Die neue Umwelt-Enzyklika des PapstesEin dramatischer Appell

Angesichts der länger schon angekündigten Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus gab es hohe Erwartungen. Das Schreiben, in dem Franziskus der Menschheit ins Gewissen redet, mehr Verantwortung für den Erhalt des Planeten Erde zu übernehmen, ist vielfach auf ein positives Echo gestoßen. In der Sache liegt dem Papst einerseits daran, an die bisherige Lehrtradition anzuschließen, andererseits ist er aber auch zur kirchlichen Selbstkritik in der Lage.

Die Enzyklika
Der Papst fordert auch ein ökologisches Engagement der eigenen Kirche ein.© KNA-Bild

Mit großer Spannung war die Ökologie-Enzyklika von Papst Franziskus erwartet worden, die am 18. Juni in Rom von Kardinal Peter Turkson (Päpstlicher Rat Iustitia et Pax), dem orthodoxen Metropoliten von Pergamo, Giovanni Zizioulas, dem deutschen Klimaexperten Hans Joachim Schellnhuber, der Leiterin der US-amerikanischen Catholic Relief Services, Carolyn Woo, und von Valeria Martano, Grundschullehrerin aus der Peripherie von Rom und aktives Mitglied von Sant’Egidio, der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Enzyklika beginnt mit den Worten „Laudato‘ si‘, mi Signore“ und nimmt damit Bezug auf den Sonnengesang des Heiligen Franziskus.

Sichtlich enttäuscht reagierten die Leugner des Klimawandels

Bereits im Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ wird ihr zentrales Anliegen deutlich: Die Menschheit, die sich den Planeten Erde wie ein gemeinsames Haus teilt, muss um dessen Erhalt gemeinsam Sorge tragen. Nachdem sich Papst Franziskus ja bereits mehrfach für die Ärmsten der Armen eingesetzt hat, widmet er sich nun dem zweiten großen Thema seines Namenspatrons, der Bewahrung der Schöpfung. Dieses Anliegen, das bereits seit Jahrzehnten in christlichen Verbänden, der wissenschaftlichen Sozialethik und in Stellungnahmen von Bischöfen präsent war, ist damit auch prominent in der päpstlichen Sozialverkündigung angekommen.

Der Papst hatte selbst hohe Erwartungen geschürt, als er während seiner Reise auf die Philippinen die Enzyklika für Juni ankündigte, damit sie rechtzeitig vor der wichtigen UNO-Klimakonferenz in Paris vom 30. November bis 11. Dezember 2015 fertig werde. Ganz offensichtlich will er mit seiner Autorität auf diese Konferenz Einfluss nehmen. In Deutschland waren die Reaktionen fast durchweg positiv. Ökoaktivisten konnten sich nur bestätigt fühlen und sagten das auch. Die Grünen veröffentlichten auf ihrer Webseite „5 Zitate, die zeigen, dass der Papst ein Grüner ist“. Dass Bischöfe, kirchliche Hilfswerke und katholische Verbände eine Enzyklika loben, ist nicht verwunderlich, aber man hat den Eindruck, dass sie es dieses Mal mit besonderer Freude und Dankbarkeit tun. Auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, war begeistert. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerten sich ebenfalls sehr positiv.

Sichtlich enttäuscht oder sogar empört reagierten die Leugner des Klimawandels, aber auch andere konservative Politiker und Journalisten, besonders aus den USA, die bereits im Vorfeld gegen die bevorstehende Enzyklika polemisiert hatten. Steve Moore, Chefökonom der Heritage Foundation und selbst Katholik, sagte schon im Januar, Papst Franziskus sei eine einzige Katastrophe („a complete desaster“) wenn er anfange, über Politik zu sprechen. In Fragen der Wirtschaft und mehr noch der Umwelt habe sich Papst Franziskus mit der extremen Linken verbündet und sich einer Ideologie angeschlossen, die die Armen ärmer und unfreier machen würde. Auch US-Präsidentschaftsanwärter Jeb Bush gab bekannt, er brauche die Ratschläge von Franziskus nicht: „Ich beziehe meine Wirtschaftspolitik weder von meinen Bischöfen noch von meinen Kardinälen noch von meinem Papst“. Der rechtskonservative Republikaner Rick Santorum, ebenfalls Katholik und Klimaskeptiker, sagte, die Kirche habe sich in wissenschaftlichen Fragen schon mehrfach getäuscht, sie solle sich auf Fragen der Theologie und der Moral beschränken.

