Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ ist derzeit als Theateradaption auf mehreren deutschen Bühnen zu sehen. Das Spiel mit der Angst vor Überfremdung, Islamisierung und Verlust der christlich-europäischen Kultur konfrontiert die Zuschauer mit Fragen nach der eigenen Kultur, Identität und ihrem Verhältnis zur Religion.
Zur gleichen Zeit kommt es im vom Katholizismus geprägten Bayern zu Vorfällen, die diese Fragen auf eine sehr anschauliche Ebene holen: Zum dritten Mal seit Pfingsten dieses Jahres wurden Gipfelkreuze beschädigt. Zwei Kreuze wurden komplett gefällt, ein weiteres so stark ramponiert, dass es abgenommen werden musste. Der Täter ist unbekannt, bezüglich des Motivs geht die Polizei von „religiösem Hass“ aus. Ist dies das Symbol für den Wandel, wie ihn Houellebecq in seiner Roman-Utopie darstellt? Das Gipfelkreuz muss bleiben, meint der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, denn es sei Ausdurck der christlichen Schöpferverbundenheit. „Gipfelkreuze sind ein Zeichen der Heimatverbundenheit; dazu gehört der katholische Glaube ebenso wie die innige Bindung an Landschaft und Natur“, so auch Friederike Kaiser, Kulturchefin des Deutschen Alpenvereins.
Eine kleine Gruppe nahm die Sache selbst in die Hand, wanderte auf einen der Berge und errichtete ein mitgebrachtes Kreuz neu auf dem Gipfel. Irritierend war jedoch, dass es sich bei dieser Gruppe der „Gipfelkreuzerneuerer“ um einen Teil der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ gehandelt haben soll. Muss man sich in Sachen Kreuz künftig auf Extrempositionen einstellen: Umhacken oder „identitär“ erneuern?
Das Thema scheint sich für extreme Stellungnahmen zu eignen: Für große Aufregung sorgte im September die Kunstinstallation des Schweizer Künstlers Christian Meier. Er hatte in einer heimlichen Aktion einen zweieinhalb Meter hohen Halbmond auf den Gipfel des Schweizer Berges „Freiheit“ errichtet, der in der Dunkelheit leuchtet. Als Atheist wollte er damit ein Zeichen setzen, dass die Berge keiner Religion gehören und es keine Kreuze geben müsste. Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann kündigte hingegen an, in den Untergrund gehen zu wollen, wenn EU-Richter eines Tages die Gipfelkreuze verbieten sollten.
Zuletzt gab es in Deutschland wie in Europa einige Diskussionen über die Präsenz religiöser Symbole. Jeder neue Streit macht deutlich, wie tief die Unsicherheit sowie die Angst vor Überfremdung und Identitätsverlust sitzt. Das Gipfelkreuz wird zum Symbol für die Frage nach der christlichen Prägung Europas. Was fehlt, ist eine Vergewisserung darüber, wofür das Kreuz eigentlich steht. Ist das Kreuz Symbol für Identität, Macht und Ausgrenzung? Oder steht es für den christlichen Glauben an einen mitleidenden, „solidarischen“ Gott, der sich politisch nicht vereinnahmen lässt?