War es ein Jahrhundertereignis in der Geschichte der Orthodoxen Kirche, oder doch nur eine Episode auf dem langen Weg zu einem „Panorthodoxen Konzil“? Über diese Frage werden orthodoxe Theologen – und nicht nur sie – wohl noch lange streiten. Die „Heilige und Große Synode“ der Orthodoxen Kirche, die vom 19. bis 26. Juni 2016 auf Kreta getagt hat, bildet jedenfalls den bisherigen Höhepunkt eines jahrzehntelangen Prozesses, in dem die Orthodoxe Kirche byzantinischer Tradition um ihre Einheit und das gemeinsame Zeugnis gegenüber anderen Christen wie auch „der Welt“ gerungen hat und weiterhin ringt.
Nach der „Synaxis“, der Versammlung der Vorsteher aller 14 autokephalen orthodoxen Kirchen, im Januar 2016 im schweizerischen Chambésy schien der Einberufung eines „Panorthodoxen Konzils“ nichts mehr im Wege zu stehen (vgl. HK, März 2016, 25-28). Am 20. März 2016 – einem symbolträchtigen Datum, weil die Orthodoxe Kirche an diesem Tag den „Sonntag der Orthodoxie“ feierte, der jährlich zu Beginn der vorösterlichen Fastenzeit begangen wird – veröffentlichte Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel eine Enzyklika, in der er „gemäß der Übereinkunft aller Vorsteher der Heiligen Orthodoxen Kirchen“ zur „Heiligen und Großen Synode“ nach Kreta einlud. Alle Kirchen hatten daraufhin die Mitglieder ihrer Delegationen benannt; Hotels und Flüge wurden gebucht; eine offizielle Website des Konzils (www.holycouncil.org) wurde freigeschaltet und Journalisten wurden zur Akkreditierung eingeladen. Die organisatorischen Vorbereitungen liefen auf Hochtouren.
Gleichzeitig entbrannte eine intensive Debatte über die auf Beschluss der Synaxis vom Januar vorab veröffentlichten Textentwürfe für das Konzil. Manche orthodoxen Hierarchen und Theologen nahmen offenbar erst jetzt den Inhalt dieser Dokumente zur Kenntnis, deren erste Entwürfe schon seit den Achtzigerjahren bekannt waren. Insbesondere das „Ökumene-Papier“ stieß auf scharfe Kritik vonseiten orthodoxer Hardliner, denen die Rede von einer „Spaltung“ der Kirche, vor allem aber die Verwendung des Begriffs „Kirche“ für nichtorthodoxe christliche Gemeinschaften – einschließlich der katholischen Kirche – ein Dorn im Auge war. Auf der anderen Seite kritisierten „progressive“ orthodoxe Theologen, dass die wirklichen Herausforderungen, vor denen die Orthodoxe Kirche am Beginn des 21. Jahrhunderts stehe, gar nicht thematisiert würden. Den einen schienen die Textentwürfe zu „modernistisch“, den anderen zu „rückwärtsgewandt“. Das ließ kontroverse Debatten auf dem Konzil erwarten. Die gab es auch, allerdings anders, als bis etwa Mitte Mai gedacht.
Denn in der zweiten Maihälfte gaben plötzlich mehrere orthodoxe Ortskirchen bekannt, dass sie grundsätzliche Vorbehalte gegen bestimmte Aussagen in den Konzilsvorlagen beziehungsweise gegen die vereinbarte Geschäftsordnung hätten. Die georgische und die griechische Kirche und mit ihnen die Mönche vom Berg Athos forderten grundlegende Korrekturen am Dokument über die Beziehungen mit der übrigen christlichen Welt, während das serbische Patriarchat neben inhaltlichen Bedenken vor allem die Tatsache kritisierte, dass nicht alle Bischöfe zum Konzil eingeladen worden waren und die beteiligten Bischöfe nicht Repräsentanten ihrer Diözesen, sondern bloße Vertreter ihres Patriarchats (ohne eigene Stimme) seien.
