LeitartikelRuf nach Wiederbelebung: Die Deutsche Islamkonferenz ist in der Krise

Die Deutsche Islamkonferenz ist in der Krise. Was erfolgreich begann, ist intransparent geworden und wirft Fragen auf. Das befördert Leerstellen innerhalb der Gesellschaft, die zu einerseits rechtspopulistischen Anfeindungen und andererseits islamistischen Positionen führen. Es braucht eine Wiederbelebung des Islamdialogs.

Moschee in Deutschland
Der Islam gehört zu Deutschland: Moscheen wurden gebaut und islamischer Religionsunterricht eingeführt. Nun braucht es eine Wiederbelebnung des Islamdialogs.© Pixabay

Seit zehn Jahren gibt es die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die sich der Aufgabe eines konstruktiven Islamdialogs widmet. Viel wurde erreicht, in den letzten Jahren aber zusehends immer mehr verpasst. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte im September 2006 die Islamkonferenz ins Leben gerufen, um Bund, Länder und Kommunen mit Islamvertretern ins Gespräch zu bringen und sich der lange herausgezögerten Integration der Muslime zu widmen. „Darum ging es: gemeinsam Wege zu finden, wie sich der Islam in unserer offenen, freiheitlichen und pluralistischen Demokratie entwickeln kann und wie die sich mit einer wachsenden Zahl muslimischer Mitbürger entwickelt“, erklärte Schäuble anlässlich des Jubiläums.

Ja, die ersten Jahre der Konferenz konnten einige bedeutende Meilensteine erarbeiten: So bekannten sich die Muslime in der Arbeitsgruppe zum Verfassungsverständnis zur deutschen Rechts- und Werteordnung. Pluralismus, Toleranz und eine säkulare Gesellschaft wurden ausdrücklich bejaht – ein wichtiger Schritt und ein bedeutungsvolles Signal für das Zusammenleben der Religionen und Kulturen in Deutschland. Darauf aufbauend konnten ab 2010 erstmals universitäre Zentren für Islamische Theologie errichtet und islamischer Religionsunterricht eingeführt werden. Moscheen wurden gebaut und Leitfäden für die Ausbildung von Imamen wie auch für muslimische Bestattungen veröffentlicht. Lesen sich diese Jahre der DIK als Erfolgsgeschichte, gab es aber auch von Anfang an Konflikte um die Zusammensetzung innerhalb der Konferenz, die bis heute Auswirkung auf den Islamdialog in Deutschland haben.

Während zu Beginn noch liberale Muslime und sogar Islamkritiker unter den Teilnehmenden waren und damit die Pluralität der Meinungen innerhalb der Konferenz widerspiegelten, sind es mittlerweile nur noch die Islamverbände, die als Vertreter des deutschen Islam mit Bund, Ländern und Kommunen diskutieren. Damit bilden sie die Vielfalt Deutschlands aber keineswegs ab, denn die Mehrheit der rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime wird nicht von den Verbänden vertreten. Im Unterschied zu den Kirchen gibt es für den Islam keine oberste Autorität oder Institution, die die verschiedenen Ausprägungen, Richtungen und Gesichter des Islam repräsentiert. Je nach Glaubensrichtung und Herkunft organisieren sich die muslimischen Gemeinden in den Verbänden. Keiner der Verbände hat dabei einen Alleinvertretungsanspruch. Für die Politik existiert somit kein repräsentativer Ansprechpartner. Es ist verständlich, dass die muslimischen Verbände als die beste Option für den Dialog erscheinen. Doch wird unter Muslimen selbst Kritik an der Zusammensetzung in der DIK laut. „Um den Dialog zwischen Staat und Muslimen in Deutschland neu zu beleben, muss die Islamkonferenz geöffnet werden und die gesamte Vielfalt des muslimischen Lebens in Deutschland abgebildet werden“, so der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Ali Ertan Toprak, der selbst von der Gründung bis 2012 an der Konferenz teilgenommen hatte.

Liberal-muslimische Kritik

Der starke Wunsch nach einem gelingenden Islamdialog scheint die Politik an vielen Stellen blind zu machen, sodass Grundvoraussetzungen für einen Dialog – wie Transparenz und Vielfalt – unterlaufen werden. Das verunsichert die Öffentlichkeit und schadet der Glaubwürdigkeit. Es sollte zu denken geben, wenn laut einer Umfrage 58 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass die Parteien ihre Befürchtungen angesichts eines radikalen Islam nicht ausreichend ernst nehmen. Es sind aber vor allem auch deutsche Muslime, die immer wieder warnend die Stimme erheben. Sie kritisieren die Dominanz konservativer Verbände, wodurch schwierige Themen wie Frauenrechte oder Radikalisierung nicht mehr zur Sprache kommen. So äußerte der islamische Theologe Mouhanad Khorchide seine Sorge, dass durch die Ansprüche der Verbände die innerislamische Vielfalt zerstört würde. Lamya Kaddor, islamische Religionspädagogin und Vorstandmitglied des Liberal-Islamischen Bundes, der selbst nicht in der DIK vertreten ist, erklärte in einem Interview: „Nachdem man zu Beginn viele sogenannte Islamkritiker eingeladen hatte, wird dieses Gremium heute vor allen von den konservativen Islam-Verbänden dominiert.“ Die Publizistin Sineb el Masrar kritisierte jüngst den Zentralrat der Muslime, der an der Verbreitung salafistischer Inhalte beteiligt sein soll. Und der Psychologe Ahmad Mansour warnte schon 2013 in seiner Rede bei der DIK vor dem Einfluss der Verbände auf jugendliche Muslime. „Die kollektive Identifizierung der Muslime als Opfer, wie es etwa manche muslimischen Verbände betreiben, bringen uns in der alltäglichen Arbeit mit Jugendlichen nicht voran“.

