Herr Professor Edenhofer, wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen der Pariser Klimakonferenz?
Die Konferenz war sicherlich ein historischer Meilenstein – ein Scheitern wäre ein schwerer Rückschlag für die Klimapolitik gewesen. Als einen historischen Durchbruch wird man sie allerdings erst bezeichnen können, wenn die Staaten gemeinsam in eine effektive Klimapolitik einsteigen. Es besteht jedoch nach wie vor das Risiko, dass keine konkreten Schritte unternommen werden und die Konferenz folgenlos bleibt.
Was ist der wichtigste Beschluss der Konferenz?
Man ist sich einig, dass der Anstieg der weltweiten Mitteltemperatur auf 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad, begrenzt werden soll. Dazu muss der Höhepunkt des Ausstoßes an Kohlendioxid bald erreicht und in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf Null reduziert werden. Zusätzlich benötigen wir „negative Emissionen“, also Techniken, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Um das Temperaturziel einzuhalten, muss die Staatengemeinschaft zusammenarbeiten – keiner darf sich als Trittbrettfahrer verhalten. Das wird aber nur möglich sein, wenn die reichen Länder an die ärmeren Länder Transfers zahlen, falls diese sich zum Klimaschutz verpflichten. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen werden aber dazu führen, dass bis 2030 die Emissionen weiter steigen. Um das 2-Grad-Ziel einzuhalten, müssten die Emissionen dagegen um jährlich 4 Prozent gesenkt werden. Problematisch an der Pariser Vereinbarung ist zudem, dass die Beiträge, auf die sich die einzelnen Länder verpflichten, nicht vergleichbar sind und dass keinerlei Sanktionen vorgesehen sind. In vielen Ländern hat man den Eindruck, die Umweltminister haben freiwillige Selbstverpflichtungen abgegeben, während die Wirtschaftsminister weiterhin Kohlekraftwerke planen und bauen.
Was müsste denn passieren, damit das 2-Grad-Ziel tatsächlich erreicht werden kann?
Die Renaissance der Kohle, die derzeit noch überall auf der Welt zu beobachten ist, muss gestoppt werden. Die Staaten müssen ihre komplette Wirtschaft in diesem Jahrhundert dekarbonisieren, den Stromsektor sogar bis 2050. Und dort, wo er noch gar nicht existiert, muss er von Anfang an kohlendioxidfrei aufgebaut werden.
Es gibt auf der einen Seite also einen globalen politischen Willen, die Klimaerwärmung zu begrenzen, auf der anderen Seite aber konkrete politische Pläne in einzelnen Staaten, die in eine ganz andere Richtung gehen. Wie realistisch ist es denn, dass Länder wie China oder Indien ihre Pläne zum Bau von neuen Kohlekraftwerken revidieren?
Auch die Finanz- und Wirtschaftsminister müssen verstehen, dass die Dekarbonisierung für sie von Vorteil ist. Und das ist gar nicht so schwer einzusehen. Die Menschen in China und Indien, vor allem die Kinder, leiden unter der lokalen Luftverschmutzung. Das erhöht den Druck auf die Regierung. Einen Anreiz zur Emissionssenkung wird es aber nur dann geben, wenn CO2 einen Preis bekommt.
Sie schlagen vor, den Ausstoß von Kohlendioxid weltweit zu besteuern oder einen globalen Handel mit Emissionsrechte-Zertifikaten einzuführen.
