Das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im ReformationsjahrEhrlichkeit in der Ökumene

Zu einem offenen Umgang gehört es, auch Schwierigkeiten zu benennen. In ethischen Fragen sind in den letzten Jahren neue Differenzen zwischen den Konfessionen entstanden. Und beim Kirchen- und Sakramentsverständnis bringt das von vielen Protestanten empfohlene Modell „versöhnte Verschiedenheit“ mehr Probleme als Lösungen.

Abendmahl der Reformatoren
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Obwohl mancher noch immer vom katholisch geprägten Süden und vom protestantisch geprägten Norden Deutschlands spricht, gibt es kaum noch konfessionelle Homogenität. In allen Lebensbereichen haben Protestanten und Katholiken täglich miteinander zu tun. In fast jeder Familie gibt es Angehörige beider Konfessionen. Und im öffentlichen Bereich wird auf strenge Parität geachtet: bei Staatsakten, Schulgottesdiensten, Einweihungen oder Medienauftritten.

Es gibt eine Plattform für die Begegnung aller Christen in diesem Lande, die sogenannte „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen“ (ACK); es gibt den Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), den Kontaktgesprächskreis zwischen EKD und DBK und die Bilaterale Arbeitsgruppe der VELKD und der DBK. Die Buchreihe „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ ist Ausweis des beiderseitigen Bemühens, sich in die Perspektive des Gesprächspartners hineinzuversetzen und Missverständnisse und Einseitigkeiten auszuräumen. Und nicht zu vergessen: die von Kardinal Walter Kasper angeregte Bilanzierung ökumenischer Fortschritte weltweit – dokumentiert in drei Bänden unter dem Titel „Harvesting the fruits“.

Am 31. Oktober 1999 wurde in Augsburg von beiden Seiten erklärt, die Rechtfertigungslehre sei kein Grund zur Trennung der Konfessionen. An diesen Höhepunkt der Konvergenzökumene sollte man am 31. Oktober des Lutherjahres erinnern. Auch daran, dass Martin Luther mit der Veröffentlichung seiner Ablassthesen am 31. Oktober 1517 keine neue Kirche gründen wollte. Seine Trennung von Rom erfolgte nicht 1517, sondern 1520. Das Bezugsdatum des Lutherjahres ist also kein Datum der Trennung, sondern ein Datum, das auch die Katholiken an die stete Reformbedürftigkeit der Kirche erinnert.

Doch bei aller Freude über gegenseitige Wertschätzung, über theologische Konvergenzen und gemeinsam getragene Projekte der Caritas, Diakonie und Bildungsarbeit gehört zu einer ehrlichen Bilanz auch das freimütige Benennen von Anfragen und Sorgen. Es gibt – so scheint mir – einen zunehmenden Dissens in moral- und sozialethischen Fragen. Ob es um die Stichtagsverschiebung für den Import getöteter Embryonen, um die Präimplantationsdiagnostik (PID), um die „Ehe für alle“ oder um die Beurteilung von Abtreibung, Sterbehilfe oder Scheidung geht, immer wieder wird ein vormals bestehender Konsens brüchig. Wenn hinter diesem Befund die Überzeugung steht, dass sich aus dem Evangelium gar keine verbindliche Ethik ableiten lasse, dann muss man ehrlicherweise von einer ethischen Grunddifferenz zwischen beiden Konfessionen sprechen. Denn aus katholischer Sicht ist die Wahrheit in Christus offenbar geworden; sie wird nicht vom Menschen bestimmt. Das Wahre beziehungsweise Richtige muss immer wieder neu gesucht, erschlossen, frei erkannt und auch frei bejaht werden; aber deshalb ist die Wahrheit des Glaubens und die Wahrheit der richtigen Entscheidung noch lange kein Konstrukt des je einzelnen Subjekts.

Wer mit dem Göttinger Historiker Hartmut Lehmann das „Luthergedächtnis von 1817 bis 2017“ (Göttingen 2012) Revue passieren lässt, wird mit Anpassungen an den jeweiligen Zeitgeist konfrontiert. 1817 feierte das evangelische Christentum die Reformation als Durchbruch in die Moderne und als Hort der Aufklärung; 1917 als Garant der deutschen Kultur und Nation. Und im Vorfeld der Fünfhundertjahrfeier haben führende EKD-Mitglieder das eigene Bekenntnis als „Konfession der Freiheit“ charakterisiert. Sie meinten die Freiheit der Autonomie und Emanzipation.

