GastkommentarPalliative Care entschlossen ausbauen

In den nächsten Monaten wird die Debatte über die Beihilfe zum Suizid nochmals neue Intensität erreichen. Christinnen und Christen sind gefordert, in dieser normativen Grundsatzdiskussion die richtigen Fragen zu stellen.

Alois Glück
„Das Engagement für den entschlossenen Ausbau der Palliativ-Medizin ist der Glaubwürdigkeitstest.“© Gronau

Seit etwa einem Jahr führen wir in Deutschland eine intensive öffentliche Debatte um den letzten Lebensweg des Menschen. In den nächsten Monaten wird diese Debatte nochmals eine neue Intensität erreichen. Der neue Impuls kommt durch die Vorlage verschiedener Gesetzesentwürfe aus fraktionsübergreifenden Initiativen im deutschen Bundestag zur gesetzlichen Regelung der Beihilfe zum Suizid beim Todeswunsch von Schwerkranken. In dieser Diskussion wird auch wieder die Frage aufgeworfen werden, ob wir überhaupt eine gesetzliche Regelung brauchen oder die jetzige Gesetzeslage, bei der in Deutschland der Suizid und die Beihilfe zum Suizid straffrei sind, unverändert bleiben soll.

Wenn das Ergebnis der bisherigen Debatten die Konsequenz wäre, es brauche keine Änderung, wäre dies eine bewusste Zustimmung zu der Entwicklung vermehrter Angebote der organisierten und geschäftsmäßigen Angebote zur Unterstützung des Suizids. Nach den bisherigen Debatten zeichnet sich ab, dass es fraktionsübergreifend eine große Unterstützung für einen Gesetzentwurf geben wird, mit dem ausnahmslos jede Form der organisierten und geschäftlich betriebenen Unterstützung des Suizids verboten wird.

„Kein Geschäft mit dem Tod!“ findet eine sehr große Zustimmung, bei zwei parlamentarischen Initiativen freilich mit einer Einschränkung. Sie argumentieren, dass es aber doch letztlich eine Situation von besonders schwierigen und schmerzhaften Krankheiten geben kann, in der eine entsprechende fachlich qualifizierte Unterstützung des Suizids eine Erlösung sein kann und gleichzeitig eine Vorbeugung, dass ein eigener Suizidversuch nicht in einer zusätzlichen Katastrophe endet.

Eine Gruppierung möchte für präzise beschriebene und begrenzte Situationen den „ärztlich assistierten Suizid“, eine andere Gruppierung möchte gemeinnützigen Vereinen den Weg eröffnen. Die Erfahrung in verschiedenen Ländern belegt, dass alle diese Regelungen eine Eigendynamik im Sinne einer ständigen Ausweitung erfahren.

Für die Meinungsbildung ist dabei von ganz erheblicher Bedeutung, dass nach der übereinstimmenden Aussage fast aller Palliativmediziner heute die Möglichkeiten bestehen, bei praktisch jedem Krankheitsbild den Patienten schmerzfrei zu stellen. In der Palliativmedizin ist das als äußerstes Mittel die „palliative Sedierung“, also die Dosierung von Schmerzmitteln, die als Nebenwirkung allerdings die geistige Präsenz des Patienten einschränken. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Einleitung des Sterbeprozesses, sondern um eine Begleitung beim Sterbeprozess.

Die Würfel sind noch nicht gefallen. In der öffentlichen Debatte und vor allem in der Publizistik wird überwiegend gegen gesetzliche Begrenzungen argumentiert, ja auch polemisiert. Wir Christen müssen uns in dieser Debatte stark engagieren. Es geht vor allem um folgende Themen:

Um den Anspruch auf Selbstbestimmung und die notwendige soziale Rückbindung dieses Anspruchs, da immer auch andere Menschen von solchen Entscheidungen betroffen sind. Um die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Auswirkungen auf einzelne Menschen, wenn die Beihilfe zum Suizid per Gesetz gewissermaßen zur Alternative und zur gesellschaftlich etablierten „Normalität“ wird. Um die Folgen, wenn die Beihilfe zum Suizid zur ärztlichen Leistung zählt (oder gar Tötung auf Verlangen) und der Gesetzgeber entscheidet, welche Art von Erkrankungen diese rechtfertigt.

Wir müssen aber auch diskutieren über die Problemseiten der modernen Hochleistungsmedizin, über den Sinn und die Grenzen von medizinischen Maßnahmen in der Endphase von Erkrankungen, über Behandlung und Behandlungsverzicht, über die Einstellung oder Umstellung von Therapien in dieser Endphase des Lebens.

Wenn in dieser normativen Grundsatzdebatte vor allem auch mit den heutigen Möglichkeiten von Palliativ Care argumentiert wird, müssen diese Angebote allen Menschen auch möglichst rasch zugänglich werden. Das Engagement für den entschlossenen Ausbau dieser Angebote ist der Glaubwürdigkeitstest für die Kirchen und die kirchlichen Gruppierungen und ebenso für die Politik. Die Hauptarbeit beginnt erst!

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