Seit zehn Jahren gibt es die Deutsche Islamkonferenz (DIK),
die sich der Aufgabe eines konstruktiven
Islamdialogs widmet. Viel wurde erreicht, in den letzten Jahren aber zusehends
immer mehr verpasst. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte
im September 2006 die Islamkonferenz ins Leben gerufen, um Bund, Länder und
Kommunen mit Islamvertretern ins Gespräch zu bringen und sich der lange
herausgezögerten Integration der Muslime zu widmen. „Darum ging es: gemeinsam
Wege zu finden, wie sich der Islam in unserer offenen, freiheitlichen und
pluralistischen Demokratie entwickeln kann und wie die sich mit einer
wachsenden Zahl muslimischer Mitbürger entwickelt“, erklärte Schäuble
anlässlich des Jubiläums.
Ja, die ersten Jahre der Konferenz konnten einige bedeutende
Meilensteine erarbeiten: So bekannten sich die Muslime in der Arbeitsgruppe zum Verfassungsverständnis zur
deutschen Rechts- und Werteordnung. Pluralismus, Toleranz und eine säkulare
Gesellschaft wurden ausdrücklich bejaht – ein wichtiger Schritt und ein
bedeutungsvolles Signal für das Zusammenleben der Religionen und Kulturen in
Deutschland. Darauf aufbauend konnten ab 2010 erstmals universitäre Zentren für
Islamische Theologie errichtet und islamischer Religionsunterricht eingeführt
werden. Moscheen wurden gebaut und Leitfäden für die Ausbildung von Imamen wie
auch für muslimische Bestattungen veröffentlicht. Lesen sich diese Jahre der
DIK als Erfolgsgeschichte, gab es aber auch von Anfang an Konflikte um die
Zusammensetzung innerhalb der Konferenz, die bis heute Auswirkung auf den
Islamdialog in Deutschland haben.
Während zu Beginn noch liberale Muslime und sogar
Islamkritiker unter den Teilnehmenden waren und damit die Pluralität der
Meinungen innerhalb der Konferenz widerspiegelten, sind es mittlerweile nur
noch die Islamverbände, die als Vertreter des deutschen Islam mit Bund, Ländern
und Kommunen diskutieren. Damit bilden sie die Vielfalt Deutschlands aber
keineswegs ab, denn die Mehrheit der rund vier Millionen in Deutschland
lebenden Muslime wird nicht von den Verbänden vertreten. Im Unterschied zu den
Kirchen gibt es für den Islam keine oberste Autorität oder Institution, die die
verschiedenen Ausprägungen, Richtungen und Gesichter des Islam repräsentiert.
Je nach Glaubensrichtung und Herkunft organisieren sich die muslimischen
Gemeinden in den Verbänden. Keiner der Verbände hat dabei einen
Alleinvertretungsanspruch. Für die Politik existiert somit kein repräsentativer
Ansprechpartner. Es ist verständlich, dass die muslimischen Verbände als die
beste Option für den Dialog erscheinen. Doch wird unter Muslimen selbst Kritik
an der Zusammensetzung in der DIK laut. „Um den Dialog zwischen Staat und
Muslimen in Deutschland neu zu beleben, muss die Islamkonferenz geöffnet werden
und die gesamte Vielfalt des muslimischen Lebens in Deutschland abgebildet
werden“, so der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Ali Ertan Toprak,
der selbst von der Gründung bis 2012 an der Konferenz teilgenommen hatte.
Liberal-muslimische Kritik
Der starke Wunsch nach einem gelingenden Islamdialog scheint
die Politik an vielen Stellen blind zu machen, sodass Grundvoraussetzungen für
einen Dialog – wie Transparenz und Vielfalt – unterlaufen werden. Das
verunsichert die Öffentlichkeit und schadet der Glaubwürdigkeit. Es sollte zu
denken geben, wenn laut einer Umfrage 58 Prozent der Befragten der Meinung
sind, dass die Parteien ihre Befürchtungen angesichts eines radikalen Islam
nicht ausreichend ernst nehmen. Es sind aber vor allem auch deutsche Muslime,
die immer wieder warnend die Stimme erheben. Sie kritisieren die Dominanz
konservativer Verbände, wodurch schwierige Themen wie Frauenrechte oder
Radikalisierung nicht mehr zur Sprache kommen. So äußerte der islamische
Theologe Mouhanad Khorchide seine Sorge, dass durch die Ansprüche der
Verbände die innerislamische Vielfalt zerstört würde. Lamya Kaddor,
islamische Religionspädagogin und Vorstandmitglied des Liberal-Islamischen
Bundes, der selbst nicht in der DIK vertreten ist, erklärte in einem Interview:
„Nachdem man zu Beginn viele sogenannte Islamkritiker eingeladen hatte, wird
dieses Gremium heute vor allen von den konservativen Islam-Verbänden
dominiert.“ Die Publizistin Sineb el Masrar kritisierte jüngst den
Zentralrat der Muslime, der an der Verbreitung salafistischer Inhalte beteiligt
sein soll. Und der Psychologe Ahmad Mansour warnte schon 2013 in seiner
Rede bei der DIK vor dem Einfluss der Verbände auf jugendliche Muslime. „Die
kollektive Identifizierung der Muslime als Opfer, wie es etwa manche
muslimischen Verbände betreiben, bringen uns in der alltäglichen Arbeit mit
Jugendlichen nicht voran“.
