Das 2017 mit einigem Aufwand begangene, in Gestaltung und Akzentsetzungen zum Teil kritisch angefragte Reformationsjubiläum steht in einer langen und wechselvollen Ahnenreihe. Der Band der Berliner Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg ist eine ausgesprochene Fundgrube nicht nur für Kenner und Liebhaber, sondern für jeden, der das aktuelle Jubiläum mit historischer Tiefenschärfe betrachten möchte – was sich zweifellos lohnt. Ein knapper Rückblick greift bis auf die erste Jahrhundertfeier von Martin Luthers Thesenanschlag zurück, die 1617 auf Initiative der Universität Wittenberg im protestantischen Deutschland begangen wurde. Das Gros der Beiträge ist dann den diversen Reformationsjubiläen des letzten und vorletzten Jahrhunderts gewidmet.
Dabei kommen anschaulich die verschiedenen Dimensionen zum Vorschein, die beim Gedenken vor allem an Luther, aber auch an Philipp Melanchthon und an das Augsburger Bekenntnis (CA) in wechselnder Stärke eine Rolle gespielt haben: Die kirchlich-konfessionelle (Lutheraner und Reformierte), die nationale (Luther als Heros der Deutschen, die weitreichenden Wirkungen der Reformation auf deutsche Gesellschaft und Kultur) wie die allgemein-religiöse: Luther als Projektion „der Sehnsucht nach Halt“ (284). Im Vergleich zu den Reformationsfeierlichkeiten des Jahres 2017 fällt nicht zuletzt ins Auge, wie sehr frühere Jubiläen teilweise den Charakter „protestantischer Volksfeste“ mit massenhafter Beteiligung hatten, so das CA-Jubiläum von 1930 oder das 1929 begangene Jubiläum der „Protestation“ auf dem Speyerer Reichstag von 1529.
Die Jubiläen des frühen 19. Jahrhunderts wurden vielfach mit katholischer Beteiligung gefeiert. Zu den Feierlichkeiten von 1817 stellt Wendebourg fest: „Ein Reformationsjubiläum, das weitgehend im Geist der Aufklärung gefeiert wurde, brachte folglich gemeinsame Seiten zum Schwingen“ (73). Ganz anders dann der katholische Lutherbiograf Hartmann Grisar 1920/21, der zu dem Schluss kam, der allenthalben vernehmbare Schrei nach Gewissheit werde befriedigende Antwort allein im Wiederanschluss an die römisch-katholische Kirche finden (284). Man kann nur froh darüber sein, dass das Jubiläum 2017 im Zeichen der Ökumene begangen wurde, jenseits sowohl einer Verbrüderung im Zeichen der Aufklärung wie eines katholischen Superioritätsanspruchs.