Die katholische Kirche wird mehr und mehr zur Weltkirche. Über die Hälfte aller Katholiken leben heute außerhalb Europas und erstmals kommt auch der Papst „vom anderen Ende der Welt“. Seit den Sozialenzykliken der sechziger Jahre (Mater et Magistra, Pacem in Terris, Populorum progressio) und der Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ wird in der kirchlichen Sozialverkündigung unter „sozialer Gerechtigkeit“ immer zugleich die Gerechtigkeit sowohl innerhalb der Nationen als auch zwischen den Völkern verstanden, das Gemeinwohl als Weltgemeinwohl begriffen und Gerechtigkeit als globale Gerechtigkeit eingefordert.
Die verschiedenen Hilfswerke und ihr nach wie vor hohes Spendenaufkommen spiegeln das Bewusstsein der deutschen Katholiken für die weltweite Not durchaus wider. Aber ist diese Bereitschaft für weltweite Solidarität auch vor Ort bei den Gemeinden und den katholischen Verbänden in der Weise angekommen, dass es das Leben der Katholiken wirklich prägt, oder bleibt es doch letztlich peripher? Wenn man die vom derzeitigen Papst immer wieder eingeforderte „Option für die Armen“ ernst nimmt und über den Tellerrand des eigenen Landes hinausblickt, müsste eigentlich klar sein, dass es ohne diese Grundhaltung und entsprechendes Handeln eigentlich kein glaubwürdiges Christsein geben kann.
Ein Ergebnis der Studie von Klaus Kießling aus dem Jahre 2009 über „Weltkirchliche Arbeit heute für morgen“ machte deutlich, dass die weltkirchlich Engagierten in den Gemeinden oft nicht gut mit anderen entwicklungspolitischen Akteuren vernetzt sind und es an Wissen übereinander und Kommunikation untereinander fehlt, wobei jedoch die katholischen Verbände noch relativ gut abgeschnitten haben. Sie erhalten überdies nach den Hilfswerken und den Orden an dritter Stelle von den Gemeinden tatkräftige und finanzielle Unterstützung.
In letzter Zeit bemühen sich auch die Hilfswerke (zum Beispiel schon länger Misereor mit dem BDKJ oder Adveniat mit der Katholischen Landjugend und mit Kolping) verstärkt um Kontakte und Zusammenarbeit mit den Verbänden. Trotzdem ist in der allgemeinen kirchlichen Öffentlichkeit die internationale Arbeit der Verbände nicht sehr stark im Blick. Dabei sind deren Aktivitäten durchaus beachtlich. Hochprofessionell und finanzstark ist die Arbeit des Hilfswerkes im Deutschen Caritasverband, Caritas international, die aber mit den übrigen katholischen Verbänden kaum zu vergleichen ist, da diese als Mitgliederverbände zunächst auf andere als entwicklungspolitische Ziele ausgerichtet sind.
Viele Verbände sind in die Partnerschaften deutscher Diözesen mit Bistümern aus armen Ländern aktiv eingebunden. Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg pflegt langjährige Partnerschaften mit Pfadfinderorganisationen in Ruanda und Bolivien. Aus dem Bund Katholischer Unternehmer (BKU) ist die „AFOS-Stiftung für unternehmerische Entwicklungszusammenarbeit“ hervorgegangen, die Kleinunternehmen fördert und sich für den Aufbau von Mikrofinanzsystemen einsetzt (Der Name geht zurück auf den „Afrika Fonds für Selbstständigkeit“ des BKU).
Viele Verbände, die selbst nicht direkt mit Partnern aus ärmeren Ländern zusammenarbeiten, haben Programme für entwicklungspolitische Bildung und globales Lernen oder engagieren sich in internationalen Dachorganisationen für die weltweite Armutsbekämpfung, so beispielsweise die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) in der internationalen Bewegung der christlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft im letzten Monat haben sich katholische Verbände wie der DJK-Sportverband, die KAB, die Katholische Landjugendbewegung und Kolping International mit Adveniat zur „Aktion Steilpass“ zusammengetan, um auf die sozialen Probleme in Brasilien hinzuweisen.
