Ein Gespräch mit Regens Udo Bentz über Priesterausbildung heute„Vielgestaltigkeit ist wünschenswert“

Neupriester sind in den deutschen Bistümern Mangelware. Wie sollen künftige Priester in dieser Situation ausgebildet werden? Wie nehmen sich die Kandidaten im Blick auf die kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen aus? Darüber sprachen wir mit dem Mainzer Regens Udo Bentz; er ist seit 2013 Vorsitzender der deutschen Regentenkonferenz. Die Fragen stellte Ulrich Ruh.

HK: Herr Dr. Bentz, die Zahl der Priesteramtskandidaten in den deutschen Diözesen befindet sich auf einem Tiefpunkt. Das müsste doch Anlass sein, gerade auch die Form der Priesterausbildung auf den Prüfstand zu stellen. Wie sieht es damit aus?

Bentz: Die Priesterausbildung ist tatsächlich kein kleines Spezialgebiet, sondern letztlich ein Indikator für kirchliche Umbrüche. Auf diesem Feld zeigt sich, was an kirchlicher Veränderung und Erneuerung ansteht. Wir müssen deshalb beispielsweise fragen, welche Kirchenbilder die Kandidaten mitbringen, auf welche pastorale Zukunft hin wir sie ausbilden wollen, aber auch wie wir mit dem Problem der kleinen Kommunitäten zurechtkommen. Es gibt schon lange Überlegungen bei den Verantwortlichen. Einen einheitlichen Trend gibt es nicht. Manche Bistümer treffen eine sehr grundsätzliche Entscheidung und kooperieren in allen Phasen der Ausbildung mit anderen Bistümern. Wir in Mainz beispielsweise gehen den Weg einer engen kooperativen Ausbildung mit anderen pastoralen Berufen in unserem Bistum. Es gibt ein gemeinsames Suchen nach angemessenen Lösungen. Vielgestaltigkeit ist möglich, sogar wünschenswert. Aber die Einheitlichkeit in den Standards muss gewährleistet bleiben. „Standardisierte Lernangebote reichen nicht aus“  

HK: Priesterseminare gibt es zwar schon seit dem Trienter Konzil; aber es ist damit nicht gesagt, dass Priesterausbildung nur in dieser Form stattfinden kann. Sind Priesterseminare angesichts der gegenwärtigen kirchlich-gesellschaftlichen Herausforderungen nicht eher Auslaufmodelle?

Bentz: Die Institution Priesterseminar ist nicht obsolet. Man hat etwa in Paris oder Wien die Seminaristen als kleine Gemeinschaften in Pfarrhäusern installiert. Zu bestimmten Elementen der Ausbildung kamen sie ins Seminar. In Wien hat man dieses Modell inzwischen wieder verändert: Es bleiben die Bezugspfarreien, aber die Ausbildung insgesamt wurde aus guten Gründen ins Seminar zurückverlagert. Es braucht nämlich künftig erst recht Räume, in denen eine entsprechende spirituelle Entwicklung und Formung einer priesterlichen Lebenskultur gefördert werden kann. Dazu brauchen wir Orte gemeinsamen Lernens. Formatio durch Communio lautet der Grundsatz. Damit ist allerdings noch nichts über die Größe eines Seminars gesagt: Vor Jahren hieß es, es brauche für ein lebensfähiges Seminar mindestens 30 Seminaristen. Heute erreichen nur noch wenige Seminare in Deutschland diese Zahl. Wie gehen wir damit um?

HK: Wie einheitlich muss Priesterausbildung in einer Ortskirche eigentlich sein? Spräche nicht einiges für ein Experimentieren mit unterschiedlichen Formen und Strukturen?

