Immer wieder, zuletzt ausgelöst durch die Ereignisse im Bistum Limburg, wird in der Öffentlichkeit der „Reichtum“ der Kirche in Deutschland skandalisiert. Menschen sind empört, wenn sie den Eindruck gewinnen, Geld würde verschwendet oder es würde intransparent über die Verwendung von Geld entschieden. Immerhin gibt es inzwischen ein deutlicheres Bemühen seitens der Bistümer, ihre Einnahmen und Vermögen offenzulegen und deren Verwendung besser zu kontrollieren und transparenter darzustellen.
Trotzdem erscheint es vielen Menschen angesichts der doch recht üppigen Finanzausstattung der Kirche schlicht unverständlich, warum auch noch der Staat zur Kirchenfinanzierung beiträgt, obwohl er hoch verschuldet ist und obwohl eine Reihe von Bundesländern durch die „Schuldenbremse“ zu teilweise schmerzhaften Sparmaßnahmen gezwungen sind und deshalb wichtige Zukunftsinvestitionen unterbleiben.
Die Kirchen – und hier soll vor allem von der katholischen Kirche die Rede sein – können sich angesichts dieser aufgeheizten Debatte nicht mehr allein auf Rechtsstandpunkte und bestehende Verträge zurückziehen. Diese haben an Überzeugungskraft und Akzeptanz verloren. Letztlich kann nur eine grundlegende sozialethische Rechtfertigung im demokratischen Prozess die Zustimmung erzeugen, die nötig ist, um die wichtigsten bisherigen Finanzierungsformen aufrechtzuerhalten. Schließlich kann eine saubere Unterscheidung der unterschiedlichen und unterschiedlich zu bewertenden staatlichen Leistungen zu mehr Rationalität in der Debatte beitragen.
Gleichzeitig ist jedoch klar, dass nicht alle Finanzströme auch in Zukunft so weiterfließen können wie bisher, weil sie massiv an Akzeptanz verloren haben. Ein freiwilliger Verzicht der Kirche auf die Staatsdotationen würde der Glaubwürdigkeit der Kirche gut tun und die zukünftige Sicherstellung der übrigen Finanzierungsformen erleichtern.
„Wenn die Kirche als reich unter den Reichen auftritt, leidet ihre Glaubwürdigkeit“
Zunächst muss man sich klar machen, was denn die Kirche selbst zum Umgang mit Reichtum sagt. Dazu gibt es durchaus eine Reihe bemerkenswerter Äußerungen aus der Tradition kirchlicher Sozialverkündigung, beispielsweise aus dem Schlussdokument der römischen Bischofssynode „De iustitia in mundo“ (1971): „Wenn die Kirche Zeugnis von der Gerechtigkeit ablegen soll, dann weiß sie sehr wohl, dass der, der öffentlich von der Gerechtigkeit zu sprechen wagt, zunächst selbst in den Augen der anderen gerecht sein muss. Wir müssen deshalb unser Tun, unseren Besitz und unser Leben in der Kirche überprüfen“(IM 41).
Wer bisherige Formen der Kirchenfinanzierung hinterfragt, kann sich deshalb auf Forderungen berufen, die die Kirche selbst an sich richtet: „So verschieden der Gebrauch der irdischen Güter auch sein mag, niemals darf er das evangelische Zeugnis, das die Kirche geben muss, ins Zwielicht geraten lassen. An diesem Grundsatz soll man auch die Privilegien abwägen, die man für manche Ämter und Würden aufrechterhalten zu müssen glaubt. (…) Die Kirche muss so leben und ihre Güter so verwalten, dass dadurch den Armen das Evangelium verkündet wird. Wenn dagegen die Kirche als reich unter den Reichen, als mächtig unter den Mächtigen auftritt, leidet ihre Glaubwürdigkeit“ (48).
Diese Aussagen des kirchlichen Lehramtes, die durch ähnliche Aussagen aus Sozialenzykliken, durch Zitate aus der viel diskutierten Freiburger Rede von Papst Benedikt XVI. und die Forderung von Papst Franziskus nach einer „armen Kirche für die Armen“ ergänzt werden könnten, verpflichten die Kirche um ihrer Glaubwürdigkeit willen auf Bescheidenheit, Zurückhaltung, Bereitschaft zum Verzicht und sicherlich größte Vorsicht in der Beanspruchung von Rechten und Privilegien.
