Lage sein, dass die Kongregation der Missionsbenediktiner gegenwärtig der lebendigste Klosterverband im Benediktinerorden ist – auch innerhalb Deutschlands mit den Abteien St. Ottilien bei München und Münsterschwarzach bei Würzburg.
Bemerkenswert ist auch die Vitalität nordamerikanischer Klöster: Gegründet im 19. Jahrhundert von deutschen und Schweizer Abteien im Zuge der europäischen Auswanderungswellen und vor dem Hintergrund des Kulturkampfes, etablierten sich diese Neugründungen mit einer ansprechenden Verbindung von monastischem Leben, Seelsorge und Schulen beziehungsweise Universitäten mit einem erstaunlichen benediktinischen Profil; verglichen mit westeuropäischen Klöstern haben die meisten Niederlassungen in den USA viele Eintritte zu verzeichnen, die sich zu einem nicht geringen Teil aus Einwandererfamilien der jüngsten Zeit sowie Konvertiten zur katholischen Kirche speisen (für einen anschaulichen Überblick über die geographische Verteilung benediktinischer Häuser vgl. http://osb.fotonica.com).
In Europa sehen sich die meisten Klöster angesichts einer ungünstigen Altersstruktur mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre großen Häuser und vielfältigen Arbeitsfelder neu gestalten können. Während sich in Lateinamerika die – verglichen zur katholischen Bevölkerung – eher wenigen Klöster langsam weiterentwickeln, kommt es in Asien und Afrika mitunter zu einem rasant wachsenden Mönchtum. Nach den aufopfernden Pionierleistungen europäischer Missionare (etwa mit vielen Märtyrern in Südkorea) stellt es sich seit einigen Jahren der Herausforderung, ein spezifisch asiatisches und afrikanisches Klosterleben hervorzubringen (Sprache und Formen der Liturgie, Essen, Bauweise). So unterschiedlich die Situationen in den verschiedenen Kontinenten sind und die einzelnen Klöster bereits innerhalb einer Kongregation eine erhebliche Spannweite repräsentieren (man denke nur an Melk und das neue Europakloster Gut Aich im Hinblick auf Österreich): Die Benediktinerinnen und Benediktiner sehen sich vor die gemeinsame Aufgabe gestellt, neu aus dem Ursprung zu leben und aus ihrer bisherigen Entwicklung für die Zukunft zu lernen.
Wachstum aus dem Scheitern
Der heilige Benedikt wird oft gezeigt mit einem zerbrochenen Kelch, aus dem ein Schlangenkopf ragt. Diese Darstellung bezieht sich auf einen Tiefpunkt in seiner Biographie. Aufgewachsen an der Schwelle vom 5. zum 6. Jahrhundert im umbrischen Nursia, hat Benedikt seiner Studienstadt Rom den Rücken zugekehrt, da er dort seine Seele in Gefahr sah. Der Grundimpuls des Mönchtums ist immer der Rückzug aus dem geschäftigen Treiben der Zeit, um sich auf Gott zu konzentrieren – woraus sich dann ein neues Zentrum, eine Alternativkultur, ein „Anders-Ort“ herausbildet. Für Benedikt, der sein Studium oder zumindest seine Karriere in Rom abgebrochen hat, war dieser Ort Subiaco. In der Einöde östlich von Rom lebte er nach den Instruktionen des Mönches Romanus drei Jahre in einer Höhle.
Die Mönche von Vicovaro baten ihn, ihr Abt zu sein. Doch der junge Benedikt war ihnen zu streng. Sie lehnten sich gegen ihn auf und wollten ihn schließlich vergiften. Der Abt segnete den Kelch, der unter dem Zeichen des Kreuzes zersprang. Traurig verließ Benedikt diese Gemeinschaft. Er war gescheitert und sah wohl ein, dass er daran seinen Anteil hatte. So ging er wieder zurück in seine geliebte Einsamkeit, um das Geschehene zu verarbeiten. Dort wohnte er in sich selbst unter den Augen des Höchsten, lesen wir in seiner Vita. Habitare secum – die Aufgabe des Mönchs: im Angesicht Gottes bei sich selbst zu sein.