Bentz: Unter den Regenten wird auch diese Frage diskutiert. Warum sollte es nicht in großen Metropolen überdiözesane Seminare geben, die im pastoralen Lebensfeld der Stadt ein entsprechendes Ausbildungsprofil entwickeln, während daneben kleinere Seminare andere spezifische Schwerpunkte pflegen? In „Evangelii gaudium“ formuliert Papst Franziskus den interessanten Gedanken, Gnade setze Kultur voraus, in Abwandlung des klassischen Satzes, wonach die Gnade die Natur voraussetzt. Kirche ist immer pilgernde Kirche durch die Zeit und bleibt nie unberührt von kulturellen Umbrüchen. Dem kann auch die Priesterausbildung nicht ausweichen. Wir müssen ernst nehmen, was Seminaristen an biographischen Prägungen mitbringen. Umgekehrt geht es auch um die Frage, welche Erwartungen die Kirche in der gegenwärtigen Kultur an ihre künftigen Priester hat beziehungsweise haben muss.

HK: Kann es unter unseren gesellschaftlichen und kirchlich-religiösen Verhältnissen überhaupt noch den „Normalpriester“ geben? Müsste man nicht die Ausbildungswege stärker individualisieren, schon um der Gefahr gegenzusteuern, dass sich die schrumpfende Gruppe der Priesteramtskandidaten als eine Art „heiliger Rest“ versteht und sich entsprechend verhält?

Bentz: Die Wege sind schon insofern individualisierter, weil es die bisher klassischen Ausbildungsbiographien immer weniger gibt. Die Zahl so genannter Quereinsteiger nimmt zu. Einige studieren bereits Theologie, andere haben das Studium sogar schon abgeschlossen. Manche bewegen sich erst längere Zeit im Umfeld eines Seminars, entscheiden sich dann aber relativ spät dazu Priester zu werden. Aber auch die spirituellen Vorerfahrungen sind heterogener geworden. Deshalb reichen standardisierte Lernangebote nicht aus. Das persönliche Eingehen auf die Entwicklungsprozesse der Kandidaten wird noch wichtiger. Gleichzeitig darf man aber dem Trend zur Individualisierung nicht einfach nachgeben. Ausbildungswege dürfen nicht beliebig werden. Bestimmte Entwicklungsprozesse können wir den Kandidaten nicht ersparen. Identität formt sich nicht nur durch Selbstfindung, sondern vor allem auch durch Auseinandersetzung; dazu braucht es kleine Lern- und Lebensgruppen, auch in den großen Kommunitäten.

HK: Welche Dimensionen der Priesterausbildung sind gegenwärtig besonders wichtig und müssten entsprechend forciert werden? Gibt es eher Defizite in der pastoralen Ausrichtung, in der intellektuellen Befähigung oder beim spirituellen Profil?

Bentz: Die Säulen der Priesterausbildung, nämlich theologische Bildung, spirituelle Prägung und Persönlichkeitsentwicklung, können nicht isoliert betrachtet werden. Es geht nicht um das Erlernen einzelner Fähigkeiten. Pastorale Kompetenz zielt auf die ganze Person. Sie ist das Ergebnis eines umfassenden Lern- und Wachstumsprozesses. Wir müssten aber gerade im Blick auf die Communio-Fähigkeit der zukünftigen Priester noch genauer hinsehen. Schließlich bringen sie oft sehr subjektive Kirchenbilder und Kirchenerfahrungen mit. Wir werden in Zukunft weitere kirchliche Umbrüche, wahrscheinlich noch größere erleben und gestalten müssen. Deshalb wird der Priester sich und seinen Dienst noch mehr als Werkzeug an der Einheit und Communio begreifen müssen. Wir brauchen Priester mit Communio-Kompetenz, wenn ich das so sagen darf: Dazu zählen natürlich viele Eigenschaften. Es braucht aber vor allem eine gesunde und gediegene Kirchlichkeit, ebenso Kommunikations- und Konfliktfähigkeit und eine reife Beziehungsfähigkeit.