Es gehört zur guten Tradition katholischer Sozialethik, bei ethischen Fragen zusätzlich zur Bezugnahme auf die eigene Denktradition auch allgemein-menschliche, vernünftige Gründe abzuwägen, also eine von den eigenen Traditionen unabhängige Perspektive zu berücksichtigen, weil nur so in ethischen Fragen ein Konsens mit Menschen anderer Religionen oder Weltanschauungen erreicht werden kann. Eine solche Vernunftethik verlangt, einen Gerechtigkeitsstandpunkt der Unparteilichkeit, der Fairness, des Absehens von eigenen Interessen und bislang verteidigten Positionen einzunehmen.
Philosophisch kann man diesen „moral point of view“ beispielsweise mit Hilfe der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls rekonstruieren. Daran orientiert muss man fragen: Welche Prinzipien würden sich für die Lösung des Problems einer gerechten staatlichen Religionsförderung ergeben, wenn wir uns vorstellten, alle Beteiligten versammelten sich in einem Urzustand, um einvernehmlich Prinzipien für die staatliche Religionsförderung einer zukünftigen Gesellschaft festzulegen, ohne dabei zu wissen („Schleier des Nichtwissens“), wer sie bei späterer Anwendung dieser Prinzipien sein würden, insbesondere ohne zu wissen, welcher Religion sie angehören würden?
Die Berufung auf Traditionsargumente ist problematisch
Für die staatliche Religionsfinanzierung ergibt sich aus einem solchen Gedankenexperiment, dass der Staat Religionsfreiheit achten und schützen muss, keine Religion diskriminieren darf, aber auch keine privilegieren darf, also in seinem Verhältnis zu den Religionen neutral zu bleiben hat. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil entsprechen diese beiden, voneinander nicht ablösbaren Prinzipien der Religionsfreiheit und der Neutralität des Staates ja auch katholischer Lehre.
Dies muss aber keine absolute Trennung oder ein striktes Kooperationsverbot bedeuten. Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Formen der Kooperation, auch Formen der Finanzierung darf es durchaus geben, solange sie mit einer Gleichbehandlung aller Religion(sgemeinschaft)en und auch einer Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne religiösem Bekenntnis verbunden sind. Das gilt auch hinsichtlich der Kriterien für einen bestimmten Rechtsstatus (beispielsweise die „Körperschaft des öffentlichen Rechts“).
Kriterien für eine etwaige staatliche Religionsfinanzierung müssen also für alle Religionen in gleicher Weise gelten und unparteiisch angewandt werden. Wo diese prinzipielle Gleichheit verletzt ist, ist staatliche Religionsförderung nicht mehr moralisch legitim, selbst wenn sie noch legal ist. Deshalb sind Traditionsargumente, also die Berufung auf die historische Bedeutung des Christentums in Deutschland, problematisch, weil sie das Christentum gegenüber anderen Religionen privilegieren. Dass aber das Christentum früher einmal eine prägende Monopolstellung in unserem Land hatte, ist sicherlich keine Rechtfertigung dafür, heute Menschen anderen Glaubens oder nicht-christliche Glaubensgemeinschaften zu benachteiligen. Auch die christlichen Kirchen können staatliche Religionsförderung glaubwürdig nur einfordern, wenn sie dies mit der Forderung nach Gerechtigkeit gegenüber allen hier und heute existierenden Religionsgemeinschaften und der wachsenden Zahl von Religionslosen verbinden.
Von diesen Grundsätzen her sind nun die Arten der Kirchenfinanzierung sozialethisch durchaus je unterschiedlich zu bewerten. Hier soll es um die „positiven Staatsleistungen“ gehen, bei denen tatsächlich Geld fließt, nicht um die „negativen Staatsleistungen“, also die Freistellungen von Gebühren, Abgaben oder Steuern, in deren Genuss freilich auch andere Religionsgemeinschaften und im Falle der Steuerbefreiung auch viele gemeinnützige Organisationen kommen, so dass man nicht von einer ungerechtfertigten Privilegierung sprechen kann.
Insgesamt am bedeutsamsten ist die Selbstfinanzierung der Kirchen. Hierzu gehören in geringerem Umfang die Spenden der Gläubigen oder Erträge aus Vermögen und Gewinne aus wirtschaftlicher Tätigkeit. Der größte Posten sind die Kirchensteuereinnahmen. Dass diese Kirchensteuern vom Staat eingetrieben werden, macht sie nicht zu Staatsleistungen. Sie werden bezahlt von den Gläubigen. Die Kirche entrichtet dem Staat für dessen Aufwand einen Anteil von zwischen 2 und 4 Prozent der Kirchensteuersumme.
