Der Islam wird in der deutschen Öffentlichkeit nicht erst seit dem Flüchtlingszustrom von 2015 vor allem als Bedrohung und Fremdkörper wahrgenommen oder mehr oder weniger mit islamistischen Bewegungen und ihren Aktivitäten identifiziert. Daneben wird weithin übersehen, dass es seit Jahren Bemühungen um einen Dialog zwischen muslimischen und christlichen Theologen gibt, nicht zuletzt im Umfeld der neu entstandenen universitären Zentren für islamische Theologie. Dieser Dialog ist alles andere als einfach, schon wegen der sehr unterschiedlichen theologischen Tradition und Methodik. Das zeigt sich auch beim Thema Jesus, dem der vorliegende Sammelband gewidmet ist; er geht auf eine Expertentagung von 2014 an der Katholischen Akademie Schwerte zurück.
Jesus kommt im Koran an nicht wenigen Stellen prominent vor, aber das christliche Bekenntnis zu seiner Gottessohnschaft und Heilsmittlerschaft trennt Islam und Christentum von Anfang an. Die gelehrten Beiträge des Bandes versuchen, von beiden Seiten aus angesichts der kontroversen Problemlage in Bezug auf Gestalt und Rolle Jesu Spielräume auszuloten, durch eine differenzierte Relecture der islamischen wie der christlichen Tradition und mit Hilfe neuerer Verstehensansätze. Dabei wird beim Islam sowohl die sunnitische als auch die schiitische Theologie einbezogen.
Manche Analysen des Bandes sind wohl mehr für Spezialisten von Interesse. Klaus von Stosch selbst hat einen ausgesprochen hilfreichen Beitrag über die verschiedenen Jesusverse im Koran beigesteuert, der in die Feststellung mündet: „Der Koran ist also durchaus bereit, einige der zentralen Ansatzpunkte für die Christologie zu bestätigen, stellt aber im selben Atemzug Warnschilder auf, die vor Fehlentwicklungen in der christlichen Theologie warnen und (...) von bleibender Bedeutung sind“ (43). Weiterführend sind nicht zuletzt die beiden aufeinander bezogenen Aufsätze des katholischen Theologen Bernhard Nitsche und des muslimischen Theologen Hajj Muhammad Legenhausen, die sich jeweils mit den christologischen Lehrformeln des Konzils von Chalkedon befassen und dabei mit aller hermeneutischen Vorsicht Brücken zwischen Islam und Christentum schlagen. Insgesamt belegt der Band, dass der ernsthafte theologische Dialog von Christen und Muslimen über zentrale dogmatische Fragen durchaus lohnend sein kann, auch wenn Stolpersteine bleiben.