IslamdialogWie viel Kritik verträgt die Religion?

In den Diskussionen über das Thema Blasphemie spielt vor allem die politische Instrumentalisierung der Religion eine entscheidende Rolle. Das ist der Tenor mehrerer Beiträge des diesjährigen „Theologischen Forums Christentum – Islam“ gewesen, das Anfang März unter Titel „Kritik, Widerspruch, Blasphemie – Anfragen an Christentum und Islam“ in der Stuttgarter Katholischen Akademie stattfand. Auch in den muslimischen Ländern selbst ringen Politiker und Theologen auf diese Weise um Deutungshoheit, ist etwa die Überzeugung des Hauptreferenten Ebrahim Moosa, der als muslimischer Theologe an der Universität Notre Dame in den USA lehrt. Der Religionswissenschaftler Michael Blume wies darauf hin, dass es Probleme überall dort gebe, wo die Religion zur „Staatskirche“ werde. Auf der Seite des Islam sei dies vor allem ein Bildungsproblem aufgrund einer in den vergangenen Jahrhunderten nur schwach ausgebildeten Lesekultur, die Kritikfähigkeit interagiere mit Medienangeboten und dem Bildungsniveau. Mit dem Verbot der Druckerpresse 1485 im Osmanischen Reich durch Sultan Bayazid II. sei der bis dahin hochreflektierte und dem Abendland teilweise überlegene Islam in eine Schieflage gekommen.

Vor allem aber, so ein weiterer Kontrapunkt der Veranstaltung, gebe es in beiden Traditionen Kritik an der Veräußerlichung religiöser Formen und die Forderung nach einer Rückkehr zum – hier und da vermeintlichen – Ursprung. Das gilt angefangen von der alttestamentlichen Prophetenkritik, die bis in die heutige christliche Sozialethik hinein rezipiert wird und für die es auch auf muslimischer Seite Beispiele gibt. Der Theologe und Religionswissenschaftler Joachim Valentin, Direktor des Haus am Dom in Frankfurt, machte hier die europäische Aufklärung als Versuch einer „Rettung des Gottesglaubens“ als Antwort auf die Erkenntniskritik angelsächsischer Prägung stark. Die „gerne fälschlicherweise als antireligiös vorgestellte ,Aufklärung‘“ könne als innerchristliches Selbstgespräch über die Möglichkeiten einer Religionsphilosophie nach der neuzeitlichen Entwicklung von Demokratie und Naturwissenschaft verstanden werden, so Valentin ausdrücklich. Er mahnte allerdings auch eine Selbstreflexion der Gewaltgeschichte des Westens in den vergangenen 200 Jahren an. Dass die Religion ohne Kritikfähigkeit ihr destruktives Potenzial entfalte, sei eine bleibende Herausforderung für jede Theologie.

Katjun Amirpur, Professorin an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, betonte auf der Tagung, dass es in der Geschichte des Islam immer auch einen selbstkritischen Umgang mit dem Thema Religion gegeben habe – gerade weil man sich seiner Sache sicher war. Das sei jedoch verloren gegangen. Sie kritisierte freilich auch, dass es angesichts dieser Herausforderungen zu wenig zu einem konstruktiven Diskurs zwischen dem Christentum und dem Islam komme. Es gebe zu viele christliche Theologen, die von oben herab eine Aufklärung anmahnen. Das Fazit von Reinhold Bernhardt, systematischer Theologe an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Basel: Je anspruchsvoller die Religionskritik, umso größer sei ihr Potenzial für die kritisierte Religion. Anspruchslose Religionskritik verdiene hingegen keine innere Achtung, sondern Verachtung – im Sinne der Nichtbeachtung.

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