Dass solche Meinungen nicht repräsentativ für die gesamte USA sind, zeigt die Bemerkung des früheren Vizepräsidenten Al Gore, der meinte, er könne wegen Papst Franziskus fast ein Katholik werden. Damit werden durch die Enzyklika die politischen Frontstellungen in den USA verschoben: Während bislang häufig die Demokraten wegen ihrer Haltung zu Abtreibung und „Homo-Ehe“ in der kirchlichen Kritik standen, sind es nun die Republikaner, die sich durch die Umweltenzyklika an den Pranger gestellt fühlen.

Die antipäpstliche Polemik beschränkt sich freilich nicht auf die USA. Das beweist ein Blick auf Internetseiten wie „www.katholisches.info“. Dort war am 13. Mai unter Berufung auf den Vatikanexperten Sandro Magister die Meldung lanciert worden, ein vom argentinischen Erzbischof Victor Manuel Fernández, der dem Papst schon öfters zugearbeitet hat, verfasster Entwurf sei „eingestampft“ worden, weil Franziskus gemerkt habe, dass der Text niemals das Placet von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem Präfekten der Glaubenskongregation, bekommen würde. Dies, so der Text weiter, bestätige schlimmste Befürchtungen, dass „eine Unterwerfung unter die ‚Nachhaltigkeitstheorie‘ mit ihrer umstrittenen Behauptung, die Erderwärmung sei vom Menschen durch erhöhten CO2-Austoß verursacht und könne daher auch vom Menschen durch einschneidende Eingriffe in die Wirtschaft und immensen Finanzaufwand korrigiert werden“, geplant gewesen sei. Erfreulicherweise hat der Papst solchen Pressionen nicht nachgegeben, sondern genau das, was diese Ideologen befürchteten, mit sehr guten Gründen als Appell der höchsten Autorität der katholischen Kirche verkündet.

Dass eine Version der Enzyklika „geleakt“ und schon am 15. Juni auf den Seiten der italienischen Zeitung „L’Espresso“ veröffentlicht worden war, ließ Pater Bernd Hagenkord, den Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, vermuten, es handele sich um den gezielten Versuch von rechten Gegnern des Papstes, die erhoffte Wirkung der Veröffentlichung von „Laudato si“ zu „sabotieren“. Schließlich war derselbe Journalist für die Vorabveröffentlichung verantwortlich, nämlich Sandro Magister, der schon vorher durch scharfe Polemik gegen Papst Franziskus aufgefallen war.

Ökologische und soziale Probleme nicht trennen

Im Text der Enzyklika prangert der Papst mit dramatischen Worten die Zerstörung des Planeten an (LS 2), wobei er sich nicht auf den Klimawandel beschränkt, sondern die zunehmende Verschmutzung, die Wasserknappheit und den Verlust der Artenvielfalt als Probleme der Zukunft der Menschheit benennt: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastrophen enden kann, wie es bereits periodisch in verschiedenen Regionen geschieht“ (LS 161). Franziskus will ganz offensichtlich nicht nur Informationen vermitteln, vielmehr geht es ihm darum, dass wir das, was der Welt widerfährt, in „persönliches Leiden (…) verwandeln“ (LS 19).

