"Das Kunstprojekt ""Sein. Antlitz.Körper in Berlin"""Spirituelle Heidenwüsten

In Berlin zieht eine Kunstinitiative eine Spur des Staunens durch die Stadt. Wer ist der Kurator, der ausgehend vom Berliner Dom Spitzenkunstwerke von Ai Weiwei oder Joseph Beuys in die Gotteshäuser bringt?

Berliner Dom, Leiko Ikemura, Der Schrei, 2016
Unter dem Titel „Sein.Antlitz.Körper“ sind in Berlins Gotteshäusern sind derzeit zahlreiche Kunstwerke zu sehen, hier etwa mit „Der Schrei“ von Leiko Ikemura im Berliner Dom.© Markus Schneider

Was sich seit Anfang März bis in den Herbst 2016 – Monat für Monat eine Eröffnung! – in Berlins Kirchen mit zeitgenössischer Kunst abspielt, verdient eine weitaus größere Aufmerksamkeit, als es die Bundeshauptstadt aufgrund ihres spärlichen kirchlichen Fassungsvermögens zulässt. Schon der damalige Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte dagegen protestiert, dass man seine Stadt die „schlimmste Heidenwüste“ nannte – und dies ausgerechnet im Vatikan, als man 2013 in Berlin den „Vorhof der Völker“, eine Initiative des früheren Papstes Benedikts XVI. zum „Gespräch mit den Heiden“, ausrichtete.

Derzeit zieht eine Kunstinitiative, ausgehend vom Berliner Dom, eine Spur des Staunens durch die Stadt. Organisatorisch mit dabei sind auch Katholiken und Juden, als Anführer gelten die Protestanten. Wenn man genau hinschaut, stimmt das zwar nicht ganz, aber der Kurator des Projekts engagiert sich nun einmal im preußisch-protestantischen Nachfolgekonkurrenzdom Roms Kaiser Wilhelms II. aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Und der durfte anno 2016 ziemlich frei agieren: Ein Mitglied der Gemeinde! Sein Name ist Alexander Ochs.

Nur wer bitte ist Ochs? Einer, der die Spitzenkunstwerke einfach so aus dem Ärmel schüttelt und damit die Kirchen beglückt? Was treibt einen Mann schon reiferen Alters an, Werke von Ai Weiwei, Joseph Beuys, Richard Long, Anna und Bernhard Blume, Leiko Ikemura, Adrian Paci, Helen Escobedo, Mona Hatoum und vielen weiteren in Gotteshäuser zu stellen? War im Vorjahr eine sich über das Jahr permanent wechselnde Ausstellung zum Thema „Du sollst dir kein Bildnis machen“ in der Tauf- und Hochzeitskirche des Berliner Doms quasi das Debut auf diesem Feld, so ist es anlässlich der Luther-Dekade nun die neun Orte umfassende Großausstellung „Sein.Antlitz.Körper. Kirchen öffnen sich der Kunst.“ Ochs war Galerist. „Er hat viel Geld gemacht und viel Geld verloren. Er weiß, wie die Kunstwelt tickt“, bekannte ein Besucher hinter vorgehaltener Hand bei der ersten Podiumsdiskussion zur Ausstellung im Berliner Dom. Alexander Ochs hatte seit 1997 mit dem Schwerpunkt China sein Geschäft gemacht. „Ich habe fast 20 Jahre Kunst für die Sammlerdepots gekauft, in der Hoffnung der Investoren, dass sich dort ihr Wert ins Unendliche steigert“, sagt Ochs. Seine Käufer sahen die Bilder nie, sie warteten nur auf die Wertsteigerung.

Sinnkrise eines Erfolgreichen also? Nicht ganz. Mit dem Format „Alexander Ochs Private“ wolle er die Idee des Kunstsalons wiederbeleben. Gut so, mehr von diesem protestantischen Kulturbewusstsein! Doch so richtig mischt er nun ausgerechnet die Kirchen auf, aus denen die Bilder ja einmal herausgeräumt worden waren. Dieser „Wiedereinzug“ ist bei Ochs kein Gag. Ochs ist auch stolz, wenn sich der nun wirklich nicht spirituell anmutende Berliner Dom ausgerechnet mit Taizè-Gesängen füllt. Man kann also nachvollziehen, dass ihm die Kirchenvorstände trauen. „Unser Spezifikum ist es, dass wir vor Kunst auch Gottesdienste halten“ – sagt der evangelische Galerist, nicht der evangelische Pfarrer. Der Gottseibeiuns also für andere, die der „autonomen Kunst“ das Wort reden. Mit einem klugen Netz an Kooperationspartnern hat Ochs zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden. In der Aufzählung des Kurators sind das „Künstler, Kuratoren, Musiker, Geistliche aller Konfessionen und Religionen, Besucher, Gäste, zufällige Passanten, Gläubige, Atheisten“. Diese vernetzt er an höchst unterschiedlichen Kirchenorten in Berlin.

Die sakralen Orte bilden auch die Unterabteilungen von „Sein.Antlitz.Körper“ und geben die jeweils ganz spezifische Färbung dieser Vernetzung ab. In St. Canisius macht er beispielsweise aus dem Architekturjuwel der allerjüngsten Zeit einen phantastischen Bilderraum: „Ecce homo? Ecce homo!“. In St. Marien werden unter dem Titel „Das Kopftuch der Migrantin/Ihr Kreuz tragen“ Assoziationen zwischen dem Tragen des Kreuzes einst und heute geweckt. Und in der Neuen Synagoge wird ein nüchterner Blick auf das Böse und auf das Gute in der Geschichte geworfen – Geschichtsphilosophie quasi: „The repetition of the good. The repetition of the bad“. Tiere, Ready Mades, das (Un-)Sichtbare, Reduktion, und eben das Sein, das Antlitz, der Körper sind weitere Themen der Kunstinseln dieses spirituell offenen, höchst gegenwartsbezogenen und zugleich den eigenen Wurzeln verpflichteten und gerade deshalb so vollkommen außergewöhnlichen Ausstellungsprojekts.

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