Doch dieses Selbstverständnis kann sich ebenso wenig wie die Jubiläen von 1817 oder 1917 auf Martin Luther berufen. Denn der Reformator stellt dem Gehorsam gegenüber Papst und Bischöfen den Gottesgehorsam, nicht aber die Freiheit autonomer Selbstbestimmung entgegen. Entweder – so betont er in Absetzung gegen das Freiheitsverständnis der Renaissance – wird der Mensch vom Teufel (von der Sünde) oder von Gott (von der Gnade) geritten; nur in der gläubigen Bindung an Gott – so erklärt er in seiner gegen Erasmus von Rotterdam gerichteten Schrift „Über den unfreien Willen“ – ist der Mensch frei. Was Luther in seinen drei Kampfschriften von 1520 als Freiheit von der Bevormundung durch kirchliche Autoritäten oder als Befreiung von den Werken der Selbsterlösung erklärt, beruht auf der unmittelbaren Gebundenheit an den Willen Gottes, an sein Wort, an das Evangelium Christi. Wer die von Luther gepredigte Freiheit mit Autonomie verwechselt, hat ihn gründlich missverstanden. „Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort allein“, bekennt er 1521 vor dem Wormser Reichstag.

Nicht selten kann man lesen, der konfessionelle Gegensatz sei der zwischen einer demokratisch geordneten Kirche einerseits und einer hierarchisch verfassten Kirche andererseits – erstere in der Moderne angekommen, letztere noch befangen in einer mittelalterlich-patriarchalen Ständeordnung; erstere auf den Primat der Freiheit vor dem Gehorsam, letztere auf den Primat des Gehorsams vor der Freiheit gegründet. Doch diese Kontrastierung ist schon deshalb unzutreffend, weil jede christliche Kirche oder Gemeinschaft sich auf Jesus Christus beruft und damit auf eine ihr vorgegebene, inkarnierte und also sichtbar gewordene Wahrheit.

Strittig ist, ob das Bleiben in der Wahrheit, die Christus ist, nur der Heiligen Schrift oder auch des Institutes der Apostelnachfolger und also des kirchlichen Lehramtes bedarf. Angesichts der vielen Spaltungen des Protestantismus darf man als katholischer oder orthodoxer Christ bezweifeln, dass sich auf Luthers sola scriptura eine Bekenntniseinheit gründen lässt. Und die von wechselseitigen Exkommunikationen und Anfeindungen begleiteten Spaltungen können nachträglich nur schwerlich als Gaben des Heiligen Geistes verklärt werden.

Bis zur Leuenberger Konkordie von 1973 (Abendmahlsgemeinschaft verschiedener Konfessionen) war nicht nur auf Seiten der katholischen und orthodoxen, sondern auch für alle protestantischen Bekenntnisgemeinschaften klar, dass die Einheit des Bekenntnisses der Zulassung zum Sakrament des Altares bedingend vorausgeht. Doch seit 1973 empfehlen viele protestantische Theologen das Einheitsmodell der „versöhnten Verschiedenheit“. Dieses Motto ist vieldeutig. Wer damit die bisher konfessionsbegründenden Unterschiede in wechselseitig bereichernde Dimensionen umdeutet, darf sich über den Vorwurf des Etikettenschwindels nicht wundern. Denn so einfach kann man die Schuldgeschichte der Spaltungen nicht in eine Wirkungsgeschichte der Gnade umschreiben. Aus guten Gründen hat Karl Barth die Spaltungen der Christenheit als Objektivationen der Sünde bezeichnet und deren Überwindung als notwendige Voraussetzung jeder Art von Wiedervereinigung erklärt.

Die Kirche gründet in dem Wort Gottes, das Fleisch geworden ist. Sie kann ihre Einheit nicht auf einer unsichtbaren oder eschatologischen Ebene ansiedeln. Ihre Einheit muss die Verschiedenheit zwar nicht aufheben, aber doch in einem Bekenntnis versöhnen. So wie jede Christologie doketisch ist, die das Menschsein Jesu als Verbergung statt als Offenbarkeit des göttlichen Logos erklärt, so ist auch jede Ekklesiologie doketisch, wenn sie die sichtbare Kirche nicht als Sakrament der von Christus gewirkten Einheit versteht. Was eine Konfession von der anderen lernen kann, ist immer schon Bestandteil der eigenen Tradition – oft allerdings vergessen und durch kontroverstheologische Zuspitzungen vereinseitigt oder gar verfälscht.

