Herr Präses Bingener, die letzten beiden Bischofssynoden in Rom zu familienpastoralen Fragen sind vergleichsweise turbulent verlaufen. Wird das bei der Jugendsynode ähnlich sein?
Dirk Bingener: Gute Voraussetzungen dafür, dass die Synode fruchtbar sein wird, ist in jedem Fall, dass man junge Leute auch direkt beteiligt. Deshalb ist es uns als Bund der Deutschen Katholischen Jugend wichtig, dass neben den Bischöfen auch junge Menschen mit am Tisch sitzen und sich dort äußern können. Dann wird es sicher auch turbulent. Nun kennen wir die bisherigen Spielregeln von Synoden, bei denen die Bischöfe weitgehend unter sich diskutieren, aber Papst Franziskus ist ja immer wieder für eine Überraschung gut.
Eine Einbeziehung junger Leute soll es ausdrücklich geben. Immerhin hat der Vatikan im Sommer eine Website mit Fragen freigeschaltet, die die Menschen aus der Zielgruppe beantworten sollen. Wie bewerten Sie die Vorhaben, junge Leute zu beteiligen?
Bingener: Kardinal Lorenzo Baldisseri, der Synodensekretär, teilt ja unsere Auffassung, dass man – wenn man etwas von jungen Menschen und deren Lebenssituation erfahren will – nicht nur über junge Menschen sprechen kann, sondern auch mit ihnen reden muss. Deshalb wird es eine sogenannte Vorsynode geben. Aber es wird darauf ankommen, dass auch die Synode selbst entsprechend ausgerichtet ist. Der Papst betont ja die prophetische Kraft der Jugend, die sich auch darin äußert, Kritikpunkte zu benennen und Neues einzubringen. Wir haben Kardinal Baldisseri geschrieben, dass wir Papst Franziskus unsere Unterstützung zusichern und uns darüber freuen, dass die Jugend beteiligt wird, dass es aber auch für uns unabdingbar ist, genauer zu erfahren, was die nächsten Schritte sind und wie die Synode genau aussehen wird. Da wissen die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz und wir derzeit auch nicht mehr, als bisher in den Zeitungen zu lesen war. Um Beteiligung zu ermöglichen, wäre es sehr wichtig, dass jetzt bald der Fahrplan der Synode offengelegt wird. Darum bitten wir.
Inwiefern kann man denn mit Blick auf Jugendliche von einer prophetischen Kraft für die Kirche, aber auch für die Welt sprechen?
Bingener: Junge Leute haben das Recht, immer wieder neu Fragen zu stellen und für sich zu beantworten, sie scheuen nicht vor Kritik zurück und möchten ihre Zukunft maßgeblich mitgestalten. Das ist ein wichtiger Motor für Veränderung. Das löst eine positive Dynamik für die Kirche aus. Junge Menschen haben einen feinen Sensus für das Thema Gerechtigkeit. Nehmen Sie allein die Aktion Zukunftszeit vor der Bundestagswahl als Beispiel. Da wollten wir als katholische Jugendverbände ein Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit und für Geflüchtete setzen. Wir hatten uns vorgenommen, 35 000 Stunden ehrenamtlichen Engagements für diesen Zweck zu sammeln – also genau die Zeitspanne der nächsten vier Regierungsjahre. Wir wollten der zukünftigen Regierung zeigen, was uns wichtig ist, und sind selbst überrascht, dass wir mehr als 170 000 Stunden Zukunftszeit in über 600 Projekten zusammenbekommen haben. Das war faktisch ein Selbstläufer, weil die Aktion junge Menschen bewegt hat.
Was sind Ihre inhaltlichen Erwartungen an die Jugendsynode? Welche weiteren Themen treiben Jugendliche derzeit um, die auf der Synode besprochen werden müssten?
