Zur Autobiografie von Hubertus Halbfas„Wo es nichts zu fragen gibt, gibt es auch nichts zu lernen!“

Hubertus Halbfas gehört zu den einflussreichsten und produktivsten Religionspädagogen der letzten fünfzig Jahre. Jetzt ist seine Autobiografie erschienen. Gerade, weil er auch in einem zehnbändigen Schulbuchwerk zeigte, was er theoretisch meinte, konnte er seine einzigartige Wirkung über den deutschsprachigen Raum hinaus entfalten. Das bewährt sich auch in der gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussion um die Kompetenzdidaktik.

Hubertus Halbfas ist ein Fragender. Er war es von Anfang an und ist es bis heute geblieben. Ein Fragender vor dem Geheimnis des Lebens, der in seiner Art zu fragen und seinem daraus erwachsenen Werk für viele zu einer Antwort werden konnte: „Meine Hoffnung ist, selbst im neunten Lebensjahrzehnt (…) im Denken und Fühlen, auch im Glauben und Zweifeln nicht nachzulassen.“ Davon kündet seine Autobiografie, die jetzt unter dem Titel „So bleib doch ja nicht stehen. Mein Leben mit der Theologie“ erschienen ist (Ostfildern 2015). 416 Seiten, auf denen er sein oft stürmisches Leben mit Theologie, Religionspädagogik, Kirche, aber auch mit seiner Heimatstadt Drolshagen erzählt, dokumentiert, reflektiert und auch hier noch nach der „mythobiographischen“ Wurzel fragt, „die den Lebenslauf treibt und mitbestimmt, ohne vordergründig erkennbar zu werden“.

Halbfas gehört zu den einflussreichsten und produktivsten Religionspädagogen der letzten fünfzig Jahre. Kein Religionslehrer, der nicht „die Halbfasbücher“ kennt oder von ihnen gehört hat, keine Religionslehrerin, die mit „Symboldidaktik“ nicht den Namen Halbfas verbindet. Gerade, weil er sich, im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zunft, nie nur mit der Theorie begnügte, sondern in seinem zehnbändigen Schulbuchwerk „Religionsunterricht in der Grundschule“ und „Religionsbuch für die Sekundarstufe“ zeigte, was er theoretisch meinte, konnte er seine einzigartige Wirkung im Religionsunterricht auch über den deutschsprachigen Raum hinaus entfalten. Die Schulbucharbeit hat ihn gezwungen, Theologie in einer elementaren erzählerischen Form zu präsentieren. Es ist eine narrative Religionspädagogik, die in seinem Lehrwerk ganz neue Räume eröffnet. Bis heute sind es nicht selten zuerst die Schülerbücher, in denen sich Lehrerinnen und Lehrer einen Zugang zu den jeweiligen Themen und Sachverhalten verschaffen.

Dieser Sinn für das Praktische in seinem Denken durchzieht sein Schaffen von Anfang an. Wir lesen, dass er schon in seiner Zeit an der Pädagogischen Hochschule Paderborn (1960 bis 1967) mit Martin Stallmann, Klaus Wegenast, Martin Widmann, Günter Stachel, Alois Zenner und Wolfgang Langer zusammen „in einer Schule biblische Texte unterrichten (wollte), um ungeklärte Fragen der Bibeldidaktik gemeinsam zu reflektieren (…) Allerdings wagten es nicht alle Teilnehmer“.

Auch später, an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen (1967 bis 1987) war ihm Schulpraxis immer bedeutsam. „Ich hielt es nicht für hinreichend, pädagogische Anfänger mit Theorien und Ratschlägen zu traktieren und gleich darauf zu benoten. Ich wollte ihnen auch zeigen, wie ich es anpackte und was mir unter den Bedingungen eines Tagespraktikums gelingt oder auch nicht. Es machte mir Freude, mit Kindern zu sprechen (…) Die Studierenden aber schätzten es, ihre eigenen Lehrproben mit meinem Unterricht vergleichen zu können, zumal es sie tröstete, wenn sie sahen, dass ich mich ebenfalls mit den Realitäten von Schülerschaft und Zeitumständen abzustrampeln hatte.“

Gerade bei Halbfas wird deutlich, dass dieser Sinn nicht nur für die Kunst des Denkens, sondern auch für die Kunst des Möglichen in der konkreten schulischen Praxis die Theorie nicht behindert, sondern befördert. Vor allem richtete diese Leidenschaft für das Praktische seine Aufmerksamkeit auf bisher nicht oder zu wenig wahrgenommene und deshalb vernachlässigte religionspädagogische Erfordernisse: Auf die „innere Form“, auf die Qualität der Sprache, auf den Raum, in dem sich das jeweilige Lernen abspielt.