Er will uns betroffen machen angesichts der gravierenden Probleme und dadurch zu ökologischer Umkehr motivieren. Zum Klimawandel schreibt er: „Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befinden.“ Die Menschheit müsse deshalb die Erwärmung bekämpfen. Sicher gebe es auch andere Faktoren als anthropogene, „doch zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass der größte Teil der globalen Erwärmung der letzten Jahrzehnte auf die starke Konzentration von Treib­hausgasen (Kohlendioxid, Methan, Stickstoffoxide und andere) zurückzuführen ist, die vor allem aufgrund des menschlichen Handelns ausgestoßen werden“ (LS 23). Er zieht daraus klare Konsequenzen: „Wir wissen, dass die Technologie, die auf der sehr umweltschädlichen Verbrennung von fossilem Kraftstoff – vor allem von Kohle, aber auch von Erdöl und, in geringerem Maße, Gas – beruht, fortschreitend und unverzüglich ersetzt werden muss“ (LS 165).

Bei all dem ist es ein großes Anliegen des Papstes, ökologische und soziale Probleme, den Einsatz für die Umwelt und für die Armen, auf keinen Fall zu trennen. Tatsächlich werden die Armen, obwohl sie am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, am stärksten unter ihm leiden. Ottmar Edenhofer, ehemaliger Jesuit und derzeit Vize-Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (20./21. Juni 2015) zu Recht: „Sie ist deshalb auch keine Klima-, sondern eine Gerechtigkeits-Enzyklika“.

Der Papst möchte auch eine Brücke schlagen zu anderen Religionen und anderen christlichen Konfessionen. Er beruft sich auf den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, um Umweltverschmutzung als „Sünde“ zu brandmarken. Mithilfe schöpfungstheologischer Aussagen, bei denen er sich auch intensiv auf biblische Texte bezieht, will er deutlich machen, dass der Glaube an Gott unbedingt auch die Liebe zu seiner Schöpfung impliziere. Auch wenn er das so explizit nicht sagt, kann man insbesondere seine theologischen Ausführungen so interpretieren, dass das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe eigentlich zu einem Dreifach-Gebot erweitert werden müsse: Gottes-, Nächsten- und Schöpfungsliebe.

Vor allem am Ende der Enzyklika, wo Franziskus eine Spiritualität der Schöpfung entfaltet, will er, vielleicht auch gerade gegenüber konservativeren Kreisen, deutlich machen, dass ein frommer Mensch, der Gott liebt, auch die Schöpfung lieben muss. Dementsprechend wird auch an die Schmerzensreiche Madonna unterm Kreuz erinnert: „Wie sie mit durchbohrtem Herzen den Tod Jesu beweinte, so fühlt sie jetzt Mitleid mit den Armen an ihren Kreuzen und mit den durch menschliche Macht zugrunde gerichteten Geschöpfen“ (LS 241).

Der Papst richtet sich – wie die Enzyklika „Pacem in Terris“ von Johannes XXIII., die zum ersten Mal an „alle Menschen guten Willens“ adressiert war – explizit an „jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“ (LS 3). Immer wieder spricht er von der Erde als einem „gemeinsamen Haus“ für die „ganze Menschheitsfamilie“ (LS 13) und fordert eine „universale Solidarität“ (LS 14). Wie Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler im 19. Jahrhundert greift er auf die Eigentumslehre von Thomas von Aquin zurück: Gott hat seine Schöpfung allen Menschen gegeben, sie ist ein gemeinsames Erbe der Menschheit (LS 89ff.). Das Recht auf Privateigentum darf deshalb nicht absolut gesetzt werden. Auf jedem privaten Eigentum lastet eine soziale und eben auch ökologische Hypothek.

Die Konsequenzen sind klar: Besonders die Atmosphäre und das Klima als öffentliche Güter müssen als Gemeineigentum auch von allen verantwortlich geschützt werden (vgl. HK, September 2012, 460–465). Niemand darf auf Kosten anderer ein solches Gemeingut zerstören. Auch darf kein Land beanspruchen, die vermeintlich ihm allein gehörenden fossilen Energieträger zum Schaden des Weltklimas uneingeschränkt ökonomisch nutzen zu dürfen.

