Überall dort, wo sich die Endlichkeit des Menschen in den Vordergrund spielt, brechen klassisch religiöse Fragen auf – über deren Beantwortung damit noch nichts gesagt ist. Auf diese Weise wurden dreitausend Jahre Kulturgeschichte angeregt. Dass gerade diese Grenzverläufe zwischen dem beschränkten Leben und dem Tod als Schwelle, zwischen Reflexion und Religion auch für Philosophen zu den besonders interessanten Themen gehören, beweist dieser Band des emeritierten Philosophen Rainer Marten.
In einem Durchgang durch wirkmächtige mythische (etwa Pandora), religiöse (Paulus, Buddha und Muhammad), philosophische (Heidegger), theologische (Barth), aber auch literarische Zeugnisse (Kafka, Lessing) liegt ihm freilich vor allem daran, die Unbeantwortbarkeit der Frage nach der Endlichkeit des Menschen aufzuzeigen. Sie sei Ausdruck der schmerzlichen Tragik, dass der Mensch „zu keiner Zeit und an keinem Ort mit seinem poetischen Selbstentwurf zur Deckung gebracht werden kann“.
Angefangen von der biblischen Schöpfungserzählung und den sich daran anschließenden Fragen nach Erlösung, weist Marten immer wieder auf die Gefahr hin, den poetischen Charakter aller Erklärungsversuche zu verkennen. Die Behauptung, dass bereits die Herausforderung, das Leben bestehen, gestalten und weitergeben zu sollen, eine Strafe sei, führe sonst zu einer radikalen Entfremdung von sich selbst. Erst die künstlerische Gestaltung und poetische Ausdeutung verschaffe dem Menschen einen Lebensraum jenseits des in Alltag und Wissenschaft vorherrschenden Realitätssinns.
Todesangst sei im Grunde nicht die Angst vor dem Tod, sondern davor, dass die Endlichkeit des Lebens wahr sein könnte. Wo Religiosität hingegen glücke, bedeute sie eine „Stärkung der Lebensbefähigung“: Anstatt angesichts der Vergänglichkeit einfach auf Ewigkeit zu setzen, werde vielmehr die Entschiedenheit gestärkt, „im Leben affirmativ präsent zu sein“. Demgegenüber schließe die heute vielfach leitende Maxime „Leben, um länger zu leben“ aus, im und mit dem Leben an dessen Geheimnis zu rühren.
Das Buch erlaubt keine rasche Lektüre, mit seinem globalen Zuschnitt ist es hier und da notwendigerweise auch schematisch. Beschenkt wird der Leser dafür mit meditativen Gedankengängen, die durch den Akt des Lesens, auch im Widerspruch, zur Selbstreflexion stehen. Was immer man aber noch aus einer dezidiert theologischen Perspektive sagen wollte: Die Herausforderung bestünde darin, die Radikalität dieser religionsphilosophischen Einsichten nicht zu unterbieten.