Die „innere Form“ lernte Halbfas in der katholischen Jugendbewegung kennen, in der er nach dem Krieg bald als Jugendleiter und Organisator großer Fahrten engagiert war. Der Begriff stammt aus der Bündischen Jugend und bezog sich auf die bewusste Gestaltung der Jugendgruppe während der Fahrten und Lager. Dabei ging es darum, Ansprüche an sich selbst zu richten und sich nicht einfach mit dem Vorhandenen, Zufälligen und Gängigen zu begnügen. Eine solche innere Form „beeinflusst meinen Anspruch an die eigene Arbeit bis zum heutigen Tage und belässt mich immer noch in Distanz zu vielen Formlosigkeiten der heutigen Zeit, sei es in der Jugendkultur, sei es in der Gestaltung von Gottesdiensten oder auch Religionsbüchern.“

Dazu gehört auch ein Bewusstsein über das Lernen als räumliche Erfahrung. Halbfas gibt einen Dialog aus einer Seminarübung in Reutlingen wieder: „,Glauben Sie, man könne eine Lehrerin oder ein Lehrer in Religion werden, und gleichzeitig dieses chaotische Durcheinander der Tische und Stühle hinnehmen?‘, fragte ich. ,Es stört doch niemanden‘, sagt eine Studentin… ,Es ist nicht einerlei, wie wir uns hier zusammenfinden: ob wir bewusst eine Sitzordnung herstellen, die kommunikativ ist, oder ob das außerhalb unserer Aufmerksamkeit bleibt. Wenn Sie solche Sensibilität für die Raumordnung nicht erlernen, wie wollen Sie dann ordnende Strukturen für eine Schulklasse schaffen?‘“

Hierher gehört auch das Bewusstsein für die Qualität der Sprache. Immer wieder weist Halbfas darauf hin, dass die Sprache nicht vom Thema her religiös wird, sondern von ihrer Qualität. Es geht um eine „Sprache, die in die Tiefe führt, auf die Rückseite des alltäglich Selbstverständlichen, in eine geistige, wie spirituelle Dimension, die (…) den Menschen und Ereignissen der Geschichte eigen sind“. Dabei spielt auch und vor allem das Erzählen eine entscheidende Rolle, mit dem Halbfas ebenso auf den Fahrten und Lagern in Berührung kam und sofort in Bann gezogen wurde. Eine Erfahrung, die ihn schnell ermutigte, selbst zu erzählen. „Das habe ich in späteren Jahren unter jungen Leuten unaufhörlich getan und im Schulunterricht fortgeführt. Wirkliches Erzählen stiftet eine Situation. Wenn nicht mehr erzählt wird, fehlt diese Dimension innerer Erfahrung.“

Sensibilität für Form in Sprache, Bild, Raum, sind Stichwörter, die bei Halbfas immer wieder vorkommen, selbst in seinen Initiativen für die Gestaltung seiner Heimatstadt Drolshagen. Immer geht es um Struktur und Form, die wahrgenommen, aber auch gesetzt, wir können auch sagen, „inszeniert“ werden muss, damit sich Gehalt entwickeln kann. Form und Inhalt gehören zusammen, von Anfang an. Formlosigkeit führt zur Trivialität, Eintönigkeit und Langeweile.

Auch der Anlass für seinen Konflikt mit der Deutschen Bischofskonferenz war die Veröffentlichung eines Unterrichtsprotokolls in einem Artikel der Katechetischen Blätter im Februar 1968. Die Überschrift lautete „Über Wasser wandeln“. Thema ist die Perikope vom Gang Jesu über Wasser in der vierten Nachtwache mit der Aufforderung an Petrus, vom Boot auszusteigen und zu ihm zu kommen (Mt 14,22-33). Im Unterrichtsprotokoll wird der Text nicht als (naturwissenschaftlicher) Bericht, sondern als symbolische Sprachform entfaltet: Damit wandelte sich der „Gang über Wasser“ von einem Problemtext für das heutige Denken zu einer Erzählung, in der sich seine Wahrheit auf neue Weise erschließt.

Das Protokoll gipfelte in der Formulierung: „Es gibt Situationen, in denen der Mensch den Kreis der gutmeinenden Jünger verlassen muss, weil er nur so näher zu Jesus kommen kann. Aber dazu gehört Mut. Diesen Mut können wir auch Glauben nennen. Es ist der Glaube, der die Kraft gibt, aus dem sicheren Boot auszusteigen, Erschrecken, Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel aller, die im Boot sitzen auszuhalten, um unbeirrt über die Abgründe zu gehen. Denn wenn der Mensch wirklich glaubt, kann er, was Jesus kann: übers Wasser gehen. Er überwindet Gefahren, Angst, Tod. Er vollbringt Werke, die nur ein Glaubender tun kann. Darum ist diese Geschichte wahr“.