Für die Begrenzung der Erderwärmung sieht Franziskus vor allem die reicheren Industrieländer in der Pflicht: „Es ist notwendig, dass die entwickelten Länder zur Lösung dieser Schuld beitragen, indem sie den Konsum nicht erneuerbarer Energie in bedeutendem Maß einschränken und Hilfsmittel in die am meisten bedürftigen Länder bringen, um politische Konzepte und Programme für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Die ärmsten Regionen und Länder besitzen weniger Möglichkeiten, neue Modelle zur Reduzierung der Umweltbelastung anzuwenden, denn sie haben nicht die Qualifikation, um die notwendigen Verfahren zu entwickeln, und können die Kosten nicht abdecken. Darum muss man deutlich im Bewusstsein behalten, dass es im Klimawandel diversifizierte Verantwortlichkeiten gibt, (…). Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind“ (LS 52).

Dass man hier auf internationaler Ebene bislang nur sehr wenig vorangekommen sei (LS 164, 165, 167), führt Franziskus auf die „Positionen der Länder (zurück), die es vorziehen, ihre nationalen Interessen über das globale Gemeinwohl zu setzen“ (LS 169). Hier sollten sich besonders die Länder mit den höchsten Kohlendioxidemissionen pro Kopf angesprochen fühlen: einige Ölförderländer, die USA, Russland, Kanada, Australien, aber auch die europäischen Staaten. Neben den wichtigen Forderungen nach Dekarbonisierung der Energieversorgung (LS 165) gibt der Papst eine Reihe weiterer Handlungsorientierungen. Sie reichen von erstaunlich detaillierten Anweisungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen (LS 183) bis hin zur Empfehlung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und dem Ausschalten überflüssiger Lampen (zum Beispiel LS 180, 211). Eigenartigerweise wird bei der massiven Kritik des Konsumismus der stetig gewachsene Fleischkonsum nicht kritisiert, obwohl er in ökologischer Hinsicht (auch für das Weltklima) und die Ernährung der Menschheit ein großes Problem darstellt. Aber das kann man vielleicht auch von einem Papst, der aus Argentinien stammt, nicht erwarten.

An vielen Stellen der Enzyklika erkennt man das Bemühen, an frühere Stellungnahmen der Kirche zur Umweltthematik anzuschließen. Am Rande kam sie ja auch schon im Beschluss der römischen Bischofssynode von 1971 „De Iustitia in Mundo“ und in „Sollicitudo rei socialis“ (1987) von Johannes Paul II. vor. In „Centesimus annus“ (1991) findet sich dann ein längerer Abschnitt zur Ökologie (CA 37) dem jedoch sofort ein Abschnitt (CA 38) über „die Wahrung der moralischen Bedingungen einer glaubwürdigen ‚Humanökologie‘“ angefügt wurde, mit dem zwar auch Probleme der Verstädterung und der Arbeitswelt angesprochen, vor allem aber ein Bezug zur traditionellen Lehre der Kirche über die Familie hergestellt wurde, einschließlich der Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung (CA 39). Diese Betonung der „Humanökologie“ hatte die Funktion, die Bedeutung der Umweltethik zu relativieren und insbesondere die moralische Glaubwürdigkeit derer zu untergraben, die ihr Engagement auf den Schutz der Umwelt richteten, aber sich nicht zugleich der traditionellen katholischen Moraltheologie anschlossen.

Auch Papst Benedikt XVI. nutzte eine solche Verknüpfung von Natur als Ökologie und „Natur“ als moraltheologische Berufungsinstanz in diesem Sinne, sowohl in „Caritas in veritate“ (CV 51) als auch in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011. Unter dem Stichwort „Humanökologie“ finden sich bei Franziskus zunächst jedoch Ausführungen zur positiven Rolle der Armen (LS 148), zu Stadtplanung (LS 150-151) und Wohnungsnot (LS 152), zu Verkehrsmitteln (LS 153), dann aber doch auch zu einem „der Natur eingeschriebenen moralischen Gesetz“ (LS 155), wobei Franziskus hier nicht direkt auf die Gender-Thematik oder Fragen der Sexualmoral eingeht, sondern „die Wertschätzung des eigenen Körpers in seiner Weiblichkeit oder Männlichkeit“ fordert, „um in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht sich selbst zu erkennen“.

