Er ist ein Heiliger. Das heißt nicht, dass er ein guter Mensch ist", erklärt Schwester Mary (Diane Keaton), die Erzieherin und Vormund des neuen Papstes war. Und tatsächlich buchstabiert die Sky-Serie „The young pope" die Attribute „gut" und „heilig" an dem Protagonisten Papst Pius XIII. (Jude Law) neu durch. Der junge Lenny Belardo wird als erster Amerikaner zum Papst gewählt und soll die Brücke zwischen den Progressiven und den Konservativen innerhalb der katholischen Kirche schlagen. Doch das neue Kirchenoberhaupt erfüllt diese Funktion in keinster Weise.
Regisseur Paolo Sorrentino zeichnet das Bild eines Papstes, der seinen Körper durch Fitnessübungen stählt, der zum Frühstück nur eine „Cherry Coke Zero" trinkt und Kettenraucher ist. Dieser Papst ist gutaussehnd, er erstrahlt stets in Weiß und will den Gläubigen dennoch sein Antlitz nicht zeigen. Pius XIII. inszeniert sich göttlich und unerreichbar. In narzisstischer Attitüde á la Dorian Grey täuscht das hübsche und zarte Gesicht jedoch nicht über die harten und konservativen Einstellungen dieses Papstes hinweg. Von einem menschenfreundlichen, gar pastoralen Wesen ist in den ersten Folgen der zehnteiligen Serie nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Hoffnung des Kardinalkollegiums, in dem jungen Papst einen fügsamen Repräsentanten zu gewinnen, wird spätestens mit seiner ersten Homilie erschüttert. Der „unsichtbare Papst" lässt seine drohende Stimme nur aus dem Dunkeln wirken: „Was haben wir vergessen? Wir haben Gott vergessen, ihr habt Gott vergessen! Ich werde euch nie nahe sein, weil ich näher an Gott bin und jeder allein vor Gott steht. Ohne Gott wäret ihr tot." Diese Sätze werden von einem spontan auftretenden Gewitter über dem Petersplatz gekrönt.
Über Dramatik und Bedeutung der Rede erfährt der Zuschauer durch die folgende Szene, in der der Kardinalstaatssekretär Voiello (Silvio Orlando) in den Armen eines schwerbehinderten Jungen weint: „Gott bitte hilf mir, alles Böse zu sühnen um die Kirche zu retten." Nur Schwester Mary glaubt weiterhin an die Heiligkeit dieses Papstes, der einen Machtanspruch erhebt, der die schlimmsten Befürchtungen zu übersteigen scheint. Pius XIII. lässt die Tiara, das kirchliche Symbol der Macht, aus Washington zurückholen, er lässt sich auf der Sedia gestatoria in die Sixtinische Kapelle tragen und fordert die Kardinäle zum Fußkuss auf. Für die Gemeinschaft der Gläubigen hat der neue Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes noch drastischere Folgen: Homosexuelle sollen aus der Kirche ausgeschlossen und Abtreibungen nicht mehr vergeben werden.
Sorrentinos Serie weist hier einen prophetischen Zug auf: Auf ein progressives Oberhaupt folgt ein konservativer Führer; auf Barack Obama folgt Donald Trump; auf Franziskus folgt Pius XIII.? Doch entzieht sich die Serie jeglicher einordnenden Interpretation. Wortgewaltige Dialoge und ins Absurde driftende Szenen unterbrechen die erzählerische Harmonie. Da wäscht sich der afrikanische Kardinal die Hände im Bidet, da hüpft ein Kängeruh durch die vatikanischen Gärten und die Nonnen spielen Fussball.
Erst nach mehreren Folgen lässt sich eine Geschichte hinter den Zitaten, Bildern und Traumszenen erahnen: Papst Pius XIII. entwickelt sich. Er, der einst Waisenkind war, stößt an seine Grenzen. Sein spiritueller Vater stirbt, sein bester Freund wird ermordet und die Menschen wenden sich von der Kirche ab. Der Papst alias Lenny wird menschlicher, stellenweise entwickelt sich so etwas wie Sympathie mit dem Protagonisten. Der Papst ist in seiner äußeren Unfehlbarkeit innerlich voller Selbstzweifel. Nicht selten spricht er davon, dass er nicht an Gott glaubt. Gleichzeitig kann er über das Gebet zu Gott Wunder wirken. Er ist tatsächlich eine Art Heiliger, denn schon als Kind konnte er eine Frau im Sterbebett heilen.
Am Ende der Serie hört Pius XIII. auf, sich hinter sakraler Unnahbarkeit zu verstecken, sondern beginnt, sich den Menschen zuzuwenden. Er fährt sogar auf eine Pastoralreise nach Afrika. Das macht ihn menschlicher. Die Attribute „heilig" und „gut" scheinen sich in der persönlichen Entwicklung des Papstes einander anzunähern. Letztlich gelangt der Papst auch in seiner Morallehre zu einem weicheren Standpunkt und stellt den homosexuellen Kardinal Bernado als seinen Privatsekretär ein. In der Dramaserie „The young pope" schafft es der Regisseur Sorrentino, den Zuschauer mitzunehmen auf den Weg der Entwicklung des Papstes und der katholischen Kirche. Das Nachdenken über Heiligkeit und Güte, Göttlichkeit und Menschlichkeit ist mit Ende der Serie und dem Tod des fiktiven Papstes Pius XIII. aber nicht beendet.