HK: Es wird aber nicht ausreichen, dass Priester sich untereinander gut verstehen, im Sinn einer klerikalen Solidarität. Sie werden nicht nur weniger, sondern sind immer auch eingebunden in ein ganzes Ensemble von hauptamtlichen und vor allem ehrenamtlichen Mitarbeiter an den verschiedenen Orten des kirchlichen Lebens….

Bentz: Mit Beziehungsfähigkeit im Sinne von Communio- Kompetenz meine ich gerade die Fähigkeit, mit sehr unterschiedlichen Charismen, Sendungen und Begabungen umgehen und ein Netz knüpfen zu können, das dann wiederum die eine gemeinsame Sendung der Kirche deutlich macht. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass das Zusammenwirken der verschiedenen kirchlichen Berufe schon in der Ausbildung von Anfang an eingeübt werden muss. Meine Erfahrung dabei ist, dass eine solche Ausbildung mit je eigenen, aber immer auch wieder gemeinsamen Ausbildungselementen für alle kirchlichen Berufe ein besseres gegenseitiges Verstehen ermöglicht. Voraussetzung: Als Ausbildungsverantwortlicher darf man die Berufsprofile nicht verwässern, sondern muss sie in einem bestimmten Sinne schärfen. Man muss eine größere Sensibilität sowohl für das Gemeinsame und als auch für das Unterscheidende gleichermaßen fördern. Aber wir müssen noch mehr als bisher darauf achten, dass der konkrete Bezug zur Pastoral in den Gemeinden ausgebaut wird. Das Entdecken von Gemeinsamkeit setzt Interesse am Anderen voraus. Es darf keine klerikalistische Verengung, auch keine falsche Fixierung auf die hauptamtlichen, kirchlichen Berufe geben. Die Sendung der Kirche in die Welt geschieht ja nicht primär durch Hauptamtliche, sondern lebt von einem vertieften Verständnis für die Berufung eines jeden getauften Christen. Deshalb braucht es den Blick auf die Vielfalt, in der die Kirche ihre Sendung vollzieht. Es geht darum, die geistlichen Aufbrüche in den Gemeinden wahrnehmen und begleiten zu können. Priesterlicher Dienst ist Dienst am Gottesvolk inmitten des Gottesvolkes. Das muss eingeübt werden. „Das sakramentale Verständnis von kirchlichem Amt bleibt wesentlich“

HK: Was kann man denn zukünftigen Priestern heute noch als ihr Spezifikum vermitteln? Theologische wie auch spirituelle Kompetenz gibt es in der Kirche längst nicht mehr nur beim Klerus, Leitung wird vielerorts durch Seelsorgeteams wahrgenommen, in denen auch Laien vertreten sind. Was ist das Besondere am priesterlichen Dienst, dem dann auch die Ausbildung Rechnung tragen muss?

Bentz: Die katholische Kirche ist ihrem Wesen nach sakramental. Allerdings steckt das sakramentale Bewusstsein in unsrer Kirche meiner Wahrnehmung nach in einer Krise. Wir denken oft zu sehr von Funktionen, Strukturen und Kompetenzen her. Das ist auch wichtig, aber es nicht das Entscheidende. Das sakramentale Verständnis von kirchlichem Amt bleibt wesentlich für die Identität des Priesters. Er soll durch sein Wirken zeichenhaft-sakramental Christus zur Darstellung bringen. Es geht dabei aber nicht um eine Christusrepräsentanz im Sinn einer klerikalen Selbstverengung. Die innere Haltung muss die des Johannes des Täufers sein: Ich bin es nicht. Es ist ein anderer, auf den ich verweise – aber mit meiner ganzen Person.

HK: Aber lassen sich die konkreten Priesteramtskandidaten auf diese subtile theologische Unterscheidung ein oder greifen sie nicht doch lieber nach dem neoklerikalen Strohhalm, durch den sie sich ihre Identität zu sichern versuchen?

