Herr Professor Rosa, Ihr umfangreiches Werk „Resonanz“ ist der Versuch, eine Soziologie des guten Lebens zu schreiben. Was läuft denn so schief, dass man über das gute Leben intensiver als bisher nachdenken muss?
Rosa: Wenn wir glauben, dass wir uns das nicht mehr leisten könnten, wäre das Anzeichen für eine Krise. Meine Kurzdiagnose lautet: Leben gelingt, wenn es in Resonanzbeziehungen gelebt werden kann. Gegenwärtig haben wir gesellschaftliche Strukturen etabliert, die uns einen verdinglichenden Modus der Welt gegenüber aufzwingen. Wir wollen alles technisch und ökonomisch verfügbar und politisch beherrschbar machen. Wir müssen ständig wachsen und sind zu permanenten Steigerungsleistungen gezwungen, um unseren Status quo verteidigen zu können. Letztlich geht es dabei darum, die Steigerung zu erhalten: Wenn wir nicht zulegen, können wir nicht bewahren, was wir sind.
Vor über zehn Jahren sind Sie bekannt geworden, weil Sie auf die Schattenseiten der von Ihnen analysierten Beschleunigungsgesellschaft aufmerksam gemacht haben. Inwiefern antwortet der Ansatz von „Resonanz“ auf Ihre damalige Diagnose?
Rosa: Ich sage nicht, dass Tempo oder Beschleunigung per se schlecht sind. Sie sind es dann, wenn sie zur Entfremdung führen. Deshalb war ich immer unglücklich damit, dass man mir die Rolle eines Entschleunigungsgurus oder gar -papstes zugedacht hat, als ob ich sagen wollte, man müsse einfach langsam machen. Einfach nur Langsamkeit ist aber kein attraktives Ziel und auch nicht die Lösung. Heute spreche ich deshalb lieber von Dynamisierung als eigentlichem Problem. Erst wenn die Steigerung zu einem unhinterfragten Zwang wird, wird sie problematisch. Das gilt vor allem dann, wenn sie es uns nicht mehr erlaubt, uns etwas anzuverwandeln. Ich muss mit Dingen und mit Menschen so in Kontakt kommen können, dass ich mich durch die Begegnung verändern kann. Ein gutes Leben ist ein Leben, das in Bezogenheit auf etwas da draußen geführt wird. Das können Menschen sein, das kann die Natur oder ein Moment von ihr sein, das kann auch Gott sein.
Entfremdung ist also keinesfalls nur ein Begriff mit Blick auf das Wirtschaftsleben?
Rosa: Man kann nicht nur bei der Arbeit Entfremdung erfahren. Das geht genauso in der Familie, wenn man sich morgens beim Frühstück fragt, was man mit diesen Anderen eigentlich zu schaffen hat – außer, dass man vielleicht für sie sorgen muss. Diese Entfremdungserfahrung gibt es nicht, wenn ich Resonanzerfahrungen mache: wenn ich mit den Anderen so verbunden bin, dass nicht nur ich die Anderen erreiche, sondern auch sie mich erreichen – mit dem, was ihnen wichtig ist. In diesem Sinne müssen wir nach den Bedingungen suchen, angesichts derer ein resonantes In-der-Welt-Sein möglich ist. Von daher ergibt sich ein Kompass, wie man soziale Verhältnisse besser strukturieren und Gesellschaft damit verändern kann. Denn der dynamischen Stabilisierung, die ich beklage, entspricht ein kulturelles Programm der Weltreichweitenvergrößerung. Dahinter liegt die Hoffnung, dass unser Leben sowohl individuell wie kollektiv besser wird, wenn wir mehr Weltausschnitte verfügbar und kontrollierbar machen. Das ist der Erfolg des Smartphones wie der gesteigerten Verkehrsmobilität. Das ist letztlich auch die Attraktivität von Geld, weil Reichtum mehr Möglichkeiten schafft. Mehr Resonanz ist an dieser Stelle ein Ersatz für die Weltreichweitenvergrößerung.