Das Patriarchat von Bulgarien war dann am 1. Juni die erste Kirche, die eine Verschiebung der Synode forderte und damit drohte, andernfalls nicht zu erscheinen. Am 6. Juni gab das Patriarchat von Antiochien bekannt, dass seine Vertreter nicht am Konzil teilnehmen würden, sofern nicht zuvor der Streit mit dem Patriarchat von Antiochien hinsichtlich der Jurisdiktion über die orthodoxen Gläubigen im Emirat Katar beigelegt worden sei. Am 10. Juni beschloss der Heilige Synod der Georgischen Orthodoxen Kirche, keine Delegation nach Kreta zu entsenden. Weil auch das serbische Patriarchat zunächst seine Teilnahme an der Synode in Kreta abgesagt hatte und damit vier autokephale Kirchen fehlen würden, beschloss der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche am 13. Juni, dass auch die russische Delegation nicht nach Kreta reisen werde, weil aufgrund der Absagen kein einstimmiger Konsens mehr zu erreichen sei. Die serbische Kirche beschloss dann zwar am 15. Juni kurzfristig, ihre Delegation doch noch nach Kreta zu entsenden, aber trotzdem beteiligten sich damit letztendlich nur zehn der 14 autokephalen Kirchen an der „Heiligen und Großen Synode“. Wenn man bedenkt, dass die vier abwesenden Kirchen mehr als die Hälfte aller orthodoxen Bischöfe und fast zwei Drittel aller orthodoxen Gläubigen umfassen, war die Synode auf Kreta damit weit weniger repräsentativ als vorgesehen und kann wohl kaum als „gesamtorthodoxe Bischofsversammlung“ – wie man den Begriff „Panorthodoxes Konzil“ ins Deutsche übersetzen müsste – bezeichnet werden.
Dennoch hielten Patriarch Bartholomaios und die Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel fast stoisch daran fest, dass es sich um ein ebensolches Konzil handle und man gar nicht anders könne, als es gemäß den Beschlüssen der Synaxis vom Januar abzuhalten.
Es wäre indes zu simpel, wie vor allem von griechischer Seite kolportiert, die innerorthodoxen Differenzen auf den Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau zu reduzieren. Der Streit zwischen Antiochien und Jerusalem, bei dem es vordergründig nur um eine einzige Gemeinde mit einigen Hundert Gläubigen geht, hintergründig jedoch persönliche Interessen (der jetzige Patriarch von Jerusalem, Theophilos III., war selbst Pfarrer der Gemeinde in Katar) und das Ringen um Einnahmen und Einflusssphären eine große Rolle spielen, wurde von Patriarch Bartholomaios offenbar unterschätzt, denn sonst hätte er nicht vorgeschlagen, dieses Problem erst nach der Synode anzugehen, sondern es vorab zu lösen versucht. Andererseits hatte sich auch das Moskauer Patriarchat gründlich „verspekuliert“, falls es wirklich mit einem Scheitern des Konzils aufgrund der erfolgten Absagen gerechnet haben sollte.
Erfolg für Bartholomaios
Denn, so kann man im Rückblick konstatieren, die „Heilige und Große Synode“ auf Kreta war ein Erfolg – in erster Linie für Patriarch Bartholomaios, in zweiter Linie aber auch für alle beteiligten Kirchen. Die Beratungen auf Kreta verliefen insgesamt erstaunlich konstruktiv und die Synode war äußerst produktiv: Alle sechs Textentwürfe, auf die man sich im Januar verständigt hatte und die der Synode zur Beratung vorlagen, wurden von den 166 auf Kreta versammelten orthodoxen Bischöfen diskutiert, überarbeitet und – so zumindest der nach außen vermittelte Eindruck – im Konsens verabschiedet. Zusätzlich wurden eine „Botschaft“ des Konzils sowie eine „Enzyklika“ veröffentlicht, in denen die Synodenväter die zentralen Anliegen und Beschlüsse der Synode für die breitere Öffentlichkeit (in der Botschaft) sowie für eine theologisch gebildete Leserschaft (in der Enzyklika) darlegten.
