LeitartikelGütiger Gott

Im unmittelbaren Vorfeld der Bischofssynode zu familienpastoralen Fragen hat Franziskus abermals mit Entscheidungen überrascht – die dann auch auf Kritik gestoßen sind. Was sagen sie aus über das Pontifikat dieses Papstes?

Was will Franziskus? Wohin steuert der Papst die katholische Kirche? Auch Bischöfe sind – selbst hinter vorgehaltener Hand – unsicher, wie die Synode zu familienpastoralen Fragen ausgehen wird, beziehungsweise ausgehen soll. Immerhin hat der Papst hier und da betont, dass er keine Veränderung der katholischen Lehre anstrebe. Auf der anderen Seite ist klar: Dem Papst ist an einer offenen Diskussion gelegen – und aller Voraussicht nach wird er danach entscheiden.

Dass er selbst bisher keinerlei Vorstellungen davon hat, in welche Richtung er die Dinge gerne treiben würde, ist freilich unwahrscheinlich. Angesichts der inzwischen ja auch auf der weltkirchlichen Ebene diskutierten Fragen aus dem gerade zu Ende gegangenen Dialog- und Gesprächsprozess der deutschen Bischöfe, wie die katholische Kirche besser mit dem Scheitern von Menschen an den hohen Idealen von katholischer Lehre und Moral reagieren sollte, ist das Ausrufen eines „Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit“ mehr als sprechend. Zudem hat Franziskus in den vergangenen Wochen mit mehreren Äußerungen und Entscheidungen weitere Signale gesetzt, wie ernst es ihm mit der Rede von der Barmherzigkeit Gottes ist.

Spektakuläre neue Akzente

Zuerst hat er während einer Generalaudienz Anfang August betont, dass wiederverheiratete Geschiedene nicht wie Exkommunizierte behandelt werden dürften. Man müsse als Kirche auch die Auswirkungen empfundener Ablehnung auf die Kinder solcher Paare in einer Zweitehe im Blick haben.

Aufmerksam registriert wurde dann Anfang September vor allem ein Brief an Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung, in dem der Papst für das Heilige Jahr mit Blick auf dessen Thema Barmherzigkeit Sonderregelungen promulgiert hat. Auch hier verbleibt Franziskus in durchaus traditionellen Bahnen, um gleichzeitig auch spektakuläre neue Akzente zu setzen.

So bleibt es einerseits dabei, dass es auch im Heiligen Jahr 2015/2016 die Möglichkeit zu einem Ablass geben wird – was im deutschen Sprachraum, nicht zuletzt aufgrund der Sensibilität für die ökumenische Problematik, kaum auf Verständnis und noch weniger auf Gegenliebe stößt. Andererseits werden die Bedingungen dafür aber großzügigst neu gefasst. Man muss nicht zwingend in Rom oder einem anderen Gotteshaus durch die Heilige Pforte schreiten. Die Kranken sollen genauso mit einbezogen werden wie die Häftlinge in den Gefängniskapellen oder sogar in ihren eigenen Zellen, deren Tür ihnen nach dem Willen des Papstes zur Heiligen Pforte werden kann.

Ausdrücklich hat der Papst auch kirchenrechtliche Regelungen für das Heilige Jahr außer Kraft gesetzt. Er hat „ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen“ (Franziskus) alle Priester der Weltkirche ermächtigt, im Verlauf des Heiligen Jahrs auch nach Abtreibungen die Absolution erteilen zu können. Er habe mit zu vielen Frauen gesprochen, die „in ihrem Herzen die Narben dieser leidvollen und schmerzhaften Entscheidung trugen“.

Das hat hierzulande nicht nur in der breiteren Öffentlichkeit für Verwunderung gesorgt. Doch während die Deutsche Bischofskonferenz bereits 1983 – wie andere – eine Sonderregelung für alle ihre Priester erwirkt hatte, gibt es weltweit viele Ortskirchen, in denen die Vergebung eines solchen Schritts nur vom Bischof oder von anderen von ihm eigens beauftragten Priestern gewährt werden kann. In jedem Fall hat Franziskus, kurz vor seiner Reise in die USA, wo das Thema Abtreibung Gesellschaft und Kirche in den vergangenen Jahrzehnten besonders umgetrieben hat, unterstrichen, was er unter einer barmherzigen Kirche, die den gütigen Gott verkündet, versteht.

Auch bei diesem Schritt wurden lehrmäßige Fragen bewusst ausgeklammert, beziehungsweise haben der Papst und andere betont, dass sich an der Lehre nichts ändern solle. Dennoch sind das starke Indizien, wie sehr dem Papst an einem Richtungswechsel liegt.

Das galt auch eine Woche später, als nicht nur mancher Kardinal „Gütiger Gott“ ausgerufen haben wird, nachdem ein Motu Proprio Ehenichtigkeitsverfahren neu regelt (ein weiteres gilt analog für die unierten Ostkirchen). Dahinter steht der seit der Synode im vergangenen Herbst mehrfach und von verschiedenen Seiten geäußerte Wunsch, diese Verfahren deutlich zu beschleunigen. Deshalb steht das Thema freilich auch ausdrücklich auf der Agenda der Synode.

Jetzt hat der Papst bereits vorab – unter Betonung der Unauflöslichkeit der Ehe – neben anderen Neuregelungen entschieden, dass bei Annullierungsverfahren, die sich auch mehrere Jahre hinziehen können, eine Instanz statt bisher zwei Urteile unterschiedlicher Offizialate ausreichen kann. Immer wieder wurde beklagt, dass die zähen Prozesse für die Beteiligten als eine unnötige Belastung angesehen werden. In besonderen Fällen soll auch der Ortsbischof in einer Art Schnellverfahren von wenigen Wochen eine Annullierung vornehmen können.

Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit damit wirklich der Kern des Problems getroffen wird. Von zuletzt weltweit rund 47 000 Annullierungen wurden die Hälfte in den USA gezählt, in Deutschland knapp 750. Und hierzulande liegt vielen getrennten Paaren auch daran, dass ihre bisherige Beziehung nicht einfach als „nichtig“ erklärt, sondern auch als solche gewürdigt und bewahrt werden kann.

Unmittelbar haben sich zudem auch Kritiker inner- und außerhalb der Kurie zu Wort gemeldet, die durch das Motu Proprio nicht nur Abweichungen von der bisherigen Glaubens- und Sittenlehre als Gefahr sehen, sondern auch befürchten, dass das Recht innerhalb der katholischen Kirche untergraben wird (vgl. dieses Heft, 509–512). Das gilt sowohl mit Blick auf die konkreten Regelungen, die eben weniger ausdifferenzierte rechtliche Schritte vorsehen, aber natürlich auch für das Vorgehen des Papstes selbst, das kennzeichnend für sein Pontifikat sei.

Auch von der anderen Seite gibt es – etwa unter reformorientierten Theologen – immer wieder grundsätzliche Einsprüche, dass die Rede von Barmherzigkeit in den konkreten Zusammenhängen oftmals nicht angebracht sei. Viele Betroffene wollen sich schließlich nicht von ihren Defiziten her definiert wissen, denen sich die Kirche dann – gewissermaßen vom hohen Ross her – huldvoll zuwendet. Stattdessen müsse es auch um die Anerkennung vielfältiger Lebensformen in ihrer Unterschiedlichkeit gehen.

Die Gefahr eines letztlich paternalistischen Missverständnisses des Begriffs Barmherzigkeit besteht tatsächlich. Aber auf der anderen Seite ist doch offensichtlich, dass es dem Papst daran gelegen ist, Gottes Güte nicht nur zu predigen, sondern auch in die Kirchenstrukturen einfließen zu lassen. In jenem Brief ist ausdrücklich davon die Rede, dass es ihm darum gehe, dass man „Gottes Zärtlichkeit mit Händen greifen“ könne. Das Vorpreschen des Papstes unterstreicht nur, wie wichtig es ihm ist, dass die katholische Kirche als großherzig – und nicht als engstirnig-bürokratisch – gesehen wird. „Jesus, der gütige Richter“ ist das Motu Proprio denn auch betitelt.

Dass der Papst dabei möglichst viele einbeziehen will, zeigt nicht zuletzt eine weitere Regelung in seinem Schreiben zum Heiligen Jahr. Denn dort wurde unterstrichen, dass auch die Absolutionen der Priester der Piusbruderschaft von Rom in diesem Zeitraum als erlaubt angesehen und damit gutgeheißen werden. Deren Vertreter hat diese päpstliche Umarmung insofern kalt erwischt, als ihnen dieses Mal der in mancher Hinsicht pragmatische, in jedem Fall dezidiert pastorale Stil dieses Pontifikats zugutekommt – an dem sie sich bekanntlich besonders stören.

Natürlich hat auch Johannes Paul II. von Barmherzigkeit gesprochen und auch Benedikt XVI. lag sehr daran, dass alle Theologie und alles kirchliche Handeln von der Gottes den Menschen zugewandten Liebe ausgeht. Aber es ist auf der anderen Seite Fakt, dass die beiden Pontifikate der Vorgängerpäpste letztlich von einer ganz anderen Atmosphäre geprägt waren.

Während bei Johannes Paul II. nach außen, etwa gegenüber den anderen Religionen, aber auch mit Blick auf seine Rolle als Weltgewissen, eine große Offenheit zu spüren war und auch anerkannt wurde, hat er sich innerkirchlich doch eher autoritär gebärdet und die Zentralisierung vorangetrieben. Diesen Kurs hat nicht zuletzt Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation unterstützt, ausdrücklich wurde er deshalb auch als Nachfolger gewählt.

Der neue Stil ist auch lehrmäßig von Bedeutung

Bei Franziskus werden die Akzente hingegen so bemerkenswert anders gesetzt und das Ganze mit einer anderen Tonalität versehen, dass man sich am Ende fragen muss, ob nicht die Trennung von Form und Inhalt an ihre Grenzen kommt, der neue Stil nicht auch theologisch, ekklesiologisch, aber auch mit Blick auf die Inhalte und damit eben auch lehrmäßig von größerer Bedeutung ist, als das aus guten Gründen offiziell zugestanden wird.

Umso gespannter darf man auf den Verlauf der Bischofssynode, die verschiedenen Schlussresümees – und dann den Umgang des Papstes mit den Propositiones – sein. Man wird deshalb Ende Oktober unmittelbar nach dem Abschluss der Synode immer noch nicht genau abschätzen können, wie weit Franziskus in seinem Pontifikat voranschreiten wird. Aber spätestens mit dem üblichen postsynodalen Schreiben sollte man es genauer wissen. Schließlich spricht vieles dafür, dass der Papst seine Botschaft der Barmherzigkeit nicht auf ein Heiliges Jahr beschränkt wissen will. Die letzten Wochen, in denen die Dynamik weiter zugenommen hat, waren jedenfalls verheißungsvoll.
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