KommentarKippa

Gegen den Antisemitismus sind neue Anstrengungen vonnöten.

Zwei Teilnehmer einer Kundgebung gegen Antisemitismus
Zwei Demonstranten, der rechte trägt eine jüdische Kippa, bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus im Juli 2014 in Berlin.© KNA-Bild

Man zuckt unwillkürlich zusammen. Gerade erst wurde Ende Januar der Befreiung des Konzentrationslagers ­Auschwitz gedacht. Nur wenige Wochen später warnt der neue Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, davor, in manchen Gegenden in Deutschland mit einer Kippa oder einem Davidsstern am Halskettchen auf die Straße zu gehen, weil dann gewalttätige Übergriffe nicht auszuschließen seien.

Seit einiger Zeit bereits haben sich die Vorfälle gehäuft, dass Juden öffentlich beschimpft und sie – einmal als solche erkannt – auch brutal angegangen werden. Anfeindungen in den sozialen Netzwerken gibt es zuhauf. Das war bereits während der Diskussionen über das Beschneidungsurteil im Jahr 2012 so, hat sich im Zuge der jüngeren Entwicklungen im Palästina-Konflikt und der im gesamten Nahen Osten aufgeheizten Stimmung verschärft und jetzt nach den Anschlägen von Paris noch einmal gesteigert. Das gilt auch unabhängig davon, dass in der Berichterstattung vielfach unterschlagen worden ist, dass diese nicht nur ein Angriff auf die Pressefreiheit, sondern im Fall der Morde in einem koscheren Supermarkt ein eindeutiger Fall von antisemitischen Terror waren.

Diskussionen, ob auch Juden hierzulande verstärkt über eine Umsiedlung nach Israel nachdenken müssten, hat Schuster zwar ausdrücklich abgelehnt. Die jüngeren Aufwallungen des Antisemitismus und die damit einhergehenden Sorgen der Juden in Deutschland werden dennoch sehr ernst genommen.

So nutzte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die christlich-jüdische „Woche der Brüderlichkeit“ Anfang März, um diese Entwicklung scharf zu kritisieren. Es sei „bedrückend und beschämend“, dass man „überhaupt nur die Überlegung anstellen“ müsse, ob Juden an bestimmten Orten besser keine Kippa tragen sollten, sagte der EKD-Ratsvorsitzende bei der Eröffnungsveranstaltung, bei der der Augsburger Theologe Hanspeter Heinz und der von ihm geleitete Gesprächskreis „Christen und Juden“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) für ihr Engagement im christlich-jüdischen Dialog mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet wurden.

Unter den katholischen Bischöfen beklagte etwa Kardinal Rainer Maria ­Woelki, dass in Europa und hierzulande Juden „wieder in Angst und Schrecken leben müssen“. Niemand dürfe sich damit abfinden, dass Synagogen, jüdische Gemeindehäuser und Friedhöfe rund um die Uhr von der Polizei beschützt werden müssten, weil sie sonst beschmiert oder geschändet würden.

Aber auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, zeigte Verständnis für die jüdischen Ängste und verurteilte jeden Antisemitismus – wandte sich allerdings auch dagegen, das Problem zu „islamisieren“. Tatsächlich machte man es sich zu leicht, die Vorfälle lediglich als ein Problem junger gewaltbereiter Migranten aus mehrheitlich muslimischen Ländern abzutun und sich bei der notwendigen Wachsamkeit auf den „importierten Antisemitismus“ (so die Bezeichnung des Bundesnachrichtendienstes für diese Fälle) zu beschränken.

Gerade in den Diskussionen über die Legitimität des identitätsstiftenden religiösen Ritus der Beschneidung, gegen den die Verletzung von Grundrechten wie das der körperlichen Unversehrtheit vorgebracht geführt wird, zeigte sich auch in manchen Wortbeiträgen aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein dumpfer antisemitischer Unterton. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen gab die Bundesregierung Anfang März jetzt zu Protokoll, dass 90 Prozent der antisemitischen Vorfälle auf das Konto von Rechtsradikalen ginge. Jüngere empirische Studien belegen daneben, dass es nicht nur am ganz rechten Rand in der deutschen Gesellschaft schlichte Vorurteile gegenüber den Anhängern der ältesten monotheistischen Religion gibt.

Auch muss weiter beunruhigen, welche Rolle rechtsextreme und rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien, nicht nur, aber vor allem auch in den östlichen Bundesländern spielen. Mit dem Rücktritt des Bürgermeisters von Tröglitz, einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt, ist das Problem medienwirksam manifest geworden. Der parteilose evangelische Theologe Markus Nierth, der sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte, erklärte, er halte dem Druck auf seine Person durch Rechtsextreme nicht mehr stand.

Manches spricht angesichts dieser Situation dafür, dass Straftaten, die vom Hass gegenüber Religionen oder ihren Anhängern motiviert sind, in Deutschland noch differenzierter erfasst werden sollten, wie ganz unterschiedliche Stimmen, darunter auch das „American Jewish Committee“ (AJC) oder der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya gefordert haben.

In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurde immer wieder darüber diskutiert, inwieweit es heute noch notwendig ist, mit besonderem Nachdruck über die in Deutschland an Juden verübten Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern. Gerade den Nachgeborenen der zweiten und dritten Generation sei nur noch schwer zu vermitteln, dass aus jenen geschichtlichen Fakten für sie eine besondere Verantwortung erwachse, so hier und da der Einwand.

Man kann es nur bedauern: Aber es ist offensichtlich, dass hierzulande angesichts der jüngeren Entwicklungen neue Anstrengungen in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus notwendig sind. Allein schon die in den Nachrichten berichteten Vorfälle belegen viel zu oft, dass es sich um ein reales Problem handelt, angesichts dessen das Lernen aus der Geschichte aktueller ist denn je.

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