Wie kommt es, dass die Synode nach der teils massiven Kritik im Vorfeld insgesamt doch recht erfolgreich verlaufen ist? Zum einen dürfte es an der geschickten Tagungsregie des Ökumenischen Patriarchen liegen, der auch die Kritiker zu Wort kommen ließ und die Geschäftsordnung des Konzils im Bedarfsfall großzügig handhabte. Zum anderen war es wohl die – lang vermisste – Erfahrung panorthodoxer Gemeinschaft, die nach Einschätzung von Konzilsteilnehmern zu einem (positiven) Stimmungswandel unter den versammelten Bischöfen beitrug. Trotzdem blieben einige Fragen, wie zum Beispiel eine angemessene Bezeichnung für nichtorthodoxe christliche Gemeinschaften, bis zum letzten Tag umstritten.
Wenn man auf den inhaltlichen Ertrag der Synode schaut, kann man also als positives Ergebnis festhalten, dass die vorab erarbeiteten Dokumente im Wesentlichen bestätigt wurden. Die Änderungen, die während der Synode an den Textvorlagen vorgenommen wurden, beziehen sich auf einzelne Passagen und Begriffe, während der Grundduktus beibehalten wurde. Nahezu unverändert wurden die Textvorlagen über „Die orthodoxe Diaspora“ sowie „Die Autonomie und die Methoden ihrer Erklärung“ verabschiedet. Bei den 2009 vereinbarten Regelungen zu den orthodoxen Bischofskonferenzen in der Diaspora wurde nur die ursprünglich vorgesehene einheitliche Bischofskonferenz für Nordamerika aufgeteilt in zwei Bischofskonferenzen, für Kanada und die USA (was de facto bereits zuvor erfolgt war), und im Artikel über die Kommissionen der Bischofskonferenz ergänzt, dass es auch eine Kommission für Fragen der Mission geben solle.
Auch in den Dokumenten über „Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse“ sowie „Die Bedeutung des Fastens“ gibt es nur wenige Änderungen gegenüber den Vorlagen. Im Ehepapier wurde die ursprünglich in einem eigenen Absatz stehende Aussage, dass jede autokephale Kirche über eine mögliche „Anwendung der Oikonomia“ entscheiden könne, in den Absatz über konfessionsverschiedene Ehen verschoben, wodurch seine Anwendung auf andere Fälle (dritte oder vierte Eheschließung sowie Trauung eines verwitweten Priesters) ausgeschlossen erscheint. Eine strengere Regelung wurde auch in das Dokument über das Fasten eingefügt, insofern jetzt davon die Rede ist, dass man vor dem Empfang der Kommunion eigentlich „drei oder mehr Tage“ fasten müsse und nur bei einem regelmäßigen Kommunionempfang eine Abstinenz ab Mitternacht ausreichend sei. Alle vier bislang genannten Dokumente heben jeweils gemeinsame Grundüberzeugungen hervor, weisen jedoch im Blick auf die konkrete Praxis letztlich jeder einzelnen autokephalen Kirche entscheidende Kompetenz zu. Sie unterstreichen die Gemeinsamkeiten, ändern jedoch nichts am Status quo.
