In seiner „Christlichen Gesellschaftslehre“ beklagte der 1987 verstorbene Kölner Kardinal Joseph Höffner, dass soziale Auseinandersetzungen in Deutschland vom Unverständnis für die Funktion des Unternehmers geprägt seien. Er führte dies unter anderem auf den Einfluss der marxistischen Idee eines antagonistischen Dualismus von Kapital und Arbeit zurück. Auch die katholische Soziallehre habe sich verhältnismäßig selten mit dem typisch Unternehmerischen befasst, so Höffner: „Wo das Unternehmerische angesprochen wurde, geschah es häufig mit einem unverhohlenen Misstrauen.“ Es sei jedoch ein Wandel eingetreten und dieser vom Zweiten Vatikanum ausdrücklich anerkannt worden.
Kirchliches Misstrauen gegenüber dem Unternehmertum
Letzteres indes trifft nur bedingt zu. Denn das Zweite Vatikanum lobt zwar die unternehmerische Tätigkeit (in „Gaudium et spes“, Nr. 64), jedoch unter Vorbehalt: Sie solle weder im Dienst der „vermehrten Produktion als solcher“ stehen, „noch in der Erzielung von Gewinn oder der Ausübung von Macht, sondern im Dienst am Menschen“. Deutlich schwingt in dieser Formulierung das traditionelle „unverhohlene Misstrauen“ weiterhin mit. Dergestalt moralisierende Betrachtungsweise fand sich schon Jahre früher in „Quadragesimo anno“ (1931), indem die „Verwendung sehr großer Einkünfte zur Schaffung von Arbeits- und Verdienst-Gelegenheiten im großen Stil“ als „hervorragende zeitgemäße Übung der Tugend der Großzügigkeit“ bezeichnet wird (Nr. 51). In seinem Kommentar aus dem Jahre 1932 zur Enzyklika sprach ihr Mitverfasser Oswald von Nell-Breuning von der „Tugend des kapitalistischen Unternehmers“. Mit Tugend allerdings hat die Funktion des Unternehmers nichts zu tun; denn diese ist eine ökonomische Funktion, und sie war es, die Höffner meinte.
Eine adäquatere Würdigung dieser ökonomischen Funktion findet sich erst vier Jahre nach Höffners Tod in der Enzyklika „Centesimus annus“ von Johannes Paul II. (1991). Da wird der Kapitalismus als ein Wirtschaftssystem bezeichnet, „das die grundlegende und positive Rolle des Unternehmers, des Marktes, des Privateigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Produktionsmittel, der freien Kreativität des Menschen im Bereich der Wirtschaft anerkennt“ (Nr. 42). Sofern es in eine „feste Rechtsordnung eingebunden ist“, sei dieses Wirtschaftssystem positiv zu bewerten, sollte allerdings, so Johannes Paul II., treffender „Unternehmenswirtschaft“, „Marktwirtschaft“ oder einfach „freie Wirtschaft“ genannt werden.
Hier wird nun ökonomisch-funktional argumentiert; der unternehmerische Gewinn wird in seiner grundlegenden Funktion anerkannt und ebenso (in Nr. 32) die geistige Leistung des Unternehmers als Organisator und kreativer Innovator. Bereits in „Sollicitudo rei socialis“ (1987) hatte Johannes
Paul II. die Wichtigkeit unternehmerischen Handelns für die Überwindung von Armut hervorgehoben und kritisiert, „dass in der heutigen Welt unter den anderen Rechten oft auch das Recht auf unternehmerische Initiative unterdrückt wird“. So führten verfehlte Gleichheitsforderungen statt zu „schöpferischer Eigeninitiative (...) zu Passivität, Abhängigkeit und Unterwerfung unter den bürokratischen Apparat“
(Nr. 17).