Bingener: Ich erwarte, dass Themen, die jungen Menschen wichtig sind, besprochen werden. Grundsätzlich stellen sich für diese Altersgruppe drei große Fragen: Wo bin ich beheimatet? Was wird aus mir? Wie wollen wir leben? Wie kann Kirche hier hilfreich sein, damit junge Menschen aus dem Glauben heraus dazu ihre je persönlichen und tragfähigen Antworten finden? Des Weiteren alles rund um das Thema Partnerschaft und Beziehung. Allerdings kommt das im Fragebogen zu kurz, ebenso der Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. Für Jugendliche ist es nicht nachvollziehbar, dass die Kirche sagt: Wir akzeptieren Dich, aber nicht wie Du liebst. Ebenso fehlen Fragen nach der Ausgestaltung von Leitung in Kirche und der Zulassung zu den Weiheämtern. Es gibt also eine ganze Reihe von Aspekten, die so im Fragebogen nicht angesprochen werden, aber sicher von den Jugendlichen, jungen Erwachsenen und dann auch von uns aus eingebracht werden.
Die Befragung ist also misslungen?
Bingener: Keineswegs. Dass es einen Fragebogen gibt, begrüßen wir zunächst einmal als neues Element der Beteiligung. Wir haben damit ja schon im Vorfeld der Familiensynode gute Erfahrungen gemacht. Mehr als 10 000 Jugendliche hatten sich damals beteiligt. Es ist also gut, sowohl Jugendliche als auch die Verantwortlichen aus der Jugendpastoral bei der Vorbereitung einer Bischofssynode einzubeziehen. Zusätzlich haben wir eine eigene Postkartenaktion gestartet, die in den Jugendverbänden, aber auch in den Pfarrgemeinden auf große Resonanz gestoßen ist. Auf dem Katholikentag 2018 in Münster wird die Jugendsynode einer unserer Schwerpunkte sein. Grundsätzlich besteht allerdings die Herausforderung darin, alle Jugendlichen anzusprechen und nicht nur diejenigen, die sowieso innerhalb der katholischen Kirche aktiv sind. Genau das will der Papst ja.
Was können Sie da als katholischer Jugenddachverband tun?
Bingener: Als BDKJ haben wir über 100 000 Postkarten in Cafés, Bars, Kneipen ausgelegt, die junge Menschen zur Teilnahme an der Online-Umfrage einladen. Daneben werden unsere Erfahrungen in der Arbeit mit Benachteiligten, aber auch aus den Freiwilligendiensten der katholischen Träger in unsere Rückmeldungen einfließen, damit wir eine möglichst breite Streuung haben und über die Ansichten der katholisch sozialisierten Jugendlichen hinauskommen. Eine komplexe Online-Umfrage ist sicherlich nicht für jeden jungen Menschen das richtige Format. Daher gibt es von unserer Seite Hilfestellungen und Vorschläge auf jugend-synode.de.
Werden die deutschsprachigen Teilnehmer auf der Jugendsynode eine ähnlich wichtige Rolle spielen können, wie das bei den Familiensynoden offensichtlich der Fall war?
Bingener: Was wir als Deutsche einbringen können, ist unsere Art der Jugendpastoral, die gut aufgestellt ist. Die Vielfalt, nicht zuletzt aufgrund der Mittel, die uns zur Verfügung stehen, ist schon einmalig. Mit den anderen deutschsprachigen Akteuren werden wir uns noch vernetzen. Es ist für uns dabei aber auch selbstverständlich, über den Tellerrand hinauszuschauen. Wir wollen von anderen lernen.
Inwieweit nehmen Jugendliche überhaupt ernst, dass es 2018 auf einer Bischofssynode um ihre Themen gehen soll?
Bingener: Die Jugendlichen spüren das ehrliche Interesse des Papstes an ihren Anliegen, das er nicht zuletzt auf dem Weltjugendtag in Krakau geäußert hat. Darauf reagieren junge Leute sehr positiv. Franziskus schafft es schon, die Jugendlichen direkt anzusprechen, zumal er vorlebt, was ihm wichtig ist. Er sagt zu den Jugendlichen nicht nur einfach „Runter vom Sofa“, sondern bricht selbst auf und geht zu denen, für die die Kirche da sein sollte.