In Subiaco stand Benedikt mehreren Gemeinschaften vor, war aber weiterhin inneren und äußeren Anfechtungen ausgesetzt. Ein Priester der Gegend ist auf den Gottesmann und seine Anziehungskraft eifersüchtig und mobbt Benedikt. Dieser zieht mit einigen Mönchen auf den Monte Cassino zwischen Rom und Neapel. Die Tradition gibt das Jahr 529 für die Klostergründung an – wohl eine Vordatierung, um Benedikt als Weisen einer neuen Zeit zu stilisieren, nachdem in diesem Jahr die von Platon gegründete Philosophenschule von Athen geschlossen wurde. Die auf dem Monte Cassino entstandene Regel zeichnet sich durch das gute Maß und die Barmherzigkeit aus, ohne das Kloster in der Mittelmäßigkeit und Gleichgültigkeit verkommen zu lassen. Benedikt trägt dem Abt auf, sich seiner eigenen Wunden bewusst zu sein, als guter Arzt heilend zu wirken und danach zu trachten, mehr geliebt als gefürchtet zu werden. Die Erfahrung seines eigenen Scheiterns wurde ein Segen für viele.
Bis ins hohe Alter blieb Benedikt ein Lernender. Seine Schwester Scholastika erwirkte kurz vor ihrem Tod vom Himmel einen Wolkenbruch, als ihr Bruder die Regeltreue über die Liebe stellte und sie verlassen wollte, um noch am Abend ins Kloster zurückzukehren. Scholastika vermochte mehr, weil sie mehr als Benedikt liebte, lesen wir in der Vita. Ebenso wenig wie der heilige Benedikt zeit seines Lebens perfekt war, entspringt auch seine Regel nicht nur aus seiner Feder. Das war auch gar nicht seine Absicht: Er wollte das Beste seiner Zeit in eine neue Fassung für ein erfüllendes asketisches Leben gießen. So bilden Bibelverse das Gerüst vieler Regelkapitel, auch übernimmt Benedikt einen guten Teil von Vorlagen aus monastischen Quellen. Originalität besteht für Benedikt nicht darin, gänzlich Neues zu schaffen, sondern Bewährtes für die Zukunft zu orchestrieren.
Bereits eine Generation nach seinem Tod wird Montecassino 577 von den Langobarden zerstört, und die Mönche Benedikts fliehen nach Rom. Dort verbreitet sich der Ruhm Benedikts und seine Regel. Papst Gregor der Große (gest. 604) verfasst in der Tradition christlicher Hagiographie die Lebensbeschreibung von Benedikt und wird zu einem bedeutenden Förderer und Impulsgeber für das Mönchtum, das sich im Westen zunehmend benediktinisch versteht. „Succisa virescit“ lautet der Wappenspruch des vier Mal zerstörten Montecassino – der gefällte Baum grünt wieder. Diese Erfahrung Benedikts und seiner Klöster durch die Zeit könnte auch uns heute angesichts sinkender Mitgliedszahlen und schwindender Kräfte in Europa helfen, eigene Maßstäbe des Erfolges zu hinterfragen, das Scheitern als Ruf nach Umkehr zu begreifen und auf einen anderen Wachstumsprozess zu setzen.
Gregor der Große bereitet theologisch und – etwa durch die Missionierung Englands durch Mönche – praktisch den Weg für die Verbindung von kontemplativem Klosterleben und apostolischer Tätigkeit. Die Arbeit nimmt schon bei Benedikt eine bedeutende Stellung ein – etwa im Unterschied zum über hundert Jahre älteren Mönchtum des Martin von Tours. Wie für das ägyptische Wüstenmönchtum ist auch für Benedikt die körperliche Arbeit unverzichtbar. Sie müssen alle Mönche verrichten, gleich welcher Herkunft. Emanzipatorisch wirkt Benedikt auch durch die Rangordnung im Kloster, die sich nach dem Eintrittsdatum und nicht nach der vorherigen weltlichen Stellung oder dem Alter zu richten hat.
