Aufgrund der sehr frühen Begegnungen hat Österreich eine lange und gewissermaßen spezifische Tradition im Umgang mit dem Islam entwickelt. Diese war in ihren Anfängen von der Begegnung mit dem Osmanischen Reich geprägt, die – wenn auch nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich – durch kriegerische Auseinandersetzungen gekennzeichnet war. Dies hat zwangsläufig zur Entwicklung eines äußerst negativen Islambildes sowohl im gesamteuropäischen Kontext als auch in der österreichischen Monarchie beigetragen. Speziell die Belagerungen Wiens in den Jahren 1529 und 1683 haben im kollektiven Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher ihre Spuren hinterlassen.
Die Beziehung Österreichs zum Islam ändert sich mit der Okkupation von Bosnien und Herzegowina durch die „K.-u.-k.-Monarchie“ im Jahre 1878. Damit übernahm die Donaumonarchie zum ersten Mal die Verwaltung einer Provinz mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Der Okkupation folgte 1908 die Annexion von Bosnien-Herzegowina, wodurch nun innerhalb der Staatsgrenzen der Monarchie eine halbe Million muslimische Staatsbürger lebten (Oliver Pintz, Vom Moslemischen Sozialdienst zur Islamischen Glaubensgemeinschaft, unveröffentlichte Dissertation, Wien 2006, 31).
Durch diese neue Konstellation standen sowohl die Donaumonarchie als auch die Bosnier vor einer bis dahin unbekannten Herausforderung: Die Donaumonarchie brauchte einen begehbaren Weg im Umgang mit den Muslimen im eigenen Staat, die Muslime hingegen mussten sich zum ersten Mal unter Führung einer nicht-islamischen Macht neu organisieren und positionieren.
Als Reaktion auf die neue Realität verabschiedete die Donaumonarchie am 15. Juli 1912 ein Islamgesetz, das den Weg zur Gleichberechtigung der Muslime innerhalb der Monarchie sichern sollte. Eine zentrale Passage des Islamgesetzes lautet: „Die Religionsgesellschaft der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus genießt als solche sowie hinsichtlich ihrer Religionsausübung und ihrer Religionsdiener denselben gesetzlichen Schutz wie andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften. Auch die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche genießen diesen Schutz, insofern sie nicht mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen“ (Islamgesetz 1912, § 6).
Kurz nach der Verabschiedung des Islamgesetzes 1912 brach der Erste Weltkrieg aus. Dieser verhinderte, dass die in Wien geplante Moschee gebaut und eine islamische Glaubensgemeinschaft gegründet werden konnte. In der ersten Republik lebte eine sehr geringe Anzahl von Musliminnen und Muslimen in Österreich (ungefähr 1000 – vgl. Anna Strobl, Der österreichische Islam. Entwicklung, Tendenz und Möglichkeiten, in: SWS-Rundschau 45.4 [2005] 523), sodass es nicht zur Gründung einer eigenen Vertretung in Österreich gekommen ist.
Erst mit dem Zuzug der Gastarbeiter aus dem Ausland in den sechziger und siebziger Jahren und der damit verbundenen ansteigenden Anzahl der in Österreich lebenden Muslimen entstand das Bedürfnis zur Gründung einer anerkannten islamischen Vertretung (vgl. HK, April 2006, 200-204). Begünstigt durch muslimische Studierende und durch in Wien ansässige Diplomaten aus muslimischen Ländern, stellten die Vertreter des „Muslimischen Sozialdienstes“ am 26. Januar 1971 einen Antrag auf Anerkennung einer islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Susanne Heine, Rüdiger Lohlker und Richard Potz, Muslime in Österreich. Geschichte – Lebenswelt – Religion. Grundlagen für den Dialog, Innsbruck 2012, 56).
Es dauerte rund neun Jahre bis schließlich das zuständige Ministerium am 2. Mai 1979 in Anlehnung an das Islamgesetz durch einen Bescheid die Einrichtung einer Kultusgemeinde und die Verfassung der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ bewilligte (Muslime in Österreich, 56). Damit hatten die Muslime in Österreich auch eine institutionelle Vertretung, die für ihre religiösen Belange zuständig war.
