Zu den aus westeuropäischer Sicht eher irritierenden Eigenschaften des neuen Papstes aus Argentinien gehört, dass er recht unmittelbar auch vom Teufel spricht. Weltkirchlich gesehen ist auch der Exorzismus nicht einfach nur ein Relikt. In Polen hat man zuletzt heiß über ihn diskutiert. Jetzt wurde bekannt, dass der Vatikan eine Exorzistenvereinigung offiziell anerkannt hat, auch wenn es sich deshalb noch nicht um eine Einrichtung der katholischen Kirche handelt. In Deutschland hingegen spielt das Thema faktisch keine Rolle. Das „neue“ Rituale Romanum von 1999 beispielsweise ist bisher noch ohne deutsche Übersetzung.
Warum Exorzisten und ihr Tun über einen existierenden Graubereich hierzulande nicht hinauskommen, lässt sich sehr gut an einer gerade erschienenen zeitgeschichtlichen Arbeit nachvollziehen. Petra Ney-Hellmuth hat in ihrer Dissertation den Fall „Anneliese Michel“, der inzwischen mehrfach verfilmt wurde, noch einmal aufgerollt. Das Schicksal der 1976 verstorbenen Studentin im Bistum Würzburg, die epileptische Anfälle hatte, sich durch die radikal-religiöse Interpretation ihres Leidens einschließlich der Behandlung mit Exorzismen eine Psychose zugezogen hat und schließlich an Unterernährung gestorben ist, stellt für die katholische Kirche in Deutschland eine Art Trauma dar.
Ursprünglich wollte die Autorin lediglich die Presseartikel jener Zeit auswerten, um die Diskussionen über den Tod wie auch den Gerichtsprozess in die allgemeine politische Diskussion jener Zeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, von der Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung bis zur „Rote Armee Fraktion“, einzuordnen und wechselseitige Bezüge herzustellen. Sie erhielt dann aber auch vorzeitig Zugang zu kirchlichen und anderen Archiven. Mit der dadurch möglichen Nachzeichnung der Ereignisse werden nicht nur manche Details der bisherigen Geschichtsschreibung präzisiert, durch die Ausbreitung der ganz unterschiedlichen historischen Zeugnisse wird das gesamte Setting in beklemmender Weise rekonstruiert. Viele Aspekte der Vorgänge könnten „als symptomatisch für die nachkonziliare Phase der siebziger Jahre angesehen werden, in der die Reformen des Zweiten Vatikanums erst zum Teil verwirklicht waren“.
Die ausdrücklich zeitgeschichtliche Arbeit selbst hat ihre Grenzen, wo sie sich auf ein theologisches Terrain begibt. Die Diskussion über Notwendigkeit und Legitimation einer Rede vom Teufel innerhalb der christlichen Glaubensüberzeugungen werden andere führen müssen. Ebenfalls deutlich wird im vorliegenden Band allerdings auch die Bedeutung dieser Fragestellung. So untersucht Ney-Hellmuth auch, wie Sympathisanten der Pius-Bruderschaft den Fall Anneliese Michel für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren versuchten.