Mit hohen Erwartungen war die Veröffentlichung des Dokuments über die Sendung (mission) der Orthodoxen Kirche in der heutigen Welt verbunden, insofern darin viele Themen, die das Verhältnis der Orthodoxie zur Moderne betreffen, erstmals angesprochen werden sollten. Auch hier haben die Konzilsväter die Vorlage weitgehend übernommen. Nur in die Einleitung wurde ein neuer Absatz eingefügt, der unter Bezugnahme auf den „Missionsbefehl“ (Mt 28,19) die Verkündigung des Evangeliums als „eine zeitübergreifende Aufgabe der Kirche“ beschreibt. Bemerkenswert sind die beiden letzten Sätze dieses neuen Abschnitts: „Dies darf nicht aggressiv oder durch verschiedene Weisen des Proselytismus geschehen, sondern in Liebe, Demut und Respekt vor der Identität eines jeden Menschen und der kulturellen Besonderheit eines jeden Volkes. Zu diesem missionarischen Auftrag müssen alle orthodoxen Kirchen beitragen.“
Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man darin die Stimme von Metropolit Anastasios (Yannoulatos) wiedererkennt, dem Ersthierarchen der Orthodoxen Kirche von Albanien, auf den auch die „Botschaft“ der Synode im Wesentlichen zurückgeht. Das Dokument, dessen Titel in der offiziellen deutschen Fassung mit „Der Auftrag der Orthodoxen Kirche in der heutigen Welt“ übersetzt wurde, setzt bei der Anthropologie an: Die ersten beiden Kapitel gehen auf den „Wert der menschlichen Person“ und das Verhältnis von „Freiheit und Verantwortung“ ein. Die drei folgenden Kapitel über „Friede und Gerechtigkeit“, die „Abwendung des Krieges“ und die Verurteilung jeglicher Art von Diskriminierung spiegeln noch deutlich den Kontext der Achtzigerjahre wider, in denen der erste Entwurf für diesen Text entstand. Aktuelle Bezüge lassen sich vermuten, wenn Kriege verurteilt werden, „die aus Nationalismus entfacht werden und zu ethnischen Säuberungen, zu Grenzveränderungen und zu territorialen Besetzungen führen“ (IV.3).
Das sechste und längste Kapitel geht auf das „dienende Zeugnis der Liebe“ als Aufgabe der Orthodoxen Kirche ein. Es unterstreicht das vielfältige Engagement orthodoxer Christen im sozialen Bereich, geht auf die massenhaften Migrationsbewegungen, die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen sowie den Kampf gegen Hunger und jede Form von Armut ein. Die Synodenväter betonen „das Prinzip der Solidarität aller Menschen“, kritisieren die konsumorientierte Lebensweise vieler Menschen und beobachten mit Sorge, dass sich die Massenmedien immer mehr „zum Sprachrohr der Verbreitung des Konsumismus und der Unmoral“ entwickeln. Als Folgen der „Gier nach Befriedigung materieller Bedürfnisse“ werden die ökologische Krise und das Versiegen der natürlichen Ressourcen benannt. Angesichts dessen appelliert die Synode, die Schöpfung Gottes zu bewahren, und ruft „die Tugenden der Genügsamkeit und der Enthaltsamkeit“ ins Gedächtnis. Im Blick auf die wissenschaftliche Forschung, vor allem im Bereich der Biotechnologie, werden die „ethischen Dilemmata“ benannt, vor denen die Menschheit angesichts manch ambivalenter Forschungsergebnisse steht.
Das Dokument über „Die Beziehungen der Orthodoxen Kirche mit der übrigen christlichen Welt“ schließlich legt in einem ersten Teil (Nr. 1-8) allgemeine Prinzipien des orthodoxen Engagements in der Ökumene dar, geht im zweiten Teil (Nr. 9-15) auf die bilateralen Dialoge der Orthodoxen Kirche ein, beschreibt in einem dritten Teil (Nr. 16-21) die Position der Orthodoxen im Rahmen der multilateralen Ökumene, bevor es im Abschlussteil (Nr. 22-24) vor Fehlformen warnt, aber zugleich Offenheit für neue Formen ökumenischer Zusammenarbeit signalisiert. Besonders umstritten war in diesem Text die Bezeichnung der nichtorthodoxen Kirchen und Gemeinschaften. Erst am letzten Sitzungstag gelang es, hier zu einem Kompromiss zu finden, der darin besteht, dass „die Orthodoxe Kirche den historischen Namen anderer nichtorthodoxer christlicher Kirchen und Konfessionen akzeptiert“ (Nr. 6). Um denjenigen entgegenzukommen, die Vorbehalte gegenüber der Beteiligung der Orthodoxen Kirche an ökumenischen Dialogen haben, wurde der Satz eingefügt: „Bilaterale und multilaterale Dialoge bedürfen von Zeit zu Zeit einer Bewertung auf panorthodoxer Ebene“ (Nr. 9).