Unter der Rücksicht der Forderung nach Neutralität des Staates ist dies solange unproblematisch, als die Möglichkeit der staatlichen Kirchensteuererhebung gegen Kostenerstattung prinzipiell allen Religionsgemeinschaften, die dieses Verfahren nutzen wollen, offensteht. Dass es hier zum Teil noch Probleme gibt, liegt vor allem daran, dass es manche Religionsgemeinschaften noch nicht geschafft haben, sich eine Organisationsform zu geben, die für ein solches Verfahren vorauszusetzen ist.
Die Gemeinwohlpflichten der Kirche
Quantitativ ebenfalls sehr bedeutsam sind die staatlichen Refinanzierungen von in kirchlicher Trägerschaft wahrgenommenen staatlichen Aufgaben, beispielsweise im Falle von Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern, kirchlichen Schulen und anderem. Dies ist der historischen Errungenschaft des Subsidiaritätsprinzips geschuldet, nach dem der Staat aus guten Gründen bei der Sicherung bestimmter staatlicher Leistungen nicht alles selbst macht, sondern auf zivilgesellschaftliche Kräfte vertraut, die er finanziell unterstützt, auch um eine Vielfalt an Trägern im sozialen Bereich oder im Bildungsbereich zu gewährleisten, die den Menschen Wahlfreiheit sichert.
In den Genuss solcher staatlicher Refinanzierungen kommen auch entsprechende Aktivitäten anderer Religionsgemeinschaften und religionsungebundener zivilgesellschaftlicher Organisationen wie beispielsweise der nicht kirchlichen Wohlfahrtsverbände. Selbstverständlich müssten auch muslimische Krankenhäuser oder muslimische Gymnasien, wenn sie den nötigen gesetzlichen Vorschriften entsprechen, in den Genuss staatlicher Refinanzierung kommen. Sofern es dagegen in Politik oder Verwaltung noch Vorbehalte gibt, müssen diese abgebaut werden.
Umgekehrt gehört es auch zu den Gemeinwohlpflichten der katholischen Kirche, dass sie sich nicht aus dem sozialen Bereich zurückzieht. Ein solcher Rückzug wäre keineswegs eine sinnvolle und moralisch gebotene „Entweltlichung“, sondern ein Verrat an den sozialkatholischen Lernerfahrungen des 19. Jahrhunderts und eine schwere Verletzung der Gemeinwohlpflichten der Kirche, ganz abgesehen davon, dass er auch ihrem Ansehen in der Gesellschaft und ihrer Glaubwürdigkeit schweren Schaden zufügen würde.
Ein teilweiser Rückzug ist nur dort angebracht, wo sie in einer bestimmten Region für eine Berufssparte faktisch noch ein Monopol hat, sodass Menschen mit einer bestimmten Berufsausbildung außerhalb der von der katholischen Kirche getragenen Einrichtungen kaum Arbeit finden können. Große Probleme gibt es sicherlich dort, wo die katholische Kirche über ihr Arbeitsrecht bestimmte Moralvorstellungen durchzudrücken versucht, die inzwischen auch in ihren eigenen Reihen höchst umstritten sind und dringend korrigiert werden müssen – Probleme, die inzwischen auch von den Bischöfen gesehen und offenbar inzwischen auch in Angriff genommen werden.
Von solchen Refinanzierungen zu unterscheiden sind – quantitativ weit weniger bedeutsam – staatliche Subventionen für kirchliche Großereignisse (beispielsweise Kirchentage oder Katholikentage), religiöse Bauten oder kirchliche Denkmalpflege. Auch dies muss jedoch die Neutralitätspflicht nicht verletzen, solange alle Religionsgemeinschaften – in etwa proportional zur Zahl ihrer Mitglieder – in den Genuss solcher Subventionen kommen, diese dem Gemeinwohl und dem wohl verstandenen staatlichen Interesse entsprechen.
Das gleiche gilt auch für indirekte staatliche Leistungen, also die staatliche Bereitstellung und Finanzierung von kirchlichen Einrichtungen wie der Militärseelsorge, der Krankenhausseelsorge, des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen und der Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. Ihr Bestehen ist Ausdruck der positiven Religionsfreiheit von Menschen, die in diesen Einrichtungen leben, und entspricht überdies auch durchaus staatlichen Interessen an Religionsformen, die sich nicht von der Gesellschaft abschotten oder gar eine feindliche Haltung ihr gegenüber einnehmen. Derzeit gibt es einen breiten Konsens, auch einen Religionsunterricht beispielsweise für Muslime an staatlichen Schulen zu ermöglichen und für die Ausbildung der dafür notwendigen Religionslehrer/innen islamisch-theologische Institute oder Fakultäten an staatlichen Universitäten auszubauen oder zu errichten (vgl. dieses Heft 63 ff.).
