Der Bluttest dient ausschließlich dazu, nach einer Trisomie zu suchen“, kritisiert Hubert Hüppe (CDU), Bundestagsmitglied und ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.
In einem Brief an den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (G-BA) formulieren die Abgeordneten Hüppe, Corinna Rüffer (Grüne), Dagmar Schmidt (SPD) und Kathrin Vogel (Linke) die Befürchtung, dass Trisomie durch eine Regelleistung des Gentests zu einem vermeidbaren Risiko würde, was einen starken gesellschaftlichen Druck auf Eltern hin zum Schwangerschaftsabbruch ausüben könnte. Damit würde einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung Vorschub geleistet und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen, nach welcher „jeder Mensch ein angeborenes Recht auf Leben“ hat. Da der Test rein zur „Aussortierung“ von Föten mit Trisomie eingesetzt wird und bisher keinerlei medizinischer oder therapeutischer Nutzen aus der Methode gezogen werden kann, sei der Test laut Hüppe auch mit dem Gen-Diagnostikgesetz inkompatibel und moralisch fragwürdig. Der für bioethische Fragen zuständige Bischof Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart) hatte schon Anfang des Jahres in einem Schreiben an den Bundesausschuss vor dem Test als reinem Selektionsinstrument gewarnt, das einen Abtreibungsautomatismus in Gang setzt und damit die Würde des Menschen verletzt.
Befürworter des Bluttests machen hingegen auf die risikoärmere Methode zur Früherkennung genetischer Defekte aufmerksam. Während bisher die invasive Biopsie der Plazenta oder die Fruchtwasseruntersuchung mit Risiken für Mutter und ungeborenes Kind eingesetzt wurden, könne der Bluttest früher (9. bis 13. Schwangerschaftswoche) und mit weniger Aufwand und Gefahren Aufklärung über die Gesundheit des Embryos geben. Wenn es Methoden zur Feststellung von Behinderungen schon gibt, sollte man laut den Befürwortern die risikoärmere Methode des Praenatests für alle Eltern zugänglich machen.
Nicht-invasiver Gentest
Der umstrittene Bluttest ist freilich nicht neu (vgl. HK, Juli 2013, 358-362). Schon seit August 2012 können sich werdende Eltern für eine derartige nicht-invasive Pränataldiagnostik entscheiden, wenn der Verdacht auf eine Behinderung des ungeborenen Kindes besteht. Bei dieser Methode wird der Frau Blut abgenommen, in welchem schon Genmaterial des Fötus enthalten ist, das wiederum auf Chromosomenzahlveränderungen wie Trisomie 13, 18 und 21 untersucht wird. Anders als bei der Fruchtwasseruntersuchung besteht hier keine Gefahr einer Fehlgeburt und das Infektionsrisiko liegt bei null. Auch die Zuverlässigkeit dieser Tests gilt als relativ hoch. Laut der Konstanzer Herstellerfirma „LifeCodexx“ liegt die Testgenauigkeit bei etwa 99 Prozent. Andere Studien, wie die des Forschers Charles Storm der US-amerikanischen Firma „Quest Diagnostics“ ergaben jedoch eine höhere Rate von falsch-positiven Ergebnissen.
Nur in den seltensten Fällen übernimmt in Deutschland bisher jedoch die Krankenkasse den Gentest. In der Regel müssen Eltern mit 400 bis 700 Euro und den zusätzlichen Arztkosten rechnen, um im ersten Schwangerschaftsdrittel Auskunft über genetische Defekte des Embryos zu erhalten. Trotz der hohen Kosten nehmen viele werdende Mütter und Väter das Angebot wahr. Die Befürworter des Tests werben mit einer höheren Gewissheit und Transparenz für werdende Eltern und einer Entscheidungsfreiheit für oder gegen ein Kind mit Behinderung.