Dies war auch notwendig geworden. Denn die Zahl der in Österreich lebenden Musliminnen und Muslime stieg seit den sechziger Jahren kontinuierlich. Speziell durch den Bosnienkrieg in den neunziger Jahren fanden viele Musliminnen und Muslime aus Bosnien in Österreich eine neue Heimat und trugen damit dazu bei, dass die Anzahl der muslimischen Personen in Österreich in diesen Jahren einen hohen Zuwachs verzeichnete. So lebten nach der letzten Volkszählung im Jahr 2001 338 988 Muslime in Österreich. Dies entsprach damals 4,2 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung. Bei der Volkszählung 1991 hatte sich die Zahl von 158 776 Personen ergeben; 1981 waren es 76 939 Personen, was rund einem Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach (vgl. Muslime in Österreich, 19).
Da nach 2001 bei Volkszählungen die Religionszugehörigkeit nicht mehr erhoben wird, schätzt der österreichische Integrationsfonds (ÖIF) die Anzahl der Musliminnen und Muslime in Österreich im Jahr 2009 auf 515 000 Personen, was 6,2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht (Stephan Marik-Lebeck, Die muslimische Bevölkerung Österreichs. Bestand und Veränderung 2001-2009, in: Alexander Janda und Mathias Vogl [Hg.], Islam in Österreich, Wien 2010, 6).
Die rechtliche Anerkennung der „Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ) brachte den österreichischen Muslimen eine Reihe von Rechten wie zum Beispiel die Erteilung des islamischen Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen. Der islamische Religionsunterricht war und ist immer noch die Quintessenz der IGGiÖ. Durch den islamischen Religionsunterricht, der zum ersten Mal im Schuljahr 1982/1983 erteilt wurde, erreicht sie zur Zeit um die 65 000 muslimische Schülerinnen und Schüler und beschäftigt rund 650 islamische Religionslehrerinnen und Lehrer sowie 13 Fachinspektorinnen und Fachinspektoren. In diesem Zusammenhang unterhält die IGGiÖ neben einem privaten Studiengang für die Ausbildung der islamischen Religionslehrerinnen und Lehrer (IRPA) im Pflichtschulbereich auch einen Lehrgang für Fort- und Weiterbildung der islamischen Religionslehrerinnen und -lehrer. Die Tatsache, dass die IGGiÖ seit ihrer Gründung, aus verschiedenen Gründen, nie wirklich eine relevante Rolle für die österreichischen Muslime in Österreich einnehmen konnte, stattdessen das islamische Leben eher außerhalb der IGGiÖ und mehr innerhalb der verschiedenen islamischen Vereine stattfand, erklärt die existenzielle Bedeutung des islamischen Religionsunterrichtes.
Die ambivalente Haltung der islamischen Vereine gegenüber der „Islamischen Glaubensgemeinschaft“ zeichnete sich dadurch aus, dass die IGGiÖ einerseits – zu Recht – ständig als Modell für Europa dargestellt wurde, anderseits aber nur als Dachverband fungieren konnte beziehungsweise sollte und dadurch auch keinen wirklichen Einfluss auf den Islam in Österreich haben konnte. Diese Realität begleitet die IGGiÖ von ihrer Gründung bis zum heutigen Tag und ist einer der wichtigsten Kritikpunkte in der österreichischen Öffentlichkeit (vgl. Maja Sticker, „Sondermodell Österreich? Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“, Klagenfurt 2008).
Durch die vermehrte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die bestehende offizielle IGGiÖ, speziell nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York, wurde diese paradoxe Realität zwischen der offiziellen Vertretung der Muslime und des muslimischen Lebens auch für Außenstehende klar ersichtlich. Die IGGiÖ musste für viele Probleme in der österreichischen Öffentlichkeit Stellung beziehen, obwohl sie selbst, außer in Fällen, in denen es um den islamischen Religionsunterricht ging, weder einen Überblick noch die Kontrolle oder Strategien besaß, um die aufgetretenen Probleme zu lösen. Der wichtigste Grund für das Entstehen dieser Situation war unter anderem das bestehende österreichische Vereinsrecht, nach welchem jeder Verein selbstständig eine Moschee gründen und die Lehre des Islam verbreiten konnte, ohne dabei auf die IGGiÖ angewiesen zu sein.