Nicht von ungefähr setzen Reformbewegungen bis heute auf die körperliche Arbeit. Ihre Bedeutung für das Gemeinschaftsleben und die Demut des Einzelnen wird wieder neu erkannt. Freilich kann und soll sie nicht ohne weiteres an die Stelle von Arbeitsfeldern treten, die sich in einem Kloster etabliert haben. Bei den männlichen Gemeinschaften dominiert oft die pfarrliche und kategoriale Seelsorge, bei weiblichen und männlichen Häusern floriert gleicherweise der Gästebetrieb mit reichem Kursangebot und intensiver Einzelbetreuung. Viele Abteien haben Schulen. Insgesamt bilden benediktinische und zisterziensische Schulen derzeit 200 000 junge Menschen aus. So wie junge Mönche und Nonnen, Oblaten und Novizenmeister regional und überregional vernetzt sind, treffen sich auch Schulvertreter regelmäßig regional und weltweit (ICBE – International Conference on Benedictine Education).
Die Arbeit kann allerdings zur alles bestimmenden Größe werden. Eine Gemeinschaft erleidet in diesem Fall einen kollektiven burn out. Aufatmen und zur Ruhe kommen können dann im Kloster höchstens noch die Gäste; Mönche und Nonnen drehen sich wie im Hamsterrad und können gar nicht mehr aus der Betriebsamkeit aussteigen. Ist die Zukunft eines Klosters ungewiss, versuchen die verbliebenen Mitbrüder oder Mitschwestern verständlicherweise durch vermehrte Aktivität die Zukunft zu meistern. Achtsamkeit für das Unscheinbare und der Blick auf das Wesentliche kommen unter die Räder. Wäre es hier nicht angebracht, Angebote und Projekte aufzugeben, die offensichtlich ihre Zeit hatten und nur noch künstlich aufrechterhalten werden? Wo es gelingt, nicht nur zusätzlich etwas auf die Beine zu stellen, sondern auch Raum für Neues zu schaffen, stellt sich oft unvermutet eine neue Richtung ein, die in die Zukunft weist. Sich von herkömmlichen Traditionen und unhinterfragten Gewohnheiten zu trennen, könnte die Kompassnadel von einer allzu irdischen Gesinnung wieder neu auf eine geistliche Ausrichtung stellen.
Benediktinisches Mönchtum sieht das ganze Leben als Gottesdienst und wehrt sich dagegen, profan und sakral zu sehr voneinander zu scheiden. Deshalb ist das Motto ora et labora, das erst aus dem 19. Jahrhundert stammt, irreführend. Aussagekräftiger ist dieser Grundsatz aus der Benediktusregel: „Damit in allem Gott verherrlicht werde.“ Oft finden sich die Buchstaben U.I.O.G.D. (Ut in omnibus glorificetur Deus) an Klostergebäuden oder auf dem Briefpapier einer Abtei angebracht. Benedikt schrieb diese Worte übrigens im Kapitel über die Handwerker, und zwar nach der Anweisung, mit dem Preis der Klosterprodukte nicht zu wuchern.
Will man im Benediktinerorden besonders im Hinblick auf westeuropäische Klöster von Krise sprechen, so droht nicht so sehr der wirtschaftliche oder personelle Niedergang; existenzgefährdend sind vor allem eine geistige Trägheit und geistliche Fruchtlosigkeit. Abteien erhielten über die Jahrhunderte eine wichtige kirchliche, politische und wirtschaftliche Rolle, die sich leicht verselbständigen kann und mitunter nur schwer auf das spirituelle Erbe und seinen Auftrag auszurichten ist. So erstrahlt die eine oder andere Abtei in äußerem Glanz, das Kloster ist aber seelenlos geworden.
Lectio Divina, Kultur und Wissenschaft
Vielleicht ist es auch für Obere zuweilen einfacher, mit Bauunternehmen zu verhandeln und große Projekte zu starten, als sich der mühevollen Arbeit des Gemeinschaftsaufbaus zu widmen. Jedenfalls ist es ein Alarmsignal, wenn die meiste Zeit und Energie in den Räten wie den Zusammenkünften eines Konventes für wirtschaftliche Angelegenheiten und das äußere Management aufgewendet wird. Auch kann die Überlastung Einzelner Symptom einer geistlichen Schieflage sein. Durch Arbeit und Überarbeitung kann in der heutigen Zeit viel entschuldigt werden; in Klöstern manchmal sogar das leichtfertige Fernbleiben vom gemeinsamen Gebet.
