BuchbesprechungVolker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche

Die neue Unbefangenheit, mit der in Feuilletons und anderen Orten der gesellschaftlichen Debatte über das Thema Religion diskutiert wird, bringt ganz unterschiedliche Früchte hervor. Das gilt nicht zuletzt für die Gegenreaktionen, zu denen sowohl die kämpferischen als auch die so genannten frommen Atheisten gehören.

Aber auch auf der anderen Seite des Spektrums ist höchst Interessantes zu beobachten, etwa das jüngste Werk des Philosophen Volker Gerhardt. Er versucht nichts anderes als eine philosophische Gottesbegründung. Ganz im Sinne der klassischen „rationalen“ beziehungsweise „natürlichen Theologie“, aufgrund derer die Gottesfrage in der Philosophiegeschichte eine enorm produktive Rolle gespielt hat, liegt ihm am Aufweis Gottes aus Erwägungen der Vernunft. Er tut dies als bekennender Christ, der sich allerdings ganz auf das Philosophieren beschränken möchte. Sein Argument baut auf die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit von Welterkenntnis auf, die Gerhardt zufolge bei jeder Sinnzuschreibung einen umfassenden Sinn voraussetze. Wissen und Glauben seien gerade auch angesichts zunehmend weniger überschaubarer Wissensbestände innerlich miteinander verflochten. Die krasse Opposition zwischen Glauben und Denken als Grundprämisse der modernen Religionskritik sei hingegen entschieden infrage zu stellen, wie es bei Gerhardt auch nicht bei einem trockenen Räsonieren bleibt: Zentral ist ihm gleichermaßen das Gefühl, das den Glauben an das Wissen unterfüttert.

Eine Stärke des Buches besteht darin, immer wieder auf die Weite des Gottesgedankens hinzuweisen, der eben oft genug zu klein gedacht wird, weil Gott zu schnell vergegenständlicht beziehungsweise in anderer Weise objektiviert wird. Die Einsicht in die Unmöglichkeit einer kosmologischen Verortung Gottes sei schon immer die Prämisse aller ernsthaften philosophischen Gotteserkenntnis gewesen. Die Pointe der Überlegungen – und die erklärte „theologische These des Buches“ – ist dabei: Weil wir Menschen selbst uns als Person begreifen, darf das Göttliche als „personal Entsprechendes“ gedacht und dann auch als Gott angesprochen werden. Die Gegenwart Gottes hängt für Gerhardt nicht zuletzt deshalb maßgeblich mit dem Selbstverständnis des Menschen zusammen: „Wenn es mich selbst als den schier unglaublichen Fall eines so und nicht anders beschaffenen Wesens gibt, warum sollte es dann nicht möglich sein, das Ganze der Welt, das mir als Göttliches korrespondiert, als eine Instanz zu begreifen, vor der ich auf ein persönliches Verständnis rechnen kann?“

Insgesamt besticht das Buch durch seinen meditativen Stil, der nicht durch Fußnoten belastet wird, andererseits dadurch aber auch nicht immer alle Hintergrundannahmen mit Literaturhinweisen offenlegt.

Ein Einwand jedoch drängt sich vor allem auf: Auch wenn Gerhardt gelegentlich auf die Bedeutung menschlicher Freiheit zu sprechen kommt, argumentiert er mehrheitlich erkenntnistheoretisch. Letztlich wirkt der über Immanuel Kant hinausgehende denkerische Überstieg ins Göttliche dabei wie eine Setzung. Dass es auch andere, überzeugendere Wege eines Aufweises der Sinnhaftigkeit des Gottesgedankens über die Hoffnung auf Erfüllung menschlicher Freiheit gibt, deutet sich am Ende an. Gerhardt rekurriert auf die vielfältigen Zeugnisse des Gottesglaubens von Häftlingen der Nationalsozialisten. Seinerzeit hätten viele in einer ausweglosen Lage auf die Sinnhaftigkeit ihres Tuns gehofft, weil das Ganze selbst in der äußersten Verzweiflung keine Illusion sei.

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Volker Gerhardt

Der Sinn des SinnsVersuch über das Göttliche

Verlag C.H. Beck, München 2014. 357 S. 29,95 € (D)