Es ist erfreulich, dass er hier nicht abermals die traditionelle kirchliche, viel zu naturalistisch argumentierende Sexualmoral explizit einschärft (Verbot künstlicher Empfängnisverhütung, Verbot homosexueller Handlungen usw. – explizit jedoch in LS 120 ein Verbot der Abtreibung), sondern auf die Notwendigkeit der Annahme des eigenen Körpers, der ja eine naturale Grundlage unserer Existenz darstellt, hinweist. Aber nicht alle Menschen haben einen Körper, der eindeutig als männlich oder weiblich identifiziert werden kann. Und in dieser Vorstellung liegt zudem die Gefahr, Geschlechterrollen, die mit verschiedenen Rechten verbunden sind, festzuschreiben, und homosexuell veranlagten Menschen die gegenseitige Bereicherung durch die Begegnung mit Menschen des gleichen Geschlechts abzusprechen. Noch eine andere Stelle ist in diesem Zusammenhang problematisch, nämlich die Äußerung des Papstes zum Bevölkerungswachstum (vgl. LS 50). Natürlich darf die hohe Geburtenrate in vielen Ländern nicht allein für die ökologischen und sozialen Probleme verantwortlich gemacht werden. Aber auch bei gerechterer Verteilung der Güter und größerer Genügsamkeit aller Menschen ist die Tragfähigkeit des Planeten begrenzt, die Bevölkerungsentwicklung muss möglichst bald stabilisiert werden. Unterhalb einer Weltbevölkerung von neun oder zehn Milliarden ist dies realistischerweise ohnehin nicht mehr möglich. Aber ohne künstliche Empfängnisverhütungsmittel wird auch dies nicht gelingen.

Sehr positiv ist zu vermerken, dass Franziskus zu einer deutlichen kirchlichen Selbstkritik in der Lage ist. Er gesteht, dass „ein falsches Verständnis unserer eigenen Grundsätze uns auch manchmal dazu geführt hat, die schlechte Behandlung der Natur oder die despotische Herrschaft des Menschen über die Schöpfung oder die Kriege, die Ungerechtigkeit und die Gewalt zu rechtfertigen“ (LS 200). Dementsprechend fordert er auch ein ökologisches Engagement der eigenen Kirche ein: „Ich hoffe auch, dass in unseren Seminaren und den Ausbildungsstätten der Orden zu einer verantwortlichen Genügsamkeit, zur dankerfüllten Betrachtung der Welt und zur Achtsamkeit gegenüber der Schwäche der Armen und der Umwelt erzogen wird.“

Das dritte Kapitel von „Laudato si“ bietet eine häufig auf Romano Guardini zurückgreifende Gesellschaftskritik. Zwar werden die Chancen der Technik positiv gewürdigt, als Grundübel der ökologischen Krise macht der Papst jedoch das globalisierte „technokratische Paradigma“ aus (LS 106ff.), das Wissenschaft, Wirtschaft und Politik beherrsche (LS 107-109). Diesen Erklärungsansatz verbindet er dann mit der Kritik, die moderne Gesellschaft sei einem falsch verstandenen, nämlich maßlosen Anthropozentrismus verfallen (LS 116). Die Analyse des Papstes gipfelt in der Aussage: „Daher dürfte es nicht verwundern, dass sich mit der Allgegenwart des technokratischen Paradigmas und der Verherrlichung der grenzenlosen menschlichen Macht in den Menschen dieser Relativismus entwickelt, bei dem alles irrelevant wird, wenn es nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient“ (LS 122). In Nr. 123 werden dann alle Übel dieser Welt von der Zwangsarbeit über die einseitige Marktorientierung bis hin zu Rauschgifthandel, Organhandel und dem „,Wegwerfen‘ von Kindern“ auf diese „Kultur des Relativismus“ zurückgeführt.

