Fußball als theologischer OrtNur die schönste Nebensache der Welt?

Fußball macht Spaß. Und offenbar zieht er auch in der Theologie, denn quasireligiöse Phänomene reizen zu vielfältigen Anschlüssen. Handelt es sich dabei um theologische Kurzschlüsse? Die These einer kulturwissenschaftlich informierten Pastoraltheologie lautet: Fußball muss nicht zur Religion werden, um theologisch interessant zu sein. Von Christian Bauer

Fussballstadion
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Wacker unser“ – so nennt sich ein Fanclub des Fußballvereins „Wacker Innsbruck“. Die Anklänge an christliches Glaubensgut sind offenkundig. Im vergangenen Sommersemester hat ein Innsbrucker Seminar mit Studierenden aus Theologie, Ethnologie, Geschichts- und Sportwissenschaften das Phänomen in teilnehmender Beobachtung erkundet und die bekannte These von der popkulturellen Religionsproduktivität des Fußballs auf ihre fachbezogene Leistungsfähigkeit hin getestet. Die liturgieähnlichen Elemente des Stadionfußballs sind zahlreich: Jahresrhythmen, Sakralbezirke, Gemeindebildung, Festtagskleidung, Pilgerstraßen, Einzugsriten, Fangesänge, Wechselrede, Vorbeter, Goldpokale, Heiligenlegenden, Märtyrergestalten, Gedächtnisorte.

Fußball ist dem Sportphilosophen Gunter Gebauer zufolge ein deep play (Clifford Geertz), das für eine Steigerung menschlicher Lebensintensität sorgt, indem es an elementare Mächte des Seins rührt. Kollektive der Erregung, Narrationen des Außergewöhnlichen und Zonen der Überschreitung prägen seinen quasireligiösen Charakter. Wie die Religion ist der Fußball eine Macht, die das Leben vieler Menschen orientiert, indem sie die Routinen ihres Alltags kontrastierend unterbricht – und das ist bekanntlich die „kürzeste Definition von Religion“ (Johann Baptist Metz).

Es gibt mindestens zwei Wege, sich dieser säkularen Fußballreligion analytisch zu nähern: den der deutschsprachigen Religionssoziologie mit ihrer Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz und den der französischsprachigen mit ihrer Unterscheidung von Sakralem und Profanem. Beide Wege lassen sich miteinander kombinieren und sind in ihrer Kombination zugleich theologisch zu überschreiten. Dabei ist der transzendente Charakter von Religion aus der Perspektive einer Theologie der Immanenz und der sakrale Charakter von Religion aus der Perspektive einer Theologie des Profanen zu diskutieren.

Wer theologisch mit dem Fußball arbeitet, steht vor einer Alternative

Die Moderne brachte nicht nur eine säkulare Entzauberung der Transzendenz, sondern auch eine religiöse Verzauberung der Immanenz. Wer mit dem entsprechenden Charakter des Fußballs religionstheologisch weiterführend arbeiten möchte, steht vor einer spannungsvollen Alternative. Entweder weitet man den Religionsbegriff so aus, dass er auch alle möglichen profanen Wirklichkeiten beschreibt, oder man reserviert ihn für sakrale Wirklichkeiten und verliert somit den gesamten Raum des Säkularen aus dem Blick. Es braucht daher einerseits einen gesellschaftlich trennscharfen Religionsbegriff, der Säkulares und Religiöses nicht ineins fallen lässt, sondern unterscheidbar hält, und andererseits einen säkular entgrenzten Theologiebegriff, der die Rede von Gott nicht auf eine unkritische Wahrnehmung von religiösen Phänomenen beschränkt.