Diese Einschätzung hatte sowohl eine ökonomisch unaufgeklärte, moralisierende Betrachtung des Unternehmertums überwunden, als auch die institutionellen und vor allem die rechtlichen Voraussetzungen erfolgreichen kapitalistischen Unternehmertums mitreflektiert. Bald jedoch, 2009 in „Caritas et veritate“ (Benedikt XVI.), zeichnete sich eine beginnende Rückwendung ab: Gegen das „Geschäftsdenken“ werden „Gemeinwohl“ und eine Ökonomie der „Unentgeltlichkeit“ ausgespielt; der freie Markt, heißt es, sei „an sich nicht ein Ort der Unterdrückung der Armen durch die Reichen“ – allerdings nur, sofern er „nach moralischen Gesichtspunkten strukturiert und institutionalisiert wird“ (Nr. 36).
In „Laudato si“ (Nr. 128-129) nun bezeichnet Papst Franziskus die unternehmerische Tätigkeit sehr treffend als „edle Berufung und darauf ausgerichtet, (...) Wohlstand zu erzeugen und die Welt für alle zu verbessern“. Zugleich mahnt er jedoch an: es sei zu vermeiden, „dass der technologische Fortschritt immer mehr die menschliche Arbeit verdränge“, und meint, technologischer Fortschritt, der zu einer „Verringerung der Arbeitsplätze, die durch Maschinen ersetzt werden“, führt, sei gegen den Menschen gerichtet (Nr. 128). Unternehmerische Tätigkeit sei deshalb vor allem dann fruchtbar für eine Region, „wenn sie versteht, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen ein unausweichlicher Teil ihres Dienstes ist“ (Nr. 129).
Gewinnstreben und Gemeinwohl
So perpetuieren solche Texte weiterhin traditionelles kirchliches Misstrauen und Unverständnis gegenüber dem spezifisch Unternehmerischen. Erfolgreiche Unternehmer bewegt nicht die Absicht, Arbeitsplätze zu schaffen, schon gar nicht auf Kosten des technologischen Fortschritts. Ihr Ziel ist es vielmehr, Produkte auf den Markt zu bringen, die sie verkaufen können. Oft muss ein Unternehmer, im Interesse von Rentabilität oder gar Weiterbestehen des Betriebs, Arbeitsplätze aufheben. Absicht seines Handelns ist auch nicht die Förderung des Gemeinwohls – obwohl dieses in Tat und Wahrheit vornehmlich durch erfolgreiche Unternehmer und unternehmerisch handelnde Manager gefördert wird und oft genug gerade dadurch, dass sie technologischem Fortschritt Bahn brechen. Unternehmerisches Tun will unternehmerische Visionen verwirklichen und bezweckt, damit Geld zu verdienen. Rentabilität ist sein Gesetz; unabdingbar ist sein Ziel der Gewinn.
Dieser wiederum ist nicht persönlicher Gewinn, persönliche Bereicherung, sondern Rendite – Mittel, um das Geschäft auszubauen, in die Zukunft zu investieren, besser und innovativer als die Konkurrenz zu werden oder zu bleiben. Und wenn man „ganz oben“, einer der Besten der Branche ist, ja gar der beste und Monopolist, gilt es, diese Stellung zu halten, sie mit ungemindertem Innovations- und Optimierungsstreben gegen Konkurrenten zu verteidigen. Gewinnstreben generiert somit Wettbewerb und Innovation und erfüllt – solange es im gesetzlichen Rahmen des Rechtsstaates agiert – eine soziale Funktion. Gewinn indiziert, dass Produktion und Konsumentenwünsche übereinstimmen. Rational-unternehmerisches – nicht irrational-gieriges – Gewinnstreben dient deshalb dem Gemeinwohl und hohe unternehmerische Gewinne sind in der Regel Zeichen großer Wertschöpfung.
