Bereits bei der ersten Hochrechnung war klar, dass der neue österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen heißen wird. Der Vorsprung war so groß, dass es daran nichts zu deuteln oder zu rütteln gab. Nach dem langen, fast einjährigen Wahlkampf, nach den Prognosen der Meinungsforscher, die bestenfalls ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt hatten, nach den siegessicheren Posen der FPÖ in den Wochen vor der Wahl war die Klarheit am späten Nachmittag des Wahlsonntages für viele wie eine Erlösung.
Wir Österreicher hatten also nochmals „die Kurve gekratzt", mit einigen Schrammen zwar, aber doch. Als die FPÖ sehr rasch kundtat, dass sie keinen Grund sieht, die Wahl erneut anzufechten, ging ein Aufatmen durch unser Land. Zu lange schon hatte dieser Spuk gedauert; er hatte nicht nur die Fernsehprogramme dominiert, sondern auch die Tischgespräche in der eigenen Familie. Und dabei war es in unserem normalerweise so gemütlichen Österreich ziemlich zur Sache gegangen. Eine Welle der Politisierung war durch unser Land geschwappt, der sich fast niemand entziehen konnte.
Fragt man nach den Ursachen für diese so emotionale Bundespräsidentenwahl, so liegen diese vermutlich nicht in der Bedeutung des Amtes selbst. Denn dieses hat in Österreich kein allzu großes politisches Gewicht. Es sei denn, das Ergebnis der nächsten Nationalratswahl ließe bei der Regierungsbildung mehrere Varianten zu. Dann könnte die Präferenz des Bundespräsidenten die Bildung der neuen Regierung durchaus beeinflussen. In diesem Falle wäre für die FPÖ ein Parteigänger Norbert Hofer in der Hofburg sicherlich von Vorteil gewesen. Aber davon abgesehen ist der Bundespräsident eher eine moralische Instanz, dessen Aufgabe es ist, das Ansehen Österreichs im Ausland wie im Inland zu stärken.
Für diese Aufgabe standen sich nun zwei Kandidaten im Wahlkampf gegenüber, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Und damit sind nicht nur die Äußerlichkeiten gemeint: der ältere, mit seinen Bartstoppeln etwa struppig wirkende Van der Bellen gegen den jungen, stets glatt rasierten Hofer. Ersterer stets nachdenklich, manchmal fast mürrisch, letzterer freundlich, ein Dauerlächeln auf den Lippen. Unterschiede nicht nur im Auftreten, sondern auch bei jedem Talk. Der Ältere kommt bei Diskussionen nur mühsam in Schwung, differenziert, ringt um Genauigkeit. Der Jüngere ist eindeutig der Eloquentere, er plaudert mühelos darauf los, er kontert geschickt und inszeniert sich bestens im Rampenlicht.
Dass dabei manch Beunruhigendes wie „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist" über seine Lippen kommt, wird einfach weggelächelt. Doch auch Hofers Lächeln kennt Grenzen. Beim letzten Fernsehduell der beiden kommt nämlich ganz plötzlich ein anderer Hofer zum Vorschein: Aggressiv bezichtigt er 24-mal sein Gegenüber der Lüge. Wurde hier die Maske zugunsten einer Offensiv-Strategie à la Donald Trump fallen gelassen? Jedenfalls beginnen sich viele zu fragen, wer denn nun der wahre Hofer sei, der Lächler oder der Angreifer?
Doch nicht nur in der „Verpackung" haben die beiden wenig gemein, auch ihre Inhalte könnten nicht unterschiedlicher sein. Van der Bellen steht für ein offenes Österreich, das eine proaktive Rolle in Europa spielt und seine Verantwortung innerhalb der EU wahrnimmt. Hofer sucht in einem Nationalismus und in der Abschottung Österreichs das Allheilmittel. Seine Freunde im Ausland sind Politiker am rechten Rand wie Marine Le Pen, Viktor Orbán, Geert Wilders. Sie alle sehen in Hofer einen Garanten für einen weiteren Aufstieg der Rechten.
Angesichts dieser Richtungswahl überrascht es nicht, dass die gebildeten, weltoffenen, urbanen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes für Van der Bellen gestimmt haben, während viele der weniger Gebildeten, die auch vielfach die Verlierer der Globalisierung sind oder sich zumindest dafür halten, ihre Stimme Hofer gegeben haben. Laut FPÖ hätten zudem die Van der Bellen-Wähler aus Angst (!) Hofer verhindert. Wählerstromanalysen zeigen jedoch, dass die Ängstlichen und Pessimisten im Lager Hofers anzutreffen sind, während die Optimisten für den pro-europäischen Kurs Van der Bellens gestimmt haben.
Und wo haben wir Christen uns eingeparkt? Wir wissen es nicht, aber ich behaupte: teils, teils. Keiner der beiden Kandidaten war für uns Christen die Idealbesetzung. Zwar hat sich Hofer als der bessere Christ inszeniert, bei der Umsetzung christlicher Werte wie Offenheit, Toleranz, Menschenwürde, Achtung der Frau, Solidarität, Aufnahme von Migranten ist aber die größere Glaubwürdigkeit auf Van der Bellens Seite.
Man darf daher durchaus annehmen, dass viele Christen jenen politischen Vertretern eine klare Absage erteilt haben, die Gräben aufreißen, Verantwortung primär als Selbstschutz interpretieren, Parteiinteressen vor das Gemeinwohl stellen und Zäune zum Schutz vor Migranten errichten wollen.
Ob und in welchem Ausmaß sich Van der Bellen für christliche Werte stark machen wird, bleibt abzuwarten. Den ersten Schritt hat er aber bereits gemacht, indem er all jenen, die ihn nicht gewählt haben, die Hand gereicht hat. Er hat dazu aufgerufen, die Gräben des Wahlkampfes zu überwinden und gemeinsam die Probleme im Land anzupacken. Seine Einladung war ehrlich, charmant und typisch österreichisch. Unser Bundespräsident hat zum Walzertanzen aufgefordert und gemeint, das könne man nicht allein, dazu brauche es einen Zweiten. Ob wir Österreicher noch Walzer tanzen können? Es muss ja nicht ausschließlich der Linkswalzer sein, auch rechts ist auf dem politischen Parkett durchaus erlaubt. Allerdings nur solange die Partner nicht abdriften und im rechten Eck landen.