Dynamisierung scheint ein markantes Kennzeichen der Moderne zu sein. Sind aber nicht auch die Resonanzkompetenzen der Menschen in vergangenen Jahrhunderten gleichermaßen gewachsen?
Rosa: Einmal ganz abgesehen davon, dass schon frühere Gesellschaften gewachsen sind: Als ich begonnen habe, das Buch zu schreiben, hatte ich tatsächlich als Ausgangsthese, dass wir die Weltreichweite zwar gesteigert, aber die Resonanzfähigkeit eingebüßt oder verloren haben. Das ist aber kein komplementäres Verhältnis. Die Resonanzsensibilität, vielleicht sogar die Resonanzfähigkeit, steigt auch. Die für mich entscheidenden, von mir so genannten Resonanzachsen, etwa das Naturerleben, entstehen sogar erst in der Moderne. Literarisch wäre hier etwa auf den Sturm und Drang oder dann auf die Romantik zu verweisen. Dass die Natur das ganz Andere sein kann und die Kunst oder die Musik bis in die Alltagspraxis hinein zu einer zentralen Resonanzsphäre geworden sind, ist eine moderne Entwicklung. Oder man denke an die Sicht von Liebes- oder auch Eltern-Kind-Beziehungen: als Beziehungen, die wechselseitige Entwicklung ermöglichen. Und was definitiv steigt, ist das Resonanzverlangen.
Inwiefern?
Rosa: Letztlich wird wohl auch die Steigerung der Reichweite von der Sehnsucht nach Resonanz angetrieben: weil wir immer die Hoffnung haben, dass wir anderswo das eigentlich Erfüllende finden. Die daraus resultierende Verdinglichungshaltung führt zu einer Spannung: Im Arbeitsalltag sind wir zu einer stummen Weltbeziehung gezwungen, um so schnell und effizient wie möglich zu agieren, während wir am Freitagabend im Konzert, am Samstag im Wald oder am Sonntag im Gottesdienst ganz in Resonanz mit uns und der Welt treten wollen. In diesem Auseinanderfallen der Sphären liegt das Problem unserer Gesellschaft. Grund hierfür ist auch das Freiheitskonzept der Moderne.
Ist der Begriff Freiheit als zentrales Konzept der Moderne damit obsolet geworden?
Rosa: Ich will diesen Begriff nicht aufgeben, aber relativieren. Resonanzbeziehungen sind immer zweiseitig. Ich will etwas erreichen, aber auch erreicht werden. Zwei Elemente sind miteinander in Resonanz, wenn sie fähig sind, sich in Schwingung zu versetzen und berühren zu lassen. Ich muss das Gefühl haben, dass mir etwas begegnet, dass ich – um mit Bruno Latour zu sprechen – einen Anruf erfahre. Er kommt nicht nur aus mir oder von mir. Das ist ein dialogisches Geschehen: Ich muss erfahren, dass ich von etwas angerufen werde und das als eigenständige Wertquelle wahrnehme. Da ist etwas, das mir etwas zu sagen hat. Resonanz ist die Idee, dass da etwas eigenständig spricht, etwas zu sagen hat und deshalb wichtig ist. Wenn ich das ignoriere, ist das zu meinem Schaden. Für eine solche Erfahrung muss man nicht zwingend religiös sein. Manche machen diese Erfahrung in der Natur, ob im Wald oder in der Wüste.
Welche Rolle spielt die menschliche Autonomie?
