HIV/AIDSKirchliches Engagement in Afrika

Mitte März veröffentlichte die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz eine bemerkenswerte Studie. Am Beispiel der Länder Äthiopien, Malawi und Sambia setzt sich diese mit dem Engagement afrikanischer Ortskirchen im Kontext von HIV/AIDS auseinander. Die Studienergebnisse könnten dabei auch die Diskussion im Vorfeld der Familien-Bischofssynode bereichern.

Gesundheitscheck in einem Kirchenraum in Sambia
Gesundheitscheck in einem Kirchenraum in Sambia

Eine von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben Mitte März veröffentlichte Studie zum Engagement der afrikanischen Ortskirche im Kontext von HIV/AIDS kann mit Fug und Recht als ein wichtiger Diskussionsbeitrag verstanden werden für die Vorbereitung der Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2015. Soll diese sich doch, ebenso wie schon die Außerordentliche Bischofssynode im Oktober letzten Jahres, mit dem Thema Familie beschäftigen, mit Fragen der Ehe- und Familienpastoral, aber damit auch der kirchlichen Sexualmoral, ihrer Vermittlung wie der zugrundeliegenden Normendiskussion.

Zwar konzentriert sich die Studie der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe auf den Bereich HIV/AIDS und die damit verbundenen Herausforderungen für die afrikanischen Ortskirchen. Sie bringt jedoch viele Fragen aufs Tapet, die ebenso auf der Agenda der beiden Familien-Bischofssynoden standen beziehungsweise stehen oder doch stehen sollten: So etwa die Kluft zwischen „gelehrter“ und „gelebter Moral“, die, mit Blick auf das Problem HIV und AIDS besonders deutlich werde, wie es in der deutschsprachigen Zusammenfassung der Studie heißt; veröffentlicht unter dem Titel „Lehren aus den Antworten der katholischen Kirche auf HIV und AIDS in Afrika. Eine internationale Feldstudie von afrikanischen und deutschen Theologen und Gesundheitsexperten“.

Demnach zeigt sich die Differenz im Verhältnis gelebter Moral und der verkündeten theoretischen Moral besonders deutlich am Phänomen der so genannten „diskordanten Partnerschaften“; Partnerschaften also, in denen einer der Partner HIV-positiv ist und der/die andere nicht-infiziert. Im subsaharischen Afrika tragen, wissenschaftlich belegt, diese diskordanten Partnerschaften das Hauptübertragungsrisiko von HIV.

Wie aber lässt sich der nicht-infizierte Partner schützen? Das Thema berührt ebenso die Frage nach Kondomen wie die weiterreichenden Fragen nach den wirtschaftlich-sozialen, aber ebenso kulturbedingten Lebenslagen dieser Paare und besonders der Frauen. Wie lebensnah und realistisch ist die Verpflichtung dieser Paare auf Enthaltsamkeit und Treue? In Afrika wird die Infektion bei Erwachsenen meist auf heterosexuellem Weg übertragen; Frauen sind wesentlich häufiger betroffen als Männer.

Grundsätzlich stellt dabei der gender- wie kultursensible Blick der HIV/AIDS-Studie fraglos einen besonderen Wert dar und zugleich qualifiziert sie dieser auch als Diskussionsbeitrag zur Vorbereitung der Familien-Bischofssynode. Denn im Nachgang der Außerordentlichen Bischofssynode wurde exakt dieses von unterschiedlicher Seite kritisiert: Dass nämlich in den Diskussionen der Kardinäle und Bischöfe die unterschiedlichen kulturellen Kontexte der Ortskirchen und damit auch die unterschiedlichen Vorstellungen und Verstehens-Horizonte zu Sexualität, Ehe und Familie nicht angemessen zur Sprache kamen, ebenso wenig wie die unterschiedlichen gesellschaftlichen und kulturbedingten Bilder und Rollenverständnisse von Mann und Frau (vgl. HK, Februar 2015, 92–96).