Notwendige Novellierung des Islamgesetzes
Erst durch die Wahl eines neuen Präsidenten und einer neuen Führung im Jahr 2011 wurde das Thema bezüglich der Organisationsstruktur in Österreich wieder aktiviert und nach möglichen Lösungen gesucht. So verkündete der neue Präsident Fuat Sanac direkt nach seiner Wahl als Präsident der IGGiÖ seinen Wunsch zur Novellierung des bestehenden Islamgesetzes. Durch eine Novellierung sollten die entstandenen Lücken geschlossen und die Bedürfnisse der Muslime besser abgedeckt werden können. Denn das bestehende Islamgesetz war nicht in der Lage, die gegenwärtigen Bedürfnisse der Muslime in Österreich abzudecken, da es vor 100 Jahren in einem anderen Kontext entstanden war.
Das bevorstehende 100-jährige Jubiläum im Jahre 2012 bot eine gute Möglichkeit zur Novellierung des Islamgesetzes, die schon seit 2005 vom damaligen IGGiÖ-Präsidenten Anas Schakfeh beabsichtigt und initiiert, aber bis zum Ende seiner Amtszeit nicht zustande gekommen war.
Die Gründung eines neuen Staatssekretariats für Integration im Rahmen der Österreichischen Regierung und damit verbunden auch das Entstehen des „Dialog Forum Islam“, in dessen Rahmen gesellschaftspolitisch relevante Themen zwischen dem Staat und der Glaubensgemeinschaft behandelt und gemeinsame Empfehlungen an die Regierung abgegeben werden sollten, wurde zu einem zusätzlichen Impetus zur Novellierung des Islamgesetzes. Die Novellierung des Islamgesetzes wurde zu einem Themenbereich, der im Rahmen des „Dialog Forum Islam“ behandelt werden sollte. Das „Dialog Forum Islam“ griff den Wunsch der IGGiÖ auf und empfahl in seinem Bericht die Novellierung des Islamgesetzes, was dazu führte, dass die neue Regierung die Novellierung des Islamgesetzes in ihr Regierungsprogramm aufnahm (vgl. Richard Potz, Staat und Islam, in: Bericht Dialog Forum Islam. Bundesministerium für Inneres [Hg.], Wien, 42).
So begannen im Jahr 2012 die Gespräche zwischen dem Kultusamt, der zuständigen Behörde für religiöse Angelegenheiten und der IGGiÖ zur Novellierung des Islamgesetzes. Wie die Gespräche gelaufen sind, über welche Punkte Uneinigkeit herrschte und wie es dazu kam, dass ein Gesetzesentwurf präsentiert wurde, den die IGGIÖ schon von Anfang an vehement ablehnte, wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Nach drei Verhandlungsjahren wurde schließlich am 2. Oktober 2014 in einer gemeinsamen Pressekonferenz des auch für das Kultusamt zuständigen Kanzleramtsministers, Josef Ostermayer (SPÖ), und des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz (ÖVP), der neue Gesetzesentwurf präsentiert, der nach den Aussagen der beiden Minister die Rechte und Pflichten neu definieren und auch bestätigen soll, sodass es nunmehr kein Widerspruch sei, gläubiger Muslim und stolzer Österreicher zu sein.
Die Verkündung des Islamgesetzes erzeugte großes Aufsehen unter den Muslimen. Obwohl die IGGiÖ in ihrer ersten Stellungnahme verlautbart hatte, ein „Lex Islam“ nicht zu akzeptieren, fiel die Kritik, speziell von einigen muslimischen Gruppierungen auch im Hinblick auf die IGGiÖ geäußert, sehr heftig aus.
Speziell die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ), der eine Nähe zur Gruppierung der Muslimbruderschaft vorgeworfen wird, organisierte eine intensive Kampagne gegen den Gesetzentwurf zum neuen Islamgesetz. Diese Kampagne bestand aus mehreren Pressekonferenzen, Presseerklärungen, Interviews in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Für die MJÖ bedeutete der Gesetzesentwurf auf der einen Seite eine Diskriminierung der Muslime und deren Degradierung zu Bürgern zweiter Klasse, auf der anderen Seite stellte er in deren Augen die Institutionalisierung der Islamophobie her. Zudem organisierte die MJÖ eine Bürgerinitiative mit dem Titel: „Nein zum Entwurf des neuen Islamgesetzes – Für die Gleichheit aller BürgerInnen Österreichs“ und versuchte durch zugespitzte Videos, Plakate und Podiumsdiskussionen die Gesetzwerdung des Entwurfs zu verhindern. Kritik gab es auch von anderen Stellen, die im Gesetzesentwurf eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu den anderen anerkannten Glaubensgemeinschaften sahen.