Rosa: Natürlich ist Autonomie wichtig, weil Menschen nur so eine eigene Stimme entwickeln können. Andernfalls kann ich gar nicht resonant werden. Gerade Frauen wurde das in der Geschichte oft verwehrt. Ähnlich gilt im Falle der Homosexualität, dass niemand sagen kann, wie er zu lieben hat. Auch in Bildungsprozessen darf man Kindern bekanntermaßen nicht einfach etwas eintrichtern, weil sie dann nie eine eigene Meinung entwickeln können. Aber Resonanz verlangt auf der anderen Seite auch, dass starke Werte im Sinne von Charles Taylor erfahren werden. Das Autonomiekonzept sieht deshalb nur die eine Hälfte der Resonanz. Das alleinige Streben nach Autonomie kann am Ende das gute Leben auch verhindern.
Braucht es demgegenüber also mehr eine Art Philosophie der Achtsamkeit?
Rosa: An dieser Stelle bin ich ambivalent, weil Achtsamkeit ein so großer Modebegriff ist. Es ist natürlich kein Zufall, dass das so ist, weil Menschen den Dingen anders begegnen wollen als im Verdinglichungsmodus. Insofern habe ich da durchaus Sympathie. Wichtig ist schon, dass ich überhaupt in der Lage bin zu hören, um dann auch zu antworten. Es geht um das Hören und Antworten und nicht um das Beherrschen und Verfügen. Das ist auch Ziel der Achtsamkeitsbewegung. Sie erliegt allerdings einer individualistischen Verengung, wenn sie die Schuld allein beim Individuum sucht, weil es die falsche Geisteshaltung an den Tag legt. Es ist nicht nur alles eine Frage des Subjekts, des richtigen Mindsets, der richtigen Meditationstechnik oder der richtigen Strategie zur Stressminimierung. Das wäre die komplette Entpolitisierung. Daneben kommt es zur universalistischen Überdehnung, wenn gefordert wird, man müsse allem und jedem achtsam begegnen. Manche Formen des Buddhismus sind da problematisch. Wenn es um Resonanz geht, kann nicht alles und jedes das Gegenüber sein. Denn angesichts dieser Unbestimmtheit würde ich am Ende meine Stimme und damit auch meine Antwortfähigkeit verlieren.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Rosa: Es gibt zwei Formen entfremdeter Weltbeziehungen. Bei der einen habe ich das Gefühl, nichts berühre mich, aber ich erreiche auch niemanden – die anderen sind für mich gar nicht da. Gerade diese erste Form ist in der Politik derzeit zu beobachten. Menschen haben das Gefühl, dass sie nicht gesehen werden. Bei der anderen fühle ich mich total bedroht oder angegriffen und wehre mich dagegen. Gewalt ist dann der Versuch der Kontaktaufnahme.
Theologen haben genau mit Blick auf diesen Punkt kritisiert, dass Sie negative Aspekte wie die Faszination des Destruktiven zu sehr ausblenden. Müsste man die Objekte von Resonanz nicht stärker differenzieren, weil Resonanz ansonsten zu harmonisch gedacht wird?
Rosa: Wahrscheinlich ist an dieser Kritik etwas dran, weil ich ein positives Menschenbild zugrunde lege. Aus meiner Sicht ist das Verweigern von Resonanz eine Pathologie und liegt nicht in der Natur des Menschen. Was ist, wenn jemand Resonanz beim Quälen empfindet? Ist nicht auch Hass eine Art von Resonanzbeziehung? Über solche Probleme muss man tatsächlich eingehend diskutieren und ich habe beschlossen, dass ich das noch weiter ausarbeiten muss. Meine These lautet, dass man es bei Gewaltbeziehungen immer mit einem Moment der Schließung zu tun hat, die gerade nicht resonant ist. Ich will den andern dann nicht hören und ich will mich auch nicht erreichen und berühren lassen. Ich will dem anderen meinen Willen aufzwingen. Das ist eine andere Haltung, als hören und antworten zu wollen. Letztlich ist das die Verwechslung von zwei Formen der Selbstwirksamkeit. In resonanten Beziehungen verändere ich mich dadurch, dass ich in diesem offenen Prozess andere erreiche. Bei Gewalterfahrungen will ich mich vollständig durchsetzen und selbst gar nichts spüren. Da kommt aber auch kein Austauschprozess in Gang. Letztlich ist das ein pathologisches Weltverhältnis. Kein Mensch würde schließlich ein hasserfülltes Leben als ein gutes Leben ansehen.