Um einige Beispiele zu nennen: Der durch den Begriff „Messopfer“ bezeichnete Unterschied zwischen katholischer und protestantischer Tradition wäre kein Grund zur Trennung, wenn die protestantische Seite davon überzeugt werden könnte, dass die Eucharistiefeier der Katholiken die von Luther zu Recht unterstrichene Einmaligkeit und Allgenügsamkeit des Kreuzesopfers nicht bezweifelt, sondern im Gegenteil bestätigt. Oder: Der durch den Topos „besonderes Priestertum“ angesprochene Gegensatz wäre nicht mehr kirchentrennend, wenn die evangelischen Christen davon überzeugt werden könnten, dass das Institut der Apostelnachfolge die Einzigkeit des Mittlertums Christi nicht schmälert, sondern im Gegenteil bestätigt. Und die Karikatur der Lehre von der apostolischen Sukzession als eines Versuches, die Lehridentität durch eine lückenlose Kette von Handauflegungen zu sichern, wäre mit einem Schlag beseitigt, wenn die Kritiker davon überzeugt werden könnten, dass eine Wahrheit, die Person ist, nicht durch die Trennung von Botschaft (Wort) und Bote (Mittler) tradiert werden kann.

Leider hat das 2006 unter dem Titel „Ordnungsgemäß berufen“ publizierte Papier der VELKD eine zuvor erreichte Annäherung in der sogenannten Amtsfrage erneut in Frage gestellt. Für die katholische Kirche ist Luthers Verständnis des Predigtamtes als eines von Christus eingesetzten Amtes von entscheidender Bedeutung. Denn nur wenn dieses Amt keine bloße Beauftragung durch die Gemeinde, sondern zumindest auch eine Darstellung des „Voraus“ Christi gegenüber der Gemeinde ist, kann es zu einer Konvergenz in der Amtsfrage kommen.

Luther hat 1520 den Bruch mit der Kirche, in der er von Kind auf beheimatet war, in Kauf genommen, weil er meinte, nur so seine Treue zu Christus leben zu können. Er hat die Christusgemeinschaft des je einzelnen Gläubigen von der Bekenntnisgemeinschaft mit Papst und Bischof getrennt. Und er wollte das Abendmahl nur noch mit den Brüdern und Schwestern feiern, die sich wie er selbst von dem Glauben an die Heilsnotwendigkeit der Kirche verabschiedet haben. Er hat das Verhältnis von Christus und Kirche grundsätzlich anders bestimmt als die katholische und die orthodoxe Christenheit. Deshalb würde Luther – so ist zu vermuten – die Katholiken erst dann zur gemeinsamen Feier des Abendmahls einladen, wenn die Verhältnisbestimmung von Christus und Kirche nicht mehr strittig wäre.

Das sensible Thema „eucharistische Gastfreundschaft“ ist belastet von Unterstellungen und vielen Vorurteilen. Der Begriff „Gastfreundschaft“ weckt die abwegige Vorstellung, der Einladende sei nicht Christus, sondern eine Konfessionsgemeinschaft. Eine Konfession kann die andere nicht zur Feier der Einheit in Christus einladen, solange sie ihr eigenes Christusbekenntnis von dem Christusbekenntnis der von ihr eingeladenen Konfession unterscheidet! Christusbekenntnisse, die getrennte Kirchen bedingen, werden nicht durch einseitige oder wechselseitige Gastfreundschaft, sondern durch Bekehrung aller Beteiligten zu Christus versöhnt.

Viele protestantische Theologen stellen das letzte Abendmahl in den Kontext der sogenannten Sündermähler Jesu. Und sie folgern daraus, dass die einzige Zulassungsbedingung zum Abendmahl der Glaube des Sünders an die Rechtfertigung allein aus Gnade ist. Nachdem die Rechtfertigungslehre am 31. Oktober 1999 von beiden Konfessionen als nicht mehr konfessionstrennend erklärt wurde, können – so meint man auf evangelischer Seite – alle Katholiken am Abendmahl teilnehmen, die an die Rechtfertigung allein aus Gnade glauben.

