In der jüngsten Veröffentlichung von Hans Joas geht es zunächst ganz bewusst um die Schwierigkeiten mit Blick auf das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen. Erst im letzten Kapitel kommt er zu einem zusammenfassenden Urteil, warum ein moralisierendes Auftreten der Kirchen scheitern muss.
Zuvor analysiert der Soziologe kritisch die Vorhaben wie die umgesetzten Reformen des Zweiten Vatikanums, die einen viel beschworenen neuen Geist in der Kirche hervorgebracht haben, ohne aber bei der institutionellen Umsetzung die Versprechen halten zu können. Joas spricht an dieser Stelle von einer „organisatorischen Trägheit", die es verboten hat, die Korrekturen an der Lehre gegen die Tradition der Kirche und mit ihrer Hierarchie auch ekklesiologisch umzusetzen. Das Selbstverständnis der Kirche stehe zudem bis heute in der Gefahr der Selbstsakralisierung, was einen wechselseitigen Lernprozess mit der aktuellen Umwelt und Gesellschaft erschwere, so Joas.
Mit Blick auf die Gegenwart, die der Autor als „Welt der Optionen" beschreibt, geht Joas auch von einer Optionalität des Glaubens aus. Daraus entstehe ein „echter Pluralismus", dem die Kirchen mit ihrem universalistischen Anspruch auch konkret Rechnung tragen müssten, wenn sie weiterhin von Bedeutung sein wollen.
Das tun sie bisher zu wenig, sie ziehen sich vielmehr auf ihre universalistische Moral zurück und werden damit zur Moralagentur. Insbesondere in der Beziehung zum Staat liefere die Selbstdeutung als moralische Instanz eine schwache Daseinsberechtigung, urteilt Joas. „Mit dieser Konzentration auf Moral wird aber nicht nur der Eigencharakter des Religiösen verfehlt, sondern auch der des Politischen". Letztlich ginge es heute mehr denn je um die Frage nach dem angemessenen Verständnis von Kirche in unserer Zeit. Und dieses Verständnis sei weder in der Selbstsakralisierung noch in der Selbstreduzierung als Moralagentur für die Gesellschaft zu finden. Ein möglicher Weg für eine erneuerte Rolle der Kirche in der Gesellschaft wird im Fazit nur angedeutet: Es brauche eine Weltkirche, die der „Welt der Optionen" Rechnung trägt und Kirche in der Pluralität erlebbar macht.