Die erstgenannte Notwendigkeit wehrt der Gefahr eines Religionsbegriffs, der so weit gefasst ist, dass letztlich jedes noch so säkulare Transzendieren religiös gedeutet wird – und somit nicht nur der Begriff des Säkularen, sondern auch jener der Religion aufgelöst wird. Religiöses und Säkulares sind dann letztlich eins. Unterschiede ergeben sich lediglich aus den verschiedenen Dichtegraden von Religion in der Gesellschaft. Auch wenn im Fußball ganze „Lebensentwürfe verankert“ (Andreas Prokopf) sind, ermöglicht er im Sinne der von Alfred Schütz phänomenologisch vorgedachten und von Thomas Luckmann religionssoziologisch konzeptualisierten lebensweltlichen Überschreitungspraktiken – existenziell betrachtet – doch meist nur „mittlere Transzendenzen“ (Luckmann): „Fußball kann zwar von Problemen ablenken, aber keine Antwort auf Probleme geben“, so Christoph Metzelder 2006 im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die Religionssoziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta haben in ihrem 2015 erschienenen Standardwerk „Religion in der Moderne“ einen in seiner Trennschärfe wohl besser verwendbaren Religionsbegriff vorgelegt, der funktionale Sichtweisen mit substanziellen zusammenbringt. Im Fahrwasser Niklas Luhmanns formulieren sie ein negatives Abgrenzungskriterium, das auf der bewussten Gestaltung der Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz in und durch explizite religiöse Praktiken beruht: „Wo nicht die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz vollzogen wird und diese Unterscheidung in die Immanenz wiedereingeführt wird, handelt es sich nicht um Religion. Überschreitungen der Alltagswelt können folglich noch nicht als religiöse Sinnformen angesprochen werden, da ihnen die Konkretisierung des Transzendenten in der Immanenz fehlt.“ In diesem Sinn ist der Fußball keine Religion, denn er macht das Transzendente in seiner religiösen Semantik nicht bewusst „zugänglich, erfahrbar und kommunikabel“.

Christoph Nebgen spricht daher nicht von einem religiösen, sondern mit einem Begriff Georg Simmels von einem „religioiden“ Kulturphänomen. Damit der Fußball in seiner eigenen theologischen Valenz aber dennoch erkannt werden kann, braucht es die zweitgenannte Notwendigkeit einer säkular entgrenzten Theologie. Indem sie ihren empirischen Immanenzbezug nicht auf eine semantische Blütenlese im Feld des Religiösen beschränkt, überschreitet sie den skizzierten religionssoziologischen Rahmen konzilstheologisch.

Das Zweite Vatikanische Konzil setzt mit seiner Lehre am verborgenen Transzendenzbezug der Immanenz an: „Die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und des Glaubens haben in demselben Gott ihren Ursprung“ („Gaudium et Spes“ [GS], Nr. 36). Daher können nicht nur religiöse, sondern auch säkulare Erfahrungen eine Spur zu Gott sein. Dem weithin unterschätzten Konzilsinspirator Thomas von Aquin zufolge ist jedem Menschen eine natürliche Sehnsucht nach dem ewigen Glück eingesenkt. Henri de Lubac spricht von einem désir naturel du surnaturel, auf dessen Spur der Mensch die unendliche Transzendenz Gottes „anzielt“ (Paul Weß). Anzielen kann man jedoch nur etwas, dessen Existenz man aufgrund immanenter Erfahrungen zumindest erahnt. Insofern kann auch im Fußball die menschliche Sehnsucht eine Fährte zur Erkenntnis Gottes sein. Wenn das Zweite Vatikanum diesen erfahrungsbezogenen „Weg einer Immanenzapologetik“ (Elmar Klinger) einschlägt, folgt es einem bereits von Maurice Blondel zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgespurten Sehnsuchtspfad: „Gott allein ist die Antwort auf das tiefste Sehnen des menschlichen Herzens, das an den Gaben der Erde sich nie voll sättigen kann. Immer wird der Mensch wenigstens ahnungsweise die Sehnsucht in sich tragen, zu wissen, was der Sinn seines Lebens, seines Tuns und seines Todes ist“ (GS 41).

Kollektive Erregungen in einer individualisierten Gesellschaft

Man muss an dieser Stelle an Karl Rahner erinnern, der ein sehnsuchtstheologischer Transmissionsriemen zwischen Blondel und dem Konzil war. Blondels immanenzbezogene Apologetik der Transzendenz ermöglichte es Rahner, mit seinem „Hörer des Wortes“ eine anthropologische Wende der Theologie einzuleiten. Diese setzt beim transzendentalen Grunddilemma jeder Immanenzapologetik an – ohne die vielen kleinen Sehnsüchte des Menschen abzuwerten: „Die Erde gebiert Kinder maßlosen Herzens, und was sie ihnen gibt, ist zu schön, um von ihnen verachtet zu werden, und ist zu arm, um sie reich zu machen“ (Rahner).

Auch dem Fußball wohnt in diesem Sinne eine Grundspannung von „unendlicher Offenheit und begrenzter Erfüllung“ (Paulus Engelhardt) inne, auf deren Boden im 20. Jahrhundert thomanisch geprägte Theologen wie Rahner oder Marie-Dominique Chenu die Einseitigkeiten des vorkonziliaren schultheologischen Gnadendiskurses weltfreudig überwanden: Gratia non tollit, sed perficit naturam. Die übernatürliche Gnade Gottes hebt demzufolge nichts von der Natur des Menschen auf – sie vollendet diese vielmehr auf übernatürliche Weise. Auch eine fußballinteressierte Theologie muss beides können: die natürliche Immanenz des Menschen ernstnehmen und zugleich die übernatürliche Transzendenz Gottes offenhalten.