So zeigt die Studie der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe sehr deutlich, wie sehr sich die Kirche in ihrer Antwort auf die HIV-Epidemie stets mit sehr komplexen kulturellen Fragen auseinanderzusetzen hat, nicht nur was das Verständnis von Krankheit überhaupt betrifft.

Dabei können traditionelle kulturelle Vorstellungen die Arbeit der Kirchen durchaus unterstützen, wenn sie sich in den Kontext einer christlichen Gemeinschaft einbinden lassen und eingebunden werden: Als Beispiel werden die so genannten „Alangizi“ in christlichen Gemeinden in Sambia genannt. Alangizi sind von der Gemeinde beauftragte Christen, die junge Paare bei der Ehevorbereitung begleiten, Jugendliche in der Pubertät aufklären und Paare beraten.

Auch in Äthiopien beispielsweise machen sich die kirchlichen Gesundheitseinrichtungen einschlägige Regeln der traditionellen äthiopischen Kultur zunutze, wo sich diese mit der Lehre der Kirche decken. Umgekehrt zeigen die in der Studie ausgewerteten Forschungsberichte aus Sambia und Malawi auch schonungslos, wo die traditionelle Kultur eine negative Rolle spielt, traditionelle Praktiken vor allem nicht nur Frauen diskriminieren und ihre Menschenwürde missachten, sondern ebenso zur Verbreitung von HIV beitragen: beispielsweise durch bestimmte Initiationsriten, in denen junge Mädchen zum Geschlechtsverkehr gezwungen werden.

Dem Fremden wird geholfen, er bleibt aber fremd

Die Studie widmet sich aber noch einem anderen Aspekt, der, gleichwohl auf das Handlungsfeld HIV/AIDS bezogen, sehr grundsätzliche Fragen der Pastoral in der Weltkirche anspricht, gerade im Bereich Sexualität und Familie. So ist die katholische Kirche fraglos einer der Hauptakteure, die sich in Afrika um von HIV/AIDS betroffene Menschen kümmert, gerade auch in den entlegenen Regionen. Dies wird der Kirche stets auch von säkularer Seite, etwa den einschlägigen UN-Institutionen uneingeschränkt bescheinigt.

Die für die Studie geführten Interviews hätten aber deutlich gezeigt, so heißt es in der Zusammenfassung der Ergebnisse, dass die Kirche ihr Engagement oft als einen „externen karitativen Dienst“ begreife, der das Innere der Kirche selbst nicht berühre. Die mit HIV Infizierten würden häufig – mit einem biblischen Begriff beschrieben – als „Fremde“ gesehen; dem Fremden wird geholfen, er bleibt dennoch ein Fremder, einer, der nicht richtig dazugehört.

Entsprechend bildet dieser Aspekt auch einen der Schwerpunkte der Studie: Wie geht man in den Ortskirchen der untersuchten Länder mit der HIV-Infektion der eigenen Mitglieder um, besonders auch mit HIV-positiven Priestern und Ordensleuten. Häufig herrschen hier weitreichende Tabus (so wie Fragen zur Sexualmoral insgesamt in der Kirche nicht mit der notwendigen Offenheit kommuniziert würden). Ebenso sei eine HIV-Infektion immer noch ein Grund, den Eintritt in ein Priesterseminar oder eine religiöse Gemeinschaft zu verweigern.