Leben wir denn mit allen so auf Augenhöhe, dass wir wechselseitig resonante Beziehungen eingehen können? Was heißt das für gesellschaftlich Marginalisierte, die dazu aus unterschiedlichen Gründen oft genug nicht in der Lage sind?
Rosa: Es geht bei dieser Frage darum, was eigentlich Helfen bedeutet. Natürlich haben wir auch mit Menschen zu tun, die wenig oder keine Resonanzerfahrungen machen – gerade aus dem Grund, dass sie sich nicht als selbstwirksam verbunden erleben. Wie kann man jemandem helfen, der nicht-resonant in die Welt gestellt ist? Meine These ist: nicht mit Argumenten und auch nicht einfach mit Wohltaten, sondern indem man ihm oder ihr Erfahrungen von Selbstwirksamkeit ermöglicht – etwa dadurch, dass man sich durch ein Lächeln oder zumindest einen Blick auch wirklich erreicht fühlt. Wenn ich jemanden mit Geschenken überhäufe, muss er noch keine Selbstwirksamkeitserfahrung machen. Wichtig ist die Botschaft: Was du sagst und was du tust, ist mir wichtig. Man kann das gut an den Obdachlosen in den Straßen sehen, die es ja bedauerlicherweise immer mehr gibt. Manche sagen, man dürfe nichts geben, weil man ihnen dadurch nicht helfe. Das halte ich für komplett falsch. Die Hand auszustrecken, ist bereits ein Resonanzappell: Antworte mir, tritt mit mir in Kontakt. Viele Obdachlose sagen, dass es schlimm sei, die Ressourcen nicht zu haben. Mindestens so schlimm ist es aber, gar nicht oder nur als Hindernis gesehen zu werden. Für etwas Danke zu sagen, ist da schon ein Moment der Reaktion und des Kontakts.
Wie gravierend ist dieses Problem?
Rosa: Telefonseelsorger haben mir jüngst berichtet, dass die Zahl derer, die bei ihnen wiederholt anrufen, größer wird. Die Ehrenamtlichen haben oft das Gefühl, dass sie für eine Reihe von Menschen, die immer wieder anrufen, oft die einzige Möglichkeit der Vergewisserung sind, dass es da draußen noch eine Welt gibt. Ich will nicht in einer völlig versteinerten Welt leben, in der ich zwar auf Ämtern Anträge stellen kann, aber keine Rückkopplung mehr erfahre, indem meine Stimme gehört wird.
Ihr Ansatz ist sehr umfassend. Das wird von vielen bewundert, von manchen auch kritisiert. Verstehen Sie ihn als Universaltheorie?
Rosa: Es gibt natürlich schon einen universalistischen Anspruch, dessen Problematik ich durchaus sehe. Aber so funktioniert Theoriebildung. Das habe ich von meinem Lehrer Axel Honneth gelernt. In gewisser Weise würde ich mich da schuldig bekennen. Mir geht es tatsächlich darum, ein Prinzip konsequent durchzudenken. Vielleicht habe ich das beim Begriff Resonanz überdehnt. Resonanz als ein Element unter vielen hätte aber keinen weiter interessiert. Ich glaube weiterhin, dass das die grundständige Form unseres In-der-Welt-Seins ist.
Und was ist aus Ihrer Sicht die Lücke zwischen Ihrer Theorie und der Wirklichkeit?