Von der deutschsprachigen Religionssoziologie auf die andere Seite des Rheins, wo man seit Emile Durkheim von der religionsanalytischen Grunddifferenz des Profanen und des Sakralen ausgeht: Exemplarisch dafür steht das „Collège de Sociologie“, das 1937 von Georges Bataille, Roger Caillois und Michel Leiris in Paris gegründet wurde. Dessen nonkonformistische „Sakralsoziologie“ (Bataille) einer mythenbasierten Vergemeinschaftung durch kollektive Erregungen, die auch in einer individualisierten Gesellschaft noch religionsähnliche Gemeinschaften zu stiften vermag, liefert wertvolle Hinweise zur religiösen Interpretation des Fußballs.

Die Collégiens interessierten sich in der sozialen Gärung der Dreißigerjahre nämlich für ganz ähnliche kommunitäre Verausgabungen in Sexualität und Krieg, Ritual und Opfer, Fest und Spiel. Die darin aufbrechende Macht des Sakralen ist ein „verworfener Teil“ (Bataille) moderner Gesellschaften, in dem noch immer die Potenz zu einer effervescence de la vie steckt – zu einem eruptiven Ausbruch des Lebens in kollektiven Grenzenüberschreitungen.

Diese gesellschaftliche Macht des Sakralen entfesselt auch in spätmodernen Zeiten noch kollektive Efferveszenzen, die sich nicht nur im Fußball über die religionskonstitutive Grunddifferenz definieren: „Jede religiöse Vorstellung von der Welt impliziert die Unterscheidung von Sakralem und Profanem“ (Caillois). Beide Sphären werden auch im Fußball voneinander geschieden (Werktag – Spieltag, Normalverein – Lieblingsclub, Alltagswelt – Fußballstadion). Das fanum, der Raum des Sakralen, wird auch hier von seinem profanen Vorraum, dem profanum, abgetrennt. Etymologisch ist beides mit dem Fanatismus verbunden: einer fanatischen Absolutsetzung der Grenze von Sakralem und Profanem.

Hier steht nun ein abermaliger Wechsel vom religionssoziologischen in den theologischen Diskurs an, dessen Notwendigkeit sich an einem signifikanten Übersetzungsproblem zeigen lässt. Caillois hat mit seinem Buch „L’homme et le sacré“ nämlich einen Klassiker der französischen Religionssoziologie vorgelegt, dessen deutsche Ausgabe mit „Der Mensch und das Heilige“ überschrieben ist. Aus inhaltlichen Gründen wäre jedoch die Übersetzung „Der Mensch und das Sakrale“ vorzuziehen – denn im französischen Original heißt es eben nicht „L’homme et le saint“. In dieser sprachlichen Differenz steckt eine religionstheologisch weitreichende Erkenntnis: Das Heilige (le saint) und das Sakrale (le sacré) sind nicht dasselbe.

Für eine theologisch angemessene Auseinandersetzung mit religiösen und religioiden Phänomenen reicht die Differenz von Sakralem und Profanem nicht aus. Das haben auch französische Intellektuelle wie Émile Benveniste, Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida erkannt. Dazu braucht es die im Deutschen nicht auf den ersten Blick erkennbare sprachliche Unterscheidung von Heiligem und Sakralem. Was im Deutschen meist unterschiedslos mit „heilig“ übersetzt wird, heißt im Lateinischen sacer oder sanctus, im Französischen sacré oder saint und im Englischen sacred oder saint. Die deutsche Sprache kennt diese Differenz nicht und muss sich mit dem Fremdwort „sakral“ behelfen. Beim Begriff des Heiligen im Sinne von sanctus jedoch kann das Deutsche weiterhelfen. Dort ist es nämlich an das Adjektiv „heil“ gebunden, was soviel wie ganz, gesund und unversehrt bedeutet.

Der Unterschied lässt sich anhand zweier liturgischer Praktiken des Christentums veranschaulichen: Weihe und Segen. Etwas zu weihen heißt, es aus der Ordnung des Profanen herauszunehmen und mit einem Tabu des Sakralen zu belegen. Etwas zu segnen bedeutet hingegen, es jenseits der Differenz von Sakralem und Profanen in einen Horizont universalen Heils zu stellen. Kurz gesagt: Weihe schließt durch sakralisierende Teilungspraktiken aus, Segen schließt durch heiligende Ganzheitspraktiken ein.

