Jaco van Dormaels „Das brandneue Testament“Gott lebt in Brüssel

Gott sitzt in einer fensterlosen Wohnung in Brüssel, in einem Raum voller dunkler Karteischränkchen an einem alten Computer. Schwaches, schummeriges Licht beleuchtet nur einen kleinen Teil des Raumes. Dauerrauchend mit einer Flasche Schnaps vor sich und einem karierten Bademantel über der Feinripp-Unterwäsche bestimmt Gott über das Leben der Menschheit. Er sorgt für all die Tragödien und das Leid. Er lässt nur genau so viel Glück zu, dass die Menschen weiterleben wollen. Und Gott erweitert den Dekalog täglich. Gebot 2143 lautet: „Ein Unglück kommt selten allein“.

Eine junge Mädchenstimme führt diesen Gott, ihren despotischen Vater ein. Die Stimme gehört Éa, die die Grausamkeiten ihres Vaters nicht mehr zulassen möchte. Éa will das brandneue Testament schreiben. Sie hackt den Computer des Vaters, versendet an alle Menschen per SMS die persönlichen Todesdaten, bringt das Computersystem zum Einstürzen und flieht. Ihr Bruder Jesus Christus ist vor Jahren schon abgehauen. Aber Gott sagt, er war ein Weichei.

Die Komödie „Das brandneue Testament“ von Jaco van Dormael, die gerade ins Kino gekommen ist, erzählt jedoch mehr als die Geschichte eines bösen Gottes und seiner Tochter, die sich gegen ihn behauptet. Der Film wächst über seine komischen Elemente hinaus und führt zu Sinnfragen der Menschen: „Das Leben ist wie eine Schlittschuhbahn; jeder fällt mal hin“, erzählt die tieftraurige und wunderschöne Aurelie, die als kleines Kind ihren linken Arm verloren hat.

Der Mensch ist sterblich. Doch was passiert, wenn er sein genaues Todesdatum erfährt? Die zehnjährige Protagonistin Éa sorgt für diese Erfahrung. Da ist Jean-Claude, der seine kostbare Lebenszeit für „einen Scheiß-Job eintauscht“. Nachdem er von seiner restlichen Lebenszeit erfährt, bleibt er den ganzen Tag im Park sitzen, schmeißt seinen Job und folgt den Vögeln an die Polarkappen. Jean-Claude ist einer der sechs Apostel, den Éa per Zufallsprinzip erwählt hat. Anhand der Apostel werden die Geschichten erzählt, wie die Menschen angesichts der eigenen Endlichkeit ihr Leben umgestalten. Sie beginnen ihrer inneren Musik zu folgen und das Leben zu führen, das dieser Musik entspricht. Wie extrem die innere Stimme gegen gesellschaftliche Konformität verstoßen kann, zeigt sich anhand der reichen Martine. In einem trostlosen Leben voller Geld und Oberflächlichkeiten, hört sie auf ihre innere Zirkusmusik. Sie findet ihre neue große Liebe im Zirkus bei einem Gorilla.

Die grotesken Momente im Film nehmen ab dieser Szene weiterhin zu. Die philosophische Botschaft des Filmes, die eigene kostbare Lebenszeit bestmöglich zu nutzen und der inneren Bestimmung zu folgen, wird mit der erotischen Beziehung zwischen Martine und dem Gorilla zusehends gebrochen. Diese neue Schieflage sorgt dafür, dass der Film „Das brandneue Testament“ sich einer banalen Tiefgründigkeit entzieht.

Durch den grausamen Vater Gott, der sich ebenfalls auf die Erde begibt, um Éa aufzuspüren, wird in „Das brandneue Testament“ auch die Theodizee-Frage aufgegriffen. Anhand der Katastrophen und des Leids müssen sich alle Menschen fragen, wie es da noch einen Gott geben kann. Abseits aller traditionellen Deutungen vom Buch Hiob bis Gottfried Wilhelm Leibniz bietet der Film die Sichtweise an, dass es keinen lieben Gott gibt. Die Absurdität des Daseins erlaubt nur die Annahme eines grausamen, despotischen Gottes. Dann gibt es auch kein Paradies, kein Jenseits bei Gott und der Mensch muss umso dringender seine Lebenszeit nutzen.

Diese existenzielle Auseinandersetzung wird im Film wieder durch komische Elemente ad absurdum geführt. Eine Bewegung, die den gesamten Filmverlauf prägt. Gott selbst scheitert an seinen selbstgeschaffenen Schwierigkeiten auf Erden. Er wird mehrfach zusammengeschlagen, hat Hunger, ertrinkt fast im Fluss und wird nach Usbekistan zur Zwangsarbeit abgeschoben. Auch Gott ist somit auf Erden nicht sonderlich fröhlich, er ist nicht einmal mehr „almighty“.

Die alttestamentliche Vorstellung der Allmacht Gottes ist bei Jaco van Dormael schon längst auf den Computer übergegangen. Generell dienen die biblischen Bezüge im Verlauf von „Das brandneue Testament“ weniger der Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft als vielmehr dem skurrilen Amusement. Allein Gottes Ehefrau mutiert am Ende zur Muttergöttin in Plüsch. Der Film endet, indem sie beim Staubsaugen versehentlich einen Computerneustart auslöst und dadurch den Todes-Countdown auf den Handys der Menschen löscht. Das ist dann noch eine letzte Botschaft des Filmes: Der Segen der wissenden Unwissenheit.

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