Zugleich unterstreicht das Dokument, dass die Dialoge auch fortgesetzt werden, wenn einzelne autokephale Kirchen sich nicht beteiligen. Nur ein gemeinsamer, panorthodoxer Beschluss könne einen Dialog für beendet erklären. Im Abschnitt über die multilaterale Ökumene werden die Idee der „Gleichheit der Konfessionen“ sowie die Vorstellung, dass die Einheit durch einen „interkonfessionellen Kompromiss“ wiederhergestellt werden könnte, klar abgelehnt (Nr. 18). Darüber hinaus wurde gegenüber der Vorlage das Zitat aus der „Toronto-Erklärung“ (zum Selbstverständnis des ÖRK) im endgültigen Text noch um folgenden Passus erweitert: „Keine Kirche ist verpflichtet, beim Eintritt in den Rat ihre Ekklesiologie zu ändern. (…) Darüber hinaus bedeutet die Tatsache der Zugehörigkeit zum Rat nicht, dass jede Kirche verpflichtet ist, die anderen Kirchen als Kirchen im vollen und wahren Sinn des Begriffs zu betrachten“ (Nr. 19).
Diese Ergänzung ist, ebenso wie der Zusatz im folgenden Abschnitt, dass man nicht allen Aussagen in den Dokumenten über Fragen des Glaubens und der Kirchenverfassung zustimmen könne, „da die nichtorthodoxen Kirchen und Konfessionen vom wahren Glauben der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche abgewichen sind“ (Nr. 21), als ein Zugeständnis an die Gegner des ökumenischen Dialogs innerhalb der Orthodoxen Kirche zu verstehen. Am Ende stellt sich der ökumenisch interessierte Leser die Frage, wie die Orthodoxe Kirche diesen Spagat zwischen Dialogbereitschaft und Verweigerung jeder Form ekklesialer Anerkennung auf Dauer aushalten will.
Die Botschaft der Synode
Vielleicht bietet hier die „Enzyklika“ der Synode einen Ausweg. Dabei handelt es sich um einen – im Unterschied zur „Botschaft“ – theologisch tiefer gehenden Text, der zahlreiche Bibel- und Kirchenväter-Zitate enthält und sich in sieben Kapiteln mit dem orthodoxen Kirchenverständnis, dem Menschenbild und den Herausforderungen der Gegenwart befasst. Da die Enzyklika, deren Text in der Woche vor dem Konzil von einer interorthodoxen Arbeitsgruppe unter Leitung von Metropolit Emmanuel (Adamakis) erstellt wurde, die Anliegen der Synode zusammenzufassen versucht, enthält sie viele inhaltliche Überschneidungen mit den sechs thematischen Konzilsdokumenten. Die Ausführungen der Enzyklika wirken dabei oft überzeugender, weil in sich konsistenter, als die zum Teil über Jahrzehnte gewachsenen, immer wieder redigierten Konzilsdokumente.