Der industrialisierte, heute reiche „Westen“ wurde wohlhabend durch Unternehmer und Investoren, die aufs Geschäft aus waren, damit aber den Lebensstandard aller in einem Ausmaß verbesserten, wie es sich auch die Reichsten vergangener Epochen nie hätten erträumen können. Wenn während der letzten Jahrzehnte Hunderte Millionen von Menschen der „Dritten Welt“ der Armut entkommen sind, die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen sich halbiert hat und der Abstand zwischen reichen und armen Ländern ständig geringer wurde, dann war dies – auch in stark von Staatswirtschaft geprägten Ländern wie China – Folge von zunehmend freierem Unternehmertum, von Marktwirtschaft und internationalem Handel mit offenen Grenzen.
Gemeinsame Interessen
Warum sind Unternehmer, Investoren, Kapitalisten so wichtig? Im Abschnitt über „Kapital und Arbeit“ von Nell-Breunings Kommentar zu „Quadragesimo anno“ finden sich dafür unerwartete Hinweise. Der Marx’schen These, das Kapital (Kapitaleigentümer, Unternehmer) eigne sich auf ausbeuterische Weise den durch die Arbeit (des Arbeiters) geschaffenen Mehrwert an, setzt Nell-Breuning entgegen: „Produktiv ist nicht allein die Arbeit der Hände, sondern mindestens ebensosehr die Arbeit der Köpfe. Wenn ein Volk zu Wohlstand aufsteigen will, dann ist eines unerlässlich: eine gewaltige Anspannung sowohl geistiger als körperlicher, ‚sowohl leitender als ausführender Arbeit‘ (53).“
In der Tat: Es gibt auch die „Arbeit des Kapitals“, sprich: des Unternehmers, Investors, natürlich auch des Erfinders, der sich mit ihnen verbündet oder mit ihnen gar identisch ist, die „mindestens ebensosehr“ Mehrwert schafft. Diese Arbeit des Kapitals ist eine geistige, intellektuelle, organisatorische Leistung, ohne die die Produktivität des Arbeiters vielleicht nur dazu reichen würde, sich selbst knapp am Leben zu halten – im 19. Jahrhundert hätte sie nicht einmal dafür gereicht. Diese Einsicht macht die marxistische und „gewerkschaftliche“ Sicht obsolet, gemäß der die Kapitalisten und Unternehmer Interessen vertreten, die denen der Arbeiter strukturell entgegengesetzt sind.
Allerdings fehlte bei Nell-Breuning eine ökonomische Analyse der „Arbeit des Kapitals“ und ihrer Funktion – was vielleicht seine spätere Wendung zu einer gewerkschaftsorientierten Position erklärt. In einem Vortrag mit dem Titel „Ist Eigentum eine Ordnungsmacht?“ bezeichnet er 1958 den Arbeiter nun plötzlich als „produktionsmittelentblößtes“ Opfer eines „Klassenmonopols“ und als bloßes „Anhängsel“ des Kapitals.
Der 1934 in die USA emigrierte katholische Ökonom und Sozialethiker Götz Briefs warf Nell-Breuning in einem 1976 postum veröffentlichten Brief vor, auf Basis der Prämissen der marxistischen Mehrwertstheorie zu argumentieren. In Wirklichkeit, so Götz Briefs, sei der Arbeitnehmer der eigentliche Nutznießer der „kapitalistischen Produktionsmittel“, denn diese „unterstützen und vervielfältigen (...) seine Leistung“ und lassen ihn in Form steigender Reallöhne, verbesserter Arbeitsbedingungen und Hebung seines Sozialstatus an ihren „wirtschaftlichen und technischen Erträgen“ teilhaben.
