Es ist aufschlussreich: Das im Jahr 1999 erschienene Lexikon: „Berlin. Die Hauptstadt. Vergangenheit und Zukunft einer europäischen Metropole“ enthält gar keinen Artikel, der Glaube oder Theologie gewidmet ist. Modernes Leben wird irreversibel mit dem Begriff „säkular“ verbunden. Dass dieses Junktim auf problematischen Prämissen beruht, darauf macht bereits der Titel aufmerksam: „Religion und Säkularisierung“.
„Religiös“ und „säkular“ kennzeichnen ein Spannungsverhältnis, das nicht einseitig aufgelöst werden kann. Wie das Nachschlagewerk im ersten seiner drei Hauptteile (Konzepte) anhand von vierzehn „konzeptionellen“ Denkern zu zeigen vermag, liefern sich führende Köpfe wie Émile Durkheim, Max Weber, Jürgen Habermas, Charles Taylor oder José Casanova am philosophisch-theologisch-soziologischen Brennpunkt „Religion“ Auseinandersetzungen, denen zentrale politische Bedeutung zukommt: etwa wenn der Religionssoziologe Casanova – gegen Webers Theorem – mit Blick auf die polnische „Solidarność-Bewegung“ und lateinamerikanische Befreiungstheologie von wachsender „Deprivatisierung“ des Katholizismus im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils spricht. Das zweite Hauptstück (Kategorien) ist in systematisch-vertiefender Weise dazu gedacht, die Diskussion anhand von siebzehn Leitbegriffen zu strukturieren. Beiträge zu „Fortschritt“, „Freiheit“, „Fundamentalismus“ oder „das Heilige“, „Moderne“ und „Moral“ lesen sich durchgängig mit Gewinn, lassen aber die Frage aufkommen, ob dem so etwas wie ein Begriffs-Kanon zugrunde liegt – und warum „Humanismus“ keinen Eintrag erhalten hat. Der dritte Teil (Konflikte) widmet sich jenen Spannungen, die sich im Wechselspiel von „Religion und …“ ergeben. Im Hinblick auf „Wissenschaft“, „Menschenrechte“ und „säkularen Rechtsstaat“ wird dabei deutlich: Wer religiöse Wandlungsprozesse zu begreifen sucht, muss bereit sein, Theoreme des 19./20. Jahrhunderts kritisch zu überprüfen, um die Vielfalt der Phänomene beschreiben zu können.
Das neue Handbuch ist eine große Gemeinschaftsleistung. Es benennt Bruchlinien, verhilft aber über widerstreitende weltanschauliche Überzeugungen hinaus dazu, eine gemeinsame Sprache für „Religion und Säkularisierung“ zu finden.