Diese Schlussfolgerung wäre zutreffend, wenn der vorausgesetzte Glaube (fides qua) mit einem gemeinsamen Bekenntnis (fides quae) verbunden wäre. Für katholische und orthodoxe Christen ist die Abkoppelung des Glaubensinhaltes vom Glaubensvollzug unmöglich. Von daher ist die vor allem von protestantischen Kritikern der Augsburger Erklärung aufgeworfene Frage berechtigt, ob die Konsenserklärung im Zentrum des christlichen Glaubens möglich ist, solange die ekklesiologischen Konsequenzen strittig bleiben.

Wie weit wir von einer Einigung in der Verhältnisbestimmung Christi zur Kirche entfernt sind, bezeugen protestantische Theologen, die die Zulassung zum Abendmahl nicht einmal an den vorherigen Empfang der Taufe, geschweige denn an ein bestimmtes Credo binden. Es genügt, so meinen sie, der Glaube an die bedingungslose Gnade des den Sünder rechtfertigenden Erlösers. Diese Position hätte – wenn sie sich durchsetzen würde – für die Ökumene verheerende Folgen. Denn die Konsequenz wäre der Verzicht auf jedes gemeinsame Bekenntnis. Die Kirche wäre eine ausschließlich unsichtbare Wirklichkeit.

Die mit der trinitarischen Formel gespendete Taufe verbindet alle Christen aller Konfessionen auf sichtbare (sakramentale) Weise. Deshalb ist die eine wahre Kirche Jesu Christi anfanghaft schon wirklich. Die Bedeutung der 2007 in Magdeburg von allen Mitgliedern der ACK erklärten Anerkennung jeder trinitarisch gespendeten Taufe kann kaum überschätzt werden. Denn diese Konsenserklärung hält an dem Ziel der Bekenntniseinheit fest. Sie erklärt die konfessionelle Verschiedenheit nicht für gottgewollt, sondern für das, was sie in Wahrheit ist: Spaltung der durch die Taufe zur Einheit in Christus versammelten Christenheit; Verleugnung des Willens Christi (Joh 17,21); größtes Hindernis der christlichen Mission.

In einer „Gemeinsamen Erklärung“, die am 31. Oktober 2016 aus Anlass des Besuches von Papst Franziskus in Lund verfasst wurde, sprechen beide Seiten von dem Hunger und Durst der Gläubigen, in Christus eins zu sein. Gemeint ist offensichtlich keine unsichtbare, sondern eine sichtbare (sakramentale) Einheit. Der Verlust dieser Einheit wird überall, aber besonders in den konfessionsverschiedenen Ehen schmerzlich erfahren, in denen beide Ehepartner aus Überzeugung an ihrer Herkunftskonfession festhalten. Auch wenn das Sakrament der Ehe zwei konfessionsverschiedene Christen unwiderruflich verbindet, bewirkt es nicht gleichzeitig auch die Übereinstimmung im Bekenntnis zu Christus. Konfessionsverschiedene Eheleute, die täglich gemeinsam beten, gelangen nicht selten auch zur Überwindung des Trennenden. Dann ist die eucharistische Einheit die Frucht eines zuvor gegangenen Weges. Von diesem Weg sprach Franziskus, als er am 15. November 2015 die evangelische Gemeinde in Rom besuchte und einem konfessionsverschiedenen Paar sagte: „Sprecht mit dem Herrn und geht weiter!“ Ich habe größten Respekt vor konfessionsverschiedenen Eheleuten, die nicht vorwegnehmen, was noch nicht möglich ist; die sich mit dem Trennenden aber auch nicht abfinden, sondern sich täglich gemeinsam an Christus wenden und so vorleben, wie die ersehnte Einheit wachsen kann.

Evangelische Christen betrachten das Abendmahl vornehmlich als Veranschaulichung des Wortes von der Rechtfertigung allein aus Gnade. Deshalb verbinden die meisten Gemeinden der VELKD den Sonntagsgottesdienst nur alle vier Wochen mit der Spendung des Abendmahls. Die Zusage des Herrn – so argumentieren sie – muss nicht jeden Sonntag sakramental veranschaulicht werden. Für katholische und orthodoxe Christen aber gibt es einen besonderen Zugewinn der sakramentalen im Vergleich zur nichtsakramentalen Kommunikation mit Christus (vgl. Karl-Heinz Menke, Sakramentalität, Regensburg 2014, 126ff.). Dieser Zugewinn besteht einerseits in der Gewissheit, dass Christus seine Gegenwart auch unabhängig von unserem Glauben an die konsekrierten Gestalten von Brot und Wein bindet; und andererseits in der Sakramentalisierung der Empfänger selbst. Letzteres bedeutet: Wer die Eucharistie empfängt, identifiziert sich öffentlich mit dem Christusbekenntnis der Gemeinschaft, in der er oder sie das Sakrament empfängt.

