Es braucht einiges an Mut, sich in das Abenteuer eines „lockenden Gottes“ zu begeben. Wer sich auf die Logik des Prozessdenkens einlässt, sieht sein bisheriges Gottesbild und Theologietreiben womöglich vor so manche Herausforderung gestellt. Das soziale Gottesbild der Prozesstheologie bringt frischen Wind in die hiesige Theologie. Dabei behauptet sie nicht, das Gottes-Geheimnis gelüftet zu haben. Im Gegenteil: Nie war es geheimnisvoller!
Genauso wenig, wie es die eine klassische Theologie gibt, gibt es die eine Prozesstheologie. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff Prozesstheologie eine Vielzahl von theologischen Strömungen, die sich in ihrer Mehrzahl auf die Theologie und Philosophie Alfred North Whiteheads (1861–1947) und Charles Hartshornes (1897–2000) beziehen und denen die Vorstellung einer beweglichen Gottheit gemeinsam ist.
Gott ist in der Prozesstheologie kein weltabgewandtes, starres Gegenüber, sondern ein lebendiges, liebendes Wesen, das im Netzwerk der Beziehungen aller Entitäten interagiert. Eine so verstandene – neoklassische – Gottheit bringt die klassische Rede von Gott in Bewegung, nimmt sie mit in den Prozess des Werdens.
Whitehead, Mathematiker und später Harvard-Professor für Philosophie, entwickelt in seinem prominenten Werk „Process and Reality“ (1929) die Grundlage eines multilateralen Ineinanders aller Ereignisse dieser Welt. Zunächst unabhängig von Whitehead erarbeitet auch Hartshorne ein philosophisches Grundkonzept, in dessen Zentrum die Interaktion des dynamischen Gottes mit allen Ereignissen der Welt steht. Er postuliert eine prozessfähige Gottheit, die später namensgebend für die Schule der Prozesstheologie sein wird.
Ein relationales Gotteskonzept
Bereits in seiner Promotionsschrift „The Unity of Being“ (1923) hat Hartshorne ein relationales Gotteskonzept dargelegt. Als er 1925 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Whiteheads nach Harvard kommt, werden sich die beiden der großen Übereinstimmungen ihrer (Religions-)Philosophien bewusst. In den Folgejahren entsteht eine enge Zusammenarbeit, wobei Hartshorne die Bedeutung des „Höchsten“ stärker fokussiert und seine Schriften so einen (prozess-)theologischen Schwerpunkt erhalten.
Im Mittelpunkt der Prozesstheologie steht die Vorstellung einer Gottheit, die in permanenter reziproker Interaktion mit ihrer Schöpfung steht. Nach prozesstheologischer Auffassung haben alle Entitäten, vom Atom bis zum Menschen, Gefühle, Macht und Strebevermögen. Diese stehen in Wechselwirkung mit dem Handeln Gottes. Gott lenkt die Schöpfung, jede einzelne Entität, nach dem göttlichen Plan, der in einer Steigerung der Harmonie in der Schöpfung besteht. Gottes Einflussnahme auf die Geschöpfe geschieht dabei durch ein liebevolles Überzeugen und Locken.
Während die Gottheit über die größtmögliche Macht verfügt, ist diese dennoch nicht all-mächtig in dem Sinne, dass Gott über alle Macht verfügen würde. Aus prozesstheologischer Sicht bedeutet „zu sein“, eigene Macht zu haben. Jedes Geschöpf ist dadurch Mit-schöpfer und Mit-schöpferin im kontinuierlichen und offenen Schöpfungsprozess. Gottes Macht ist insofern größtmöglich, als es kein Wesen gibt, das Gott übersteigt; sie ist allerdings eine Macht im Zusammenspiel unendlich vieler Mächte.
Gott verfügt hinsichtlich der Zukunft nur über ein relatives Wissen
Daraus folgt, dass es für Gott unmöglich ist, ein Ereignis unilateral zu bewirken. Alle Geschehen sind Ergebnisse eines zumindest bilateralen, wenn nicht sogar multi-lateralen Prozesses. Die göttliche Flexibilität, die Fähigkeit auf jedes Ereignis bestmöglich zu reagieren, ist es, die Gottes Verlässlichkeit und Stabilität ausmacht. Denn Gott ist das einzige Wesen, das aufgrund des göttlichen Überblicks und der göttlichen Weitsicht vermag, auf alle Ereignisse in je adäquater Weise zu reagieren: Gott ist omnikompetent.