Bentz: Man kann die heutigen Kandidaten nicht über einen Strang schlagen. Es gibt aber eine große Suche nach Identität. Darauf müssen wir mit einer klaren Profilierung antworten: Aber Identität des Priesters ist nicht primär in Unterscheidung zu bestimmen. Es braucht sicher einen Raum, in dem Gespräche über das Spezifische des priesterlichen Dienstes und seiner Spiritualität möglich sind. Aber solche Bemühungen um Selbstvergewisserung dürfen nicht sozusagen in einem abgeschlossenen Milieu stattfinden. Darin liegen große Gefährdungen. Der Priester muss sich künftig noch mehr in einer Spiritualität des Volkes Gottes auf das gemeinsame Zeugnis des Christseins besinnen und von da aus eine priesterliche Spiritualität entwickeln. Das Wort des Heiligen Augustinus gilt auch hier: Mit euch und für euch!

HK: Welche Typen von Priesteramtskandidaten sind denn derzeit in den Seminaren vor allem vertreten? Sind hier deutliche Verschiebungen im Gang?

Bentz: Wir haben nach wie vor nicht wenige Kandidaten, die sozusagen die klassischen Wege gegangen sind und vor allem aus der Ministrantenarbeit kommen. Sie sehen das Priesteramt vor allem im Horizont des Pfarreilebens. Andere sind stärker von neuen geistlichen Bewegungen geprägt und pflegen ein entsprechendes missionarisches Selbstverständnis. Manchmal haben sie selber schon einen Weg der Umkehr und der Neuentdeckung der christlichen Botschaft zurückgelegt, bringen dafür aber kaum Erfahrungen mit konkretem Gemeindeleben mit. Daneben gibt es nach wie vor auch einige, die ihren Glauben mehr vom diakonalen Dienst her verstehen und auch stärker politisch interessiert sind. Grundsätzlich ist den meisten Kandidaten die liturgisch-spirituelle Dimension sehr wichtig. Sie wollen ausdrücklich „Geistliche“ in diesem Sinn sein. In der ersten Phase der Ausbildung stehen daher die eher spirituellen Wachstumsprozesse im Vordergrund. Fragen nach der späteren konkreten beruflichen Situation sind nachgeordnet. Aber die meisten sind diesbezüglich nicht blauäugig. Sie haben keine Angst vor den bevorstehenden Umbrüchen. Sie wissen, dass sich vieles ändern wird. Aber sie haben Sorge, ob wir diese Umbrüche gut gestalten und zwar so, dass diese Dimension des Geistlichen für sie lebbar bleibt.

HK: Diese berufliche Zukunft wird sich in einer sehr heterogenen kirchlichen Landschaft abspielen, von der Betreuung von volkskirchlichen Restmilieus bis zur christlichen Präsenz in neuen Aufgabenfeldern mit den entsprechenden Experimenten. Inwiefern kann man Priesteramtskandidaten auf so unterschiedliche Einsatzorte vorbereiten?

Bentz: Lernbereitschaft ist das „A und O“ für alle Beteiligten. Niemand hat das Ei des Kolumbus und kann sagen, wie die Entwicklung von Christentum und Kirche tatsächlich aussehen wird und welche Anforderungen sich dementsprechend für die Pastoral ergeben. Deshalb ist entscheidend, dass Schlüsselkompetenzen vermittelt werden und sich die künftigen Priester in den jeweiligen neuen Situationen selbst als Lernende begreifen. Dafür ist der Begriff der Jüngerschaft sehr hilfreich: Jüngerschaft setzt voraus, dass man zu einer Grundhaltung des Lernens, des Nach- und Weitergehens bereit ist, in Ausrichtung auf das Evangelium. Es geht nicht darum, in den paar Jahren im Seminar ausgebildet zu werden und dann sozusagen fertig zu sein. Man muss die Bereitschaft mitbringen, trotz der Belastungen im Amt ein Lernender zu bleiben. Nicht alles kann im Seminar lernend vorweggenommen werden. Oft kommt es gerade an der ersten Pfarrstelle zu enormen Lernumbrüchen, weil einfach neue Herausforderungen zu bewältigen sind. „Es geht um die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen“

