Aufbewahren für alle Zeit! – mit diesem Stempelaufdruck wurden in der Sowjetunion jene Gerichtsakten versehen, in denen es um Staatsverbrechen erster Klasse ging. Zu einem solchen Kriminellen, der Gesetze des Sozialismus auf schlimmste Weise übertreten hatte, wurde im April 1945 auch Lew Kopelew (1912–1997) abgestempelt. Die dramatischen Ereignisse, in die der Literat und Germanist damals verstrickt wurde, sind jetzt – zum zwanzigsten Todestag des in Kiew geborenen Autors mit ukrainisch-russisch-jüdischen Wurzeln – in der spannenden Biografie des Schweizer Journalisten Reinhard Meier nachzulesen.
Für den früheren Moskau-Korrespondenten der NZZ zählt Kopelew, der im Zweiten Weltkrieg als Propaganda-Offizier gegen die Wehrmacht kämpfte, zu den bedeutendsten kulturellen Brückenbauern zwischen Russen und Deutschen. Dies zeigt sich für seinen Biografen bereits darin, dass der Major der Roten Armee sich in Ostpreußen Plünderungen und Vergewaltigungen widersetzte, was ihm den Vorwurf des „Mitleids mit den Deutschen“ einbrachte – und zu neun Jahren Straflager und GULAG führte, aber zugleich eine enge, nie ganz konfliktfreie Freundschaft mit Alexander Solschenizyn begründete. Dieser setzte ihm in „Der erste Kreis der Hölle“ in Gestalt des Lew Rubin später ein Denkmal. Anders als Solschenizyn richtete sich der Regimekritiker Kopelew jedoch nie in einer antiwestlich-slawophilen Haltung ein. Gemeinsam mit seiner Frau, der Amerikanistin Raissa Orlowa, wurde er nach seiner Ausbürgerung 1981 vielmehr zu einer zentralen Gestalt im geistigen Leben der Bundesrepublik. Dass Kopelew zur Versöhnung zwischen Ost und West einen Beitrag leisten und mit seinem Wuppertaler Forschungsprojekt der „West-östlichen Spiegelungen“ zur Differenzierung des deutschen Russlandbildes beitragen konnte, ist nach Meier maßgeblich der Vermittlung seines engsten Freundes zu verdanken: Heinrich Böll.
Überzeugend schildert Meier das Talent zu Gespräch und Freundschaft: So sagte Marion Gräfin Dönhoff in ihrer Laudatio zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1981 über Kopelew: „In seinem großen Herzen hatten sie alle Platz: Christen und Juden, Polen und Deutsche, Kommunisten und Oppositionelle“.