Analoges gilt auch für die anderen Sakramente. Das Bußinstitut der frühen Kirche war charakterisiert durch die sogenannte Exkommunikations- oder Rekonziliationspraxis. Ein Christ, der größere Schuld auf sich geladen und diese bekannt hatte, wurde für eine Zeit lang aus der eucharistischen Gemeinschaft ausgeschlossen (exkommuniziert) und nach Verrichtung der entsprechenden Buße öffentlich wieder in die eucharistische Gemeinschaft aufgenommen (rekonziliiert). Diese Praxis war nicht Ausdruck von Rigorismus, sondern Ausdruck der Tatsache, dass es beim Empfang des Bußsakramentes nicht nur um das Heil des Empfängers, sondern auch um die Sakramentalität der Kirche geht. Wer die Glaubwürdigkeit und die Sakramentalität der Kirche durch sein Verhalten beschädigt hatte, musste geläutert werden, bevor sich die Kirche wieder voll (eucharistisch) mit ihm identifizieren konnte.

Besonders die drei Sakramente, die nur einmal empfangen werden, ermöglichen und stärken die Sakramentalität der Kirche. In der Taufe gewinnt die Kirche neue Mitglieder. Wer die Taufe empfängt, wird nicht nur selbst von Christus beschenkt, sondern erhält zugleich den Auftrag, Kirche – das heißt, sakramentales Mittel und Werkzeug Christi für die anderen Brüder und Schwestern – zu werden. Unbestritten ist, dass niemand die Sakramente der Firmung und des Ordo nur für sich selbst empfängt; nicht einmal primär für sich selbst; denn das gemeinsame Priestersein aller Gefirmten und das besondere Priestersein der Ordinierten stärkt die Sakramentalität der Kirche. Auch das Sakrament, das am häufigsten empfangen wird, ist nicht nur „Wegzehrung“ der Empfänger, sondern zugleich der Auftrag, selbst Sakrament zu sein – nicht nach eigenem Gusto, sondern in Übereinstimmung mit dem Bekenntnis der in jeder Eucharistiefeier namentlich genannten Apostelnachfolger.

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Wer auf Grund seiner Konfessionsverschiedenheit nicht zum Empfang der Eucharistie zugelassen ist, kann trotzdem tiefer mit Christus verbunden sein als ein Katholik, der täglich die Eucharistie empfängt. Der Grad der sakramentalen Kongruenz mit dem Bekenntnis der eigenen Kirche entscheidet nicht über den Grad der Christusverbundenheit. Aber die Kirche achtet ihrer Mission wegen darauf, dass ihre Mitglieder nicht öffentlich das Gegenteil von dem leben, was sie als verbindliches Bekenntnis oder verbindliche Lebensregel verkündet.

Der Schlüssel zur Einheit ist die Bekehrung zu Christus

Was daher heute dringlicher denn je ist, ist eine Ökumene des öffentlichen Bekenntnisses. Wieviel wäre schon gewonnen, wenn in Deutschland beide großen Konfessionen in Fragen der Sozial-, Wirtschafts- und Bioethik erneut mit einer Stimme sprächen. Wieviel wäre schon gewonnen, wenn jeder Christ, jede Christin die eigene Christusgemeinschaft als Auftrag zum Zeugnis, zur Mission, zum öffentlichen Bekenntnis verstünde. Bei aller Wertschätzung theologischer Annäherungen und Gespräche bin ich überzeugt, dass der Schlüssel zur Einheit in der Bekehrung zu Christus – in der täglich durchgehaltenen Kommunikation mit IHM – liegt. Wenn jeder Christ in je seiner Konfession jeden Sonntag sakramental mit Christus und seinen Brüdern und Schwestern kommunizieren würde, dann wäre die ersehnte Bekenntniseinheit aller Getauften vermutlich schon erreicht.

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