Wechsel im EthikratNeukonstituierung

Der Deutsche Ethikrat geht in eine weitere Amtsperiode. Weiterhin auf der Agenda steht die Frage nach der Verantwortung von Wissenschaft und Forschung weltweit. Die neu berufenen Mitglieder werden sich an der Qualität der bisherigen Stellungnahmen messen lassen und gleichzeitig neuen Herausforderungen stellen müssen. Auch zwei katholische Moraltheologen werden die Arbeit des Ethikrates in den nächsten vier Jahren mittragen.

Nach dem Ende der jüngsten vierjährigen Amtsperiode hat sich der Deutsche Ethikrat am 28. April 2016 neu konstituiert. Von den 26 Mitgliedern, die je zur Hälfte von Bundestag und Bundesregierung vorgeschlagen werden, schieden elf Mitglieder turnusgemäß aus, darunter die langjährige Vorsitzende Christiane Woopen, ihre beiden Stellvertreter Jochen Taupitz und Michael Catenhusen sowie die beiden katholischen Vertreter, Weihbischof Anton Losinger und der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff. Der Deutsche Ethikrat, der 2008 als Nachfolger des Nationalen Ethikrates gegründet wurde, sieht als unabhängiges und interdisziplinäres Beratergremium eine maximale Amtszeit von zweimal vier Jahren für die Mitglieder vor, sodass nun fast die Hälfte des Rates neubesetzt werden musste.

In ihrer Rede zur auslaufenden Amtsperiode betonte die ehemalige Vorsitzende Woopen die Interdisziplinarität des Deutschen Ethikrates. Demnach sei die Zusammensetzung der Mitglieder daran orientiert, vielfältige Perspektiven aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zusammenzutragen, um in einer ausführlichen Debatte zu ethischen Positionierungen zu kommen. Juristen, Mediziner, Philosophen, Theologen und Soziologen bringen dabei ihre jeweiligen professionellen Perspektiven ein.

Auf die Kritik, dass es durch den Ethik­rat dadurch nicht immer zu einem klaren Meinungsbild komme, reagierte Woopen mit Verweis auf das Ethikratgesetz, nach welchem „unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum“ vertreten sein sollen. Zudem solle der Rat gerade die ethischen Kontroversen in die Diskussion bringen, um die demokratische Gesellschaft lebendig zu halten.

Dadurch konnten in den letzten acht Jahren unter anderem Empfehlungen für die Beschneidungsdebatte, Orientierung für die Diskussion über assistierten Suizid oder das Embryonenschutzgesetz ermöglicht werden. Auch der Moraltheologe Schockenhoff hatte sich für diese Pluralität der Perspektiven ausgesprochen (vgl. auch HK, Juni 2011, 285-289). Sie sei von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung, da sich politische Entscheidungsträger heutzutage nicht allein einen Überblick über die ethischen Konfliktfelder verschaffen könnten. „Überhaupt ist der Austausch mit der Politik in den letzten Jahren deutlich intensiver geworden“, so Woopen in ihrer Rede.

Die Funktion als Beratungsgremium ist jedoch bis heute nicht unumstritten, da die Unabhängigkeit des Rates immer wieder in Frage gestellt wird. So wurden Stellungnahmen des Deutschen Ethikrates zur Gendiagnostik oder auch zur Biosicherheit direkt von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. Diese Bezogenheit von Politik und Ethikrat sieht das Gesetz auch vor.

Losinger und Schockenhoff hatten bisher die katholische, moraltheologische Perspektive und das damit verbundene Menschenbild als Maßstab in den Rat eingebracht. Zuletzt hatten sie gemeinsam mit dem Ethiker Thomas Heinemann in einem Sondervotum gegen eine Ausweitung der Embryonenspende votiert. „Der Lebensschutz für Embryonen darf nicht angetastet werden“, erklärte Losinger.

Auch für die Zukunft sieht der Weihbischof große Herausforderungen auf den Deutschen Ethikrat zukommen. Nicht nur die Frage nach genetischer Optimierung, sondern auch nach dem Umgang mit vertraulichen Patientendaten werden seiner Ansicht nach Diskussionen um die Unantastbarkeit des Lebens und die Würde des Menschen für die nächsten Jahre prägen.

Und der Theologe Schockenhoff warnte kürzlich vor der Verarbeitung großer Datenmengen in der Medizin. „Wenn heute jemand krank ist, kann er mit Solidarität der anderen rechnen – bis hin zur materiellen Solidarität für die Behandlungskosten über die Krankenkassen. In Zukunft könnte die Verantwortung aber auf den Patienten zurückverlagert werden“, so der Freiburger Professor.