Wahrscheinlich sind es diese Passagen, die Daniel Deckers in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 18. Juni neben positiven Einschätzungen anderer Teile zu einem sehr harten negativen Urteil verleitet haben: „Immer wieder verbinden sich die klassisch-katholischen Vorbehalte gegen eine ordoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit den üblichen Verurteilungen aller möglichen Ismen von Anthropozentrismus über Konsumismus bis Hedonismus zu einem moralinsauren Gebräu. Versatzstücke von Verelendungs- und Weltverschwörungstheorien machen dieses ökologische Manifest mitunter ungenießbar“. Noch polemischer hatte sich Russell Ronald Reno, Herausgeber der konservativen Zeitschrift „First Things“ in den USA geäußert. Er sprach sogar von einer „Wiederkehr des katholischen Antimodernismus“.

Diese Polemik ist sicherlich überzogen. Aber trotzdem entsteht tatsächlich der Eindruck, dass der analytische Wert jener recht pauschalen Passagen, in denen als Hauptursachen der Umweltprobleme der freie Markt, die Finanzmärkte, das technokratische Paradigma oder der Konsumismus angeprangert werden, sehr begrenzt ist. Viel mehr versteht man, wenn man sich klarmacht, dass negative Wirkungen häufig durch ein unkoordiniertes, durch schlechte Rahmenbedingungen und defizitäre gesellschaftliche Institutionen hervorgerufenes Zusammenwirken von Individuen zustande kommen, die jeder für sich durchaus guten Willens sein können. Auch im Blick auf die Umweltprobleme genügt es selbstverständlich nicht, an die Umkehrbereitschaft des Einzelnen zu appellieren, was der Papst an anderer Stelle durchaus auch in den Blick nimmt (LS 219, vgl. 232). Die hier oft wirksamen Gefangenendilemma-Situationen werden nur durch strukturelle Veränderungen überwunden.

Der Menschheit ins Gewissen geredet

In Nr. 30 wird die Privatisierung des Wassers angeprangert, Wasser dürfe nicht in eine Ware verwandelt werden. Das ist insofern richtig, als alle Zugang zu sauberem Wasser haben müssen. Dies schließt aber nicht aus, dass Wasser trotzdem etwas kosten sollte, auch um Verschwendung zu vermeiden. Die Skepsis gegenüber dem Markt als Instrument, vielleicht auch eine gewisse Unkenntnis der positiven Wirkungen von Marktmechanismen zeigt sich im allzu pauschalen Verbot des eigentlich bei richtiger Implementierung sehr erfolgversprechenden und auch gerechten Instruments des Emissionszertifikatehandels (LS 171, vgl. 190), obwohl der Papst ja an anderer Stelle auch wirtschaftliche Anreize und die Integration der Umweltkosten fordert (vgl. LS 194-195).

Weil aber neue Strukturen und Institutionen erst noch geschaffen und entsprechende Instrumente implementiert, weil dabei Eigeninteressen überwunden werden müssen und Politikerinnen und Politiker für umweltpolitische Maßnahmen einschließlich notwendigen Verzichts auf Verständnis stoßen und die Chance zur Wiederwahl haben müssen, geht es nicht ohne Bewusstseinswandel, nicht ohne eine „mutige kulturelle Revolution“ (LS 114). Deshalb ist es kein „Moralisieren“, wenn Franziskus der Menschheit insgesamt und jedem Einzelnen ins Gewissen redet: „Während die Menschheit des post-industriellen Zeitalters vielleicht als eine der verantwortungslosesten der Geschichte in der Erinnerung bleiben wird, ist zu hoffen, dass die Menschheit vom Anfang des 21. Jahrhunderts in die Erinnerung eingehen kann, weil sie großherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat“ (LS 165). Dieser Hoffnung kann man sich nur anschließen.

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