Der kürzlich emeritierte Münchner evangelische Systematiker Friedrich Wilhelm Graf ist als so beschlagener wie scharfzüngiger Beobachter der religiösen und kirchlichen Szene bekannt. In seinem neuesten Buch behandelt er – mit einer ziemlich plakativen Titelformulierung – charakteristische Facetten der weltweiten Religionsentwicklung: Fundamentalistische Tendenzen, den islamischen Dschihad, die Ausbreitung des pfingstlerischen Christentums, die Attraktivität des Kreationismus. Das alles spielt zwar in Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern derzeit nur eine Nebenrolle, und dabei wird es wohl auf absehbare Zeit bleiben. Aber in der globalisierten Welt können hiesige Debatten über Religion und Gesellschaft das durch diese Stichworte markierte Konfliktpotenzial nicht einfach ignorieren, sondern müssen es zumindest aufmerksam beobachten.
Das Buch ist geschickt komponiert. Graf setzt ein mit einem „Prolog“, der religionsbezogene Meldungen eines einzigen Tages im August 2013 zusammenstellt, gibt dann Grundinformationen zur Lage der Religion(en) und skizziert knapp „Deutungsangebote“ für die bunte Welt des Religiösen (beispielsweise: „Bildwelten entschlüsseln“ oder „Selbstinszenierungen deuten“). Dem folgen Kapitel zur spezifischen religiös-kirchlichen Konstellation in Deutschlands (evangelisch-katholischer Dualismus) und zur Situation in Europa (Unterschiede im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaft, Islam als teilweise neue Herausforderung). Besonders interessant sind dann nicht zuletzt die Beobachtungen zur „kreationistischen Internationale“, die Graf in ihren verschiedenen Spielarten ausleuchtet und nach den Gründen für deren Erfolg erfragt. Kreationisten inszenierten sich gern als ein grass-roots movement gegen die herrschende Religion und offizielle Wissenschaft und ihrem „Sozialprotest äußern sie in immer neuen Kampagnen, die die hohe Mobilisierungsbereitschaft ihrer Anhänger erkennen lassen“ (198). Der „Epilog“ des Bandes gilt einem entschiedenen Plädoyer für die „Zivilisierung der Religionen“ angesichts ihrer „elementaren Ambivalenz und politischen Gefährlichkeit“ (251). Demokratiekompatible und starke Kräfte einer pluralistisch liberalen Zivilgesellschaft könnten religiöse Akteure in genau dem Maß sein, „in dem sie in ihren Symbolsprachen der Freiheit des Menschen Ausdruck geben“ (254). Hier lasse sich, so Graf, derzeit viel Glaubensstreit und religionspolitischer Ideenzwist beobachten. Für einschlägige Auseinandersetzungen bietet Graf intelligente Hilfestellung.