Fragt man in Lateinamerika nach den Aktivitäten deutscher katholischer Verbände, so wird meist nur Kolping International genannt. Das hängt damit zusammen, dass dort ähnlich organisierte, von katholischen Laien getragene Verbände wie in Deutschland kaum existieren, in vielen Ländern jedoch seit einigen Jahrzehnten von Deutschland aus Kolping-Familien und Kolping-Verbände aufgebaut worden sind. Außerdem ist es Kolping International gelungen, über den Verein „Sozial- und Entwicklungshilfe des Kolpingwerkes“ (SEK e.V.) auch Bundesmittel für Entwicklungsprojekte zu erhalten, wodurch Kolping auch verhältnismäßig finanzstark auftreten kann. Aus dem Jahresbericht dieser SEK von 2013 geht hervor, dass das weltweite Kolpingwerk mittlerweile mehr als 7300 Kolpingfamilien mit rund 400 000 Mitgliedern umfasst.
Mehr als 130 Projekte in 43 Ländern tragen dazu bei, dass das Prinzip von internationaler Solidarität aktiv umgesetzt wird. Die wesentlichen finanziellen Quellen für die Arbeit der SEK sind Spenden und Zuschüsse der öffentlichen Hand. Erträge aus Spenden beliefen sich 2013 auf knapp 2,8 Millionen Euro, während die öffentlichen Zuwendungen rund 6,8 Millionen ausmachten.
Inspiriert von den Impulsen aus der Enzyklika „Populorum progressio“, in der Papst Paul VI. einen umfassenden Begriff von Entwicklung zum Leitbild für ein gerechtes Miteinander aller Menschen auf der ganzen Welt machte, weitete das Internationale Kolpingwerk (IKW) seine verbandlichen Aktivitäten ab dem Ende der sechziger Jahre dynamisch aus. So wurde auf der XVIII. Generalversammlung am 14. Juni 1968 in Salzburg beschlossen, dass Kolping fortan in Lateinamerika vor Ort Zentren errichtet, um die Lebenssituation der Menschen durch nachhaltige Entwicklungs- und durch effiziente Bildungsprozesse positiv zu verändern.
Wie das Themenheft „40 Jahre Kolping in Lateinamerika – 1968–2008“ (Köln 2009) darstellt, war Brasilien eines der ersten Länder, in dem dieser Beschluss umgesetzt wurde. Im Fokus stand die berufliche Ausbildung Jugendlicher, sodass es bereits 1972 in São Paulo zur Gründung des ersten Kolping-Ausbildungszentrums kam. „Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Verbandsaufbau als entwicklungspolitischer Ansatz“ sind seitdem entscheidende Prinzipien der verbandlichen Aktivitäten in Brasilien, durch deren Realisierung Chancen auf ein selbstverantwortetes und menschenwürdiges Leben für Heranwachsende greifbar werden sollen.
Teil einer weltumspannenden solidarischen Gemeinschaft
Mit der offiziellen Gründung des Nationalverbandes „Kolpingwerk Brasilien“ im November 1973 konnte sich das Kolpingwerk dann eine solide Organisations- und Mitgliederstruktur schaffen, die sich noch heute die Schwerpunkte „Infrastruktur, integraler Humanismus, ökonomische Lernprozesse und soziales Engagement“ setzt. Bildungsarbeit ist von Anfang an das wesentliche Element dieser Entwicklungszusammenarbeit, damit sozial benachteiligte Menschen in Brasilien dazu befähigt werden, „handelnd lernen und lernend handeln“ zu können.
Durch eine ganzheitliche Aus- und Weiterbildung, die auf keine Altersgruppen beschränkt ist, will das Kolpingwerk eine veränderte Gesellschaft durch gerechtere Strukturen erreichen. Dabei ist für das Kolpingwerk charakteristisch, dass man sehr pragmatisch, ergebnisorientiert und konkret mit Betroffenen zusammenarbeitet. Neben zahlreichen Kleinprojekten gibt es auch größere Initiativen, beispielsweise das Projekt „G.T.A“ (Grupo de Trabalhadores Autônomos), das sich seit 1981 um Kleinstunternehmer aus dem informellen Sektor kümmert.