Dabei seien die Gläubigen und die Öffentlichkeit hier schon deutlich weiter. Entsprechend, so ein Fazit der Studie, könnten HIV-positive Priester und Ordensleute mithilfe antiretroviraler Therapien auch unter physischer Belastung arbeiten beziehungsweise wären sie als authentische Zeugen gerade eine Bereicherung für die Pastoral. Und umgekehrt: Solange beispielsweise HIV-positive führende Geistliche den Medien und den Gläubigen nichts über ihre Krankheit mitteilten, könne man auch von den „Normalbürgern“ keine positive Einstellung erwarten. Wörtlich heißt es dazu: „HIV als Realität innerhalb der Kirche wahrzunehmen und zu akzeptieren, hieße, sich von der utopischen Sicht einer unverletzbaren und perfekten Kirche zu lösen.“

Dabei fiel der Startschuss zu der breit angelegten Feldstudie, weit bevor die beiden Familien-Bischofssynoden in diesem und im letzten Jahr geplant wurden. Die Idee entstand beim Besuch einer Delegation deutscher Bischöfe 2006 in Südafrika, bei der die Begegnung mit HIV-Infizierten und die AIDS-Arbeit der Kirche vor Ort im Zentrum standen. Im Auftrag der Kommission Weltkirche haben dann deutsche und afrikanische Theologen und Gesundheitsexperten zwischen 2010 und 2013 breitangelegte Feldforschung betrieben und untersucht, inwieweit die von der Kirche seit mehr als zwanzig Jahren initiierten und getragenen Programme den HIV-Infizierten, ihren Familien und anderen Gruppen aus allen Teilen der Gesellschaft geholfen haben.

Der Aufgabenkatalog sei breit gefächert gewesen, heißt es jetzt in der Veröffentlichung, und habe theologische, ethische und pastorale Themen sowie medizinische Fragen zur Behandlung und Prävention umfasst – „und zwar alle aus afrikanischer Perspektive“.

Die Haupthypothese der Studie lautete dabei, „dass der große Erfahrungsschatz, der in den vergangenen 30 Jahren im Umgang mit der HIV-Epidemie erworben wurde, in der Ausbildung von Priestern, Ordensleuten und Laien in der katholischen Kirche noch nicht ausreichend zum Tragen kommt“. In vielen Bereichen der Aus- und Fortbildung müssten ethische, moralische und pastorale Themen im Hinblick auf HIV und AIDS erweitert und vertieft werden, lautet jetzt die Forderung der Studienautoren.

„So wie in den Bereichen Gesundheitswesen und soziale Entwicklung, wo die HIV-Epidemie zu großen Fortschritten in Wissen und Praxis geführt hat, müssen in den Bereichen Theologie und Ethik neue Wege beschritten werden, um den Herausforderungen der HIV-Epidemie wirksam begegnen zu können.“

Vier Diözesen und drei Priesterseminare in Äthiopien, Sambia und Malawi wurden als Studienschwerpunkte aus­gewählt. Auf deutscher Seite rekrutierten sich die Fachleute unter anderem aus dem „Missionsärztlichen Institut“ in Würzburg und dem Missionswerk „Missio“ in Aachen. Die Feldforschung in den drei untersuchten Ländern wurde von afrikanischen Forschungseinrichtungen und Fachleuten durchgeführt.

Zu der deutsch-afrikanischen Arbeitsteilung heißt es in der Zusammenfassung der Studienergebnisse: Die Stärke der Studie liege darin, dass den Stimmen der Menschen, die mit HIV leben, und derjenigen, die sie pflegen und unterstützen, Gehör geschenkt wurde. „Die Studie wurde von afrikanischen Kirchenführern in Auftrag gegeben und von den deutschen Bischöfen mit Enthusiasmus getragen“.

Grundsätzlich habe die Kirche in Afrika, so einer der weiteren Vorschläge der Studienautoren, in ihrer Antwort auf die Herausforderungen von HIV und AIDS die Tatsache zu berücksichtigen, dass wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Druck viele Menschen zu einem riskanten Verhalten dränge, das sie kaum vermeiden können. Deshalb bedürfe es einer systematischeren Befassung mit den kulturellen und strukturellen Faktoren, die die Ausbreitung von HIV und AIDS befördern, sowie eine intensivere theologisch-ethische Reflexion über die durch die HIV/AIDS-Epidemie gestellten Fragen. Widersprüchliche Botschaften, beispielsweise zur Situation von diskordanten Paaren, dürfe es nicht geben.

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