„In den jüngst vergangenen Jahren“, beginnt Romano Guardini seine auf den „Heilbringer der zwölf Jahre“ abzielende Analyse, sei etwas geschehen, „das ein scharfes Licht auf die geistig-religiöse Situation der Nach-Neuzeit“ wirft. Indem sich der von den Nazis mit Lehrverbot belegte Religionsphilosoph mit der kollektiven Wirkmacht des „Heilbringer“-Mythos auseinandersetzt, gelingt ihm etwas, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit so klar zuvor nicht herausgearbeitet worden war: dass Adolf Hitler, der pseudoreligiöse Messias des tausendjährigen Reiches, sich gewaltsam jener religiösen Leerstelle bemächtigte, die der lange Abschied vom christlichen Bewusstsein hinterlassen hatte. Als spezifisches Beispiel kommt Guardini in seiner Studie auf den „deutschen Gruß“ zu sprechen. Mit dem Heil-Hitler-Gruß, so der Autor, sei es dem Anti-Messias nämlich gelungen, bis tief hinein in die Alltagskommunikation einzudringen. „Nicht nur wurde Hitler Heil zugewünscht, sondern dem Begegnenden wurde gewünscht, Hitlers Heil solle über ihn kommen“.
Tatsächlich hatte sich der frühere Mentor der Jugendbewegung und gefragte Vortragsredner während der letzten Kriegsmonate in seinen autobiografischen Aufzeichnungen mit Wehmut an seine einstigen Wirkmöglichkeiten am Berliner Lehrstuhl für Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung (1923–1939) erinnert. Nach der Niederlage des NS-Staates ergriff er deshalb beherzt die Chance, Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit zurückzukehren und den religiös-moralischen Neuanfang von einem christlichen Standpunkt aus zu begleiten. Die klug ausgewählten und kundig kommentierten Texte aus den Jahren 1945/46 – teilweise bisher unveröffentlicht –, die in sieben Stücken um Wahrheit und Lüge, Offenbarung, Politik und Propaganda sowie die Verantwortung für die Sprache kreisen, zeigen den Priester, Pädagogen und Wissenschaftler auf der Höhe seiner Wirksamkeit. Dass man den katholischen Denker im Nachkriegsdeutschland weit über das eigene Milieu hinaus wahrnahm und wertschätzte, macht Herausgeber Alfons Knoll in seiner vorzüglichen Einleitung deutlich. So ist ihm gelungen, Romano Guardinis Denken an einem „Dreh- und Angelpunkt“ (Hans Maier) seines Lebens zu dokumentieren.