Ein CO2-Preis hat drei wunderbare Wirkungen: Erstens setzt er Anreize für CO2-freie Technologien. Zweitens bestraft er die Nutzung fossiler Energieträger. Und drittens lassen sich damit Einnahmen generieren. Dann könnten Steuern auf Arbeit oder Kapital gesenkt werden oder es stünden Mittel für notwendige Infrastruktur zur Verfügung. In vielen Ländern ließe sich bereits durch die Abschaffung der Subventionen für fossile Energien die Mittel freischaufeln, die für jedermann Zugang zu sauberem Wasser ermöglichen. Es wären Investitionen möglich, die gerade den Ärmsten zugute kämen. So wäre der vermeintliche Zielkonflikt zwischen Armutsbekämpfung und Klimaschutz weitgehend zu entschärfen. Die Finanzminister geben jährlich weltweit etwa 550 Milliarden Dollar für die Subventionierung von fossilen Energieträgern aus. Diese Subventionen müssen abgeschafft werden und CO2 muss einen realistischen Preis bekommen. Wenn Länder lernen, dass man mit den Einnahmen die Armut bekämpfen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Ökonomie erhöhen kann, dann verlieren CO2-Bepreisung und Dekarbonisierung auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Schrecken.
Dahinter steht die grundsätzliche Annahme, dass man das Verhalten von Individuen und Gesellschaften steuern kann, indem man Preise beeinflusst. Was macht sie so sicher, dass das funktionieren wird?
Die Geschichte. Wir haben in den letzten fünfzehn Jahren ja gerade deshalb eine Renaissance der Kohle erlebt, weil der Preis für Kohle zum einen gering war und langsamer als der Gaspreis gestiegen ist und zum anderen die Kohle stark subventioniert wurde. Wenn die relativen Preise sich verändern, verändert sich das Investitionsverhalten. Was mich beunruhigt, ist nicht, dass Preise keine Anreize setzen könnten. Mich beunruhigt, dass die Regierungen anscheinend so wenig in der Lage sind, die Anreize so zu setzen, dass sie in die richtige Richtung gehen.
Warum ist es so schwer, sich in Staaten und international auf ein funktionierendes System zur CO2-Bepreisung zu einigen?
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens brauchte es ein Verständnis dafür, dass die Emissionen reduziert werden müssen. Öffentlichkeit und Politiker mussten überzeugt werden, dass es ein Klimaproblem gibt. Das ist inzwischen gelungen. Die zweite Schwierigkeit lautet: Die CO2-Bepreisung – sei es durch einen Emissionshandel oder durch Steuern – bestraft all diejenigen, die alte Autos fahren, ihre Häuser schlecht dämmen oder eben alte Kohlekraftwerke betreiben. Vor dem Hintergrund erscheint es der Politik zunächst viel einfacher, CO2-freie Technologien wie Windräder oder Elektroautos zu subventionieren. Das freut alle, die die neue Technologie nutzen wollen, stört aber diejenigen nicht, die bei den alten Technologien bleiben. Doch so werden die fossilen Energieträger nicht vom Markt verschwinden. Natürlich kann man hoffen, dass die erneuerbaren Energien irgendwann so billig sein werden, dass niemand mehr einen Anreiz hat, Kohle, Öl und Gas zu nutzen. Wir haben aber beim Klimawandel ein Zeitproblem: Wenn in den nächsten zehn Jahren die bereits geplanten Kohlekraftwerke gebaut werden, ist die Tür zum 2-Grad-Ziel geschlossen.
Es gibt aber doch auch Regierungen, deren faktische Handlungsmöglichkeiten, etwa Steuern einzutreiben, ziemlich begrenzt sind. Wie sollen die eine solche CO2-Bepreisung durchsetzen?
Eine Kohlendioxidbesteuerung kann auch in Entwicklungs- und Schwellenländern viel leichter eingeführt werden als zum Beispiel eine Einkommenssteuer. Es lässt sich relativ leicht überprüfen, wie viel Kohle, Öl und Gas gefördert oder importiert wird. Und damit sind auch die Kohlendioxidemissionen bekannt. Natürlich braucht man eine Steuerverwaltung und einen minimal funktionierenden Staat, aber die Steuerverwaltung muss nicht überprüfen, ob Millionen von Haushalten ihre Einkommen korrekt angeben.