Schon die Weimarer Reichsverfassung verlangte eine Ablösung der Staatsleistungen
Echten Reformbedarf gibt es hingegen hinsichtlich der „direkten“ staatlichen Leistungen, die – durch die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz nochmals abgesichert – auf historische Ereignisse, vor allem den „Reichsdeputationshauptschluss“ von 1803 zurückgehen. Damals wurde eine große Zahl von Gütern der katholischen Kirche, die wesentlich auch dem Unterhalt der Kirche gedient hatten, enteignet. Als Entschädigung dafür verpflichteten sich die damaligen „Staaten“ (Königreiche, Fürstentümer, Grafschaften etc.) zu regelmäßigen Zahlungen an die Kirchen. Diese direkten Staatsleistungen werden häufig auch „Dotationen“ genannt.
Aufgrund der großen Vielfalt dieser Leistungen, die auch Naturalleistungen umfassen können, ist es schwer, sie in der Summe präzise zu beziffern. Vernünftige Schätzungen gehen für die katholische Kirche von jährlich etwa 250 Millionen Euro aus. Schon im 19. Jahrhundert, aber auch bis in die jüngste Zeit, wurde der „Reichsdeputationshauptschluss“ als Rechtsgrundlage dieser Zahlungen zunehmend abgelöst durch Konkordate oder Staatskirchenverträge. Dabei wurden häufig auch die Beträge angepasst, Einzelleistungen zu Pauschalleistungen zusammengefasst und Natural- in Geldleistungen umgewandelt.
Dies alles sind schon Hinweise darauf, dass es heute sicherlich nicht mehr möglich ist, den Wert der damaligen Enteignungen verlässlich zu beziffern und daraus die heute zu leistenden Zahlungen präzise abzuleiten. Von staatlicher Seite war öfters vertreten worden, dass mit den jahrelangen Dotationen die Schuld bereits abgegolten sei. Schon die Weimarer Reichsverfassung verlangte eine „Ablösung“ dieser Staatsleistungen, eine Forderung, die auch ins Grundgesetz übernommen, aber bisher nicht umgesetzt wurde.
Als historisch begründete Ansprüche kommen die Dotationen nur christlichen Kirchen zugute und können deshalb gar nicht religionsneutral sein. Entsprechend dem Prinzip der Neutralität des Staates ließen sie sich als allgemeine Religionsförderung nur rechtfertigen, wenn auch andere Religionsgemeinschaften in den Genuss solcher Zahlungen kämen, was derzeit niemand verlangt. Die historische Legitimationsgrundlage wird aber umso weniger plausibel, je weiter sie in die Vergangenheit zurückreicht.
Die Akzeptanz der Dotationen wird weiter abnehmen
So kann aus heutiger Perspektive beispielsweise gefragt werden, ob die damaligen Eigentumsverhältnisse als Ergebnisse historischer Prozesse feudaler und teilweise absolutistischer Regime überhaupt als legitim angesehen werden können. Auch wäre zu fragen, ob die Vermögenswerte, über die die Kirche damals verfügte, die vergangenen über 200 Jahre mit Revolutionen, Inflation und zwei verheerenden Weltkriegen unbeschadet überstanden hätten, wenn sie sie behalten oder wenn sie gleich durch eine Einmalzahlung in großer Höhe ersetzt worden wären. Müssten nicht, wenn die Kirche für einen Vermögensverlust entschädigt wird, auch andere Vermögensträger entschädigt werden, die während dieser Zeit ihr Vermögen verloren haben (wie beispielsweise viele gemeinnützige Stiftungen durch die Inflation in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts)?
Je pluraler die heutige Gesellschaft wird und je geringer der Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung, umso weniger erscheint es zudem plausibel, dass Nichtkirchenmitglieder heute durch ihre Steuern dafür aufkommen sollen, dass sich vor 200 Jahren christliche Könige und Fürsten Kirchengüter angeeignet und sich im Ausgleich zu regelmäßigen Dotationen verpflichtet haben. Dieser Gedanke spielte auch schon bei der Kirchensteuer eine Rolle, die auf Initiative des Staates (!) zur Entlastung der Dotationen nach und nach im 19. Jahrhundert eingeführt und dann durch die Weimarer Verfassung allgemein garantiert wurde. Durch sie sollte erreicht werden, dass nach dem Auseinanderfallen von staatlicher und konfessioneller Einheit die Kirchen nicht mehr aus allgemeinen Steuermitteln, sondern aus den Steuern derer finanziert werden, die ihnen angehören.