HK: Früher, als ein Weihekurs vielleicht 30 oder 40 Kandidaten hatte, konnten es sich die Diözesen leisten, schwache oder problematische Priester etwa in kleinen Pfarreien unterzubringen, wo sie keinen größeren Schaden anrichten konnten. Wie sieht es in dieser Hinsicht heute aus?

Bentz: Manche Bistümer machen die Erfahrung, dass sich bestimmte Priester für den sehr administrativ geprägten Einsatz als Leiter immer größerer Seelsorgeeinheiten nicht eignen. Ihre Fähigkeiten liegen dafür eher in der kategorialen Seelsorge. Es kann dabei nicht um eine Wertung wie „schwach“ oder „stark“ gehen. Wir müssten auch künftig eine Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten erhalten, schon um der Attraktivität des Berufs willen. Charismenvielfalt gilt auch für den priesterlichen Dienst. Bin ich als Priester nur auf eine bestimmte Struktur festgelegt? Kann ich mich mit meinen Fähigkeiten und Begabungen entsprechend einbringen? Bei allen verständlichen Schwierigkeiten für die notwendige Personalplanung: Es braucht die Bereitschaft zur Flexibilität beim Einsatz der jeweils zur Verfügung stehenden Priester. Das System darf die Person nicht erdrücken. 

HK: Zukünftige Priester absolvieren in der Regel ein volles Theologiestudium, meist an einer Theologischen Universitätsfakultät. Gleichzeitig lässt die theologische und überhaupt intellektuelle Befähigung von Jungpriestern nicht selten zu wünschen übrig. Welchen Stellenwert bräuchte die theologische Ausbildung?

Bentz: In einer säkularen Umwelt braucht es mehr denn je die Fähigkeit, Rede und Antwort stehen und den Glauben auch intellektuell redlich verantworten zu können. Die künftigen Priester müssen Interesse haben an gesellschaftlichen Entwicklungen und Vorgängen, nicht nur im Sinn einer allgemeinen Sensibilität. Es braucht die Fähigkeit, wahrnehmen, deuten und letztlich unterscheiden zu können, wo sich in dieser Gemengelage Gottes Geist zeigt. Auch diese Deutefähigkeit ist ein Dienst am Aufbau des Volkes Gottes. Dafür ist eine gediegene theologische Ausbildung unverzichtbar. Mancherorts sind die Rahmenbedingungen für die Lernprozesse im Priesterseminar durch die Organisation der modularisierten Studiengänge schwieriger geworden. Mit Abstrichen an der Qualität der theologischen Bildung sind diese aber nicht zu lösen. „Eine stärkere pastorale Einbindung wäre wünschenswert“

HK: Wie lässt sich dann der Ausgleich zwischen Seminar einerseits und Universität andererseits produktiv gestalten?

Bentz: Das Seminar kann und soll ein Lernort für den theologischen Austausch unter den Priesteramtskandidaten sein und gemeinsames Fragen und Diskutieren befördern. Die Elemente der Seminarausbildung befruchten umgekehrt auch wieder das theologische Lernen. Fakultäten dürfen diese Elemente nicht als „lästiges Anhängsel“ sehen. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Papst Franziskus spricht vom „Stallgeruch“ der Hirten. Wir müssen uns fragen, wo und wann künftige Priester die Gelegenheit haben, diesen „Stallgeruch“ anzunehmen.

HK: Auf welche Weise wäre das am ehesten zu erreichen? Genügen einzelne Praktika während des Studiums?