Ihre Lösung lautet also einfach: CO2 braucht einen Preis. Ist diese Voraussetzung einmal geschaffen, werden die Kräfte des Marktes das Übrige tun. Papst Franziskus schlägt in seiner Umweltenzyklika „Laudato si“ hingegen eher wirtschaftsskeptische Töne an. „Die Umwelt ist eines jener Güter, die die Mechanismen des Markts nicht in der angemessenen Form schützen oder fördern können“, heißt es dort etwa.
Der Papst hat recht: Der Markt wird aus sich heraus die Umwelt nicht schützen und den kommenden Generationen die Lebensgrundlagen sichern. Darum fordern ja die Ökonomen, dass nicht auf Kosten kommender Generationen oder zu Lasten Dritter gewirtschaftet werden darf. Kohle ist billig auf dem Markt, aber sie kommt uns teuer zu stehen, weil wir den vorzeitigen Tod von Menschen und vermehrt Krankheiten in Kauf nehmen. Rechnet man diese Kosten mit ein, dann subventionieren wir die Tonne CO2 weltweit im Durchschnitt mit 150 Dollar. Das ist weder gerecht noch ist es effizient. Diejenigen, die Kohle nutzen, müssen also zahlen, um ihre Nutzung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Die Enzyklika bekennt sich zum polluter pays principle. Das heißt, dass die sozialen Kosten wirtschaftlicher Aktivitäten von ihrem Verursacher zu tragen sind. Ein CO2-Preis zwingt die Konsumenten, Unternehmen und Banken, alle Kosten in Rechnung zu stellen. Dies kann aber nur von Regierungen durchgesetzt werden.
Die Enzyklika setzt stark auf eine Veränderung des Lebensstils von jedem Einzelnen und fordert eine „ökologische Erziehung“.
Wenn es keinen CO2-Preis gibt, werden die individuellen Anstrengungen zunichte gemacht: Wer CO2-Emissionen vermeidet, weniger Fleisch ist, auf Fernreisen verzichtet, oder zuhause Energie spart, senkt zwar die Emissionen. Aber es gibt keine Garantie, dass andere nicht darum mehr verbrauchen, weil die Nachfrage nach fossilen Energieträgern sinkt. Die individuelle Zusatzanstrengung führt zu Nichts. Das ist eine Erziehung zum Zynismus! Man muss Institutionen schaffen, die Menschen tatsächlich ermöglichen, dass sie ihre Präferenz für den Klimaschutz auch zum Ausdruck bringen können. Wenn wir den EU-Emissionshandel mit einem stetig steigenden CO2-Mindestpreis reformieren würden, würden sich zumindest die Anstrengungen derjenigen Länder addieren, die mehr Klimaschutz wollen.
Nach der Veröffentlichung von „Laudato si“ haben etwa amerikanische Konservative kritisiert, der Papst überschreite seine Kompetenz und dem kirchlichen Lehramt komme es nicht zu, sich zu derart praktischen Fragen zu äußern. Was würden Sie antworten?
Der Papst macht in „Laudato si“ klar, dass es für ihn eine moralische Gewissheit ist, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Hat der Papst die Kompetenz, den wissenschaftlichen Sachstand festzustellen? Nein, hat er nicht, und er beansprucht diese Kompetenz auch nicht. Er setzt den wissenschaftlichen Konsens voraus, auf dessen Basis er handlungsleitende Normen formuliert und diesen sogar lehramtliches Gewicht verleiht. Er greift die Leugner des Klimawandels frontal an: Es gehe ihnen nicht um das Ringen nach wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern um die Verfolgung wirtschaftlicher Machtinteressen. Als Wissenschaftler stimme ich dem Papst zu: Wir haben eine ausreichende Sicherheit darüber, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zusammen mit der Abholzung zum Anstieg der globalen Mitteltemperatur führt. Nun stellt sich die Frage: In welchem Ausmaß kann und soll der Klimawandel begrenzt werden und wie kann man dies bewerkstelligen? Das sind auch ethische Fragen und hier kann und muss sich der Papst sogar äußern.