Nun hat das oberste Gremium der deutschen Ärzte-Selbstverwaltung ein Methodenbewertungsverfahren in Gang gesetzt, um zu prüfen, ob künftig die gesetzlichen Krankenkassen den Bluttest übernehmen sollen. Vorerst gehe es dabei um eine mögliche Übernahme bei Risikoschwangerschaften. Kritiker befürchten jedoch, dass das nur der Anfang hin zu einer generellen Regelleistung sei. Zunehmend würden Kinder mit Down-Syndrom dann als ein „vermeidbares Problem“ wahrgenommen werden, befürchtet der Moraltheologe Franz-Josef Bormann, Mitglied des Deutschen Ethikrates. Die Diskussion um den Gentest sei letztlich eine Diskussion um die Werteordnung in der deutschen Gesellschaft, sagte Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. „Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite für den Weg unserer Gesellschaft. Der Ort, um über solche schwerwiegende ethische Fragen zu entscheiden, muss der Deutsche Bundestag sein.“ Das bestätigte auch der Gemeinsame Bundesausschuss und antwortete auf Vorwürfe aus der Öffentlichkeit: „Der Parlamentsgesetzgeber ist hier gefordert, um Grenzen und Bedingungen zu definieren.“
„Die, die sich entscheiden für ein Leben mit einem behinderten Kind, brauchen unseren Respekt, unsere Achtung und unsere Unterstützung“, forderte die CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Und Weihbischof Anton Losinger wies darauf hin, dass ein großer Widerspruch in der Gesellschaft entsteht, wenn einerseits Inklusion gefordert und gefördert wird und andererseits Embryonen mit Gendefekt abgetrieben werden.
Kritik am Verfahren
Als höchst problematisch wird jedoch auch das Vorgehen des G-BA eingeschätzt. In dem Brief der Abgeordneten wurde kritisiert, dass der Prozess in der parlamentarischen Sommerpause stattfinde und sich damit einer breiten öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion entziehen würde. Auch die noch 2012 angedachte Erprobungsrichtlinie, um über eine Studie den Nutzen des Bluttests zu erforschen, wurde übersprungen, was bei verschiedenen Institutionen und Verbänden Skepsis aus.löste. Die Wiener Politologin Kathrin Braun verwies zudem in der Süddeutschen Zeitung (7. September 2016) auf die Defizite in der Vorgehensweise des G-BA, nach welcher zunächst eine Methodenbewertung (wirtschaftlich und medizinisch) vorgenommen und erst in einem zweiten Schritt eine ethische und gesellschaftliche Auseinandersetzung folgen soll.
Einbeziehung Ethikrat
Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken betonte hingegen, dass es im Laufe des Prozesses, der rund drei Jahre dauern wird, auch zu einer Einbeziehung „weiterer gesellschaftlicher Organisationen, beispielsweise des Deutschen Ethikrates“ kommen solle. Der Ethikrat hatte schon 2013 in einer Stellungnahme „Zur Zukunft der genetischen Diagnostik“ auf den Umfang der ethischen Fragen angesichts der pränatalen Diagnostik hingewiesen: „Diese beziehen sich insbesondere auf den moralischen Status des Ungeborenen, sein Recht auf Leben, Rechte und Verantwortung der schwangeren Frau, die Vertretbarkeit eines Schwangerschaftsabbruchs, Folgen für das Erleben einer Schwangerschaft und die gesellschaftlichen Folgen der pränataldiagnostischen Praxis“.
Die gleichen Fragen wird es auch in dem Beurteilungsverfahren des Praenatests zu berücksichtigen geben, da die Entscheidung über den Test und seine Verankerung im Gesundheitssytem wegweisend sein werden für kommende medizinische Verfahren und neue molekulargenetische Entdeckungen.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock sagte gegenüber der „Herder Korrespondenz“, bei der jetzigen Diskussion handle es sich eher um eine Scheindebatte. Schon jetzt komme es bei der Entdeckung von Trisomie 21 zu rund 90 Prozent Schwangerschaftsabbrüchen. Dies hätten Statistiken der Behindertenverbände offengelegt. Bereits die generelle Entscheidung für die Pränataldiagnostik (PND) in der Vergangenheit habe die Frage nach der Akzeptanz von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft aufgeworfen. Dieser Frage müsse man sich als Wertegesellschaft stellen, dann würde die Diskussion über nicht-invasive und invasive Methoden, Kassenleistung oder nicht auf der Ebene stattfinden, wo sie das menschliche Leben im Kern betrifft.