Das Kolping-Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ spiegelt sich hierin besonders wider, da die Menschen durch Hilfestellungen im Bereich Betriebsmanagement sowie Vermarktung der Produkte und durch finanzielle Unterstützung beim Erwerb von Maschinen und Rohstoffen zur Selbstverantwortlichkeit und Eigeninitiative angeregt werden. So kann nicht nur das Einkommen der Familien erhöht werden, sondern die Unternehmer sollen sukzessiv zu einer Eigenorganisation in Berufsgremien und Genossenschaften befähigt werden.
Ein zweites Projekt trägt den Namen „Zisternenprojekt“. Da der Nordosten Brasiliens beständig unter Trockenheit leidet, beteiligt sich das Kolpingwerk aktiv an der von der brasilianischen Bundesregierung initiierten Kampagne für Zisternenbau. Förderer sind in diesem Projekt die jeweiligen Kommunalverwaltungen, deutsche Kolping-Diözesanverbände und westeuropäische Kolping-Nationalverbände.
Im „Wohnungsprojekt Mariápolis“ wurde schließlich aus einer größeren Immobilie, die dem Kolpingwerk vom Bistum Uruaçu im mittleren Westen Brasiliens (Bundesstaat Goiás) geschenkt wurde, ein Lebensraum für obdachlose Familien geschaffen. Wohnraum wird ihnen zunächst günstig vermietet und im Idealfall soll die Familie nach einer Übergangszeit zum Kauf des Grundstücks in der Lage sein. „Überall geht es – ganz nach dem Modell der Zusammenarbeit mit Brasilien – bei weitem nicht nur um die finanzielle Förderung von Projekten. Persönliche Kontakte und Beziehungen, kultureller Austausch, gegenseitiges Verstehen und ein intensives Voneinander-Lernen prägen diese Partnerschaften bis heute. Daraus wächst bei allen Beteiligten das starke, verbindende Gefühl, zu einer großen weltweiten Familie zu gehören, Teil einer weltumspannenden solidarischen Gemeinschaft zu sein“ (40 Jahre Kolping in Lateinamerika, 29).
Nicht überall war die Arbeit freilich so erfolgreich. In der Stadt Altotonga (Veracruz, Mexiko) wird der Bau eines Kolping-Berufsbildungszentrums 1980 veranlasst. Doch ein erstes Hindernis besteht darin, das richtige Personal für die weitere Arbeit zu finden. Es kommt vor, dass scheinbar vertrauenswürdige Personen mehr für eigene finanzielle Vorteile arbeiten als für das Vorankommen Kolpings. Strukturprobleme in der Organisation und Mentalitätsprobleme zwischen Vertretern des Internationalen Kolpingwerks und Vertretern der Erzdiözese in Xalapa verhindern eine kontinuierliche und kooperative Entwicklungsarbeit. Noch gegen Ende der neunziger Jahre spürt Kolping Mexiko die Folgen eines „anfänglichen Paternalismus und Assistenzialismus, sodass es schwer fällt, die Lethargie der Abhängigkeit vieler Mitglieder in eine aktive Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung umzuwandeln“ (40 Jahre Kolping in Lateinamerika, 62).
Dennoch konnten sich vor allem in Xalapa (Veracruz) und in der Erzdiözese Tuxtla Gutiérrez (Chiapas) regionale Schwerpunkte des IKW bilden, sodass auch in diesem Land wichtige Kolping-Projekte laufen. Ein Vorzeigeprojekt ist die Kooperative „J’amteletic“, die organischen Kaffee auf den Berghöhen in San Adrés Larrainzal (Chiapas) anbaut. In Deutschland läuft dieser Kaffee als Produkt „Fairen Handels“.