Wie auf die liberalen muslimischen Stimmen von Seiten der
Politik reagiert wird, bleibt unklar. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die
Einwände ausgeblendet werden, um nicht von einem Scheitern des Dialogs
innerhalb der DIK sprechen zu müssen. Es irritiert jedenfalls, wenn
Bundesinnenminister Thomas de Maizière mitteilen lässt: „Wir brauchen
die muslimischen Verbände, wenn es darum geht, jungen Muslimen Orientierung zu
geben, und begrüßen, dass sie sich für eine Deutungshoheit über den Islam
einsetzen“. Es irritiert ebenfalls, dass bei der Feier des zehnjährigen
Jubiläums der Deutschen Islamkonferenz einerseits Erfolge wie islamische
Lehrstühle und islamischer Religionsunterricht gewürdigt werden, andererseits
der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion
(Ditib), Bekir Alboga, in seiner Ansprache genau diese islamische
Theologie als verselbstständigt und ohne Rückhalt in den Verbänden kritisiert.
Dass Alboga in seiner Rede nicht auf den Verdacht und Vorwurf eingeht, Ditib
könnte zu sehr unter Einfluss der türkischen Regierung stehen, ist anlässlich
des Jubiläums vielleicht noch nachzuvollziehen. Dass er anschließend aber von
den Gefahren eines „de-kulturierten“ Islam spricht, der ohne seine kulturelle
Heimat (seines Heimatlandes?) und seine Wurzeln angeblich zu Radikalisierung
führt, kann durchaus stutzig machen. Der Satz „Ein de-kulturierter Islam,
allein in Deutschland und für Deutschland gedacht, kann keinen Dialog führen“
scheint die Möglichkeit eines auch kulturell in Deutschland beheimateten Islam
jedenfalls in Zweifel zu ziehen.
Es ist sicherlich die richtige Botschaft de Maizières beim
Jubiläum gewesen, wenn er die Bedeutung der islamischen Verbände betont und
gleichzeitig erklärt, dass „politische Einflussnahme aus dem Ausland auf
Deutschland unter Berufung auf die Religion nicht akzeptiert wird,
insbesondere, wenn sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wirken“.
Doch bei der Sitzung der Islamkonferenz wenige Wochen später wurden weder die
Einflussnahme aus dem Ausland noch die Frage der Radikalisierung eigens
thematisiert. Anfang November ging es im Bundesinnenministerium allein um die
Fragen der muslimischen Seelsorge und Wohlfahrt. Dass die vielen Muslime in
Deutschland ein Recht auf Seelsorge haben, ist schon verfassungsrechtlich eine
Selbstverständlichkeit. Aber der Eindruck, dass zugunsten des Dialogs
schwierige Themen ausgespart bleiben, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Die Tatsache, dass die muslimischen Seelsorger bislang meist aus dem Ausland
entsandte Imame sind, wurde jedenfalls nur am Rande thematisiert. Fragen aus
dem Publikum nach Radikalisierung in den Gefängnissen oder bei der Bundeswehr
wurden von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime,
schnell als „falsche Narrative“ abgetan. Das sind jedoch die Themen, die die
Gesellschaft umtreiben und die es ehrlich und offen zu bearbeiten gilt.
Die Gesellschaft bewegen in der Auseinandersetzung mit dem
Islam gerade die Fragen von Sicherheit, Radikalisierung und Einfluss aus dem
Ausland. So wird in der Öffentlichkeit nicht über Fragen muslimischer Seelsorge
diskutiert, sondern über die Talkshow „Anne Will“, bei der eine junge Konvertitin
im Niqab ihre islamistischen Ansichten propagandistisch darstellte. Es wird
nicht über die vielen Integrationsprojekte der vergangenen Monate gesprochen,
sondern über Vollverschleierung. Es wird auch nicht über Erfolge der
Islamkonferenz geredet, sondern jüngst in verschiedenen Medien kritisiert, dass
die zwei Kirchenoberhäupter Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und
Kardinal Reinhard Marx beim Besuch des Jerusalemer Tempelberges ihre
Kreuze auf Bitte des Scheichs Omar Awadallah Kiswani abnahmen. Es sind
solche Themen und Bilder, die rechtsextreme Gruppen wie etwa die der
„Identitären Bewegung“ für ihre Sache nutzen. Das gilt auch für die AfD, die in
ihrem Parteiprogramm vermeintlich einfache Antworten auf gesellschaftlich
komplexe Fragen anbietet („in der wachsenden Zahl von Muslimen sieht die AfD
eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere
Werteordnung“).
Ein offener Islamdialog müsste aber auf derartige Fragen
durch transparente Auseinandersetzung eingehen und Themen, die in der
Gesellschaft diskutiert werden, expliziter aufnehmen. Der Dialog kann nur
funktionieren, wenn man die Vielfalt der Muslime zu Wort kommen lässt, wenn man
klare Bedingungen für einen Dialog aufstellt und wenn sich alle Dialogpartner
gemeinsam gegen rechtspopulistische genauso wie gegen islamistische Propaganda
positionieren. Wolfgang Bosbach (CDU) hat bei „Anne Will“ auf die
Propaganda der jungen Muslima geantwortet: „Die Trennlinie verläuft da, wo im
Namen des Islam Werte gepredigt und vertreten werden, die im Widerspruch zur
freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes stehen“.
Der Islam und die Muslime gehören unbedingt zu Deutschland.
Vielleicht braucht es aber mehr Bekenntnisse zu diesen freiheitlich
demokratischen Werten, sowohl durch muslimische Vertreter als auch durch
Politiker, um keinen Zweifel an der Unhintergehbarkeit dieser Werteordnung mehr
aufkommen zu lassen. Dann können die Leerstellen in der Gesellschaft mit
freiheitlich-demokratischer Orientierung gefüllt werden. So würde auch der
Erfolgsgeschichte des Islamdialogs in Deutschland nichts mehr im Wege stehen.