Gibt Franziskus damit den katholischen Jugendverbänden Rückenwind?
Bingener: Wir mussten nicht auf Rom warten, damit wir als Jugendverbände tun, was wir tun. In den Jugendverbänden gab es immer schon eine große Dynamik. Gott sei Dank, denn es ist für junge Leute nicht attraktiv, nur auf die Krisenphänomene zu schauen. Der Krisentinnitus, den wir seit vielen Jahren in der Kirche haben, wird niemand hinter dem Ofen hervorlocken. Es gibt natürlich Umbrüche und Veränderungen, auch in den Jugendverbänden. Aber die Zahlen derer, die sich insgesamt engagieren, und die Fülle der Aktionen haben nicht nachgelassen. Das Engagement, mit dem junge Menschen Kirche gestalten, ist weiterhin nachhaltig. Aber natürlich fühlen wir uns von Franziskus bestärkt. Etwa, wenn der Papst von den Jugendlichen spricht, die ihre Berufung aufgrund von Krieg, Armut und Unterdrückung nicht leben können. Das passt zu unserem Engagement für Frieden, für Nachhaltigkeit, für die entwicklungspolitischen Fragestellungen, wie auch zu der Spiritualität, die in unseren Mitgliedsverbänden gelebt wird.
Im Vorbereitungsdokument zur Synode spielt der Begriff der „Berufung“ eine große Rolle. Manche sind da in der Versuchung, die Themen der Synode auf die Anliegen der Berufungspastoral zu reduzieren, um vor allem dem Mangel an Priester- und Ordensberufungen zu begegnen.
Bingener: Auf solche Gedanken können nur diejenigen kommen, die das Vorbereitungsdokument nicht genau gelesen haben. Der Papst verwendet eben keinen engen Berufungsbegriff. Zunächst einmal geht es ihm darum, dass junge Menschen spüren, von Gott gewollt und geliebt zu sein. Dieses Vorzeichen kann die prägende Kraft in ihrem Leben werden. Aus dieser Erfahrung heraus sollen Jugendliche und junge Erwachsene ihr Leben gestalten. Dann kann ich alles Mögliche werden. Gott will, dass junge Menschen groß rauskommen und etwas aus sich machen. Die entscheidende Frage ist, wie wir als Kirche dabei helfen können.
Wie kann die Kirche die höher gewordenen Hürden überwinden, um junge Menschen heute zu erreichen?
Bingener: Eine zentrale Forderung ist, dass wir Menschen brauchen, die für Kinder und Jugendliche ansprechbar sind. Damit meine ich auch Hauptamtliche. Es braucht Vorbilder, da reicht es nicht aus, wenn man zwei, drei Priester pro Jahr weiht oder einige wenige pastorale Mitarbeiter einstellt. Wir müssen unbedingt intensiver darüber nachdenken, wie es attraktiver wird, dass junge Menschen einen Beruf in der Kirche ergreifen. Hier braucht es viel größere Anstrengungen. Ganz unabhängig davon, mit welchen Herausforderungen wir uns in Zukunft auseinandersetzen müssen: Wir werden dazu Menschen brauchen, die Ehrenamtlichkeit unterstützen. In den Jugendverbänden sind hier beispielsweise die geistlichen Verbandsleitungen ganz wichtig.
Wie leicht ist es denn, diese Stellen zu besetzen? Gibt es für solche Tätigkeiten hinreichend Bewerber?
Bingener: Der Mangel ist hier kein gottgegebenes Problem. Man muss an verschiedenen Stellschrauben drehen. Während unserer letzten BDKJ-Hauptversammlung saßen wir in einer Runde mit 15 Leuten zusammen, die gesagt haben, dass sie sich den kirchlichen Dienst grundsätzlich gut vorstellen könnten, er aber aus diesem oder jenem Grund faktisch für sie nicht in Frage kommt.
Worum geht es konkret?
