Orthodoxe Christen bilden in Deutschland inzwischen nach der katholischen Kirche und den Gliedkirchen der EKD die größte christliche Glaubensgemeinschaft. Sie sind auch gelegentlich durch Gottesdienstübertragungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen präsent. Gleichzeitig ist auch bei religiös-kirchlich interessierten und engagierten Zeitgenossen das Wissen über die Orthodoxie im Regelfall höchst rudimentär. Deshalb sind Bücher wie der vorliegende Sammelband ausgesprochen hilfreich.
Er informiert sowohl über die einzelnen orthodoxen Kirchen (ohne die „altorientalischen“ Kirchen und die katholischen Ostkirchen) als auch allgemein über ihre Liturgie und Spiritualität, ihre Theologie und ihre ökumenischen Beziehungen (Johannes Oeldemann). Die Beiträge beschränken sich meist auf die Geschichte der verschiedenen orthodoxen Kirchen und sind dementsprechend mit Informationen zur heutigen Situation sehr sparsam. Erfreuliche Ausnahmen bilden hier die Kapitel über die bulgarische Orthodoxie (Julia Lis) und über die Orthodoxe Kirche von Albanien (Michael K. Prohazka).
Ein orthodoxer Theologe, der in Münster lehrende Assaad Elias Kattan, hat den interessanten Beitrag über die „Orthodoxe Theologie der Gegenwart und moderne Fragen“ beigesteuert. Kattan mahnt hier beispielsweise an, die orthodoxe Theologie müsse sich im Kontext der Postmoderne auf hermeneutische Fragen einlassen und es nicht bei einer „Apologie der Tradition“ (146) belassen. Er widmet sich auch der orthodoxen Diskussion über die Frauenordination: Weder Verfechter noch Kritiker der Frauenordination könnten es sich noch leisten, sich auf einen unkritischen Traditionsbegriff zu berufen. Schließlich thematisiert Kattan Ansätze orthodoxer Religionstheologie, mit dem Fazit: „In Anbetracht der Tatsache, dass orthodoxe Theologen in der Regel viel Wert auf das altkirchliche Dogma wie Trinitätslehre und Christologie legen, scheint die Frage, ob sich innerhalb der Orthodoxie eine Art pluralistische Religionstheologie, die alle Religionen als gleichwertige Wege zu Gott erachtet, überhaupt entwickeln kann, durchaus berechtigt“ (152).
Mitherausgeber Thomas Bremer beschäftigt sich mit der Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat beziehungsweise Kirche und Nation in den orthodoxen Kirchen und betont dabei, im Lauf der Geschichte hätten sich ganz unterschiedliche Modelle dazu entwickelt. Keines von ihnen sei dogmatisch vorgegeben, keines daher unveränderlich. Die Orthodoxie sei weder von ihrem Selbstverständnis noch von der Realität angemessen zu erfassen, wenn man sich in diesen Fragen von Vorurteilen lenken lasse.