Was damals einen Sturm auslöste und letztendlich mit dem Entzug der Kirchlichen Lehrerlaubnis endete, würde wohl heute den kirchlich-religionspädagogischen Blätterwald nur noch wenig in Bewegung bringen. So sehr ist das Verständnis biblischer Texte als symbolisch bildhafte Sprachformen inzwischen zum theologischen und religionspädagogischen Allgemeingut geworden; die Ironie der Geschichte: nicht zuletzt auch durch die rezipierte Symboldidaktik von Halbfas. Im Rückblick schreibt er: „Ich war mit Aufsätzen und einem Buch unvermittelt an die Öffentlichkeit getreten, die das bis dahin noch wenig bekannte exegetische Denken in den schulischen Religionsunterricht übertrugen.“ Zumindest waren die Konsequenzen nicht im Blick, welche die exegetischen Forschungen für die Praxis zeitigten. Das wurde nun plötzlich zum Erschrecken Vieler offenbar. Entscheidend dabei war jedoch für Halbfas, dass Bibelunterricht nicht einfach als eine Art popularisierte Exegese fungiert, sondern eine eigene Auslegung betreibt, „die aus dem hermeneutischen Verständnis von Sprache und Wirklichkeit sowie der jeweiligen inneren Struktur und Sprachform eines Textes geleistet wird“.

In diesem Unterrichtsprotokoll zeigt sich wie in einem Brennglas nicht nur sein Verständnis von Symbol und Sprache; vermutlich zeigt sich in ihm auch etwas von der „mythobiografischen Wurzel, die seinen Lebenslauf treibt, ohne vordergründig immer erkennbar zu sein“: Halbfas, der um der Wahrheit und Jesu willen das Boot der überkommenen, als sicher geltenden Überzeugungen verlässt, sich aufs Meer wagt, auch wenn er damit Kritik, Unverständnis, Sanktionen, ja Ausschluss in Kauf nehmen muss. Es ist eine Struktur, die von Anfang an immer wieder in seiner Biographie aufleuchtet, ein Ethos, das in jeder Zeile atmet. Vermutlich lag auch hierin die eigentliche Provokation des „Falles Halbfas“: Dass er mit dem Impetus auftrat, das Boot der Kirche um der Wahrheit willen verlassen zu müssen.

Die Kirche hat mit Halbfas gebrochen, aber nicht ganz. Halbfas hat mit der Kirche gebrochen, aber nicht ganz. In diesem Spannungsverhältnis entwickelte sich sein Einfluss auf das religionspädagogische Denken. Die Kirche entzog ihm mit der kirchlichen Lehrerlaubnis nicht das Recht, an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen zu prüfen; seine Religionsbücher wurden weithin kirchlich genehmigt. Halbfas, auf dem Höhepunkt des Konflikts zunächst ein Befürworter eines Religionsunterrichts unabhängig von den Kirchen, formulierte später, dass es „nicht gut sein würde, eine kirchliche Mitverantwortung freiwillig aufzugeben, um Religionsunterricht und Theologie dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte zu überlassen“.

Ein hermeneutischer Religionsunterricht im Sinne von Halbfas ist ohne einen Standort nicht denkbar. Wo sollte, wo könnte er anders sein, als in einer kirchlichen Anbindung und Verankerung? Halbfas betont in seiner Sprachlehre: „Alle Religionen haben ihre Heimat im Mythos“. Boot, Ausstieg und wie immer geartete Rückkehr, gehören jedoch auf der mythischen Heldenreise immer zusammen. Indem der Mythos zeigt, wie das Abenteuer gelingt, erweist er seine Gültigkeit: In der Dynamik von Aufbruch und Wiederkehr erneuert sich das Leben.

