Die Sexualethik gehört zu jenen Feldern der Theologie, die es in den vergangenen Jahrzehnten besonders schwer hatten. Nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse und Rollenbilder haben sich stark gewandelt, es sind auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse hinzugekommen. Gleichwohl war die theologische Reflexion angesichts mancher Themen weitgehend dadurch blockiert, dass das kirchliche Lehramt sehr enge Vorgaben gemacht hat und deren Verletzung auch sanktioniert wurde. Dies hat sich in den vergangenen Jahren geändert, eine ganze Reihe der sogenannten „heißen Eisen“ werden inzwischen bis auf höchster Ebene, etwa auf vatikanischen Bischofskonferenzen diskutiert – auch wenn sich an der offiziellen Lehre bisher nichts geändert hat.
Einen sehr guten Überblick über die Neuansätze katholischer Sexualmoral bietet dieser Band des emeritierten Münchener Moraltheologen Konrad Hilpert. Der entscheidende Punkt besteht aus seiner Sicht darin, die einschlägigen Fragen nicht ausgehend von den selbstreferenziellen lehramtlichen Texten der vergangenen 50 Jahre kasuistisch abzuhandeln, sondern von Anforderungen an gelingende Beziehungen – als dem Kern religiöser Überzeugungen – her zu denken. In diesem Sinne liegt ihm daran, das humanisierende Potenzial des christlichen Menschenbilds zur Geltung zu bringen, ohne sich auf ein biologisch enggeführtes naturrechtliches Denken einzulassen, das das Individuum tendenziell in Körper und Geist beziehungsweise Seele aufspalte. Sexualität sei ja gerade nicht nur ein Reflex des vegetativen Nervensystems. Ein entscheidender Punkt ist dabei das Thema moralische Verbindlichkeit. Die Neuakzentuierungen machen aus der Sexualmoral nicht einfach ein „obsoletes Regelwerk aus vormoderner Zeit“: „Vielmehr ergänzen und durchdringen sie die Sexualitäts- und Partnerschaftsmoral, sodass neue Sensibilitäten und Prioritäten in Erscheinung treten.“