Bingener: Eine Frage ist, wie innerhalb der Kirche geleitet wird. Der BDKJ macht vor, dass eine paritätische Leitung möglich ist. Ich bin einer von vier Mitgliedern im Bundesvorstand, und wir stimmen die entscheidenden Dinge zu viert ab. Warum soll so Gemeindeleitung nicht funktionieren? Zu den weiteren Fragen gehört, ob die universitäre und pastorale Ausbildung auf die neuen Herausforderungen vorbereitet. Welche Leute brauchen wir überhaupt? Nur Theologinnen und Theologen? Einerseits will ich unterschiedliche Milieus ansprechen, andererseits achte ich nicht darauf, dass bei der Auswahl der Mitarbeitenden diese auch aus unterschiedlichen Milieus kommen. Wird gesehen, welche Talente die Einzelnen haben? Gibt es eine vernünftige Personalentwicklung und entsprechende Perspektiven? All dies sind wichtige Fragen für alle, die potenziell in der Kirche arbeiten wollen. Darauf müssen wir bessere Antworten finden.
Stößt die Forderung nach paritätischer Leitung nicht auf das Problem, dass innerhalb der Jugendverbände etwas gelingt, was in der katholischen Kirche darüber hinaus in vielen Fällen scheitert? Finden Jugendliche zunehmend weniger den Weg in die klassischen Angebote, weil dort oft genug andere Gesetzmäßigkeiten gelten?
Bingener: Tatsächlich stellen wir fest, dass immer weniger Jugendliche in einer klassischen Pfarrei heimisch werden. Oftmals ist der Jugendverband der einzige Ort, wo sie christliche Gemeinde erleben. Es braucht eben, gerade für junge Leute, Räume, in denen sie Selbstwirksamkeit in demokratischen Strukturen erleben. Nicht umsonst ist für uns die Maxime, dass Jugend Jugend leitet. Aber wir legen auch großen Wert darauf, dass Jugendgruppen und die Jugendverbandsarbeit mit der Pfarrei und deren Strukturen verbunden sind. Zusammen muss man in der Lage sein, die Bedürfnisse des Sozialraums, des Dorfes oder des Stadtteils zu sehen. Umgekehrt ist das auch eine Aufforderung an jede Pfarrgemeinde, ganz grundsätzlich zu schauen, dass sie attraktiv für junge Leute ist. Welche Bedingungen für ein Engagement junger Menschen sind wichtig und werden dann auch erfüllt? Will man wirklich mit ihnen Zukunft gestalten, inklusive der Bereitschaft zur Veränderung?
Wie war das bei Ihnen persönlich?
Bingener: Ich war selbst Ministrant und bin in einer Pfarrei mit einer starken Ministrantenarbeit und einem guten Pastor aufgewachsen. Als Kaplan bin ich über die Begleitung von KJG-Ferienfreizeiten zur Jugendverbandsarbeit gekommen.
Und was hat sich seit Ihrer Jugendzeit verändert?
Bingener: Jugendliche haben heute weniger Zeit. Deshalb kämpfen wir als Jugendverbände sehr stark für mehr Freiräume. Es geht da sowohl um die Freiheit, auch einmal nichts tun zu können, als auch um die Möglichkeit zum Engagement in der Jugendarbeit. Wir sind froh, dass dies in der Diskussion um die Schulzeitdauer wieder stärker gehört wird. Persönlichkeitsentwicklung braucht einfach Zeit. Ein zweiter wesentlicher Unterschied ist, dass pastorale Räume größer geworden sind. In diesen Räumen ist es ganz normal, dass sich Gruppen entwickeln, die ein gewisses Eigenleben führen. Sie müssen deshalb aber nicht isoliert sein, sondern bilden gerade auf diese Weise Pfarrei.
Inwieweit hat das Nicht-Verhältnis vieler Jugendlicher zu ihrer Gemeinde vor Ort auch mit unterschiedlichen Lebensstilen zu tun?