Auch wenn derzeit juristisch alles klar und sauber zu sein scheint, je mehr man über die moralische Legitimationsgrundlage dieser Dotationen nachdenkt, um so mehr zerrinnt sie einem zwischen den Fingern. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass auch die Akzeptanz dieser Dotationen bei den Staatsbürgern und -bürgerinnen selbst und den politischen Parteien in Zukunft weiter abnehmen wird. Es besteht sogar die Gefahr, dass auch andere Formen der Kirchenfinanzierung in diesen Strudel mit hineingezogen werden.
Deshalb wäre es nicht nur aus moralischen Gründen richtig, sondern auch aus politisch-strategischen Gründen klug, dass sich die Kirchen aktiv um eine „Ablösung“ der historisch begründeten Rechte auf diese direkten Leistungen bemühen und dabei zu großzügigen Verzichten bereit sind. Die Dotationen in der Weise abzulösen, dass eine Geldsumme gezahlt wird, aus deren Zinsen ein vergleichbarer Betrag erwirtschaftet werden kann, ist vollkommen illusorisch. Bei einer derzeit noch hoch angesetzten Rendite von 3 Prozent würde das nämlich eine Zahlung von über 15 Milliarden bedeuten. Das wäre weder von den hauptsächlich betroffenen Ländern zu bezahlen noch wäre es den Bürgern und Bürgerinnen zu vermitteln.
Vielleicht aber kann ein Kompromissvorschlag helfen: Wenn man nämlich ohnehin schon über Fragen der Gerechtigkeit in der Kirchenfinanzierung nachdenkt, dann könnte auch die Kostenentschädigung in Höhe von 2 bis 4 Prozent in Frage gestellt werden, die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Kostenentschädigung für den Kirchensteuereinzug an den Staat zahlen. Wenn man bedenkt, dass der deutsche Staat insgesamt nur etwa 1,9 Prozent des gesamten Steueraufkommens für die Finanzverwaltung ausgibt, der Einzug der Kirchensteuer zudem sicherlich zu den vergleichsweise mit geringeren Kosten belasteten Formen der Steuererhebung gehört (es muss ja nur ein bestimmter Prozentsatz der ohnehin zu zahlenden Lohn- oder Einkommenssteuer berechnet werden, was weitgehend automatisierbar ist), erscheint es als gerechtfertigt, die an den Staat zu zahlende Kostenerstattung auf 1 Prozent zu reduzieren.
Bei den dadurch eingesparten 1 bis 3 Prozent des Kirchensteueraufkommens handelte es sich nicht um neu begründete Zuwendungen des Staates, sondern um den Verzicht des Staates auf eine zu hoch berechnete Kostenerstattung aus Mitteln der Kirchenmitglieder, die ihm eigentlich nicht zusteht. Auf diese Weise könnten für die katholische Kirche bereits etwa 100 Millionen der wegfallenden etwa 250 Millionen Staatsdotationen ausgeglichen werden.
Die restliche Belastung von etwa 150 Millionen, die noch 2,9 Prozent der Kirchensteuereinnahmen ausmachen, wäre für die katholische Kirche aber durchaus verkraftbar, weshalb sie einen Verzicht darauf anbieten sollte. Anders als um die Jahrtausendwende erwartet (die Kirche hatte sich auf zurückgehende Kirchensteuereinnahmen eingestellt), sind die Kirchensteuereinnahmen allein für die katholische Kirche nämlich in den letzten 10 Jahren um etwa 17 Prozent gestiegen und haben 2012 fast 5,2 Milliarden erreicht.
Inflationsbereinigt ist dies real der gleiche Wert wie 2002 (4,44 Milliarden). Setzt man diese Zahlen jedoch ins Verhältnis zur Zahl der Katholiken, die in diesen Jahren um fast 10 Prozent abgenommen hat, so sind die Kirchensteuern pro Katholik um 29 Prozent, inflationsbereinigt um knapp 10 Prozent gestiegen. Weil die Kirchensteuereinnahmen pro Katholik in diesem Maße real gestiegen sind, hat die katholische Kirche in Deutschland heute etwa 520 Millionen mehr zur Verfügung als im Falle einer realen Konstanz der Kirchensteuereinnahmen pro Katholik. Das ist aber mehr als das Dreifache dessen, was durch den Verzicht auf 150 Millionen Staatsdotationen an Verlust entstünde.
Ein Verzicht auf die jährlichen 250 Millionen Staatsdotationen ist also sehr wohl möglich und finanziell verkraftbar. Ein entsprechendes Angebot an den Staat würde der Glaubwürdigkeit der Kirche zugute kommen und sie würde wahrscheinlich auf lange Jahrzehnte hin die Akzeptanz für die übrigen, sehr viel wichtigeren Formen ihrer Finanzierung sichern.