AuftaktMetaphorik des St. Martin

Das vielfältige Engagement in der Flüchtlingshilfe zeigt ein gutes Deutschland. Zugleich reicht „Willkommenskultur“ zur Lösung der Probleme allein nicht aus.

Die Bildmontage von Angela Merkel als Mutter Teresa auf dem Titel des „Spiegel“ macht es überspitzt klar. Die Flüchtlingshilfe hat offenbar auch im kollektiven Bewusstsein etwas mit christlicher Nächstenliebe und Caritas zu tun. Erstaunlich ist dabei, dass eben diese bis ins Äußerste getriebene Hilfe für die Schwachen nicht nur positiv gesehen wird. Die Aufopferung der Heiligen Mutter Teresa dient hier verblüffender Weise nicht als Vorbild, sondern als Karikatur einer Helfenden, die eben das Maß nicht mehr kennt, bis zur Selbstverleugnung. Das ist in der Politik falsch. „Merkels Politik entzweit Europa“, schreibt der „Spiegel“, eben weil man eine Mutter Teresa als mächtigste Frau des Kontinents eher fürchten als bewundern würde.

Nun ist Merkel ganz gewiss auch keine Heilige und auch keine Mutter Teresa, das sollte sie auch gar nicht sein. Und es wäre überhaupt völlig unangemessen, dies von der Politik zu erwarten. Mehr noch: Es ist völlig unzureichend, die gegenwärtige Flüchtlingskrise allein auf die Frage der Flüchtlingshilfe und der „Willkommenskultur“ zu verengen. Das gilt auch für die Kirchen. Man kann in Pressemitteilungen noch so viele Millionen in neuen Sonderetats verkünden und noch so viele Immobilien bereitstellen, eine Heiligkeit erwächst daraus allein noch nicht. Vielmehr muss die Hilfe für Notleidende selbstverständlich sein – und die multimedial erzeugte Selbstbeweihräucherung des lobenswerten vielfältigen Einsatzes nimmt manchmal Züge an, die keineswegs Mutter Teresa ähnlich sehen. Es gehört auch für die Kirche dazu, die nun anstehenden Probleme und Anforderungen zu benennen.

Gleichwohl hat sich ein wunderbarer Wandel in der Gesellschaft vollzogen. Das starke zivilgesellschaftliche Engagement (auch in den Gemeinden) zugunsten der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zeigt einen entspannteren und selbstbewussteren Umgang mit Veränderung und Vielfalt, als das die verunsicherte Nation etwa Anfang der neunziger Jahre noch vorgeführt hat. Vielleicht zeigt sich ja so heute sogar doch eine irgendwie geartete christliche Grundierung, in dem Fremden den Nächsten zu sehen. Deutschland ist seit Jahrhunderten auch ein Land von Migranten, das hat zu seiner Stärke beigetragen. Für den Soziologen Heinz Bude sind wir die „Amerikaner Europas“. Ganz einfach wird das natürlich nicht.

Der frühere Bundesverfassungsrichter und Sohn italienischer Einwanderer, Udo Di Fabio, fordert, sich von der „Metaphorik des Heiligen Martin“ zu befreien, der schließlich seinen Mantel nur einmal habe teilen können. Die Attraktivität des Westens, der so viele Menschen hier Schutz und Glück suchen lässt, beruhe ja gerade auf einem „Ordnungsmodell von Freiheit und Wohlstand“, das dieser Westen auch verteidigen müsse, so Di Fabio. Das bedeutet: Aufnahme von Flüchtlingen und Begrenzung von Zuwanderung gehören zusammen, dies darf nicht ideologisch auseinandergerissen werden, um (partei-)politische Schlachten zu schlagen oder das kirchliche Profil aufzupolieren.

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