Die Prozesstheologie versteht Gott als temporale Entität, die sich von allen anderen Ereignissen dadurch unterscheidet, dass sie ewig-zeitlich ist. Gott existiert zwar in der Zeit, allerdings ohne Anfang und ohne Ende. Nur die Annahme eines ewig-zeitlichen Gottes kann erklären, dass Gott auch im zeitlichen Geschehen der Welt wirkt. Aus prozesstheologischer Perspektive bleiben bisherige Theologien, die Gott als außerhalb der Zeit existierend denken, eine Antwort auf die Frage schuldig, wie ein außerzeitlicher Gott in der Zeit wirken kann.
Daraus folgt, dass Gottes Wissen ein zeitliches ist. Das bedeutet, dass Gott hinsichtlich der Vergangenheit und Gegenwart über vollkommenes, hinsichtlich der Zukunft jedoch ausschließlich über relatives Wissen verfügt. Gott weiß zu jedem Zeitpunkt all das, was logisch zu wissen möglich ist, das heißt Gott kennt die Vergangenheit als Aktualität, also als bereits geschehene, die Zukunft als Potentialität, also als Möglichkeit, und die Gegenwart als ein Prozess, bei dem Potentialitäten fortwährend in Aktualitäten übergehen. Hätte Gott auch bezüglich der Zukunft bereits vollkommenes Wissen, könnte nicht erklärt werden, wie die Geschöpfe dennoch freie Entscheidungen treffen können. In einem temporalen Gott-Welt-Setting müsste eine Zukunft, die Gott bereits kennt, auch von Gott (unilateral) determiniert werden. Ist sie hingegen Ergebnis eines vielfältigen Mit- und Ineinanders, so kann Gott dieses nicht bereits kennen, wenn die Geschöpfe frei und mit Eigenmacht ausgestattet sind.
Dennoch unterscheidet sich Gottes Wissen signifikant von unserem: Während wir immer nur einen kleinen Ausschnitt des Weltgeschehens kennen und unsere Entscheidungen demnach auf einer minimalen Kenntnis des Gesamtgeschehens beruhen, hat Gott den größtmöglichen Überblick. Gott kennt alle Aktualitäten und alle Potentialitäten und verfügt daher über die beste „Prognosekompetenz“ (Denis Schmelter, Gottes Handeln und die Risikologik der Liebe. Zur rationalen Vertretbarkeit des Glaubens an Bittgebetserhörungen, Marburg 2012, 334). Daraus folgt, dass Gottes Entscheidungen stets die adäquatesten sind. Weiterhin bedeutet dies, dass die wandelfähige, prozessuale Gottheit ihr Wissen permanent aktualisieren muss. Ein jeder Wissenstand wird in jedem Moment von dem späteren, aktuelleren, überboten.
Gott überbietet Gottes eigenen Wissensstand permanent selbst, weshalb Hartshorne von Gott als „self-surpassing surpasser of all“ spricht. Weder Gottes Wissen noch Gottes Macht können je von einem anderen Wesen überboten werden; Gott bleibt „the most excellent being“ (Hartshorne, The Divine Relativity. A Social Conception of God, New Haven, London 1967, 20).
Das Göttliche in Interaktion mit der Materie
Die meisten Prozesstheologen und -theologinnen sind der Auffassung, dass die Vorstellung der Gott-Welt-Beziehung am besten mit dem Konzept des Panentheismus eingeholt werden kann. Die Welt wird dabei als Teil Gottes verstanden, ohne dass Gott und Welt identisch wären (Pantheismus). Gott ist daher mehr als die Welt und dennoch ist die Welt in Gott. So haben etwa Sallie McFague und Grace Jantzen Hartshornes Verständnis der Welt als Körper Gottes aufgegriffen und vor allem für den gendertheologischen und ökotheologischen Diskurs fruchtbar gemacht. Es liegt auf der Hand: Wenn die Welt Körper Gottes ist, dann zerstört unser derzeitiger Lebenswandel nicht nur Gottes Schöpfung, sondern Gott selbst.