Aus ökumenischer Sicht ist das erste Kapitel der Enzyklika von besonderer Bedeutung, weil es sich mit der Ekklesiologie befasst und damit ein Thema aufgreift, das in den anderen Dokumenten nicht ausreichend reflektiert wird. Diese Lücke vermag die Enzyklika vielleicht nicht ganz zu füllen, sie skizziert aber zumindest in groben Zügen, wie die Orthodoxe Kirche sich heute selbst versteht. Das gilt auch für ihre Verhältnisbestimmung zur einen Kirche Jesu Christi. Diesbezüglich enthält Paragraf 2 der Enzyklika eine bemerkenswerte Formulierung: „Die Orthodoxe Kirche, die dieser einmütigen apostolischen Tradition und sakramentalen Erfahrung treu bleibt, stellt die authentische Fortsetzung der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche dar, wie dies im Symbolon des Glaubens bekannt wird und in den Lehren der Väter bestätigt wird.“ Der Begriff „authentische Fortsetzung“ vermeidet eine exklusivistische Identifizierung der Orthodoxen Kirche mit der Kirche Jesu Christi und lässt Raum für theologische Reflexionen über den ekklesiologischen Status der anderen christlichen Kirchen. Sicher darf die Bedeutung dieser Wortwahl nicht überschätzt werden, aber sie weist in eine Richtung, in die auch die katholische Ekklesiologie mit dem subsistit in in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils gegangen ist.
Insgesamt bieten die Dokumente des Konzils einen authentischen Einblick in die orthodoxe Theologie und Kirche der Gegenwart. Der Vergleich der verabschiedeten Dokumente mit den Textvorlagen lässt erkennen, dass die Synodenväter bemüht waren, die im Vorfeld genannten Kritikpunkte zu berücksichtigen. Das gilt auch für die inhaltlichen Bedenken, die von den auf Kreta nicht anwesenden Kirchen geäußert worden waren. Insofern kann man hoffen, dass sie die Beschlüsse von Kreta nicht rundweg ablehnen. Die Reaktion des Patriarchats von Antiochien stimmt diesbezüglich skeptisch: Bereits am Tag nach dem Abschluss des Konzils erklärte die „Heilige Synode“ des Patriarchats, dass sie die Versammlung auf Kreta als ein „Vorbereitungstreffen“ auf dem Weg zu einem Panorthodoxen Konzil betrachtet und die verabschiedeten Dokumente nicht als endgültig und bindend bewertet.
Der „Heilige Synod“ des Patriarchats von Moskau reagierte ebenfalls zurückhaltend, aber insgesamt aufgeschlossener: Bei seiner Sitzung am 15. Juli 2016 würdigte er die Synode von Kreta als „ein wichtiges Ereignis in der Geschichte des konziliaren Prozesses in der Orthodoxen Kirche“, unterstrich aber ebenfalls, dass ihren Beschlüssen keine panorthodoxe Verbindlichkeit zukomme. Die Biblisch-Theologische Kommission des Moskauer Patriarchats wurde beauftragt, die Dokumente von Kreta „nach Erhalt der offiziellen Kopien“ zu studieren und das Ergebnis dem Synod zur Beratung vorzulegen. Damit ist der Weg zu einer nachträglichen Rezeption der Dokumente seitens der russischen Kirche zumindest nicht verschlossen.
Die „Botschaft“ des Konzils enthält die Aussage, dass die „Heilige und Große Synode“ ein reguläres Gremium werden solle, das „alle sieben oder zehn Jahre einzuberufen“ sei. Wenn es wirklich dazu käme, würde das auf lange Sicht nicht nur die Einheit der Orthodoxen Kirche stärken, die zu demonstrieren das erklärte, aber verfehlte Ziel der Synode von Kreta war, sondern auch den auf Kreta nicht beteiligten Kirchen einen Weg eröffnen, sich wieder in die gesamtorthodoxen Beratungsorgane einzuklinken. „Das nächste Heilige und Große Konzil kommt“ – darin liegt für Metropolit Augoustinos, den Vorsitzenden der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, das „wichtigste Ergebnis“ der Synode von Kreta, wie er im Interview mit der „Katholischen Nachrichten-Agentur“ sagte. Der bekannte Spruch gilt also nicht nur für den Fußball, sondern – wie uns die Kirchengeschichte lehrt – auch für Synoden: Nach dem Konzil ist vor dem Konzil!