In Mittel- und Osteuropa setzte die Kolping-Arbeit relativ spät ein
Im Vergleich zu den Aktivitäten des lateinamerikanischen Kolpingwerks setzte die Kolping-Arbeit in zahlreichen Ländern Mittel- und Osteuropas relativ spät, erst nach der „Wende“ ein, erlebte dann jedoch eine starke Expansion. Bisherige Erfahrungen der europäischen Arbeit und Anregungen vom Internationalen Kolpingwerk wurden im November 1995 in Teisendorf gebündelt in einer satzungsmäßigen Neugründung des Kolpingwerks Europa (15 Jahre Kolpingwerk in Mittel- und Osteuropa, Köln 2005, 10).
Neben den traditionsreichen Nationalverbänden Österreich, Deutschland, Schweiz, Italien (Südtirol), Niederlande und dem portugiesischen Verband, die sich bereits 1985 zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten, treten bei dieser Neukonstituierung nun Nationalverbände aus Ungarn, der Tschechischen Republik, Litauen und Rumänien hinzu, um kooperativ und gemeinschaftlich für die Verwirklichung internationaler Solidarität in ganz Europa einzustehen. Inzwischen konnten sich im Gebiet des europäischen Kolpingwerks weitere Nationalverbände in Polen und Kroatien, in Albanien, Jugoslawien, Slowenien und in der Slowakei entwickeln. Des Weiteren existieren in Luxemburg, im Kosovo, in der Ukraine und in der Republik Moldau einzelne Kolpingfamilien.
Der große Wert und das hohe Anregungspotenzial der dichteren internationalen Verflechtung wurden schon am europäischen Kolpingtag 1996 in Salzburg deutlich. Unter dem Leitspruch „Europa – Kolping baut mit“ tauschten sich mehr als 2000 Kolping-Mitglieder aus über zwanzig europäischen Ländern über ihre Erfahrungen und Ziele aus. Im Themenheft wird von diesem Tag als einer bereichernden Erfahrung für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen geschwärmt:
„Vor allem für zwei wesentliche und grundlegende Anliegen und Aufgaben haben diese Tage wichtige Impulse gegeben: Das eine ist die eigentlich selbstverständliche, aber doch immer wieder gern vergessene oder auch verdrängte Einsicht, dass es auch auf uns selbst ankommt, wenn in dieser Welt etwas bewegt werden soll. ‚Wer nicht handelt, wird behandelt‘ — dieser Gedanke wurde in vielfältiger Weise spürbar. Das andere ist die ebenso selbstverständliche, oft aber vernachlässigte Einsicht, dass wirklich solide Prozesse menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenwachsens ohne Begegnung miteinander, ohne Kenntnis voneinander und ohne Verständnis füreinander nicht möglich sind“ (15 Jahre Kolpingwerk in Mittel- und Osteuropa, 11 f.). Insbesondere setzten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen im „Salzburger Manifest“ für ein Europa ein, „in dem Demokratie gelebt, Gerechtigkeit verwirklicht und Friede gestiftet und gesichert werden“.
Eines der jüngsten europäischen Kolpingwerke ist das im Jahre 2000 gegründete Kolpingwerk im Regionalverband Kosovo. 14 Kolpingfamilien mit einer Zahl von 500 Mitgliedern wollen die Maxime des Salzburger Manifests in eine sozialethische Praxis überführen. Als der Krieg im Kosovo im Sommer 1999 ein Ende nimmt, kehren kosovarische Flüchtlinge, die vorübergehend im Norden Albaniens von Kolping-Mitgliedern versorgt wurden, zurück in ihr eigenes Land.