Als unklar und widersprüchlich könnte man die Positionierung der IGGiÖ während der ganzen Debatte um das Islamgesetz charakterisieren, was sowohl den Druck auf die Regierung als auch auf die IGGiÖ selbst verstärkte. Aufgrund der zunehmenden Kritik, speziell aus den Reihen der muslimischen Community, fanden mehrere Gespräche zwischen der Regierung und der Führung der IGGiÖ statt, die zur Veränderung einiger Kritikpunkte führen sollten. Nach einigen unwesentlichen Änderungen wurde schließlich das neue Islamgesetz am 25. Februar 2015 durch die Stimmen der Regierungskoalition im österreichischen Parlament beschlossen.
Mehrere Punkte wurden moniert
Doch wieso führte überhaupt dieses Gesetz zu einer derart heftigen Reaktion? Und was bringt dieses Gesetz konkret für die österreichischen Muslime?
Je nach Standpunkt der Kritiker gab es mehrere Punkte, die moniert wurden. Zunächst wurde kritisiert, dass im Gesetz der Primat des staatlichen Rechtes gegenüber dem islamischen beziehungsweise religiösen betont wird. Dies sei, so die Kritik, ein Generalverdacht, welcher die Inkompatibilität der islamischen Lehre mit den Grundgesetzen eines demokratischen Staates implizieren würde. Der zweite wichtige Kritikpunkt betraf das Verbot der Auslandsfinanzierung für die Imame. Auch dies sei eine Ungleichbehandlung der islamischen Glaubensgemeinschaften in Österreich, da für keine andere Glaubensgemeinschaft ein Verbot dieser Art vorgesehen war.
Der dritte, und vielleicht auch der wichtigste aller Punkte, speziell für die Regierung, die IGGiÖ und die unabhängigen islamischen Vereine, war die Einschränkung der Verbreitung der islamischen Lehre auf die anerkannten Glaubensgemeinschaften. Dies bedeutet, dass die islamischen Vereine, um weiterhin bestehen bleiben zu können, entweder sich einer anerkannten Glaubensgemeinschaft anschließen oder ihren Vereinszweck ändern müssen. Vereine, die sich weder einer Glaubensgemeinschaft anschließen noch ihren Vereinszweck ändern, werden nach dem neuen Gesetz geschlossen.
Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive betrachtet, werden möglicherweise zwei Punkte des neuen Islamgesetzes eine konkrete Auswirkung auf das Leben der Musliminnen und Muslime in Österreich haben: die Etablierung einer theologischen Ausbildung an der Universität und die Einschränkung der Verbreitung der islamischen Lehre auf die anerkannten Glaubensgemeinschaften.
Die Etablierung einer theologischen Ausbildung an der Universität Wien ist sicherlich ein wichtiger Schritt zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie im europäischen Kontext. Dieser sehr verspätete Schritt kann zur Entwicklung einer europäisch geprägten islamischen Theologie führen, die nicht nur für die österreichischen Muslime von Vorteil wäre, sondern auch positive Impulse außerhalb von Europa setzen könnte.
Auch das Verbot der Verbreitung der islamischen Lehre außerhalb der anerkannten islamischen Glaubensgemeinschaft ist ein sehr wichtiger Schritt, um einerseits die vorhandenen anerkannten Glaubensgemeinschaften zu stärken, andererseits aber diese auch in die Pflicht zu nehmen. Dadurch erhofft man sich sicherlich eine klar strukturierte Glaubensgemeinschaft mit bestimmten Standards und Mechanismen, um unter anderem fundamentalistischen Strömungen entgegenzuwirken.
Ob jedoch diese Wünsche realisiert werden können, hängt von vielen anderen Komponenten ab. Zunächst ist noch unklar, wie die IGGiÖ ihre innere Struktur dem neuen Gesetz anpassen wird. Dabei stellt sich die Frage, ob sie überhaupt in der Lage sein wird, die ihr durch das neue Islamgesetz verliehenen Kompetenzen in der Praxis umzusetzen. Dies hängt unter anderem auch stark mit den finanziellen Möglichkeiten zusammen.
