Wer hat nicht schon einmal in Predigten vom „eigentlichen“ Advent und von der „eigentlichen“ Weihnacht gehört? Weihnachtsmärkte, Festdekorationen, Geschenkeinkauf, all das stehe für Oberflächlichkeit und Konsumorientierung. Hier aber, in der Kirche, feiere man das wahre Weihnachtsfest. Die Liturgiewissenschaft war lange Zeit von einer ähnlichen Perspektive bestimmt: Sie beschäftigte sich vorwiegend mit der Entstehung und der Gestalt von Festen anhand der offiziellen liturgischen Bücher. Die Liturgie der Kirche galt als sozusagen legitimer Ausdruck des dogmatischen Festgehaltes. Die Untersuchung von Festkulturen, religiösem Brauchtum, Familienritualen oder populären Liedern überließ sie weitgehend der Volkskunde. Ein Werk über „Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft“ aus der Feder eines katholischen Liturgiewissenschaftlers signalisiert darum eine Neuorientierung der Disziplin.
Stephan Wahle erhebt im ersten Teil seines Buches die biblischen und historischen Grundlagen des Weihnachtsfestes. Der zweite Teil ist dem theologischen Gehalt und der Feiergestalt des Festes gewidmet. Im umfangreichen dritten Teil nimmt der Autor dann auch den Weihnachtsbaum, die Krippe, den Weihnachtsmarkt oder die familiäre Heiligabendfeier in den Blick, ohne diese Formen als „uneigentlich“ abzuwerten. Dennoch verzichtet er nicht darauf, die beschriebenen Phänomene theologisch einzuordnen. So kann er etwa die populären Weihnachtsmärkte positiv als öffentliche „Sehnsuchtsräume“ wahrnehmen, stellt andererseits aber fest, dass sich eine Erfüllung dieser Sehnsucht auf dem Weihnachtsmarkt allein nicht wird finden lassen. Die Studie setzt Maßstäbe für die Disziplin, die in Zukunft stärker als bisher berücksichtigen muss, dass sich die Realität eines Festes nicht in der Liturgie erschöpft, wie sie „im Buche steht“.
Das umfangreiche Werk hat einen „breiten Adressatenkreis“ im Blick. Es ist ansprechend gestaltet und mit zahlreichen Abbildungen versehen. Dass es sich um eine überarbeitete Habilitationsschrift handelt, ist ihm an einigen Stellen trotzdem noch anzumerken.