Die Tagesstruktur ist ein benediktinisches Grundprinzip. Fixe Gebets- und Mahlzeiten geben den Takt vor, aus dem sich ein gesunder Rhythmus entwickeln kann. Hier entsteht ein Lebensstil mit einem Taktgefühl für das eigene und fremde Dasein vor Gott. Benedikts Proprium liegt darin, dass er dem Gebet seine fixe Zeit einräumt, ebenso dem gemeinsamen Essen mit Tischlesung, der Arbeit, aber auch dem Mittagsschlaf und dem absoluten Schweigen nach der Komplet. Dem Gottesdienst sei nichts vorzuziehen, mahnt Benedikt, denn Christus sollen die Mönche überhaupt nichts vorziehen. Deshalb lasse jeder beim Zeichen für das Gebet alles liegen stehen und liegen, um das opus Dei zu verrichten. Der Mönchsvater stellt eine Psalmenordnung auf, fügt aber hinzu, dass es jedem frei stehe, eine geeignetere Anordnung zu verfassen; im Rahmen der Reform des Stundengebets nach dem Zweiten Vatikanum hat auch jede Gemeinschaft zu einer ihr passenden Ausprägung des Chorgebets gefunden. Dies ist eine von vielen Stellen in der Regula Benedicti, die von ihrer Flexibilität zeugt und verstehen lässt, warum sie sich durchsetzte.
Die abendländische Vorrangstellung der Benediktusregel hatte freilich auch handfeste politische Gründe. Durch die Verpflichtung auf die Regel Benedikts wurde schon zur Zeit des Bonifatius (gest. 754) das fränkische Mönchtum vereinheitlicht. Daran war auch den karolingischen Herrschern gelegen, für deren politisches Wirken die Klöster und ihre Güter wichtig waren. Das Gebet für die Stifter war ab dieser Zeit eine vorrangige Aufgabe der Mönchsklöster. Karl der Große ließ sich denn auch eine Abschrift des Regeltextes aus Montecassino erstellen. Sein Sohn Ludwig der Fromme unterstützte den Reformabt Benedikt von Aniane (gest. 821), der nach Benedikt von Nursia und Gregor dem Großen als dritte Gründerfigur des Benediktinerordens gesehen werden kann. Gab es zuvor noch Mischregeln, so war nun die Benediktsregel allgemein verbindlich. Erst jetzt wurde ihre Psalmenordnung übernommen und der schwarze benediktinische Habit in der Form eingeführt, wie er heute noch üblich ist; Benedikt von Nursia hatte noch vorgesehen, es werde das Mönchsgewand aus Stoffen angefertigt, wie sie für die einfache Kleidung der Landbevölkerung typisch sind.
Das öffentliche Chorgebet einer großen Abtei war das Ergebnis der karolingischen Klosterreform. Die burgundische Abtei Cluny griff mit ihren vielen Tochterklöstern auf dieses Ideal zurück, das wiederum im 19. Jahrhundert Solesmes und Beuron in der monastischen Restauration als (idealisiertes) Vorbild diente. Feierliches Chorgebet, vielfältiges Handwerk und Studium waren über die Jahrhunderte Pfeiler des sich ständig erneuernden Mönchtums. Heute findet vieles von dem ein jähes Ende. Die entschiedenere monastische Lebensweise in Benediktinerinnenabteien liegt wohl in der stärkeren Konsequenz und Hingabe von Ordensfrauen, aber auch darin, dass sie nicht so stark ausgedünnt werden durch seelsorgliche Notwendigkeiten außer Haus.