Wie auf die liberalen muslimischen Stimmen von Seiten der Politik reagiert wird, bleibt unklar. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Einwände ausgeblendet werden, um nicht von einem Scheitern des Dialogs innerhalb der DIK sprechen zu müssen. Es irritiert jedenfalls, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière mitteilen lässt: „Wir brauchen die muslimischen Verbände, wenn es darum geht, jungen Muslimen Orientierung zu geben, und begrüßen, dass sie sich für eine Deutungshoheit über den Islam einsetzen“. Es irritiert ebenfalls, dass bei der Feier des zehnjährigen Jubiläums der Deutschen Islamkonferenz einerseits Erfolge wie islamische Lehrstühle und islamischer Religionsunterricht gewürdigt werden, andererseits der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), Bekir Alboga, in seiner Ansprache genau diese islamische Theologie als verselbstständigt und ohne Rückhalt in den Verbänden kritisiert. Dass Alboga in seiner Rede nicht auf den Verdacht und Vorwurf eingeht, Ditib könnte zu sehr unter Einfluss der türkischen Regierung stehen, ist anlässlich des Jubiläums vielleicht noch nachzuvollziehen. Dass er anschließend aber von den Gefahren eines „de-kulturierten“ Islam spricht, der ohne seine kulturelle Heimat (seines Heimatlandes?) und seine Wurzeln angeblich zu Radikalisierung führt, kann durchaus stutzig machen. Der Satz „Ein de-kulturierter Islam, allein in Deutschland und für Deutschland gedacht, kann keinen Dialog führen“ scheint die Möglichkeit eines auch kulturell in Deutschland beheimateten Islam jedenfalls in Zweifel zu ziehen.

Es ist sicherlich die richtige Botschaft de Maizières beim Jubiläum gewesen, wenn er die Bedeutung der islamischen Verbände betont und gleichzeitig erklärt, dass „politische Einflussnahme aus dem Ausland auf Deutschland unter Berufung auf die Religion nicht akzeptiert wird, insbesondere, wenn sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wirken“. Doch bei der Sitzung der Islamkonferenz wenige Wochen später wurden weder die Einflussnahme aus dem Ausland noch die Frage der Radikalisierung eigens thematisiert. Anfang November ging es im Bundesinnenministerium allein um die Fragen der muslimischen Seelsorge und Wohlfahrt. Dass die vielen Muslime in Deutschland ein Recht auf Seelsorge haben, ist schon verfassungsrechtlich eine Selbstverständlichkeit. Aber der Eindruck, dass zugunsten des Dialogs schwierige Themen ausgespart bleiben, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Tatsache, dass die muslimischen Seelsorger bislang meist aus dem Ausland entsandte Imame sind, wurde jedenfalls nur am Rande thematisiert. Fragen aus dem Publikum nach Radikalisierung in den Gefängnissen oder bei der Bundeswehr wurden von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, schnell als „falsche Narrative“ abgetan. Das sind jedoch die Themen, die die Gesellschaft umtreiben und die es ehrlich und offen zu bearbeiten gilt.

Die Gesellschaft bewegen in der Auseinandersetzung mit dem Islam gerade die Fragen von Sicherheit, Radikalisierung und Einfluss aus dem Ausland. So wird in der Öffentlichkeit nicht über Fragen muslimischer Seelsorge diskutiert, sondern über die Talkshow „Anne Will“, bei der eine junge Konvertitin im Niqab ihre islamistischen Ansichten propagandistisch darstellte. Es wird nicht über die vielen Integrationsprojekte der vergangenen Monate gesprochen, sondern über Vollverschleierung. Es wird auch nicht über Erfolge der Islamkonferenz geredet, sondern jüngst in verschiedenen Medien kritisiert, dass die zwei Kirchenoberhäupter Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx beim Besuch des Jerusalemer Tempelberges ihre Kreuze auf Bitte des Scheichs Omar Awadallah Kiswani abnahmen. Es sind solche Themen und Bilder, die rechtsextreme Gruppen wie etwa die der „Identitären Bewegung“ für ihre Sache nutzen. Das gilt auch für die AfD, die in ihrem Parteiprogramm vermeintlich einfache Antworten auf gesellschaftlich komplexe Fragen anbietet („in der wachsenden Zahl von Muslimen sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung“).

Ein offener Islamdialog müsste aber auf derartige Fragen durch transparente Auseinandersetzung eingehen und Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, expliziter aufnehmen. Der Dialog kann nur funktionieren, wenn man die Vielfalt der Muslime zu Wort kommen lässt, wenn man klare Bedingungen für einen Dialog aufstellt und wenn sich alle Dialogpartner gemeinsam gegen rechtspopulistische genauso wie gegen islamistische Propaganda positionieren. Wolfgang Bosbach (CDU) hat bei „Anne Will“ auf die Propaganda der jungen Muslima geantwortet: „Die Trennlinie verläuft da, wo im Namen des Islam Werte gepredigt und vertreten werden, die im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes stehen“.

Der Islam und die Muslime gehören unbedingt zu Deutschland. Vielleicht braucht es aber mehr Bekenntnisse zu diesen freiheitlich demokratischen Werten, sowohl durch muslimische Vertreter als auch durch Politiker, um keinen Zweifel an der Unhintergehbarkeit dieser Werteordnung mehr aufkommen zu lassen. Dann können die Leerstellen in der Gesellschaft mit freiheitlich-demokratischer Orientierung gefüllt werden. So würde auch der Erfolgsgeschichte des Islamdialogs in Deutschland nichts mehr im Wege stehen.

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