Religion als „Wie“ des Lebens

Halbfas ist auch nie mit dem pädagogischen Mainstream gesegelt; er richtete seine Didaktik in einem fundamentalen Sinne an der religiösen Sprache aus. Von hierher hat er sich schon in den achtziger Jahren gegen den Einzug der zweckrationalen Logik in der Schule gewandt, die in der curricularen Theorie der Lernzielorientierung „dem ‚Stoff‘ seinen Eigenwert bestreitet, um stattdessen nach seinem Funktionswert im ‚schülerorientierten‘ situativen Zusammenhang zu fragen“ mit der Folge, dass „der Unterricht immer inhaltsloser (wird)“. Nicht die Orientierung am Schüler war es, die er zurückwies, sondern den zweckrationalen Zusammenhang, in dem die Inhalte zu „Mitteln“ für die Problemlösungszwecke der Schüler werden: „Wenn die ‚Sachen‘ ihre einmalige ‚Kostbarkeit‘ verlieren, wenn sie nicht mehr der Liebe würdig sind, nicht mehr faszinieren, keine Leidenschaft mehr wecken, wenn sie in ihrem Anforderungscharakter jeden, der sich auf sie einlässt, nicht auch je in ihre Schule nehmen, dann endet dort auch alle Bildung und reduziert sich auf funktionale Ausbildung.“

Im Nachklang zu PISA wird inzwischen die Kompetenzorientierung als neue schulische Leitwährung in allen Bundesländern eingeführt und hat die Lernzielorientierung abgelöst (vgl. HK, Januar 2011, 49-53). Die Kompetenzdidaktik grenzt sich gegenüber den Vorgängerkonzeptionen schroff ab und proklamiert ein neues Lernen, ja eine „kopernikanische Wende“; das zweckrationale Handlungsmuster lebt jedoch in ihr fort, ja es tritt in einer neuen Variante umso stärker hervor: Im Zentrum stehen Kompetenzen; Inhalte werden für die Kompetenzen gebraucht; sie haben eine „Funktion“ und „dienen“ dazu, die Kompetenzen zu erwerben. In einem solchen Unterricht treten die Inhalte nicht nur konzeptionell hinter den Kompetenzen zurück, sondern vor allem die bisher vorgelegten Praxisbeispiele zeigen, dass sie sich zunehmend verflüchtigen; auch hier hat sich Halbfas jüngst sehr kritisch zu Wort gemeldet.

Die Inhalte von Religion und Glauben helfen nicht nur Probleme zu lösen, Lernziele oder Kompetenzen zu erreichen. Das können sie unter Umständen auch; sie können es aber nur, wenn sie zuvor in ihrem Eigengewicht zur Entfaltung kommen. Die Erschließung eines Textes darf sich deshalb nicht nur von dem funktionalen Zusammenhang her ergeben, in den wir ihn einfügen, sondern der Text will zuerst aus sich sprechen, oder, wie es Halbfas formuliert „vom Leitfaden seiner Sprache her zu Wort kommen“: Dies erfordert Sorgfalt, Liebe, Leidenschaft, wie er immer wieder betont.

Dies erfordert auch Verlangsamung und Verweilen, damit die Texte für die Schüler zum Leuchten kommen. Nur so können die Schüler an jener Wirklichkeit Anteil nehmen, welche die symbolischen, metaphorischen und mythischen Sprachformen von Religion und Glaube repräsentieren. Prinzipiell gehen die Texte der Bibel immer über „die Situation“ der Schüler und ihre „Probleme“ hinaus. Sie vermögen ihnen die Augen zu öffnen für das, was sich überhaupt noch nicht in ihrem Blickfeld und ihrem „Problembewusstsein“ befindet. Gerade dieser neue Blick ist es, den die großen Texte und Bilder des Glaubens ermöglichen wollen. Es ist diese Horizonterweiterung, die wir den Kindern und Jugendlichen in der Begegnung mit der Bibel schuldig sind.

Aus einer solchen Perspektive ergibt sich auch ein ganz neues, im eigentlichen Sinne erst religionspädagogisches Verständnis von Schülerorientierung: Schüler ernst nehmen heißt nicht nur ihre unmittelbare Situation ernst nehmen. „Eskimo, Indianer, Ägypter und Römer, die Heiligen vergangener Jahrhunderte, das Engagement Martin Luther Kings oder Oscar Romeros können den Jugendlichen näher stehen als das Kleinklein des Tages.“ Es ist tatsächlich die Sprachform, die darüber entscheidet, ob die Kinder und Jugendlichen angesprochen werden.

Es ist das Erzählen, es sind vor allem die mythischen Erzählformen, in denen sich die Seele des Menschen zur Geltung bringt und die sich mit der Seele der Kinder und Jugendlichen verbindet wie Wasser mit einem trockenen Schwamm. Schüler suchen nicht nur das Naheliegende, sondern auch das ganz Ferne, ja das Noch-Nie-Dagewesene, das jenseits der Grenzen ihrer Lebenswelt liegt und ihnen im Letzten das ganz Eigene zeigt. In dieser Weise helfen uns die großen Erzähltexte von Gott und den Menschen zu erkennen, wer wir sind. Sie führen uns weg von uns, damit wir uns in neuer Weise ganz nahe kommen können.

