Es ist doch überraschend, wie kritisch Heiner Koch über seine Heimat spricht. Wer in Köln am Bahnhof aussteige und über die Domplatte hinein ins nächste Brauhaus gehe, der habe nach drei Kölsch schon zwei Freunde und am Ende des Abends sei man Mitglied in einem Karnevalsverein. Am anderen Morgen allerdings sei alles wieder vergessen. Das sei anders im Osten. Ernsthafter. Verbindlicher. Es scheint so, dass der ehemalige Kölner Weihbischof, der auch bekennender Karnevalist war, nach zwei Jahren als Bischof in Dresden Gefallen gefunden hat an der so anderen sächsischen Mentalität und Lage. Minderheitskatholizismus mit Unterdrückungserfahrung an der Elbe statt satter Mehrheitskatholizismus am Rhein.
Nun wird der gebürtige Düsseldorfer Erzbischof in Berlin. Er bleibe im Osten, erklärt Koch, und verortet sich damit schon anders als jene Kritiker, die seinen Wechsel in die Hauptstadt als Weggang aus dem Osten bezeichnet hatten. Koch ist mit ganzem Herzen Diaspora-Bischof geworden, so sieht es aus. Anders als sein Vorgänger und Weggefährte Rainer Maria Woelki, den seine Berliner Jahre zwar auch verändert haben, der aber doch sehnsuchtsvoll zurück in die Dom-Stadt zog – obwohl er nicht wirklich Karnevalist ist.
Koch interessiert die Glaubensweitergabe. Das ist vielleicht sein Lebensthema. Dahinter stehen dann manche anderen Aussagen zurück. Ohne Scheu beteuerte er vor zwei Jahren in einem Interview mit „Christ & Welt“, er gehe als Missionar nach Dresden, er habe „eine Sendung“. Und statt dann enttäuscht zu sein von der Glaubensferne der Vielen, begeistert er sich für die Neugierde der Wenigen. Immer wieder sei er in staatlichen Schulen in Sachsen eingeladen worden, um dort – nun ja – die Reformation zu erklären. Doch die Aufmerksamkeit und Neugierde der Schüler sei im Osten eben eine ganz andere als in Köln.
1980, mit 26 Jahren, selbst noch fast jugendlich, wurde Koch zum Priester geweiht. Seitdem hat ihn immer wieder besonders die Jugendseelsorge beschäftigt. Zu einem religionspädagogischen Thema hat er promoviert, er wurde Jugendseelsorger in Neuss, dann Hochschulseelsorger an der Universität Düsseldorf. Später leitete er das Seelsorgeamt der Erzdiözese. Von 2003 bis 2005 war er dann Generalsekretär für den 20. Weltjugendtag in Köln. Das Großereignis mit dem Besuch des frischgewählten Papstes Benedikt XVI. machte er zu seinem Herzensanliegen. „Der Funke des Geistes Gottes soll überspringen“, erklärte Koch damals. Der Weltjugendtag setzte auch auf eucharistische Anbetung und biblische Katechesen. Eher ein Kontrapunkt zur üblichen katholischen Jugendarbeit in Deutschland.
Mit dem Weltjugendtag verband Koch nicht weniger als die Hoffnung, einen Neuanfang des Glaubenslebens im katholischen Deutschland mitinitiieren zu können. Mit seinen 800 000 Teilnehmern sollte gerade den Selbstsäkularisierungstendenzen im inneren katholischen Milieu entgegengewirkt und Frömmigkeit wieder akzeptabel werden. Die Kirche kann Massen mobilisieren, so war die Gefühlslage – und mit der Größe des Ereignisses sollte gerade der Weg zurück ins Kleine der Innerlichkeit gelingen.
Heiner Koch scheint auf seiner Suche nach dem Weg, wie der Glaube heute zu vermitteln ist, nun am anderen Extrem angekommen zu sein. Nicht Masse sondern Miniatur, so ließe es sich umschreiben, ist nun der Schlüssel, die Gottesfrage zu stellen und Gottessehnsucht zu wecken. Der neue Erzbischof berichtet mit fast kindlicher Freude darüber, wie er in Leipzig die neue Propsteikirche eingeweiht hat. Mit wenigen hundert Teilnehmern hatten sie gerechnet, es kamen über tausend, mehr als nur die Gemeindemitglieder. Aber für Kölner Verhältnisse eben doch wenige. „Die Polizei musste den Martin-Luther-Ring sperren“, berichtet Koch stolz. Das Zeichen ist nun mehr wert als Massen vor dem Kölner Dom. Es ist ein neuer Blickwinkel, der auch Konsequenzen hat für den theologischen Blick des neuen Erzbischofs.
Heiner Koch ist Familienbischof, im Herbst fährt er mit nach Rom zur Synode, er wirbt nun für Reformen und warnt vor Polarisierungen. Zunächst scheint auf jeden Fall die römische Aufgabe größer zu sein als die anstehenden Berliner Probleme.