Monastische Erneuerung ging und geht mit der Liebe zur geistigen Auseinandersetzung einher. Die Bedeutung der klösterlichen Bildung machte sich in der Neuzeit auch außerhalb der Benediktinerabteien bemerkbar: 1617 wurde die Benediktineruniversität Salzburg gegründet, an vielen Universitäten wirkten Benediktiner. Für die jüngste Zeit können genannt werden: im Alten Testament der Schweizer Notker Füglister (1931–1996) und aus dem Schottenstift in Wien Georg Braulik (geb. 1941), für die Liturgie Angelus Häußling (geb. 1932) aus Maria Laach sowie Elmar Salmann (geb. 1948), der zur Abtei Gerleve in Westfalen gehört, 30 Jahre in Rom lehrte und fächerübergreifend Systematische Theologie, Philosophie, Kunst, Literatur und Mystik ins Gespräch bringt. Diese Benediktiner stehen in der Wissenschaft exemplarisch für die Fortführung einer monastischen Theologie: Eine Kultur des Lesens und der Tag für Tag ausführlich gefeierte Gottesdienst befruchten eine Denkform, die durch den persönlichen Vollzug biblisch, liturgisch und weisheitlich ausgerichtet ist.
Während die universitäre Theologie allgemein bis in jüngste Zeit eine Männerdomäne war, sind die drei wichtigsten Forscher zur Regula Benedicti im deutschen Sprachraum Frauen: Michaela Puzicha (geb. 1945) aus der norddeutschen Abtei Varensell leitet das Institut für Benediktinische Studien in Salzburg, Aquinata Böckmann (geb. 1937) von den Bayrischen Tutzinger Missionsbenediktinerinnen lehrte lange am Monastischen Institut in Rom, wo nun Manuela Scheiba (geb. 1959) aus der Abtei Alexanderdorf bei Berlin ihre Nachfolgerin ist.
Obwohl noch nie so viel über Benedikt und seine Regel geschrieben und diskutiert wurde, ist aus benediktinischer Sicht ernüchternd, wie wenig die lectio divina das Leben deutschsprachiger Klöster erfasst. Das erweiterte Motto „ora et lege et labora“ stellt zurecht die Trias und Prioritätensetzung benediktinischer Existenz heraus: Gebet, Lesung, Arbeit. Benedikt sieht zwei bis drei Stunden der produktivsten Tageszeit für die heilige Lesung vor. Am Sonntag sollen die Mönche überhaupt frei sein für die Lesung, und nach dem Mittagessen kann sich jemand statt der Siesta dem Studium hingeben – leise, um die anderen nicht zu stören. In einem Benediktinerkloster nehmen bereits die gemeinsamen Gebets- und Essenzeiten mindestens vier Stunden täglich in Anspruch. Da liegt es nahe, das persönliche Gebet damit bewenden und für das meditierende Lesen keinen Raum mehr zu lassen. Hier könnte der Austausch mit anderen Ländern hilfreich sein: In einer chilenischen Klosterschule ist die lectio divina für Schüler ein riesiger Erfolg!
Gemeinschaft über das Kloster hinaus
Wer in ein Benediktinerkloster eintritt, verbindet sich mit einer konkreten Gemeinschaft. Deshalb geloben Benediktinerinnen und Benediktiner bei ihrer Profess neben dem klösterlichen Lebenswandel und dem Gehorsam auch die stabilitas in congregatione. Die oft zitierte stabilitas loci ist eine spätere Wortschöpfung. Benedikt geht es um die Beständigkeit in der Gemeinschaft: Jemand kann sinnvollerweise auf Reisen sein oder einem auswärtigen Auftrag nachgehen und dennoch mit der Gemeinschaft verbunden bleiben, während ein anderer immer zuhause hockt, aber in Wahrheit sein Herz woanders hat.
Die vita communis ist charakteristisch für das Kloster Benedikts. Viele seiner Impulse zielen auf das gelungene Gemeinschaftsleben: Der Abt soll der Eigenart vieler dienen, die Brüder mögen sich in gegenseitiger Achtung zuvorkommen und ihre Schwächen in unerschöpflicher Geduld ertragen. In Übereinstimmung mit der altkirchlichen Bußpraxis sieht er freilich auch Strafen und Konsequenzen für Fehlentwicklungen vor. Diese zeitbedingten Passagen seiner Regel ernten heute oft ein Lächeln; macht man sich aber nicht die Mühe, sie in die Gegenwart zu übersetzen, lässt sich eine Gemeinschaft ihre Regeln von Einzelnen zerstören oder sich gar von ihnen tyrannisieren.