Das traf den entscheidenden Punkt. Natürlich ist der Unternehmer auf seine Arbeiter „angewiesen“ – diese Erkenntnis ist trivial. Weniger trivial ist: Gäbe es keine Unternehmer und Investoren, wären „produktionsmittelentblößte“ Menschen – auch wenn sie noch so fleißig arbeiten – vielleicht nur in der Lage, gerade ihr eigenes Überleben zu sichern. Erst durch die unternehmerische Idee, welche Konsumentenwünsche und damit Marktchancen antizipiert, durch deren Umsetzung und das dafür eingesetzte Kapital entsteht jener Mehrwert, der die Produktivität des „produktionsmittelentblößten“ Arbeiters und damit auch seine Entlohnung nach und nach auf das Niveau anhebt, welches seinen Lebensstandard verbessert und zu immer größerem allgemeinen Wohlstand führt.
Die Wirtschaftsform des Gebens
Der ökonomische Wert eines Produktes entspricht nicht, wovon noch Marx überzeugt war, der dafür verwendeten Arbeit, sondern wird von der Nachfrage bestimmt, die das Produkt auf dem Markt generiert. Die Nachfrage indes hängt von subjektiven Präferenzen der Konsumenten ab und bestimmt – bei gegebenem Angebot oder Knappheit – den Marktpreis. Der Unternehmer wiederum muss Bedürfnisse der Konsumenten entdecken, richtig einschätzen und – wie ein Henry Ford oder Steve Jobs – eine Vision haben und umsetzen.
Deshalb erzeugt erst die erfolgreiche unternehmerische Vision den Wert der Arbeit der Arbeitnehmer, die das Produkt herstellen. Selbst auf hoch- und höchstqualifizierte Angestellte trifft das zu – vom IT- oder Software-Spezialisten bis zum hochdotierten Akademiker in Forschung und Entwicklung. Selbst der Arbeitnehmer, der aufgrund hohen Ausbildungsniveaus besonders viel zum unternehmerischen Erfolg beisteuert, bedarf – damit sein „Humankapital“ zur Wertschöpfung beiträgt – der Einbindung in ein unternehmerisches Projekt, das seiner Arbeit „Marktwert“ verschafft.
Der Kapitalismus – so George Gilder 1981 in seinem Buch „Poverty and Wealth“ – ist die Wirtschaftsform des Gebens. In ihm wird Reichtum und privates Eigentum nicht ausschließlich für den eigenen Konsum (und eventuell für Almosen, also für den Konsum bedürftiger Mitmenschen) verwendet, sondern aufgrund einer unternehmerischen Idee produktiv investiert. Damit beginnt das Privateigentum für das Gemeinwohl zu „arbeiten“, indem es Arbeit schafft und Lohnzahlungen generiert (notabene bevor der Unternehmer und/oder Investor seine Rendite sieht). Löhne schaffen monetäre Nachfrage nach Gütern, was weiteres unternehmerisches Tun – Investieren und Produzieren – rentabel macht. Zunehmende Kapitalakkumulation ermöglicht zunehmend innovative Produktionsweisen, die ihrerseits neue Arten von Arbeit schaffen, die Arbeitsproduktivität und damit meist auch die Reallöhne erhöhen, was die Nachfrage nach immer besseren Gütern verstärkt.
Der stete Reallohnanstieg und die Arbeitszeitverkürzung wie auch das allmähliche Verschwinden der Kinderarbeit kamen nicht schlichtweg durch Sozialgesetze oder gewerkschaftliche Arbeitskämpfe zustande. Arbeiter-Schutzgesetze sowie die allgemeine Schulpflicht konnten den schlimmsten Missständen zwar entgegenwirken und sicher auch Innovationsdruck erzeugen. Doch letztlich basiert der Massenwohlstand allein auf dem steten Anstieg der Arbeitsproduktivität: Ohne diese wären Gesetze nicht durchsetzbar und somit wirkungslos geblieben oder zum Hemmschuh weiterer Entwicklung geworden. Diese historische Tatsache hat Gültigkeit auch für die Zukunft: Erst Produktivitätszuwachs ermöglicht höhere Sozialstandards.