Bingener: Natürlich fühlen sich Jugendliche in einem Gottesdienst am Sonntagmorgen um 9 Uhr, zu dem sich wenige Leute versammeln und der für sie oft musikalisch unattraktiv ist, nicht wohl. Deshalb ist es wichtig, dass es Gottesdienste für Jugendliche gibt, in denen sie sich liturgisch zu Hause fühlen. Aber wir brauchen insgesamt noch viel mehr Gespür dafür, was junge Leute ästhetisch anspricht. Jugendkirchen sind hier ein hervorragendes Angebot. Auch da, wo Gleichaltrige mit ihrer Band den Gottesdienst gestalten, lösen sich viele Probleme von selbst auf. Die Frage von Kirchlichkeit misst sich ja auch nicht alleine daran, ob Jugendliche am Sonntagmorgen im Gemeindegottesdienst sitzen. Junge Menschen wollen übrigens auch gar nicht nur für sich sein. Sie wollen mit ihrer Art, Kirche zu sein, gesehen werden. Und natürlich kann man auch jungen Leuten erklären, dass es einen Wert hat, wenn sich Christinnen und Christen von Zeit zu Zeit in ihrer Pfarrei gemeinsam erleben.
Dass die Bandbreite gelebter Spiritualität von Jugendlichen größer geworden ist, hängt auch an den geistlichen Gemeinschaften. Nicht zuletzt im Zuge der Vorbereitungen auf den Weltjugendtag in Köln scheint sich das Verhältnis des BDKJ zu diesen anderen Akteuren etwas entspannt zu haben. Wie bewerten Sie es, dass die Deutsche Bischofskonferenz neben der 72-Stunden-Aktion des BDKJ auch „Nightfever“ als ein weiteres von drei vorbildlichen Projekten zur Präsentation auf der Bischofssynode bestimmt hat?
Bingener: Es ist gut, dass die kirchlichen Player unterschiedlich auf junge Leute zugehen; und für die Jugendlichen ist es gut, dass es verschiedene Angebote gibt. Ich bin froh, wenn Menschen in der Kirche ihr Ding machen, wenn Menschen sich mit Herzblut in der Kirche engagieren. Insgesamt ist das Entscheidende, dass man sich gegenseitig gelten lässt. Uns als BDKJ ist es deshalb wichtig, dass man da nicht anfängt zu werten.
Inwieweit gilt das auch für die Bischöfe? Wie hat sich das Verhältnis zu Jugendbischof Stefan Oster entwickelt, nachdem er bei seiner ersten Hauptversammlung gleich reichlich Kritik am BDKJ geäußert hat?
Bingener: Wir haben dem Jugendbischof danach geschrieben, dass wir die Art und Weise seiner Kritik, aber auch deren Inhalt, nicht in Ordnung fanden. Kritik ist nicht in jedem Fall Reibung, die Wärme erzeugt, wie er gesagt hat, sondern kann auch Kälte erzeugen. Die Fragen, um die es geht, sind so gewichtig, dass wir unbedingt wohlwollend und auf Augenhöhe miteinander im Gespräch sein müssen – was Bischof Oster ja auch wünscht. Im Februar, also im Vorfeld der Jugendsynode, wird es eine gemeinsame Veranstaltung geben, wo wir über die kritischen Punkte auch noch einmal diskutieren werden.
Gibt es denn Punkte, an denen die Kritik des Passauer Bischofs am BDKJ-Papier über die Theologie der Verbände gerechtfertigt ist?
Bingener: Ich konnte und kann die Kritik nicht nachvollziehen. Uns verwundert sie auch insofern, als wir für dieses Papier, auch nach der Hauptversammlung, eine Menge Zuspruch bekommen haben, auch aus der Jugend-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Ich gehe davon aus, dass wir alle Punkte, die Fragen von Bischof Oster, aber auch die Fragen junger Leute, im Februar in Ruhe diskutieren können. Die Zeit der Grabenkämpfe ist meiner Ansicht nach vorbei. Es ist wichtig, dass wir mit Blick auf die 15 jugendpastoralen Felder alle Akteure gelten lassen.
Welche Rolle spielt innerhalb des BDKJ, dass unabhängig von der kirchenpolitischen Ausrichtung gelegentlich darüber geklagt, wird, dass das Wissen um biblische Zusammenhänge und die Kenntnis religiöser Traditionen und Praxis nicht nur, aber gerade auch bei jüngeren Gläubigen abnimmt?
