Nach der jüngsten Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland haben gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, sich kirchlich trauen zu lassen. Der Beschluss wurde mit großer Mehrheit gefasst: Von den 211 Synodalen sprachen sich nur sieben gegen die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aus; neun enthielten sich.
Eine ähnliche Entscheidung hatte im Juni 2015 auch die US-amerikanische Episkopalkirche getroffen, die zur anglikanischen Kirchengemeinschaft gehört. Während allerdings in Deutschland kaum Kritik am Synodenbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland laut wurde, waren die Konsequenzen für die amerikanischen Anglikaner beträchtlich. Afrikanische und asiatische Kirchenvertreter kritisierten ihre amerikanische Schwesterkirche heftig. Um eine drohende Kirchenspaltung abzuwenden, berief Justin Welby, Erzbischof von Canterbury und Ehrenoberhaupt der anglikanischen Kirchengemeinschaft, im Januar 2016 ein außerordentliches Treff en der Primas-Erzbischöfe ein. Dabei entschieden die Oberhäupter der 39 anglikanischen Kirchenprovinzen mehrheitlich, die Episkopalkirche für drei Jahre von allen wichtigen Entscheidungen auszuschließen. Zudem dürfen ihre Vertreter die Gemeinschaft nicht mehr in ökumenischen oder interreligiösen Gremien vertreten. Die Episkopalkirche habe sich mit ihrer Regelung fundamental von der Ehelehre entfernt, wie sie von der Mehrheit der anglikanischen Kirchenprovinzen geteilt werde, hieß es in der Erklärung der Kirchenführer.
Nach Jahrzehnten der ökumenischen Annäherung in dogmatischen Fragen haben sich im Christentum unverkennbar neue Bruchlinien ergeben. Diese verlaufen nicht mehr entlang der traditionellen konfessionellen Grenzen, sondern quer durch die Konfessionen. Dabei fällt auf, dass es immer wieder Fragen von Ehe und Sexualität sind, die für Uneinigkeit sorgen. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die traditionelle Lehre und Praxis der Kirchen in diesem Bereich mehr oder weniger identisch mit dem gesellschaftlichen Common Sense. Doch mit dem Wertewandel in den westlichen Gesellschaften ist es zu einer fundamentalen Neubewertung der menschlichen Sexualität gekommen. Die protestantischen Kirchen in Europa und Nordamerika reagieren darauf mit weitgehenden Anpassungen. Dies sorgt für Widerspruch aus den Kirchen Asiens und Afrikas, die mittlerweile die übergroße Mehrheit in den jeweiligen konfessionellen Gemeinschaften bilden.
Dass auch die katholische Kirche von diesem Spaltpotenzial betroffen ist, zeigen die Diskussionen rund um die beiden zurückliegenden Familiensynoden – obwohl das Thema Homosexualität hier noch weitgehend ausgeklammert blieb. Trotz anderslautender Beteuerungen war eine zunehmende Spannung zwischen liberalen und konservativen Positionen unverkennbar. Wird es Papst Franziskus gelingen, mit seinem postsynodalen Schreiben die sich abzeichnenden Gegensätze noch einmal zu überbrücken?