Bentz: Die bisher üblichen, auf wenige Wochen begrenzten Praktika in einer Schule, einer Pfarrei oder einer sozialen Einrichtung sind wichtig, aber nur begrenzt dafür geeignet, Grundhaltungen auszuprägen. Eine stärkere pastorale Einbindung mit mehr Kontinuität wäre überlegenswert: Neben der Ausbildung an Uni und Seminar während der Woche wäre an den Wochenenden dagegen jeder Student einer bestimmten Pfarrei zugeordnet, und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg, um das Leben mit einer Gemeinde auch tatsächlich teilen zu können.

HK: Die Kirche in Deutschland ist nach wie vor eine strukturell stabile Institution, die finanziell gut ausgestattet ist und deshalb beispielsweise auch ihre Priester ordentlich bezahlen kann. In diesem Umfeld ist hierzulande auch die Priesterausbildung angesiedelt. Kann das nicht bei den Verantwortlichen die Illusion nähren, man könne im Grunde genommen weiter machen wie bisher?

Bentz: Papst Franziskus hat bei verschiedenen Gelegenheiten, zuletzt bei einem Treffen mit römischen Seminaristen, eindringlich an die künftigen Priester appelliert, sie dürften keine Beamten werden, sondern Hirten. Er zeigt auch seine Skepsis gegenüber einer gewissen Überinstitutionalisierung. Wir müssen in der derzeitigen Situation aufpassen, dass wir solche Tendenzen in den Seminaren nicht auch noch fördern. Selbstkritisch müssen wir auf vorhandene, kontraproduktive „Verwöhnstrukturen“ schauen. Ermöglicht das Seminarleben Lernprozesse, die die Eigeninitiative fördern? Oder begünstigen wir eine Mentalität der Überversorgung?

HK: Ziehen denn die Verantwortlichen für die Priesterausbildung in den deutschen Diözesen mehr oder weniger am gleichen Strang oder geht die Entwicklung zwischen den verschiedenen Bistümern tendenziell eher auseinander?

Bentz: In der Regentenkonferenz treiben uns gemeinsame Sorgen um. Wir sprechen offen miteinander. Natürlich gibt es unterschiedliche Stile und Bistumsidentitäten. Für einen bayerischen Regens gibt es vielleicht andere Akzentsetzungen als für den Regens von Osnabrück und erst recht für den von Erfurt etwa im Unterschied zum Kölner Regens. Das finde ich nicht problematisch: Wenn wir die Vielgestaltigkeit von Kirche begrüßen, muss das auch für den Bereich der Priesterausbildung gelten, solange ein guter gemeinsamer Grundkonsens über Standards der Priesterausbildung besteht. „Der Versuchung widerstehen, Zahlen zu liefern“

HK: Besteht auch Einigkeit über die Kriterien für die Zulassung von Kandidaten? Nicht jeder, der Priester werden möchte, ist auch geeignet, gerade unter den heutigen Bedingungen in Kirche und Gesellschaft….

Bentz: Trotz der wenigen Bewerber dürfen wir die Auswahlkriterien nicht aufweichen. Der Versuchung, Zahlen zu liefern, muss man widerstehen. Die Regenten sind sich darin einig, dass einerseits diejenigen, die kommen, in ihrer Berufung ernst genommen werden müssen, dass andererseits aber klar auf das Persönlichkeitsprofil, die Reife und die Qualifikationen geschaut werden muss. Allen Unkenrufen zum Trotz gibt es ernsthafte und gut verantwortete Selektionsprozesse, bei der Aufnahme und auch während der Ausbildung. Ein Regens braucht einerseits viel Sensibilität und Geduld, um Entwicklungsprozesse zu begleiten. Er muss aber auch die Bereitschaft mitbringen, unliebsame Entscheidungen zu treffen.

HK: Was heißt denn heutzutage überhaupt „Berufung“ zum Priestertum? Inwiefern gibt es wirklich diese spezifische Berufung und worin unterscheidet sie sich von der Bereitschaft, einen anderen kirchlichen Beruf zu ergreifen?