Der kapitalistisch-marktwirtschaftliche Prozess der Wohlstandserzeugung setzt die Rahmenbedingungen eines funktionierenden Rechtsstaats voraus. Da Unsicherheit ein wesentliches Charakteristikum unternehmerischer Arbeit ist, sind klare, für alle geltende rechtliche Regeln und deren staatliche Durchsetzung unabdingbar, insbesondere im Bereich des Vertragsrechtes und des Schutzes von Eigentumsrechten. Allein auf dieser Basis kann erfolgreiches Unternehmertum gedeihen, können Märkte ihre koordinierende und allokative Funktion wahrnehmen und als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich August von Hayek) Innovation und Wohlstand schaffen.
Das gilt bis heute und trifft – wie der peruanische Ökonom Hernando de Soto gezeigt hat – gerade auch auf diejenigen Länder zu, wo fehlender Eigentumsschutz und korrupte Staatsbürokratien die Menschen in Armut gefangen halten. Da ist es unmöglich für den „kleinen Mann“, durch unternehmerische Tätigkeit der Subsistenzwirtschaft zu entrinnen. Doch die fundamentale Rolle des Privateigentums und der Sicherung oder Zuteilung von Eigentumsrechten als Wohlstandsgenerator – und zugleich als Schlüssel zur Lösung umweltökonomischer Probleme – führt in der katholischen Soziallehre ein Schattendasein.
Es scheint, dass in vielen Köpfen noch immer die Vorstellung eines Interessenantagonismus zwischen „Kapital“ und „Arbeit“ virulent ist sowie die Idee, im Kapitalismus könne nur reich werden, wer anderen etwas wegnehme, und Privateigentum erfülle erst dann seine soziale Funktion, wenn es besteuert und umverteilt werde. Das Gegenteil trifft zu. Im Unterschied zum Sozialismus kann in einer kapitalistischen Marktwirtschaft reicher nur werden, wer auch andere reicher macht, wer produziert, was den Menschen Nutzen bringt – und zwar nach deren subjektiven Präferenzen, dem einzig sinnvollen Kriterium in einer freien Gesellschaft fern autoritärer Paternalismen.
Die Bezeichnungen „Kapitalismus“ und „freie Marktwirtschaft“ meinen hier in keiner Weise einen – vielerorts, nicht nur in den USA real existierenden – crony capitalism, der durch die Verflechtung von Politik und Wirtschaft entsteht und darauf basiert, dass die Politik – demokratisch legitimiert – mit Gesetzen und Regulierungen die Kräfte des Marktes in eine bestimmte Richtung zu steuern sucht. Damit geht einher, dass Großkonzerne, Verbände und Interessengruppen mit dem ganzen Gewicht ihrer größeren Finanzkraft und effizienteren Vernetzung erfolgreiches Lobbying betreiben und schließlich die Regulatoren für sich einspannen (regulatory capture), wobei die Kleineren das Nachsehen haben.
Das ist nicht der Kapitalismus, von dem Vertreter der klassisch-liberalen Tradition wie Ludwig von Mises oder von Hayek sprachen, auch nicht Joseph Schumpeters Welt der innovativen und wohlstandsschaffenden „schöpferischen Zerstörung“. Diesen Kapitalismus gab es zwar und es gibt ihn noch immer; trotz aller Hindernisse ist seine wohlstandschaffende Kraft gewaltig. Doch seine Ergebnisse wurden und werden durch Staatsinterventionen aller Art behindert und verfälscht. So schrieb Alfred Müller-Armack, als Schöpfer der Idee der „sozialen Marktwirtschaft“ ein unverdächtiger Zeuge, 1946 über Fehlentwicklungen der Vergangenheit: „Es wurde von der wissenschaftlichen Forschung nachgewiesen, dass die Hauptursachen für das Versagen der liberalen Marktwirtschaft gar nicht so sehr in ihr selbst liegen, als in einer Verzerrung, der sie durch den von außen kommenden Interventionismus seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts zunehmend unterlag.“ Heute befinden wir uns mitten in einer erneuten Phase durch Politik und Zentralbanken manipulierter und damit fehlgeleiteter Märkte – und haben zur Bewältigung der Folgen erst noch den Bock zum Gärtner gemacht.