Der christliche Glaube zielt auf etwas inkludierend Heiliges

Jenseits exkludierender Sakralisierungen, beispielsweise durch die ausschließliche Priesterweihe von Männern, zielt der christliche Glaube auf etwas inkludierend Heiliges, das Sakrales wie Profanes zugleich umfasst, durchdringt und verwandelt – und zwar in Richtung auf ein umfassendes Heil. Große Theologen des 20. Jahrhunderts wie Rahner, Chenu, Hans Urs von Balthasar oder Edward Schillebeeckx haben damit in weiterführender Weise gearbeitet: „Gott ist zwar ‚heilig’, nicht aber im eigentlichen Sinn sakral. Wenn das Profane auf die Seite des Sakralen tritt, dann hört es auf, profan zu sein. Das Profane aber, das heilig wird, bleibt profan. Man muss die Welt nicht sakralisieren, um sie zu heiligen“ (Chenu). Diese heilsbezogene „Entsakralisierung“ (Heribert Mühlen) des Christentums erweist es als eine besondere „Religion des Evangeliums“ (Claude Geffré), deren jesusbewegte Religionskritik die Schwächen des Fußballs wie Gewaltexzesse, Gegnerhass, Gewinnorientierung zugunsten seiner Stärken wie Lebensintensivierung, Gemeinschaftsgefühl, Hingabebereitschaft zu überwinden hilft. Eine entsprechend pastoral ausgerichtete Fußballtheologie nimmt ernst, dass das Heilige in christlichem Sinne nicht nur religiös Sakrales erfasst, sondern auch säkular Profanes.

An diesem Punkt lassen sich deutsch- und französischsprachige Religionsdiskurse fußballtheologisch zusammenführen. Denn im Sakralen wie im Profanen geschieht eine Überschreitung von Immanenz auf Transzendenz hin. Der Fußball darf daher auch in theologischer Hinsicht etwas Profanes sein und bleiben. Magnus Striet zufolge hält er gerade als säkulares Phänomen die transzendenzbezogene Sehnsucht nach einem guten Leben wach: „Ist das jetzt Religion? Oder ist es nicht so, dass Fußball Fußball ist, aber man auf die Idee kommen könnte, dass das Leben schlicht und einfach immer wieder einmal Spaß macht, dass da oben vielleicht doch einer sein könnte.“

Theologie und Kirche dürfen deshalb in Sachen Fußball für säkulare Erfahrungen ebenso empfänglich sein wie für religiöse. Und sie dürfen auch hier nicht dem Fehlschluss erliegen, dass eine als „postsäkular“ beschriebene Gesellschaft per se schon dem Christentum offenstünde. Eine vermeintliche Wiederkehr des Religiösen bedeutet noch lange keine massenhafte Bereitschaft zur Nachfolge Jesu.

Mit Blick auf religioide gesellschaftliche Anknüpfungspunkte wie Fußballliturgie, Engelsglaube oder Schamanenkult jedenfalls gilt eine entsprechende „Gewinnwarnung“ (Hans-Joachim Höhn). Die Zukunft der Pastoral liegt daher vielleicht weniger in der religiösen Ansprechbarkeit unserer Zeit als vielmehr in der säkularen Bedeutung des Evangeliums. Eine entsprechende theologia saecularis, die bei religiösen wie bei säkularen Überschreitungspraktiken ansetzt, sucht in den immanenten Transzendenzen des Lebens nach dem, was „in der Kondition des Menschen diese Welt übersteigt“ (GS 76).

Im Sinne einer „dritten Ökumene“ (Eberhard Tiefensee) mit nichtreligiösen Zeitgenossen kann eine solche Theologie dabei evangeliumsnahen, aber kirchenfernen „Zachäus-Menschen“ (Tomáš Halík) begegnen. In einem neuen pastoralen Existenzialismus interessiert sie sich dabei für schlichtweg alles, was das Konzil ihr zu bearbeiten aufträgt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1). Auf ihrer Suche nach Verbündeten für die Sache Jesu bearbeitet sie nicht nur kirchlich verschlüsselte Orte des Evangeliums, sondern auch jene, wo „Gott, aber nicht die Kirche ist“ (Rainer Bucher).

Ausgerechnet der wenig sportaffine Joseph Ratzinger markierte anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 einen entsprechenden Ansatzpunkt: „In diesem Sinn wäre das Spiel also eine Art von versuchter Heimkehr ins Paradies: das Heraustreten aus dem versklavenden Ernst des Alltags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und gerade darum schön ist. Demgemäß überschreitet das Spiel in gewisser Hinsicht das Alltagsleben.“ Dieses weltimmanente Transzendenzpotenzial des Fußballs macht ihn zu einer evangeliumsrelevanten Schule des Lebens, in der man „vom Spiel her das Leben neu erlernen“ (Ratzinger) kann.