Wesentliches Anliegen des Kolpingwerks ist nun die Stärkung des Regionalverbandes Kolping Kosovo, damit der Wiederaufbau einer kosovarischen zivilen Gesellschaft möglich wird. Dabei setzt sich die Zielgruppe für diesen Entwicklungsprozess aus Mitgliedern der Kolpingfamilien und aus jungen Männern und Frauen zusammen, die oft aus sozial benachteiligten Familien kommen, Minderheiten angehören und arbeitslos sind. Dem besonderen Profil des Kolpingwerks entsprechend, bemüht es sich auch hier, „zur Senkung der Arbeitslosigkeit beizutragen und auf Dauer (…) Projekte in das professionelle Bildungssystem, das derzeit in der Entstehung ist, zu integrieren“ (15 Jahre Kolpingwerk in Mittel- und Osteuropa, 25).
Bleibt der Einsatz für die Peripherie selbst peripher?
Haben diese internationalen Aktivitäten katholischer Verbände aus Deutschland, von denen hier exemplarisch vor allem das Kolpingwerk dargestellt wurde, auch eine Rückwirkung auf die Mitglieder hierzulande, auf ihr Glaubensverständnis, auf ihre Alltagspraxis, auf ihr Handeln in Kirche und Gesellschaft oder bleibt der Einsatz für die Peripherie selbst peripher? Seit einigen Jahren gibt es im deutschen Katholizismus eine kontrovers geführte Debatte über die Zukunft der Verbände. Für die einen klingt „Verbandskatholizismus“ nicht gerade nach Zukunftsfähigkeit und Innovationsfreudigkeit, andere betonen die pastoralen Chancen gerade der Verbände mit ihren demokratischen Strukturen und ihrem Bezug zum gesellschaftlichen Engagement (Leo Jansen/Manfred Körber, Katholische Verbände – eine Chance für die Pastoral. In: Pastoraltheologische Informationen 24 [2004] Heft 1, 65–74).
Manche Kritiker werfen den Verbänden vor, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen, zu sehr an bestehende Verhältnisse angepasst und zu wenig kritisch, zu wenig politisch zu sein. Anderen sind ihre demokratischen Strukturen und ihr relatives Eigenleben im Verhältnis zu Pfarreien und Diözesen suspekt.
Die internationale Arbeit der Verbände könnte einen Beitrag dazu leisten, dass sie sich selbst und damit Kirche und Katholizismus in Deutschland insgesamt erneuern. Jede Erneuerung geht aus der Rückbesinnung auf das hervor, was einem besonders wichtig sein sollte. Das ist aber – wie Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ betonte – aus dem Evangelium und der Reich-Gottes-Botschaft klar ersichtlich, nämlich „die absolute Vorrangigkeit des ‚Aus-sich-Herausgehens auf den Mitmenschen zu‘ als eines der beiden Hauptgebote, die jede sittliche Norm begründen, und als deutlichstes Zeichen, anhand dessen man den Weg geistlichen Wachstums als Antwort auf das völlig ungeschuldete Geschenk Gottes überprüfen kann“ (179).
Die Chancen der Erneuerung kommen also vor allem daher, dass sich Christen wieder stärker für die Bekämpfung der Not der Armen einsetzen. Dieser Einsatz sollte dann eben nicht nur in ihrem unmittelbaren Umfeld erfolgen, sondern in Zeiten der Globalisierung als Gegenbewegung zur „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ besonders auch für jene Armen, die zwar in anderen Ländern, auch in sehr entfernten Ländern leben, aber aufgrund der zunehmenden globalen Verflechtungen eben sehr wohl auch „unsere Armen“ sind.
Selbstverständlichkeiten in Frage stellen lassen
Menschen, die sich wirklich auf solche internationalen Begegnungen einlassen, werden mit der Tatsache konfrontiert, dass Christen in anderen Ländern unter Bedingungen leben, die hier kaum vorstellbar sind, dass sie sich mit politischen Kooperationspartnern verbünden, von denen man sich hier fernhalten würde, dass sie sich für Aktionsformen wie Demonstrationen, Hungerstreiks, Besetzung öffentlicher Plätze oder Gebäude einsetzen, über die das katholische Milieu hierzulande eher die Nase rümpft.
