BuchbesprechungJörg Lauster: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums

Geht das? Lässt sich Religion als Kultur begreifen? Kann man eine Kulturgeschichte des Christentums schreiben, ohne die transzendentale Dimension des Glaubens zu unterschlagen? Jörg Lauster hat es versucht: Mehr als zweieinhalb Pfund wiegt seine „Verzauberung der Welt“, und die über 700 Seiten haben es in sich. Das Buch vereint moderne Wissenschaft mit dem Wagnis, seinen Gegenstand auch von innen in den Blick zu nehmen.

Nein, Lauster unternimmt keine Apologetik der christlichen Kirchen. Als Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Marburger Philipps-Universität entwirft er seine Kulturgeschichte des Christentums ohne Illusionen. Es geht ihm um die Selbstaufklärung der christlichen Kultur. Er will die Vielfalt dieser Kultur verstehen und zeigen, ohne sich in Spezialistentum zu ergehen. Auch Nicht-Kenner der Geschichte kommen da mit, man muss kein Bernini-Fan und Bach-Freund sein, um Lauster zu folgen. Diese Offenheit macht das Buch so wertvoll, es hat einen plausiblen Rhythmus von Information und Interpretation, von Kenntnissen und Erkenntnis. Lauster arbeitet exemplarisch. Er zeichnet Figuren, statt Landschaften zu malen; alles wirkt klar und konzentriert.

Gesamtgeschichten laufen immer Gefahr, sich im Positivismus des sammelfrohen und thesenfreudigen 19. Jahrhunderts zu erschöpfen, in einer Feier der Fakten, die auch das Große und Ganze widerspiegeln sollten. Diese Klippe umschifft Lauster souverän. In der Religions- und Mentalitätsgeschichte ist er genau so zuhause wie in der Kunst- und Wissenschafts-Historiografie. Er will nicht sammeln, sondern verstehen. Und da gibt es mehr als genug, angefangen bei den Evangelien mit ihren Berichten über den charismatischen Wanderprediger und Wundertäter Jesus. Schon das frühe Christentum bringt eine Kulturrevolution. Lauster spiegelt die Geschichte in der Kultur: die konstantinische Wende, die Christianisierung Europas, die christliche Weltherrschaft und ihr Zerfall, Renaissance und Reformation, Barock und Aufklärung. Bis in die Gegenwart hinein widmet sich Lauster der Kultur – und eben auch dem Sinn- und Wahrheitsanspruch des Christentums. Wie Religion die Welt verzaubern kann, wird besonders deutlich, wenn Lauster über Musik nachdenkt, über Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. Auch wenn es um Phänomene wie Volksfrömmigkeit und Marienkult geht, zeigt sich, mit wie viel Gespür und Feingefühl hier Geschichte geschrieben wird.

Lauster ist ein präziser, immer wieder eleganter Autor, und er hat die historische Fantasie, die es braucht, aus Fakten Geschichten zu destillieren. So zitiert er das alte Gedankenspiel, Martin Luther wäre in Rom Michelangelo begegnet. „Was hätten sich Michelangelo und Luther zu erzählen gehabt, wenn sie sich getroffen hätten?“ Eine Antwort vermeidet er. Die Vorstellung, dass der Künstler den Theologen in der Sixtinischen Kapelle von seiner Kritik der Kirche hätte überzeugen können, die Idee gar, dass dadurch eine Reform des Katholizismus ohne die Spaltung denkbar gewesen wäre, bleibt Spekulation, und die ist Lausters Sache nicht. Doch wenn er konstatiert, dass die Reformation „eine Vielzahl von Christentümern“ (297) hervorbrachte, bringt er die Essenz der religiösen Umwälzung auf den Punkt: Verlust der Einheit, Gewinn der Vielfalt.

Lauster will mehr über die Wurzeln unserer Zeit und Kultur aufklären, aber es geht ihm auch darum, „das Verständnis des Christentums auf eine kontinuierliche Geschichte der Verzauberung der Welt hin zu erweitern“ (14). Für ihn ist das Christentum nicht bloß eine Spielart des Religiösen. „Die Auferstehung ist die eigentliche Geburt des Christentums“, schreibt er (31): „Die Annahme eines solchen Ereignisses ist zwar nicht zu beweisen, aber andererseits ist es historisch keineswegs absurd oder unvernünftig, davon auszugehen, dass es etwas gegeben haben muss, worauf der christliche Auferstehungsglaube die Antwort darstellt“. Im Christentum sieht Lauster eine „gelebte Religion“, die mittels Kunst und Kultur die Weltwahrnehmung derer prägt und ändert, die mit ihr und in ihr leben, aber auch derer, die sie kritisieren und bekämpfen.

Ob es also dem Buch gelingt, dieser Kultur einen einenden Sinn zuzuordnen, hängt wohl auch von denen ab, die es lesen. Lauster sieht diesen Sinn nicht zuletzt in der Kultur der Aufklärung, die ja ein Kind dessen war, was zu überwinden sie antrat. Die Kulturgeschichte des Christentums handelt von religiöser Erfahrung und ihrer Transformation. Wer Christentum mit Dogmatik und Institutionalisierung identifiziert, versteht nicht, was Bernini und Raffael zeigen, was Mozart zum Klingen bringt, wovon Fjodor M. Dostojewski spricht. Nicht, dass das alles schlicht Religion wäre; aber ohne Religion, ohne diese Religion wäre es schlicht nicht.

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Jörg Lauster

Die Verzauberung der WeltEine Kulturgeschichte des Christentums

Verlag C.H. Beck, München 2015. 734 S. geb. 89 Abb. 34,00 € (D)