Wie wurde die Enzyklika in der Wissenschaft aufgenommen?
Der Papst hat mit der Enzyklika ein neues Tor des Dialogs von Wissenschaft und Kirche aufgestoßen. „Laudato si“ hat in der Wissenschaft eine einzigartige Resonanz hervorgerufen. In den wissenschaftlichen Fachzeitschriften „Nature“ und „Science“ erschienen Editorials zum Thema. Die Fachzeitschrift „Nature Climate Chance“ hat ein Sonderheft zu „Laudato si“ veröffentlicht, in dem sich die Wissenschaftler zu der Enzyklika geäußert haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je in der Wissenschaft eine solch überwältigende Zustimmung und lebhafte Debatte mit dem Papst gegeben hätte. Es war das erste Mal in meiner Karriere, dass mir Kollegen dazu gratuliert haben, dass ich Katholik bin. Man hat wahrgenommen: Der Papst lässt sich auf die Wissenschaft ein.
Was ist für Sie die wichtigste Aussage in der Enzyklika „Laudato si“?
Wirklich revolutionär finde ich die Nr. 23 der Enzyklika. Darin sagt der Papst, dass die Atmosphäre ein globales Gemeinschaftsgut der Menschheit ist. Gemessen am begrenzten CO2-Deponieraum Atmosphäre haben wir zu viele fossile Ressourcen im Boden. Wenn wir Klimapolitik betreiben wollen, dann müssen mindestens 80 Prozent der Kohle und ein Drittel von Öl und Gas im Boden bleiben. Damit wird aber das Vermögen der Besitzer von Kohle, Öl und Gas entwertet. Dieser Eingriff in das Privateigentum ist gerechtfertigt, wenn gefährlicher Klimawandel abgewendet werden soll. Denn nach der Eigentumslehre der Kirche endet die privatrechtliche Verfügungsgewalt dort, wo das Gemeinwohl verletzt wird. Damit weitet der Papst die Eigentumslehre der katholischen Kirche auf die globalen Gemeinschaftsgüter wie Atmosphäre, Ozeane, Wälder und Land aus. Das hat natürlich auch schöpfungstheologische Implikationen. Eine Kollegin von mir, übrigens Atheistin, hat in einem Leitartikel geschrieben: „Der Himmel gehört uns allen“. Das ist genau, was der Papst sagen will – er würde vielleicht ergänzen: Himmel und Erde gehören uns allen – und der Mensch soll die Erde nicht durch Gier und Gewalt entstellen. Der Papst sieht die Menschheit vor eine Entscheidung gestellt: Diese Generation kann als die verantwortungsloseste in die Geschichte eingehen, sie kann aber auch als diejenige in die Geschichte eingehen, die die Verantwortung übernimmt. Es wäre Hybris, gefährlichen Klimawandel zuzulassen. Der Papst erinnert uns daran, dass alle Menschen – auch die Ärmsten – ein Recht auf Würde, auf ein angemessenes Leben haben. Dafür tragen wir die Verantwortung und darum muss gefährlicher Klimawandel vermieden werden. Diese Verantwortung kann mit guten Gründen nicht zurückgewiesen werden, weil wir die technischen und ökonomischen Mittel haben, dies zu tun.
Was ist so revolutionär an der Idee von der Atmosphäre als Gemeinschaftsgut?
Das Revolutionäre ist, dass der Papst das Recht auf Privateigentum in den Kontext der Globalisierung stellt. Jeder nutzt die Atmosphäre nach seinem Gutdünken. Wir wissen aber, dass die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Treibhausgase begrenzt ist, wenn wir gefährlichen Klimawandel vermeiden wollen. Hier fordert der Papst die Einhaltung der inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit. Die Enzyklika sagt nun: Das gegenwärtige Weltwirtschaftssystem ist drauf und dran, eine der fundamentalsten Knappheiten des 21. Jahrhunderts zu ignorieren: Die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre. Nicht die fossilen Energieträger im Boden sind knapp, wie es der „Club of Rome“, annahm.