Selbst traditionsreiche Benediktinerklöster haben nicht die Garantie zu überleben. Sie sind selbständig und weitestgehend unabhängig von anderen Klöstern und der Ortskirche. Dieses hohe Gut hat aber den Nachteil, dass sie dadurch auch auf sich gestellt sind und mit sich selbst zu Rande kommen müssen. Mitschwestern oder Mitbrüder können nicht ohne weiteres in andere Gemeinschaften versetzt werden – sei es um Probleme zu lösen oder Verstärkung zu gewähren. Hier müssen vielleicht neue Wege beschritten werden, die es in der Geschichte der Benediktiner auch immer wieder gab. Sonst läuft der Benediktinerorden Gefahr, in naher Zukunft bei Klosterschließungen anführen zu müssen: Todesursache Autonomie.
Die elf Mönche unterschiedlichen Alters der Abtei Siegburg haben ihr Kloster 2011 geschlossen und sind auseinander gegangen. In der nicht weit entfernten Innenstadt Kölns ist eine viel kleinere Fraternité Monastique de Jérusalem innerhalb weniger Jahre zum viel beachteten geistlichen Zentrum geworden. Benediktiner sollten sich von außen in Frage stellen lassen. Benedikt sieht ja die Gegenwart Gottes nicht nur im Abt und in jedem Bruder, sondern besonders in den Kranken, den Pilgern und Besuchern. Kommt ein Fremder und kritisiert er demütig die Lebensweise eines Klosters, soll der Abt laut Benedikt überlegen, ob ihn Gott nicht gerade deshalb geschickt hat. Die Offenheit gegenüber anderen zeichnet ja die Klöster aus: Menschen werden unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis aufgenommen und können sich beim Gebet einklinken, wie sie wollen. So atmet das Mönchtum die Freiheit eines kirchlichen Raumes, der nach innen hin Verbindlichkeit erfordert, nach außen hin aber nur durch Freiwilligkeit überzeugt.
Die momentan zu beobachtende gegensätzliche Entwicklung kann schließlich zu denken geben: Während es nur wenige Eintritte in Benediktinerklöster gibt (verglichen mit der Nachkriegszeit oder dem 19. Jahrhundert), ist das Interesse am Klosterleben gestiegen. Kurse über benediktinische Spiritualität boomen ebenso wie Bücher von Benediktinern: Anselm Grün, Abtprimas Notker Wolf, Emmanuel Jungclausen, David Steindl-Rast, Odilo Lechner oder Johannes Pausch haben aus ihrem benediktinischen Leben heraus offenbar der Kirche und der Welt etwas zu sagen. Vielleicht ist es ein Zeichen der Zeit, dass das Leben unter Regel und Abt Impulse für die gesamte Kirche, ja für ganz unterschiedliche Menschen auf der Suche nach einem bewussteren Leben bereithält.
Das Klosterleben gewinnt zunehmend an Bedeutung für Personen, die nicht die Gelübde im engeren Sinn suchen, sich aber in der einen oder anderen Form eng an das Kloster binden wollen, für eine gewisse Zeit oder für immer. Eine abgestufte Mitgliedschaft kannte das Mönchtum bereits in früheren Epochen – nun könnte dies seinen zeitgemäßen Ausdruck finden; freilich handelt es sich hier zunächst um Experimente, wie eine Gemeinschaft Kreise assoziierter Mitglieder geschlechtsübergreifend, von verschiedenen Lebensständen her oder auch ökumenisch einbeziehen kann. Immer wird es jedoch eine zölibatäre Kerngemeinschaft geben, die sich für das ganze Leben in einer Kommunität zusammenfindet, um verbunden mit anderen Klöstern das bewährte benediktinische Programm der Gottsuche in der jeweiligen Zeit umzusetzen.