Zu den religionssoziologischen Fakten gehört, dass die Zahl der Konfessionslosen in Deutschland kontinuierlich ansteigt, sie in vielen Regionen inzwischen im Vergleich mit einzelnen christlichen Konfessionen die größte Gruppe stellen. Der evangelische Theologe Hans-Martin Barth folgert daraus, dass es offensichtlich gelinge, auch ohne Religion gut zu leben. In den ersten Kapiteln seiner herausfordernden Monographie geht es ihm im Wesentlichen um den Aufweis, dass die vollmundig aufgestellte These von der Religiosität des Menschen als einer anthropologischen Konstante so nicht stimmt – wie allerdings auch der „organisierte atheistische Humanismus“ noch lernen werde, dass das intensivere Interesse an einer materialistischen Metaphysik nur bei Einzelnen vorhanden sei. Was aber heißt das für das Christentum? Analog zu den Auseinandersetzungen im Neuen Testament über die Bedeutung jüdischer Religion für das Christentum fragt Barth radikaler: Muss man überhaupt religiös sein, um Christ sein zu können? Es versteht sich von selbst, dass diese Frage für alle Ansätze missionarischer Pastoral heute von zentraler Bedeutung ist.
In sehr eindringlichen Passagen kann Barth dann ausgehend von theologischen Positionen einer Kritik an „Religion“ zeigen, wie weit der Universalitätsanspruch des Christentums über liturgische Praxis, religiöse Riten, Bekenntnisformeln oder auch Kirchenmitgliedschaft hinaus reicht. Die Kirche soll sich dessen bewusst sein, dass „Gottes Walten sich nicht nur auf sie selbst bezieht, sondern ebenso auf Andersgläubige, Ungläubige und militante Atheisten“. Der Gott des christlichen Bekenntnisses müsse gerade deshalb nicht nur seins-, sondern auch religionstranszendent gedacht werden.
Karl Barth und vor allem Dietrich Bonhoeffer sind hier aus protestantischer Sicht in erster Linie als Gewährsleute zu nennen, aber etwa auch Karl Rahners Behauptung eines „anonymen Christentums“. Im Sinne einer Gewissenserforschung, inwieweit Christen sich in ihren Gemeinschaften zu schnell abschließen, ist dabei viel Bedenkenswertes zu lesen. Umgekehrt unterschätzt Barth mit Blick auf die Konsequenzen für das kirchliche Selbstverständnis, beispielsweise für die Notwendigkeit der Taufe, die Bedeutung institutionalisierter Religion: nicht zuletzt um angesichts zerbröselnder Gewissheiten jenen biblischen Urimpuls auch wachhalten zu können. Es ist selbstverständlich, dass Religionsfreiheit heute eine respektvolle Würdigung auch anderer weltanschaulicher Überzeugungen mit sich bringen muss. Auch wird heute in den christlichen Konfessionen stärker als früher der Prozesscharakter eigener Glaubensentwicklung betont. Und natürlich führt der Glaube über den Gegensatz zwischen Religiosität und Areligiosität hinaus. Aber warum sollte man als Christ darauf beharren, gleichzeitig religionslos sein zu können? Barths Plädoyer ist letztlich auch eine Reaktion auf innerprotestantische Entwicklungen, zeigt er sich doch irritiert darüber, dass man sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend einen katholischen Institutionenbegriff habe aufdrängen lassen.