Der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt, der Klimawandel sei Teil einer Ersatzreligion. „Man glaubt an eine nahende Katastrophe, und die Heilserwartung sieht man in einem ‚nachhaltigen‘ Lebensstil“, meint Bolz. Was halten Sie von dieser Sichtweise?
Diese Formulierung unterstellt, der Klimawandel sei eine psychologische Projektion post-moderner apokalyptischer Bedürfnisse und Nachhaltigkeit verschaffe eine psychologische Entlastung. Eine metaphysisch und religiös orientierungslose Bevölkerung in den reichen Ländern gönnt sich einen apokalyptischen Schauer und erwartet das Heil aus den Bioläden. Das ist doch die Karikatur, die gerade auch bei konservativen Christen ankommt. Aber das ist keine realitätstaugliche Zeitdiagnose, weil sie verkennt, in welcher Situation sich der nachmoderne Mensch befindet. Der moderne Mensch hat, wie Freud sagt, drei narzisstische Kränkungen zu verkraften. Durch Kopernikus hat er lernen müssen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Darwin hat ihm vor Augen geführt, dass er Teil der biologischen Evolution ist, in der der Stärkste überlebt, der Mensch aber nicht mehr das Ziel der Evolution ist. Und Freud hat ihm nach seinem eigenen Selbstverständnis klargemacht, dass er durch unbewusste Impulse gesteuert ist. Diese schränken seine Freiheit empfindlich ein, weil er auf das Unbewusste keinen unmittelbaren Zugriff hat. Und genau dieser Mensch, der diese narzisstischen Kränkungen ertragen musste, sieht sich in der Moderne nun mit einem Machtzuwachs konfrontiert, der in der Kulturgeschichte beispiellos ist.
Was für einen bisher beispiellosen Machtzuwachs meinen Sie konkret?
Die Atombombe hat uns eine erste Ahnung vermittelt, wir könnten uns selber auslöschen. Und nun greifen wir in den bio-geo-chemischen Kreislauf des Planeten mit einer Intensität und Geschwindigkeit ein, die ihn auf irreversible Weise verändern und das Habitat des Menschen zerstören können. Aber gerade narzisstisch gekränkte Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Macht überhaupt wahrzunehmen. Kollektiv befinden wir uns in der Situation von Halbstarken. Jetzt müssen wir lernen, diesem Machtzuwachs wahrzunehmen und damit umzugehen. Der Papst nimmt in seiner Enzyklika mehrfach Bezug auf Romano Guardinis „Das Ende der Neuzeit“. Guardini beschreibt, wie die neuzeitliche Wissenschaft dem Menschen neue Möglichkeiten der Macht zugespielt hat, der moderne Mensch aber diesen Machtzuwachs verdrängt. Verleugnet der Mensch seinen Machtzuwachs, dann ist er dazu verdammt, die technische Entwicklung nicht gestalten zu können, sondern als „naturwüchsig“ zu erleiden. Es geht aber gerade angesichts des Klimawandels darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine neue Richtung geben, nicht darum, dass wir uns von der Technik verabschieden. Entscheidungen über die Fragen der Energienutzung, des Managements des Kohlenstoffkreislaufs oder der Gentechnik sind eben nicht nur technische, es sind immer auch ethische Fragen. Technischer Fortschritt ist nur dann ein Fortschritt, wenn daraus ein Zuwachs an Freiheit und Gerechtigkeit möglich wird. Die Enzyklika ist für mich ein Aufruf, sich den ethischen Herausforderungen von Wissenschaft und Technik zu stellen. Wer den Klimawandel als Ersatzreligion denunziert, flüchtet sich in eine billige Projektionsthese, die ihn das Machtproblem von Technik und Wissenschaft gar nicht wahrnehmen lässt. Er zementiert damit einen Zustand, der geradezu verhindert, dass die Menschheit ihre Verantwortung angesichts der neuen Möglichkeiten erprobt.