Bingener: Für einen Wölfling bei den Pfadfindern beispielsweise geht es erst einmal darum, dass er in eine Gemeinschaft hineinfindet, die auch eine Glaubensgemeinschaft ist. Papst Franziskus sagt selbst, dass junge Menschen am besten anderen jungen Menschen den Glauben, die Glaubenspraxis nahebringen können. In diesem Sinne kommt der geistlichen Verbandsleitung und allen anderen Leiterinnen und Leitern in den Jugendverbänden eine wichtige Aufgabe zu, die eine solide Ausbildung benötigt. Ein junger Mensch, der sich innerhalb der Jugendverbände engagiert, bekommt aufgrund der religiösen Bildungsarbeit ganz automatisch eine Menge über den Glauben mit und gewinnt Glaubenspraxis. Und in den Verbänden gibt es eine breite Vielfalt an Spiritualität. Von der KSJ über die KJG bis zur Katholischen Landjugend: Glaubensbildung gehört integral zur Gruppenleiterausbildung dazu. Das ist unser Job.
Welche Formen der Spiritualität elektrisieren Jugendliche denn heute am meisten?
Bingener: Ausdrucksformen gibt es hier viele. Entscheidend ist, dass spürbar wird, dass das, was passiert, mit mir zu tun hat, mich betrifft und anrührt und dass an irgendeiner Stelle Raum ist für die Begegnung mit Gott, mit Christus, mit dem Wirken des Heiligen Geistes. Und wichtig ist, dass ich dabei nicht den Eindruck habe, allein zu sein. Jugendliche wollen nicht isoliert, sondern in Gemeinschaft glauben: ob beim Taizé-Gebet, beim Gottesdienst am Lagerfeuer oder einem großen Gottesdienst am Verbandstag. Die Liturgien der großen Events sind das eine, das Entscheidende aber ist, vor Ort und dauerhaft miteinander glauben zu können. Zu den Weltjugendtagen oder zur europäischen Ministrantenwallfahrt, wie nächstes Jahr Anfang August in Rom, fahren die meisten ja nicht allein, sondern in ihren Gruppen, mit denen sie sonst auch zusammen sind und Gottesdienst feiern. Die Events sind dann etwas, was zusätzlich bestärkt.
Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat seinerzeit als Jugendbischof gefordert, dass die verschiedenen jugendpastoralen Akteure, also neben der Jugendverbandsarbeit etwa auch die Gemeindekatechese und die Schulseelsorge, sich noch besser vernetzen müssten. Hat es da Fortschritte gegeben, weil man in der Kirche inzwischen ohnehin mehr zusammenrückt?
Bingener: Junge Menschen begegnen denselben Fragen in der Schule, im Jugendverband, in ihrem Freiwilligendienst oder in der Hochschulseelsorge. Deshalb braucht es Austausch, der aus meiner Sicht auch intensiviert worden ist. Aber natürlich muss jeder seiner Aufgabe erst einmal nachkommen. Dabei muss das Profil klar sein, und die einzelnen Orte in ihrer Besonderheit müssen Beachtung finden. Schule ist Schule und Jugendverband ist eben etwas anderes. Hinzugekommen ist heute die große Herausforderung, dass Jugendliche selbstverständlich anderen Religionen begegnen. Deshalb ist der interreligiöse Austausch wichtiger geworden. Unsere Jugendverbände bieten hier verschiedene Möglichkeiten beispielsweise im Kontakt mit der alevitischen Jugend, den muslimischen Pfadfindern und anderen. Die Rolle von Religion in unserer Welt heute bewegt junge Leute sehr. Wichtig ist schließlich, dass die Berufungspastoral in jenem weiten Sinne, wie der Papst sie denkt, Querschnittsthema aller jugendpastoralen Akteure wird. Das ist kein isoliertes Thema, das muss alle beschäftigen. Ich hoffe sehr, dass das während der Jugendsynode deutlich wird.