Führt man sich die gegenwärtige Lage der IGGiÖ vor Augen, wird schnell klar, dass sie aufgrund ihrer knappen finanziellen Ressourcen kaum Chancen haben wird, den Erwartungen des Gesetzes gerecht zu werden. Denn außer den mageren Solidarbeiträgen der islamischen Religionslehrerinnen und Religionslehrer verfügt sie über keine weiteren finanziellen Ressourcen. Daher sind alle Funktionäre, angefangen vom Präsidenten, ehrenamtlich tätig, was nicht selten Auswirkungen auf die Qualität der geleisteten Arbeit hat.
Ohne eine gesicherte Finanzierung kann die IGGiÖ weder eine Unabhängigkeit erlangen noch professionelle Arbeit leisten. Daher ist die Gefahr, dass die vorhandenen Missstände in veränderter Form weitergeführt werden, als sehr hoch einzuschätzen. Auch wenn das neue Islamgesetz eine wichtige Grundlage zur Schaffung einer starken islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich bietet, wäre es naiv zu glauben, dass die Vorgaben ohne finanzielle Unterstützung umsetzbar wären.
Das Islamgesetz darf kein Stück Papier ohne Auswirkungen bleiben
Dies erkannte vor mehr als 120 Jahren die Donaumonarchie, als sie im Jahre 1882 der Einsetzung eines geistigen Oberhauptes für die Muslime in Bosnien und Herzegowina, dem Reis-ul-Ulema, zustimmte. Die Donaumonarchie lehnte nicht nur die Einforderung des Osmanischen Reichs nach der Einholung der Investitur für das Amt des Reis ul-Ulema von Schaich-ul-Islam ab, sondern unterstützte diese finanziell, indem sie das Gehalt des Oberhauptes bezahlte, um die neue Gemeinde in ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit zu unterstützen (Pintz, 37-38).
Aus welcher Motivation die „Verkirchlichung“ damals geschah, und welche Auswirkungen diese bis zum heutigen Tag hat, zeigt folgendes Zitat am besten: „Diese ,Verkehrssicherung‘ der islamischen Gemeinschaft ermöglichte eine gewisse Europäisierung der Organisation und damit für den bosnischen Islam einen Modernisierungsschub, der dessen Geschichte im 20. Jahrhundert durchaus beeinflussen sollte. (...) Die ,hierarchische‘ Organisation ist nicht nur eine bis heute bestehende Besonderheit der islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, sondern hat bei der Einrichtung der Verfassung der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich Vorbildwirkung gehabt. Auf diese Weise ist ein ,österreichisch-islamisches‘ Modell gleichsam wieder nach Österreich zurückgekehrt“ (Muslime in Österreich, 47-48).
Sollte es also das Ziel des neuen Islamgesetzes sein, eine unabhängige und funktionierende islamische Glaubensgemeinschaft zu etablieren, die in der Lage ist, sowohl das islamische Leben zu organisieren als auch neue theologische Impulse zu setzen, wird es ohne eine finanzielle Unterstützung nicht abgehen. Zwar können die islamischen Glaubensgemeinschaften keine Entschädigungen, wie es der katholischen und evangelischen Kirche oder auch der israelitischen Kultusgemeinde gesetzlich zusteht, bekommen, doch muss ein anderer Weg gefunden werden, um eine Teilfinanzierung zu ermöglichen. Vielleicht ist der italienische Weg, bei dem jeder, ohne zusätzliche Steuer, von seinen Steuerabzügen dem Staat oder einer anerkannten Glaubensgemeinschaft seinen Beitrag widmen kann, ein zukünftiges Modell, um alle Glaubensgemeinschaften aus dem Inland finanzieren zu können.
Unabhängig von den zukünftigen Finanzierungsmodellen, darf das neue Islamgesetz nicht ein Stück Papier ohne Auswirkungen auf das religiöse Leben der Muslime in Österreich bleiben, wenn dieses einen Beitrag für das friedvolle Zusammenleben leisten und den Muslimen zu einem Islam europäischer Prägung verhelfen soll.