Zum Beispiel einen pastoralen „Offensivfußball“ im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen kreative Spielphilosophie gegen den Defensivfußball der Pianischen Ära steht: vom Kampf um Positionen („Manndecker“) zur Entdeckung des Raumes („Offensive Sechs“), von der steilen Hierarchie („Führungsspieler“) zur integrierten Mannschaft („… der Star“) und von der mauernden Verteidigung (catenaccio) zum offenen Spielaufbau (fútbol total). Der Fußball ist ein großartiges „pastorales Lernfeld“ (Matthias Sellmann), auf dem es – wie im Falle des vor kurzem vom Papst „ins Abseits“ (Gregor Maria Hoff) gestellten Kurienkardinals Gerhard Ludwig Müller – auch einmal zur innerkirchlichen Nichtverlängerung eines „Spielervertrags“ kommen kann.

Jeder, der eine fußballbezogene „Rekontextualisierung“ (Lieven Boeve) des Christentums anstrebt, die eine „neue Lektüre des Evangeliums im Lichte der gegenwärtigen Kultur“ (Papst Franziskus) ins Werk setzt, tut daher gut daran, immer wieder einmal ins Fußballstadion zu gehen – oder besser noch, selbst Fußball zu spielen: „Ein Fußballstadion, beispielsweise, ist ein Ort, wo viele Menschen hingehen. Dort müssen wir präsent sein“ (Franziskus). Eine solche Rekontextualisierung steht für eine heilsfinalisierte und daher im Geiste Jesu auch religionskritische „Pastoral des Heiligen“ (Hans-Joachim Sander) im Kontext spätmoderner Lebenswelten: „Die christliche Rede von Gott ist eine Auseinandersetzung mit dem Heiligen – und zwar in der eigenen und in der fremden Religion. Sie setzt eine Differenz zu diesem Heiligen im Dienst des Menschen. Entscheidend ist der humane Gehalt in den Lebensfragen der Menschen“ (Sander).

Das gilt ebenso für das säkular Heilige der Fußballreligion. Bisweilen offenbart auch der Fußball ein „tieferes und umfassenderes Verlangen: Einzelne und Gruppen begehren ein erfülltes und freies Leben, das des Menschen würdig ist“ (GS 9). Es lohnt sich daher, ihn in den Lichtkegel des Evangeliums zu rücken: „Der Glaube erhellt nämlich alles in einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluss hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert den Geist daher auf wirklich humane Lösungen “ (GS 11).

Fußball ist auch ohne religiöse Überhöhung theologisch relevant

Der Fußball ist kein religiöser, sondern ein säkularer gesellschaftlicher Ort – und gerade deshalb auch ein pastoraler und zugleich ein theologischer. Man muss ihn nicht religiös überhöhen, damit er pastoral relevant, also heilsvermittelnd, und theologisch revelant, also offenbarungsträchtig, sein kann. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür war das Spiel von „Borussia Dortmund“ gegen „Mainz 05“ am 17. Mai 2016, bei dem ein BVB-Fan an einem Herzinfarkt verstarb. Auf „Spiegel online“ war zu lesen: „Die Leute auf der Südtribüne stellten ihren Support ein, der Block mit den Mainzer Fans schloss sich an, und bald schwieg das gesamte Publikum. Die Südtribüne kam auf die großartige Idee, ‚You’ll never walk alone‘ zu singen. Es sind schon öfter Menschen in Fußballstadien gestorben, aber noch nie hat sich eine solche Tragödie derart auf das Spiel ausgewirkt. Es entwickelte sich eine Dynamik, die sozialen Netzwerke glühten. Nur die Spieler fragten sich immer noch ahnungslos, was eigentlich los ist“ (Daniel Theweleit).

Ein anderes säkulares Zeugnis für die pastorale Dimension des Fußballs stammt von einem Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ und kommt eher im biographischen Kleinformat daher: „Fußball hat mir ein paar Erfahrungen gebracht, die mich bis heute durchs Erwachsenenleben tragen. Die Lehren aus dem Fußball drehen sich um Begriffe wie Demut, Verantwortung, Gemeinsinn. Pathetisches Zeug. Und trotzdem kommt man immer wieder darauf zurück beim täglichen Versuch, irgendwie aufrecht durch dieses Erwachsenenleben zu gehen“ (Thomas Hahn).

Mehr braucht es nicht, um theologisch interessant zu sein. Der Fußball muss dazu nicht erst zur Religion gemacht werden. Er darf ganz einfach das sein, was er ist: die wohl schönste Nebensache der Welt.

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