Fehlsteuerung durch Politik und Gewerkschaften
Der beschriebene kapitalistische Prozess, der dem oft unverstandenen Trickle-down-Effekt entspricht – einem unumstößlichen Gesetz –, wird durch die Politik oft und gravierend behindert, ja geradezu in falsche Bahnen gelenkt. Aufgrund enorm hoher Staatsquoten und Steuerbelastung, massiver Umverteilung und öffentlicher Verschuldung, durch die falschen Anreize von Transferleistungen, Protektionismus und Subventionen aller Art und im Gefolge der von Politik, Gesetzgebung und verfehlten Regulierungen verursachten Finanzkrisen wie derjenigen von 2007/2008 schmelzen Reallohnerhöhungen dahin. Mit ihrer Geldpolitik verwenden die Zentralbanken das Gift, das die Krise mitverursachte (billiges Geld; jetzt auch Negativzinsen) als angebliches Heilmittel, vergrößern damit aber das Schuldenproblem und bewirken, dass die für neues Wachstum, Innovation und Schaffung von Arbeit nötigen, wenn auch schmerzlichen Strukturreformen in vielen Ländern auf die lange Bank geschoben werden. Stattdessen produzieren sie neue Blasen, tragen dazu bei, unrentable Betriebe und marode Banken am Leben zu halten – und machen die Reichen reicher. Das alles – wie übrigens auch die Schaffung des gescheiterten, aber „koste es was es wolle“ verteidigten Euro – hat nichts mit Marktwirtschaft und Kapitalismus zu tun, aber sehr viel mit Politik. Es ist Staatsinterventionismus, den die Geschichtsbücher der Zukunft einmal mit fassungslosem Kopfschütteln kommentieren werden – so wie wir Heutigen das mit den vielfältigen politischen Torheiten unserer Vorfahren tun.
Gewerkschaftlicher Druck spielt dabei eine oft destruktive Rolle – auch hier haben Staat und Politik ihre Hände mit im Spiel. Gewerkschaften können als Ausfluss der Koalitionsfreiheit – ein Grundrecht – und als innerbetriebliches Druckmittel der Arbeitnehmer dazu beitragen, Arbeitsbedingungen zu verbessern, gegenüber knausrigen Arbeitgebern Löhne aufs angemessene Niveau zu heben und so auch Arbeitsklima und Produktivität zu verbessern – immer aber nur in dem Maße, in dem dafür zuvor die ökonomischen Voraussetzungen geschaffen wurden. Bestehen diese nicht, bewirken gewerkschaftliche Arbeitskämpfe das Gegenteil von Wohlstandssteigerung.
Erzwungene, branchenweite Lohnerhöhungen führen letztlich zu höherer Arbeitslosigkeit in anderen Sektoren der Wirtschaft, vernichten – da sie Arbeitskraftersatz durch Maschinen rentabler machen – Arbeitsplätze auch in der eigenen Branche, verstärken den Inflationsdruck, der Reallohnerhöhungen schmälert oder zunichtemacht.