Das panentheistische Gott-Welt-Verständnis hat unmittelbare Folgen für die Gott-Welt-Interaktion, die in der Prozesstheologie meist mit einem dipolaren Gotteskonzept verbunden wird. Gott wird hierbei als ein Wesen mit zwei Polen gedacht: einem relationalen und einem absoluten. Gottes absoluter Pol beschreibt alle abstrakten, unveränderlichen und mit der Welt nicht in Interaktion stehenden göttlichen Eigenschaften. Hierunter wären beispielsweise Gottes Status als ewig höchstes Wesen zu fassen, aber auch Gottes Liebe, Treue und schöpferische Kraft. Der zweite, relational-relative Pol beschreibt all jene Eigenschaften, die veränderlich und flexibel sind, also permanent aktualisiert werden und durch die stetige reziproke Gott-Welt-Interaktion bestimmt sind. Hierunter werden alle Konkretisierungen der abstrakten Eigenschaften verstanden. Dort, wo Gottes Liebe in der Wechselwirkung mit Gottes Schöpfung konkret wird und wiederum eine Feedback-Schleife (Klaus Müller) zu Gott besteht. Die beiden Pole Gottes und die damit verbundenen Attribute korrespondieren mit der Vorstellung der absoluten und relativen Vollkommenheit Gottes.
Im prozesstheologischen Denken wurde das Göttliche immer schon durch die Interaktion desselben mit der Materie bestimmt. Schöpfung wird hierbei nicht als einmaliger Akt, sondern als nie begonnener und nie endender Prozess verstanden (creatio continua). Die Gottesenergie ist nicht ohne irgendeine weitere Form von in Gott seiender Energie oder energetischer Materie denkbar, die Catherine Keller als „tehom“ bezeichnet. Es gab keine Zeit, in der Gott ohne eine Schöpfung existierte, da es zu Gottes absoluten Eigenschaften gehört, schöpferisch tätig zu sein. Die Beziehung zur Schöpfung konstituiert sowohl Gott als auch die Schöpfung.
Keller argumentiert deshalb für eine „creatio ex profundis“, also eine Schöpfung der Welt aus den Tiefen. Mit ihrer beeindruckenden Theopoetik zeigt Keller auf, dass die biblische Schöpfungslehre weder Raum lässt für eine homo- noch eine „tehomo“phobe Interpretation. Ebenso wenig lässt sie eine Anti-Egalität der Geschlechter oder einen missverstandenen Herrschaftsauftrag zu, mit dem wir unsere Ausbeutung der Schöpfung rechtfertigen könnten.
Lösung der Theodizee-Frage?
Ein zentraler „Prüfstein“ für die Überzeugungskraft von religionsphilosophischen Gottesvorstellungen ist ihre Antwortkompetenz hinsichtlich des Theodizee-Problems, welches nach wie vor als eine der größten Herausforderungen für die Theologie wahrgenommen wird. Dies gilt nicht nur für den praktischen Umgang mit dem Leid, sondern auch für die intellektuelle Hürde, die das Theodizee-Problem für die akademische Theologie darstellt. Fasst man die hier erläuterten prozesstheologischen Gottesattribute zusammen, so ergibt sich folgendes Verständnis: Gott wird als ewig-zeitliches Wesen gedacht, welches Verlässlichkeit und Treue dadurch wahrt, dass es auf jede Situation flexibel und unter größtmöglicher Rücksichtnahme aller zu kennender Komponenten überzeugend und lockend Einfluss nimmt, wobei die Freiheit, Eigendynamik und Kreativität der Geschöpfe bis ins Letzte ernst genommen werden.
Die Theodizee-Frage, warum eine gute und allmächtige Gottheit nicht ins Übel der Welt eingreift, lässt sich aus prozesstheologischer Sicht wie folgt beantworten: Gottes Macht und Wissen sind stets größtmöglich, dennoch verfügen alle Entitäten über eigene Strebemächte. Es kommt dadurch zu Situationen, in denen die Eigendynamik der Entitäten Gottes Macht übersteigt und der göttliche Wille nicht durchgesetzt werden kann. Anders als eine Mehrzahl klassischer Theologien, die behaupten, Gott könnte zwar eingreifen, tue dies aber nicht (meist wird als Grund hierfür die Wahrung der Freiheit der Geschöpfe angeführt – und damit eben auch die Freiheit zum Bösen), begründet die Prozesstheologie das (scheinbare) Nicht-Eingreifen Gottes wie folgt: Gott kann das Leid nicht immer verhindern, weil ein einseitiges Eingreifen in eine Schöpfung, die einzig durch Interaktion (also Beidseitigkeit) gekennzeichnet ist, nicht möglich ist.