Wenn man kein Kohlendioxid mehr in die Atmosphäre ausstoßen möchte, und gleichzeitig an dem Lebensstandard, den wir erreicht haben, festhalten will, benötigt man neue Techniken. Aber hat nicht bislang jede neue Technik die erreichten Vorteile wieder zunichte gemacht? Die Alternative wäre mehr Verzicht und ein gewisser technologischer Rückschritt. Damit wäre aber die Grundlage unseres Wirtschaftssystems infrage gestellt: Das Wachstum. Welchen Ausweg sehen Sie aus diesem Dilemma?
Im 21. Jahrhundert stehen wir vor einer neuen Aufgabe: Wir müssen die Ressourcen- und die Energieproduktivität stärker erhöhen als die Arbeitsproduktivität. Dies kann aber nur funktionieren, wenn wir den Märkten und den Investoren signalisieren, dass wir ein fundamental anderes Knappheitsproblem haben. Im 19. Jahrhundert war Kapital und vor allem Arbeit knapp. Durch das starke Wachstum der Reallöhne seit dem Ende des 19. Jahrhundert konnten die Unternehmer ihre Lohnstückkosten nur dadurch konstant halten, dass sie die Produktivität pro Arbeitsstunde erhöhten. Ein CO2-Preis wird verhindern, dass die Fortschritte bei der Ressourcen- und Energieeffizienz zu einem vermehrten Verbrauch fossiler Energien führt. Erst dadurch werden Techniken rentabel, die Wirtschaftswachstum und Emissionswachstum entkoppeln. Dies macht auch deutlich, warum der Verzicht auf Wirtschaftswachstum nichts bringt: Wir laufen dann etwas langsamer auf die Katastrophe zu, aber wir verhindern sie nicht. Man kann es sich mit einem Bild verdeutlichen: Sie fahren mit dem Auto auf eine Wand zu und man sagt zu Ihnen, Sie können aufs Gaspedal treten oder bremsen. „Verzicht“ würde demnach heißen, wir fahren etwas langsamer auf die Wand zu. Ein Auto hat aber nicht nur Gas und Bremse, sondern auch ein Lenkrad. Es kommt also darauf an, dem technischen Fortschritt eine neue Richtung zu geben.
Wachstumsverzicht oder gar Schrumpfung ist für Sie also keine Option?
Nein, denn hierbei handelt es sich um ein gefährliches Spiel. Verteilungskonflikte sind kaum zu lösen, wenn der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Und Schrumpfung des Sozialproduktes würde auch bedeuten, dass wir weniger in das Gesundheits- oder Bildungswesen investieren können. Die Vorstellung einer Weltgesellschaft, deren ökonomische Möglichkeiten schrumpfen, würde uns vor grauenvolle moralische Dilemmata stellen, die wir nicht wollen können. Unsere Generation hat die Möglichkeit, der Armut auf diesem Planeten ein Ende zu setzen, ohne den Planeten zu ruinieren. Das ist doch eine großartige Aussicht und dafür benötigen wir ein Wirtschaftswachstum, das nicht zu Lasten der kommenden Generationen geht, nicht zu Lasten der Armen. Wachstum ist kein Selbstzweck, kein gesellschaftspolitisches Ziel, aber es kann ein Mittel sein, um Ziele zu erreichen. Das Problem unserer derzeitigen Wirtschaftsweise ist nicht das Wirtschaftswachstum, sondern die Tatsache, dass wir von der Substanz leben: Wir verschleudern Naturkapital und investieren zu wenig in Humankapital – und weisen das auch noch als Wachstum aus. Wir müssen lernen, weniger zu konsumieren und mehr zu investieren. Dazu müssen wir endlich über Ziele reden. Die weltweite Bekämpfung von Armut und ein ambitionierter Klimaschutz sind sinnvolle Ziele. Der Papst jedenfalls hat die Christen dazu aufgefordert, sich dieser Aufgabe zu stellen.