Die Public-Choice-Schule hat gezeigt, dass nicht nur Politiker, sondern auch Gewerkschafter prinzipiell im Eigeninteresse handeln: im Interesse ihrer Funktionäre sowie der Beschäftigten ihrer Branche – auf Kosten aller anderen und damit des Gemeinwohls. Falsche gesetzliche Regulierungen wie auch das Interesse von Politikern, Konflikte zur Verbreiterung ihrer Wählerbasis zu nutzen, geben verstärkte Anreize dafür. So war, unter US-Präsident Franklin D. Roosevelt, die wirtschaftsfeindliche Gesetzgebung, die den amerikanischen Gewerkschaften das Recht zur Ausübung von Zwang und Monopolmacht auf dem Arbeitsmarkt verlieh, eine der Hauptursachen für das Scheitern des New Deal: Infolge stagnierender, teilweise sogar steigender Nominallöhne konnte die Massenarbeitslosigkeit in den USA bis zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg nie überwunden werden (im Januar 1939 betrug sie immer noch 17,4 Prozent)! Roosevelts Politik, die eine breite Öffentlichkeit für sozial hielt, sicherte dem Präsidenten die mehrmalige Wiederwahl. Es waren somit Politik und US-Gewerkschaften mitverantwortlich dafür, dass die mit dem Börsencrash von 1929 eingeleitete Depression zur langanhaltenden Great Depression wurde – wie auch bei der heute aktuellen Great Recession in vielen europäischen Ländern Arbeitsmarktregulierungen und andere, als angeblich sozial gepriesene Errungenschaften im Verein mit gewerkschaftlichem Druck Mitverursacher dafür sind, dass hohe Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Wachstumsschwäche anhalten.
Massenarmut, nicht Ungleichheit ist das Problem
Vielleicht weil solche Erkenntnisse unter Sozialethikern nicht zum Allgemeingut gehören, hat das traditionelle Misstrauen gegen Unternehmer und Kapitalisten derzeit so sehr Konjunktur – vorzugsweise gegen die innovativsten, erfolgreichsten, oft deshalb auch größten, die nicht selten enorme Produktivitäts- und Wohlstandsgewinne brachten und bringen; und vielleicht vertraut man deshalb auf mehr Regulierung und Intervention der Politik.
Die Frage ist berechtigt, ob der Wohlstand ohne die Fesselung der Dynamik des Kapitalismus durch branchenspezifische und jetzt flächendeckende Mindestlöhne, durch unter gewerkschaftlichem Druck zustande gekommene Tarifverträge und übertriebene arbeitsrechtliche Regulierungen heute nicht viel größer und besser verteilt wäre und Schlechtqualifizierte und Immigranten nicht mehr Chancen hätten, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Gerade die Ärmsten sind es, die vom Kapitalismus am meisten profitieren. Sie sind ja die ersten Nutznießer von Innovation, Wachstum und unternehmerischem Erfolg.
Dass sozialstaatliche Umverteilung und die Gewerkschaften in der Geschichte der Entstehung unserer heutigen Wohlstandsgesellschaften – gerade in Deutschland – eine zentrale Rolle spielten, beweist nicht, dass sie die Kräfte waren, die diesen Massenwohlstand erzeugten. Sicher ist allerdings: Durch eine interventionistische, regulierungsversessene, sozialstaatlich-umverteilende, dabei auch wachstumsfeindliche Politik und oft im Namen „sozialer Gerechtigkeit“ sind wir in Europa heute dabei, den Wohlstand zu verspielen, ihn so notdürftig wie egoistisch – allein auf Kosten nachfolgender Generationen – uns zu erhalten. Wenig hilfreich ist das kollektive, auch medial kultivierte Jammern über angeblich wachsende soziale Ungleichheit und „relative Armut“. Wer sich nur damit beschäftigt, wird für die realen Zusammenhänge schwerlich den Durchblick gewinnen.
Gerade aus christlicher Sicht kann nicht die Bekämpfung von Ungleichheit das Primärziel sein. Wenn wir Papst Franziskus’ Anliegen zum Durchbruch verhelfen wollen, muss das eigentliche Ziel die Überwindung der Massenarmut sein sowie jener Ungerechtigkeiten, die Menschen in dieser Armut gefangen halten. Eine der größten dieser Ungerechtigkeiten ist aber, Menschen – ob reich oder arm – daran zu hindern, unternehmerisch tätig zu werden, auf diese Weise reicher zu werden und damit auch andere zu bereichern.