Im neukonstituierten Ethikrat wird der Tübinger Theologe Franz-Josef Bormann als Nachfolger von Schockenhoff seinen Arbeitsschwerpunkt „Aktuelle Konfliktfelder der Medizin- und Bioethik“ in die Tätigkeit des Gremiums einbringen. Er gilt als Experte für das Verhältnis von Naturrecht und Moraltheologie. Nachfolger für Weihbischof Losinger wird Andreas Lob-Hüdepohl, der an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin Theologische Ethik lehrt. Lob-Hüdepohl, der Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Patientenwohl“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist, wurde von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für den Ethikrat vorgeschlagen. Schon zuvor hatte der Ethiker die DBK zu Themen wie Behinderung oder Sterbehilfe beraten.

Als Vertreter der Evangelischen Kirche wurde der Erlanger Theologe Peter Dabrock für eine weitere Amtsperiode bestätigt. Auch der Bischof der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck Martin Hein wird weiterhin im Ethikrat mitarbeiten, nachdem er während der abgelaufenen Amtszeit nachgerückt ist. Für weitere vier Jahre werden zudem der Humanmediziner Leo Latsch, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden, und der türkischstämmige Mediziner Ilhan Ilkilic als Vertreter der Muslime im Deutschen Ethikrat tätig sein.

Stimmen aus Judentum und Islam gibt es im Ethikrat erst seit der letzten Amtsperiode von 2012. Sie bilden damit die „zunehmende Vielfalt der Gesellschaft in Deutschland“ ab, so die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan zur Neukonstituierung des Rates seinerzeit. Gerade in der Beschneidungsdebatte 2012 sei deutlich geworden, wie wichtig es ist, weitere religiöse Akteure einzubeziehen, meinte Schavan. Auch der evangelische Altbischof Wolfgang Huber, damals ebenfalls Ethikratmitglied, sprach sich für die Bedeutung religiöser Stimmen im Ethikrat aus. „Wenn es um eine Frage wie die Beschneidung geht, kann er (der Ethikrat) sich nicht auf die Bioethik beschränken“, so Huber.

Auch der neue Ethikrat wird seine Agenda einerseits selbst bestimmen, andererseits von der Politik Aufträge entgegennehmen. Die bereits genannten Themen stehen tatsächlich auf dem Programm: Die Methode des Genome Editing, mit der das Erbgut gezielt verändert werden kann, drängt zu einer ethischen und rechtlichen Regelung (vgl. dieses Heft, 23–25). Gerade wegen der weitreichenden Folgen für Medizin und Forschung verlangen Wissenschaftler hier eine deutliche Positionierung.

Im Juni 2016 soll zu diesem Thema die Jahrestagung des Deutschen Ethikrates in Berlin stattfinden. Ebenfalls wird die Diskussion um Big Data für die neuen Mitglieder eine zentrale Aufgabe darstellen. Der vorherige Rat konnte zur Frage des Umgangs mit Daten zu medizinischen Befunden und persönlichen Patienteninformationen noch keine einvernehmliche Stellungnahme abgeben.

Stärkere Verbindlichkeit?

Lob-Hüdepohl sieht in dieser Thematik noch viel Diskussionsbedarf und plädierte in einem Interview bereits für eine präzise ethische Abwägung. Einerseits könnte durch diese Daten zwar eine dezidierte Überprüfung der menschlichen Vitalfunktionen gewährleistet werden, andererseits sieht er auch negative Folgen. „Damit gerät die Solidargemeinschaft der Krankenversicherung in Gefahr. Sie baut auf der Idee auf, dass diejenigen, die weniger krankheitsanfällig sind, denen beistehen, die eine schwächere Konstitution haben und deshalb mehr Unterstützung der Solidargemeinschaft benötigen“, so das neue Ethikratsmitglied.

Neben dieser speziellen Diskussion stehen auch zwei grundsätzliche Anliegen des Ethikrates im Raum. Ein Fortpflanzungsmedizin-Gesetz soll als konsistente Zusammenschau aller bisherigen Regelungen eine einheitliche Gesetzesgrundlage bieten. Zudem soll auf globaler Ebene eine höhere Verbindlichkeit der Allgemeinen Erklärung über Bioethik und Menschenrechte durchgesetzt werden. Die UN-Bioethik-Erklärung wurde 2005 zwar per Akklamation angenommen, besitzt aber nach wie vor keine völkerrechtliche Verbindlichkeit. Die ehemalige Vorsitzende Woopen hofft für die nächste Amtsperiode, dass die ethischen Grundsätze für Medizin, Lebenswissenschaften und diesbezügliche Technologien eine stärkere Verbindlichkeit für alle Nationen bekommen.

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