Nur eine so verstandene Gott-Welt-Beziehung vermag eine widerspruchsfreie Antwort auf das Theodizee-Problem zu geben. Mehr noch, da die Welt in Gott ist, betreffen alle Ereignisse der Welt Gott unmittelbar. Gottes Empathiefähigkeit ist maximal, was Whitehead zu der berühmten Beschreibung Gottes als „the fellow sufferer who understands“ (Whitehead, Process and Reality. An Essay in Cosmology, 2. Auflage, New York 1979, 351) bewegt hat.
Einer der im deutschsprachigen Raum massivsten Angriffe auf das prozesstheologische Gotteskonzept wurde von Armin Kreiner und Alexander Loichinger in ihrem Werk über die Theodizee in den Weltreligionen formuliert, wo es heißt: „Mit der Streichung des Allmachtsprädikats vollzieht die Prozesstheologie daher nicht irgendeine Korrektur am Gottesglauben, sondern genau genommen zerstört sie den christlichen Gottesbegriff und mit ihm die christliche Glaubenshoffnung“ (Theodizee in den Weltreligionen. Ein Studienbuch, Paderborn 2010, 48). Nicht nur gilt es anzumerken, dass die Autoren die Prozesstheologie nicht korrekt darstellen, sondern sie verurteilen sie auch vorschnell mit der Begründung, selbst (am besten) zu wissen, worin die christliche Glaubenshoffnung bestünde.
Es ist jedoch nicht einzig die Allmacht Gottes, die die Hoffnung von Christen und Christinnen ausmacht, sondern in erster Linie der Glaube an einen Gott der Liebe. Die Frage ist, ob die Antwort der klassischen Theologien – Gott könnte eingreifen (da allmächtig), tut es aber nicht – einem liebenden Gott eher entspricht und mehr Hoffnung und Trost verheißt als das soziale Gotteskonzept der Prozesstheologie.
Die stärksten Anfragen, die der Prozesstheologie gestellt werden, beziehen sich auf ihr eschatologisches Konzept. Dadurch, dass Gott nicht als unilateral eingreifendes Wesen gedacht wird, ist eine einseitige Erlösung oder Rettung der Welt nicht vorstellbar. Eine Erlösung der Welt, wie sie Christen und Christinnen erhoffen, kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn alle Geschöpfe an ihr mitwirken. Wenn die Gestaltung des Reichs Gottes einzig Gott überlassen wird, die irdischen Kräfte sich – in Sicherheit wiegend – jedoch nicht für eine Mitarbeit und eine Vorbereitung hierauf entscheiden, kann es tatsächlich keine Garantie auf Erlösung geben. Eine solche Garantie kann uns allerdings keine Theologie liefern. Die Hoffnung ist deshalb jedoch längst nicht zerstört; vielmehr nimmt auch hier die Prozesstheologie die radikale Mitverantwortlichkeit der Geschöpfe für das Reich Gottes ernst.
Die Wellen der Prozesstheologie
Ihren ersten Höhepunkt erlebte die US-amerikanische Prozesstheologie in den siebziger Jahren. Zu dieser Zeit wurde auch das heute noch als Hauptforschungszentrum geltende „Center for Process Studies“ an der Claremont School of Theology (Claremont, Kalifornien) gegründet. Die meisten seiner Gründungsfiguren sind direkte Hartshorne-Schüler und -schülerinnen, der älteste noch lebende und sicherlich bekannteste Prozesstheologe nach Hartshorne ist John B. Cobb Jr. Es ist maßgeblich sein Verdienst, die Relevanz und Anschlussfähigkeit der Prozesstheologie für zahlreiche weitere Disziplinen, besonders aber für die Ökologie und Ökonomie, aufgezeigt zu haben. Durch intensive Kontakte in den asiatischen Raum hat Cobb außerdem dazu beigetragen, dass sich mittlerweile allein in China mehr als zehn „Center for Process Studies“ etabliert haben.