Rosa: Die Frage nach der Lücke ist insofern interessant, als mein Konzept eine Art von Heilsidee beinhaltet, die über das Irdische hinausgeht. Resonanz ist nie vollständig. Es kann nicht alles mit jedem resonant sein, weil sich das Prinzip dann selbst untergraben würde. Tatsächlich stoßen wir hier auf den Begriff der Unverfügbarkeit. Das Andere, mit dem ich da in Resonanz trete, kann ich mir niemals vollständig anverwandeln, so wie ich mit etwas, das ich vollständig unter Kontrolle habe, nicht mehr in Resonanz treten kann. Der Pianist Igor Levit hat einmal gesagt, dass ihm die Mondschein-Sonate mit jedem Spielen fremder werde. Es gebe immer noch etwas, an das er nicht herankomme. Dasselbe gilt für die Bibel, die ich nie vollständig durchdrungen haben werde, so lange ich auch darin lese und je mehr ich darüber weiß. Wenn ich meine, alles verstanden zu haben, trete ich nicht mehr in Resonanz. Natürlich ist die Bibel genau deshalb so ein herausragendes Resonanzfeld, weil sie mir immer wieder widerspricht, weil da so merkwürdige Geschichten drin stehen, denen man nicht einfach zustimmen kann.
Und inwieweit ist diese Unverfügbarkeit verlängerbar in einen Gottesbegriff? Die Offenheit dazu drängt sich geradezu auf…
Rosa: Da habe ich natürlich das kleine Problem, dass ich als Soziologe nicht theologisch argumentieren kann. Es ist völlig klar: Aus einer sozialphilosophischen Perspektive kann ich keinen Gott annehmen. Ob ich persönlich glaube, ist eine ganz andere Frage. Immerhin kann ich mit soziologischen Mitteln aber sagen, wo der Gottesbegriff verortet werden könnte. So bin ich zutiefst von einer vertikalen Resonanzachse überzeugt. Ein Problem der Moderne besteht darin, dass manche ihrer Vertreter sagen, dass nur andere Menschen resonant sein können und wir ansonsten in einem toten Universum leben. Das ist meines Erachtens falsch. Es gibt das Bedürfnis nach etwas, das man mit Karl Jaspers als das Umgreifende beschreiben kann: uns mit einer letzten Realität in Verbindung setzen zu können. Das ist die religiöse Grundfrage. Wie sind wir in die Welt gestellt? Wie sind wir mit dem Umgreifenden verbunden? Diese letzte Realität kann man das Leben nennen oder die Welt, das Universum, die Schöpfung oder von mir aus eben auch Gott. Die Gottesidee umreißt eine Antwort, die für viele Menschen einer Erfahrung entspricht. An der Wurzel meines In-der-Welt-Seins herrscht eine Art antwortender Beziehung. Schon bevor ich da war und nachdem ich da sein werde, ist da etwas oder sogar jemand, das beziehungsweise der mich hört, sieht, meint und den Atem des Lebens einhaucht. In dem Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ von Paul Gerhardt heißt es genau in diesem Sinne: „O dass mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites Meer, /dass ich dich möchte fassen“. Ganz viel theologisches Denken hängt mit solchen Resonanzprozessen zusammen.
Es geht da also gerade nicht nur um eine abstrakte Natur, sondern auch um personalisierte Vorstellungen?
Rosa: In meinem aktuellen Buch habe ich noch nicht systematisch darüber nachgedacht, ob das personal zu denken ist. Aber es steht tatsächlich die Vorstellung im Hintergrund, dass wir geschaffen sind auf ein Du hin, wie es bei Martin Buber heißt – nicht umsonst ist die Stimme, die mich anspricht, auch eine meiner Leitmetaphern. Deshalb sind personalisierte Vorstellungen nicht völlig ungeeignet. Und deshalb ist der Gottesbegriff auch so stark und entgegen säkularisierungssoziologischen Annahmen eben nicht aus der Welt zu bekommen. Wenn wir solche Erfahrungen machen, neigen wir zu einem religiösen Weltverständnis. Das Christentum macht in rituellen Kontexten genau dieses Bezogensein deutlich. Das Buch heißt im Untertitel nicht zufällig „Eine Soziologie der Weltbeziehung“. Beim Beten wie beim Segnen kann man jeweils unmittelbar diese Verbindung von Innen und Außen erkennen. Es geht genau um diese Achse zwischen meinem Innersten und etwas möglichst weit außen, die sich da konstituiert. Andere Menschen spüren das in der Natur oder beim Musikhören.