Bentz: In den biblischen Berufungserzählungen ist ein Element charakteristisch: Gott ruft einen Menschen als Antwort auf die Not des Volkes Gottes. Das gilt für jede Berufung. Ich konfrontiere die Priesteramtskandidaten immer mit der Frage, welcher Not des Gottesvolkes sich wohl ihre Berufung verdankt. Manchen verwirrt diese Frage im ersten Moment; oftmals setzt sie aber mindestens einen Prozess des Nachdenkens in Gang: Warum will ich mich bewerben? Warum finde ich einen anderen Weg für mich nicht geeignet? Natürlich kann keiner bis ins Letzte begründen, warum er sich auf diesen Weg gerufen fühlt. Berufung ist ja ein Beziehungsgeschehen. Gott ruft in Freiheit – der Mensch antwortet in Freiheit. Dafür gibt es keine letzten Begründungen. Aber es gibt Motive, einen Weg zu wählen. Meist ist es ein Zusammenspiel mehrerer – bewusster und unbewusster – Motive: zum einen das innere Erleben einer besonderen Christusbeziehung, auch wenn darüber am Anfang oft nur eher „unbeholfen“ gesprochen werden kann. Immer ist auch eine besondere Liebe zur Liturgie im Spiel. Viele haben einfach Freude daran, über den Glauben mit anderen zu sprechen und eigene Glaubenserfahrungen weiterzugeben. Auch gibt es in jeder Berufungsbiographie ermutigende Vorbilder. Die meisten formulieren, gerade im Blick auf die spezifische Lebensform des Zölibats: Sie wollen sich dem Glauben „irgendwie ganz“ widmen. Das ist alles meist nur anfangshaft und noch unsortiert vorhanden; das Seminar hat die Aufgabe, im Lauf der Zeit die Fähigkeit zur besseren Unterscheidung der eigenen Motive einzuüben. Für mich wächst eine reife Berufung dort, wo innere Freiheit und Entschiedenheit für diesen Weg in gleichem Maße zunehmen.

HK: Von Priestern erwartet man nicht zuletzt ein hohes Maß an Identifikation mit der real existierenden Kirche mit ihren offiziellen Vollzügen und Strukturen. Das Image der katholischen Kirche hat durch die Aufdeckung von Missbrauchsfällen, zuletzt auch durch das Verhalten des Limburger Bischofs deutliche Dellen bekommen. Wie nimmt sich heutige Priesterausbildung auf diesem Hintergrund aus?

Bentz: Es gibt heute in den Gemeinden nach wie vor eine große Solidarität mit dem priesterlichen Dienst und echte Wertschätzung, damit verbunden auch beträchtliche Erwartungen. Nicht alle können und müssen erfüllt werden. Der Priester muss kein Alleskönner sein. Es gibt viel Bereitschaft der Unterstützung. Wenn aber Glaubwürdigkeit und Beziehungsfähigkeit fehlen, dann wird es schwierig. Nur durch glaubwürdige Zeugen hat die Kirche Chancen, Gehör zu finden; wo es hier Defizite gibt, gerät die Kirche in Misskredit. Es braucht die Ermutigung zu mehr Authentizität, nicht nur im Reden, sondern vor allem auch im Tun. Papst Franziskus hat vor Seminaristen ein Wort des Heiligen Franz von Assisi zitiert, wonach wir Zeugnis vom Evangelium geben sollen, „gegebenenfalls auch mit Worten“. Entscheidend ist also in jedem Fall das Lebenszeugnis. Ich erlebe, dass junge Menschen auch weiterhin vom Priesterberuf fasziniert sind als einem Beruf, der nicht einfach nur eine Tätigkeit bedeutet, sondern eine Aufgabe, die das ganze Leben prägt. Aber dieser Anspruch muss stimmig sein.  

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