Während die Prozesstheologie der siebziger und achtziger Jahre im deutschsprachigen Raum in erster Linie von der protestantischen Theologie (Ingolf Dalferth, Michael Welker) aufgegriffen wurde, ist aktuell katholischerseits ein verstärktes Interesse wahrzunehmen. Anders als die philosophischen Disziplinen und die protestantische Theologie tut sich ihre Schwesterdisziplin allerdings mancherorts schwer mit einer Rezeption und aktiven Auseinandersetzung mit der Prozesstheologie. Dies mag an deren kritischen Auseinandersetzung mit dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin und dessen Konzept des „unbewegten Beweger“ (actus purus) liegen, dem Hartshorne das Verständnis Gottes als „best and most moved mover“ (Hartshorne und Mohammad Valady, The Zero Fallacy and Other Essays in Neoclassical Philosophy, Chicago 1997, 6, 39) entgegensetzt.
Während die Prozesstheologen und -theologinnen nicht müde werden zu betonen, dass es ihnen keinesfalls um eine Ablehnung, sondern um eine Weiterentwicklung der klassischen Theologien geht, eben um eine „neo-klassische“ Theologie, behaupten nach wie vor einige, sie hätten „die Klassiker“ gar nicht richtig interpretiert. Allerdings täuscht hier der erste Blick; denn nicht zuletzt Hartshorne selbst und in seiner Nachfolge vor allem Daniel Dombrowski und Donald W. Viney haben sowohl die antiken Philosophen als auch die Kirchenväter und -lehrer sorgfältig studiert und liefern exakte Nachweise ihrer theologischen Auseinandersetzung. Dabei zeigen sie auf, dass die Ursprünge des Prozessdenkens bereits in der antiken Philosophie liegen.
Die aktuelle zweite Welle der Prozesstheologie kann als Weiterentwicklung der Prozesstheologie erster Stunde verstanden werden. Theologen und Theologinnen wie Carol Christ, Monica Coleman, Jay McDaniel, Heather Eaton, Carter Heyward, Nancy Howell und Keller haben das Grundkonzept der Prozesstheologie aufgegriffen und dieses für die interkulturelle, intersektionelle, genderbewusste und ökologische Theologie fruchtbar gemacht. Keller, Professorin für Constructive Theology an der Drew Theological School (Drew University, New Jersey), gilt derzeit als Avantgarde der Prozesstheologie.
Bereits mit ihrer Schöpfungstheologie „The Face of the Deep“ (2003) hat sie eine wachstumskritische Perspektive eingenommen, die sie seither stetig weiterentwickelt und aktuell besonders hinsichtlich der Frage einer nachhaltigen Theologie intensiviert: einer Theologie, die die Zerstörung der Schöpfung thematisiert und sich in die kreativen Abenteuer des Universums mit hineinnehmen lässt.
Abgesehen von Roland Fabers „Gott als Poet der Welt“ (Anliegen und Perspektiven der Prozesstheologie, Darmstadt 2004) liegen kaum tiefgreifende deutschsprachige Auseinandersetzungen mit der Prozesstheologie vor. Zwar sind die Schriften Alfred North Whiteheads größtenteils ins Deutsche übersetzt, es gibt aber kaum deutschsprachige Literatur zeitgenössischer Prozesstheologie. 2013 ist immerhin mit „Gott als Geheimnis der Welt“ das zweite Werk von Keller in deutscher Übersetzung erschienen.
In den letzten Jahren sind ein verstärktes Interesse und eine größere Offenheit für diesen kreativen theologischen Ansatz auch hierzulande festzustellen. Das prozesstheologische Potenzial ist für alle theologischen Disziplinen zu entdecken – nicht nur für die systematische Theologie. Es gilt, sich dem Anspruch einer verantworteten Gottesrede zu stellen, die sich der Vielfalt der Wirklichkeit schonungslos aussetzt und gerade darin die liebende Gottheit zu verstehen und zu begründen sucht. Es gibt keine Theologie, die sich der Offenheit der Wirklichkeit und dem Fluss der Verwobenheit allen Seins intensiver und realitätsnäher widmet als die Prozesstheologie.