Die Protagonisten der Kompetenzorientierung begegneten der Kritik von Halbfas, in dem sie ihm vorwarfen, er bewege sich offensichtlich jenseits der Schulrealität und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Dabei ist es doch oft gerade der distanziertere Blick, der erkennt, was es mit des Kaisers neuen Kleidern auf sich hat. Es täte der Kompetenzdidaktik gut, wenn sie sich mit der religiösen Sprachlehre von Halbfas beschäftigte. Sie könnte helfen, einen bisher noch nicht vorhandenen religionspädagogischen Kompetenzbegriff zu entwickeln, der sich dem an der Ökonomie orientierten zweckrationalen Denken entledigt: Religion ist „kein ‚Was‘ unter anderen Dingen, sondern eine Qualität, ein ‚Wie‘ des Lebens. Wie der Mensch wahrnimmt und erkennt, urteilt, entscheidet, fragt, glaubt, hofft, liebt (…), darin liegt seine Religiosität und Areligiosität, sodass es Gläubige geben kann, die areligiös sind, und Ungläubige, die tief religiös sind.“ Es ist ein „Wie“, das die Vordergründigkeit des Hier und Jetzt auf seine Tiefendimension hin durchbricht.

Das „Jesusloch“

In seinen neueren Schriften konstatiert Halbfas einen grundlegenden Glaubensverlust. Eine der Ursachen sieht er schon früh in den christlichen Glaubensbekenntnissen angelegt. Sie „ersetzen Jesus – von seiner Kreuzigung abgesehen – durch Christusdeutungen. Dieses ‚Loch‘ im Glaubensbekenntnis ist eine Paulus zu verdankende Verdrängung des historischen Jesus.“ Gäbe es nur das „Evangelium des Paulus“, würden „wir keine Gleichnisse kennen, keine Bergpredigt, kein Vaterunser“. Es sind diese auf Paulus zurückgehenden Christusdeutungen, die dem heutigen Denken zum Problem werden. Dagegen muss, so Halbfas, die Wahrheit der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu „nicht geglaubt, nicht bewiesen und nicht verteidigt werden“; sie hat ihre Plausibilität in sich. Die Frage ist jedoch, ob den Glaubensbekenntnissen heute und auch in früheren Zeiten diese ausschließliche Bedeutung für das Glaubensverständnis zukommt. Dabei geht es um das Verhältnis von Credo und Heiliger Schrift, Bekenntnis und Narration, die nur in einem komplementären Zueinander zu denken sind. Die Glaubensbekenntnisse verweisen mit ihrem Loch deutend auf Leben und Botschaft Jesu, wie sie in den Schriften bezeugt sind; umgekehrt erhellt die Bibel das Credo: Erst beides zusammen ergibt das Ganze.

Ohne Zweifel: Bei allem, was der Grenzgänger Hubertus Halbfas zur Religionspädagogik an Neuem und Wesentlichen beigetragen hat, bleibt er unbequem und herausfordernd, bis zum heutigen Tag. Er tritt für eine „ungeteilte und entschiedene Wahrhaftigkeit“ ein, denn, wie sonst soll der Glaube aus den Aporien im Horizont des heutigen Denkens herauskommen, „wenn nicht jene, die sich dem Evangelium verpflichtet sehen, darüber in aller Wahrhaftigkeit nachdenken und in diesem Nachdenken miteinander kommunizieren?“ Auch wenn man Halbfas nicht in allem folgen muss, etwa der Gegenüberstellung des „Evangeliums Jesu“ und des „Evangeliums des Paulus“, oder seinem Versuch eines Gottesglaubens jenseits des Theismus, so ist der wahrhaftige Dialog, den er anmahnt, für ein tragfähiges theologisches Fundament des Christentums heute und in Zukunft unverzichtbar.

Die Autobiografie von Hubertus Halbfas gibt Einblick in das Ringen der Religionspädagogik in den letzten 50 Jahren, in dem er selbst als entscheidender Akteur fungierte. Dabei war er in vielem seiner Zeit voraus. Seine religiöse Sprachlehre ist zwar bekannt, aber noch lange nicht in ihren religionspädagogischen Dimensionen erkannt, geschweige denn in der Praxis von Religionsunterricht und Katechese zureichend Realität geworden. Sie ist es, in deren Zentrum das Herz seines überaus produktiven Schaffens schlägt. Als fundamentale Grammatik des Religiösen ist die religiöse Sprachlehre nicht ein Thema neben anderen Themen, sondern das Thema aller anderen Themen heutiger religiöser Lernprozesse. Obwohl sie noch nicht eingeholt ist, gibt es hinter sie keinen Weg zurück.

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