Hat Sie irritiert, dass Ihr Ansatz, obwohl Sie evangelischer Christ sind, mehr als katholisch wahrgenommen wurde, weil Sie auch intensiv über rituelle und liturgische Vollzüge nachdenken?
Rosa: Ich stamme aus einem katholischen Dorf und einem katholischen Milieu. Meine Eltern wiederum haben alle möglichen religiösen Dinge ausprobiert, sodass ich eher am Rande der christlichen Tradition aufgewachsen bin. Irgendwann bin ich in der evangelischen Kirche gelandet und habe dazu mein eigenes Verhältnis entwickelt, weil ich dort nie hineingezwungen wurde. Die rituellen Momente sind deshalb so packend, weil sie – wie etwa das Abendmahl – nicht nur eine Resonanzidee, sondern eine Resonanzpraxis sind. Ich spiele gerne Orgel und da auch die Kirchenlieder. Am Ende halte ich es mit Latour, der sagt, dass es der Tod der religiösen Erfahrung sei, wenn man von einem Gläubigen wissen will, was er glaubt. Deshalb ist es mir letztlich ziemlich egal, wie meine Gedanken wahrgenommen werden.
Hat Sie umgekehrt irritiert, wie Theologen Ihre Thesen aufgreifen? Gibt es da unzulässige Vereinnahmungen?
Rosa: Ich bin da eher interessiert. Meine Theorie verändert sich natürlich auch hier durch die Anverwandlung. Das sehe ich auch bei diesen theologischen Aneignungsversuchen, auch wenn ich manches anders gemeint habe. Einzig den Vorwurf von Theologen, dass ich mit Gott nicht in Resonanz treten könne, weil er nicht spricht, verstehe ich nicht. Ganz im Sinne der Tradition negativer Theologie wird hervorgebracht, dass man Gottes Stimme eben nicht höre. Das ist aus meiner Sicht kein Problem der Resonanztheorie, die gerade auf die Unverfügbarkeit setzt. Auch zu einem Gott, der schweigt, kann ich in Resonanz treten. Ich muss das nicht einmal verstehen, solange ich das Gefühl habe, dass ich gemeint oder gesehen bin.
Wie steht es um die Zukunft der Religion, vor allem um die Zukunft des Christentums in Europa? Die religionssoziologischen Studien vermögen hier nur wenig Optimismus zu begründen.
Rosa: Europa ist da gerade der Ausreißer. Das Problem besteht hierzulande darin, dass zum einen viele Menschen nicht mehr in die Kirchen und ihre Gottesdienste gehen. Mindestens so problematisch ist, dass viele, die hingehen, dort nichts mehr erfahren. Für viele ist der Gottesdienst ein komplett toter Ritus geworden. Dabei ist doch der Clou des Gottesdienstes, dass wir danach anders in die Welt gestellt und auf die Welt bezogen sind. Es ist wichtig, die alten Riten mit neuem Leben zu füllen. In einem Forschungsprojekt beschäftige ich mich gerade mit Analysen der Selbstoptimierung. Permanent muss ich mich heute steigern, verbessern und noch mehr verfügbar machen. Neben der religiösen Weltanschauung gibt es nicht sehr viele alternative Perspektiven. Es besorgt mich zutiefst zu sehen, dass wir die verlieren und nur noch das verdinglichende Weltverhältnis pflegen. Die Resonanzsehnsucht jedoch wird nicht verschwinden und deshalb wird das religiöse Grundbedürfnis bleiben. In welcher Form sich das Bahn brechen wird, weiß ich nicht. Aber es wird natürlich nicht besser, wenn die Kirchen an Kraft und Attraktivität verlieren.