Kurzum: Dann müssen Katholiken hierzulande sich und ihre Selbstverständlichkeiten in Frage stellen lassen und daraus die Erkenntnis ziehen, dass vieles auch ganz anders sein kann. Gerade dort, wo diese internationalen Beziehungen nach dem Partnerschaftsmodell, also im wechselseitigen Austausch auf Augenhöhe, gestaltet werden, gibt es durchaus einen Rückfluss von Anregungen und Ideen aus ärmeren Ländern und Schwellenländern zu uns und in die hiesige pastorale Praxis.
Auch der 2012 neu gewählte Generalsekretär des Internationalen Kolpingwerks, Markus Demele, sieht diese Rückwirkung auf die hiesige pastorale Praxis als Chance, die Kraft des Evangeliums bei uns vor Ort und weltweit zu leben. Die dadurch mögliche Grenzen überwindende „emotionale Nähe im Verband“ ist auch zentral für ein Erleben der katholischen Kirche als Weltkirche.
In den ärmeren Ländern gibt es häufig eine engere Zusammenarbeit der Christen mit „progressiven“ Organisationen und alternativen Modellen (wie beispielsweise der „Solidarischen Wirtschaft“), eine größere Bedeutung der Arbeit von Ehrenamtlichen, von Laien, insbesondere von Frauen, und ganz selbstverständlich ein integraleres Verständnis von christlicher Praxis, die sich eben nicht auf Kirche, Gottesdienst, Gebet reduzieren lassen kann, sondern soziales und politisches Engagement umfasst oder sogar – wie bei Papst Franziskus – mit einem Vorrang versieht.
Wer sich den sozialen Fragen und Problemen auch auf anderen Kontinenten stellt, wird schließlich sensibler für die Nöte von Menschen im eigenen Land, insbesondere auch solcher Menschen, die der Not in ihrer Heimat entfliehen wollten und dann im Land ihrer Träume auf Ablehnung, Schikanen, ja sogar auf Hass und vielfältige neue Not stoßen. Nicht umsonst sind es oft die Eine-Welt-Engagierten, die sich dann auch für Migranten und Migrantinnen einsetzen und es – entgegen mancher fremdenfeindlicher Neigungen ihres eigenen Milieus – als Skandal empfinden, wie wir in Europa mit der Not dieser Menschen umgehen.
So kann es dann passieren, um nur ein Beispiel zu nennen, dass die ehemalige Kolping-Bildungsstätte Weberhaus Nieheim des Kolpingwerks Paderborn vorübergehend Flüchtlinge aus Syrien und anderen Krisenregionen aufnimmt. Der Leiter der Bildungsstätte, Michael Wöstemeyer, konnte dieses Vorgehen gut mit den Anliegen des „Gesellenvaters“ verbinden: „Adolph Kolping hat damals junge, heimatlose Wandergesellen von der Straße geholt. Heute sind es die Flüchtlinge, um die wir uns in seinem Sinne kümmern müssen“ (Informationen auf www.kolping-bildung-paderborn.de). Wenn diese Arbeit künftig noch stärker von der verbandlichen Basis mitgetragen wird, stecken in ihr durchaus Potenziale der Erneuerung für die Verbände selbst und insgesamt für die Kirche in Deutschland: „Katholische Verbände sind eine Chance für die Pastoral, wenn sie nicht Vergangenem nachtrauern, sondern sich als praktische Lernorte des sozialen Gewissens und der Solidarität weiter profilieren“ (Jansen/Körber 74). Gerade angesichts der derzeitigen Umformatierungen der Strukturen und Arbeitsformen der Pfarreien kommt Verbänden vielleicht eine wichtige Rolle zu. Sie könnten einen Raum des Christseins bieten, der in den Ortspfarreien verloren zu gehen droht und sie könnten besonders für solche Menschen ein Ort des Engagements sein, die sich den Pfarreien entfremdet haben. Gerade die Gruppen engagierter Personen in Verbänden könnten „kleine christliche Gemeinschaften“ sein, in denen das Christsein innerhalb einer Gemeinschaft, die sich zu internationaler Solidarität verpflichtet weiß, authentisch gelebt wird.